Die seltsamen Kapriolen der Inflation

Die gestiegene Inflation hat wenig mit der lockeren Geldpolitik der EZB zu tun. Ihre Wurzeln reichen bis in die gewaltig gestiegene Ölförderung der USA.

Im Dezember lag die Teuerung in Österreich bei 4,3, in der EU bei 5 und in den USA bei 6.8 Prozent – das erregt nach einem Jahrzehnt fast ohne Inflation zwangsläufig Aufsehen. Die zentrale Ursache ist eindeutig: weil die Weltwirtschaft sich unerwartet rasch von ihrer Corona-Schockstarre erholte, brauchte sie schnell wieder mehr Öl und Gas und beide haben sich massiv verteuert – mit ihnen Transport, Heizen und alles, was energieintensiv erzeugt wird. Daneben sind Lieferketten abgerissen.

Ich bleibe mit EZB-Chefin Christine Lagarde der Meinung, dass sich das geben wird, zweifle aber, dass das rasch geschieht. Damit kann es katastrophale Folgen haben: Obwohl die Löhne in den USA so gestiegen sind, dass es die Inflation egalisiert, verdunkelt ihre negative Wahrnehmung doch merklich Joe Bidens ökonomische Bilanz. Das kann (dürfte) ihn bei den Midterm-Wahlen im Oktober die nötige Mehrheit für gesetzliche Beschlüsse – etwa für weitere Investitionen- und damit die Möglichkeit kosten, der Bevölkerung zu zeigen, dass es ihr unter seiner Regierung besser als unter Donald Trump geht – es verbessert dessen Chancen auf ein Comeback erheblich.

In der EU sehe ich zwar keine vergleichbare Katastrophe – wohl aber die Steigerung ihres alten Jammers: Zu „Austerity“ des Staates gesellt sich, dass die Inflation zusätzlich zur „Lohnzurückhaltung“ die Kaufkraft aller massiv vermindert.

Eine Theorie, die Inflation präzise vorhersagt, gibt es nicht. Die gängigste „monetaristische“, wonach jede erhöhte Geldmenge Inflation erzeugt, ist unbrauchbar: 2011 ließ sie den intelligenten Chef der Agenda Austria Franz Schellhorn als Ressortleiter der Presse vermuten, dass die ultralockere Geldpolitik der EZB die „Inflation durch die Decke schießen“ ließe – in Wirklichkeit blieb sie biss 2021 so niedrig wie nie.

Im Allgemeinen setzt hohe Inflation die Verknappung=Verteuerung wichtiger Ressourcen, wie Gas oder Öl, voraus, wobei die freilich die unterschiedlichsten Gründe haben kann: Es kann daran natürlicher Mangel eintreten– aber noch öfter verteuern sie sich durch politische Entscheidungen. So einigte sich die Organisation Öl-exportierender Länder 1973 darauf, die Ölförderung so zu drosseln, dass sich der Ölpreis vervierfachte. Das steigerte die Inflation in Österreich 1974 auf 7,6, im Jahr darauf auf 9,5 Prozent. (Ohne dass die Österreicher es als Katastrophe empfanden, denn Hannes Androsch überwand den „Öl-Schock“ durch massives Defizit Spending.)

Obwohl der Öl(Gas)preis also der mit Abstand wichtigste Preis der Welt ist, entzieht sich seine Bildung des Öfteren der Vernunft: Die Erhöhung 1973 kam zu Stande, weil Russland sie wie immer brauchte, und Saudi-Arabien – vergeblich – eine harte US- Politik gegen Israel durchzusetzen hoffte. Auch jetzt braucht Russland ständig einen bestimmten Öl(Gas) Preis, um wirtschaftlich zu überleben und wenn es sich mit Saudi-Arabien nicht auf dessen Höhe einigen kann, verkauft es viel mehr Öl zu sinkenden Preisen. Aber auch Saudi Arabien kann den Ölpreis nicht rational gestalte: wenn es Geld für Kriege braucht, folgt es dem Muster Russlands. Und immer stehen die Saudis unter dem Druck der USA, von deren militärischem Schutz und deren Waffenlieferungen ihre Sicherheit abhängt: Bisher habe die USA meist einen niedrigen Ölpreis gefordert und durchgesetzt.

Genau das – und das verändert die Lage erheblich – ist derzeit nicht der Fall. Denn voran Fracking hat die USA vor Saudi-Arabien und Russland zum größten Öl(Gas) Produzenten der Welt gemacht. Weil die USA Öl allerdings weit kostspieliger als am Golf fördern, brauchen sie, um Pleiten ihrer Fracking-Industrie zu verhindern, derzeit auch einen höheren Ölpreis.

Die FED begegnet der voran durch ihn gestiegenen Inflation, indem sie eine Überhitzung der US-Konjunktur mit Zinserhöhungen bekämpft. Diese höheren Zinsen fordert Notenbank- Gouverneur Robert Holzmann oder die Mitarbeiterin der Agenda Austria Heike Lehner, auch von der EZB. Nur dass die Wirtschaft der EU weit von einer Überhitzung entfernt ist: anders als in den USA sind 7 Prozent ihrer Bürger (in Italien 9, in Spanien 15Prozent) arbeitslos. Denn schon nach der Finanzkrise haben sich die USA weit besser als die EU erholt und „Corona“ hat diesen Vorsprung vergrößert: Schon Donald Trump und noch mehr Joe Biden haben die Einkommen der Amerikaner mittels enormer Budgets finanziell unterfüttert, so dass das US- BIP pro Kopf fast dorthin gestiegen ist, wo es ohne jeden Corona-Einbruch gelandet wäre, während es in der EU noch nicht einmal Vorkrisenniveau erreicht. Allerdings sorgt Geld, das der Staat in höhere Einkommen steckt, zwar immer auch für die höhere Produktion von Gütern und Leistungen, aber nicht im gleichen Ausmaß wie staatliche Investitionen. Diese Differenz bei der Güter- Deckung des eingesetzten Geldes bedingt den kritischen Anteil der US-Inflation. Die FED zieht die Zinsschraube daher jetzt relativ kräftig an.

Die EZB ist nicht in ihrer Lage: Sie unterstützt die Wirtschaft noch immer durch lockere – wenn auch nicht mehr ultralockere – Geldpolitik, weil „Austerity“ ausreichende staatliche Investitionen behindert hat. Christine Lagarde betrachtet das, wie schon Mario Draghi als bedauerliche Ersatzhandlung: natürlich wären ihr (und mir) ausreichende staatliche Investitionen und angehobene EZB-Zinsen lieber, weil es die Allokation der Mittel verbesserte und „Blasen“ am Aktienmarkt verhinderte. Aber dazu müsste die EU zuerst „Austerity“ entsorgen.

 

 

 

 

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