Der Kampf um die Schuldenregeln der EU

Österreichs neuer Finanzminister Magnus Brunner will zurück zu alter Strenge. Immer mehr seiner Kollegen sind aus gutem Grund für eine Lockerung.

Die ersten Wortmeldungen des neuen deutschen und des neuen österreichischen Finanzministers trafen in Brüssel auf gespitzte Ohren: “Ich wünsche mir eine kluge Balance aus Begrenzung der öffentlichen Verschuldung einerseits und der Freisetzung von Investitionen andererseits – das muss nicht gegeneinander stehen“, erklärte Deutschlands Christian Lindner, und gemessen an seinen bisherigen Äußerungen weckte das bei Kollegen aus dem „Süden“, voran Frankreich, die Hoffnung, dass die Staatsschuldengrenze von 60 Prozent des BIP, wie sie im Maastricht- Vertrag vereinbart und im „Austerity“- Pakt verschärft wurde, dahin modifiziert werden könnte, dass Investitionen in den Klimaschutz nicht als „Staatsschulden“ gelten.

„Schulden sind Schulden“, dämpfte Österreichs Magnus Brunner diese Hoffnung, „wir treten dafür ein, zu strengen Schuldenregeln zurückzukehren, sobald die (Corona)Krise überwunden ist- das ist wichtig, um sich Spielraum ( zur Krisenbewältigung) zu schaffen.“

Für Österreich hat das in der Vergangenheit freilich in keiner Weise gestimmt: Obwohl es die „Schuldenbremse“ bis hin zum „Nulldefizit“ nutzte, verzeichnete die Wirtschaft 2019 mit minus 7,8 Prozent das größte Minus in der EU – am besten durch die Corona-Krise kamen mit minus 3,5 Prozent die USA, die in keiner Weise sparten.

Brunner negiert leider die Mathematik, obwohl nirgends so klar ist, wie kontraproduktiv sich Sparen des Staates auswirkt, als wenn es um Investitionen in den Klimaschutz geht: Es ist ja voran der Staat, der den Kauf von Solarpaneelen, Windrädern oder Wärmepumpen finanziell aufs Massivste unterstützen muss, und je mehr davon eingekauft werden, desto mehr davon können Unternehmen nach Adam Riese verkaufen = desto stärker wächst die Wirtschaft. Wenn nicht auch deutsche (österreichische) Ökonomen und Finanzminister das irgendwann begreifen und bei den Maastricht-Kriterien bleiben, wird die EU ökonomisch noch weiter hinter die USA zurückfallen.

In Brüssel ist derzeit immerhin endlich eine Diskussion über die EU- Schuldenregeln im Gange. Frankreich, Italien, Spanien lehnen sie am energischsten ab und in den Augen der meisten deutschsprachigen – nicht der angelsächsischen – Ökonomen tun sie das nur, weil sie keine Budgetdisziplin halten wollen und deshalb hoch verschuldet sind – nicht aber weil sie begriffen haben, dass diese Regeln kontraproduktiv sind und dass ihre wirtschaftliche Misere voran andere Ursachen hat: Weil Deutschland, Österreich oder Holland ihre Waren durch „Lohnzurückhaltung“ zu Lasten der Einkommen und der Kaufkraft ihrer Bevölkerung verbilligen, nehmen sie den Waren Frankreichs, Italiens oder Spaniens zwangsläufig immer mehr Marktanteile weg. Wenn nicht auch das irgendwann von deutschen (österreichischen) Ökonomen begriffen wird, wird es die EU sprengen.

Zumindest bei den Schuldenregeln gewinnt das Begreifen derzeit Boden: Brunner befindet sich bezüglich des staatlichen Sparens zwar im Einvernehmen mit den Finanzministern Dänemarks, Schwedens und Finnlands aber zumindest die neue Finanzministerin der Niederlande, das bisher ebenfalls unter die „Sparsamen“ zählte, sieht das nicht mehr so kämpferisch, nachdem ihr die neue niederländische Koalitionsregierung ein erstaunlich hohes Budget eingeräumt hat, obwohl die Neuverschuldung laut „Maastricht“ nicht mehr als 3 Prozent des BIP betragen darf.

Die meisten anderen Staaten halten eine Reform für unausweichlich. Derzeit erfüllt wegen Corona nicht einmal Deutschland die Maastricht- Bedingungen, aber auch schon vor Corona wollten immer weniger Länder sie einzuhalten, nachdem selbst der konservative Internationale Währungsfonds dem „Austerity-Pakt“ bescheinigt hatte, der Wirtschaft „more bad than good“ getan zu haben. Ich gebe mich daher erstmals der Hoffnung hin, dass Deutschlands neuer Kanzler Olaf Scholz nicht widersprechen wird, wenn die EU von sich aus von der schwachsinnigen 60 Prozentgrenze der Staatsverschuldung abgeht. Zumal Scholz` grüner Koalitionspartner völlig das Gesicht verlören, wenn die Klimaschutz-Investitionen in den nächsten Jahren nicht massiv zunähmen: Wenn man es, nicht anders als Eleonore Gewessler für die größte denkbare Katastrophe hält, wenn es nicht gelingt, den CO2-Ausstoß massiv zu senken, dann wäre es absurd, wenn man es ablehnte, zu diesem Zweck mehr als 60 Prozent des BIP an Krediten aufzuwenden.

PS: Magnus Brunner will neben der „Schuldenbremse“ auch eine andere türkise Forderung erfüllen: Um den Österreichern in Zeiten zinsenloser Sparbücher Aktien schmackhaft zu machen, will er eine „Behalte-Frist“ einführen, ab der die Kapitalertragssteuer (KESt) von 27,5 Prozent entfällt. Wenn es in dieser Form geschieht, ist es ein weiteres Steuerzuckerl für die Reichsten: Jeff Bezos oder Bill Gates, die ihr Vermögen seit der Corona-Krise verdoppelt haben, erhielten diesen Zugewinn in Österreich- das die vierthöchste Millionärsdichte der EU aufweist – steuerfrei.

Aber Brunners Idee lässt sich auch sozial verwirklichen: Wenn die KESt nach einer „Behalte-Frist“ auf 27,5 Prozent reduziert würde, während kurzfristige Spekulation mit 35 Prozent belastet wäre, genügte das unverändert dem Zweck, Unternehmen mit Kapital zu versorgen, verminderte aber die Casino-Mentalität. Für eine begrenzte Summe könnte die KESt sogar gänzlich wegfallen und den Österreichern Aktien-Sparen damit tatsächlich schmackhafter machen.

 

Ein Kommentar

  1. Der wichtigste Schritt, um aus den systemisch verursachten Problemen herauszukommen, wäre wohl eine Vollgeldreform. Gleichbedeutend mit der alleinigen Geldschöpfungshoheit für den Souverän. Das Recht zur Geldschöpfung ist das höchste zivile Machtmittel einer Gesellschaft. Ohne Geldschöpfungsrecht ist Politik überhaupt undenkbar. Und wohin das führt, erleben wir ja soeben.

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