Das Risiko von Stagflation

Wenn die EZB so handelte wie die FED, riskierte die EU, dass die Inflation so hoch bleibt wie der Öl- und der Getreide-Preis und die Konjunktur einbricht.

Im Extremfall kann sich Österreichs Inflation den 9,5 Prozent der Jahre 1973/74 nähern. Damals drosselte die OPEC die Ölförderung nach dem Jom-Kippur-Krieg, weil die Golfstaaten (vergeblich) hofften, eine andere Israel-Politik der USA durchzusetzen. Diesmal drosselte sie sie, um den Verfall des Ölpreises durch Covid-19 zu stoppen. Nur dass sie die Förderung danach kaum erhöhte, weil auch Russland einen hohen Ölpreis wollte, um Kriege zu führen und weil die USA, die sonst immer für seine Mäßigung gesorgt hatten, indem sie den Saudis drohten, ihnen weniger Waffen zu liefern, derzeit auch nichts gegen einen guten Ölpreis haben. Denn dank Fracking sind sie mittlerweile weltgrößter Öl/Gas- Produzent – nur dass sie beides am teuersten fördern.

Weil der Öl/Gas-Preis über die Preise aller Energie-intensiven Produktionen, über die Transportkosten aller Waren, aber auch über den Preis von Kunstdünger oder Kunststoff entscheidet, ist klar, dass seine Höhe eine massive Teuerung auslösen musste – wir erleben einen neuen Öl-Schock.

Freilich gibt es Unterschiede zu 1973: Die Inflation lag damals schon davor zwischen 4,3 (1970) und 6,4 (1972) Prozent, ohne dass das schlechte Jahre gewesen wären, denn  BIP und Löhne wuchsen ebenso kräftig. Diesmal lag die Inflation zuvor bei null und ereignet sich jetzt bei stagnierenden Löhnen. Die Regierung muss daher dringend die Einkommen vieler Geringverdiener stützen. Die Teuerung selbst kann sie nicht kappen, weil sie auf realer Verknappung beruht.

1974 verdaute Österreich den Öl-Schock vergleichsweise gut, weil Finanzminister Hannes Androsch weiter kräftig investierte. Wo das nicht geschah, folgte längere Stagflation: Die Inflation stieg bei stagnierender Wirtschaft. Das kann wieder passieren, wenn man einer falschen Inflationstheorie anhängt.

So geben Nationalbank-Chef Robert Holzmann und Agenda Austria-Chef Franz Schellhorn wie Deutschlands „Starökonom“ Hans Werner Sinn der lockeren Geldpolitik der EZB wesentliche Mitschuld an der Teuerung und stellen ihr die straffere Geldpolitik der FED gegenüber. Denn gemeinsam vertrauen sie dem von Milton Friedman begründeten „Monetarismus“,  wonach die Erhöhung der umlaufenden Geldmenge Inflation erzeugt. Weil voran die FED und später auch die EZB nach der Finanzkrise die umlaufende Geldmenge massiv erhöhten, indem sie „Quantitativ Easing“ (QE) einführten, das heißt Banken Geld zu Nullzinsen überließen,  ihnen gleichzeitig Anleihen abkauften und für das Parken nicht vergebenen Geldes Zinsen verlangten – weil sie also große Mengen Geldes denkbar schnell in Umlauf brachten – war Schellhorn, damals noch als Wirtschafts-Chef der Presse, wie Sinn überzeugt, „dass die Zinsen durch die Decke schießen“ würden. Tatsächlich oszillierten sie durch fünf Jahre um die Null-Linie – was sich verteuerte waren lediglich „knappe“ Güter wie Gold, City-Baugrund und Aktien. Unter angelsächsischen Ökonomen gilt der Monetarismus daher als falsifiziert. Nicht so unter deutschen Ökonomen: Sie sind ganz glücklich, dass die aktuelle Inflation den Monetarismus angeblich doch bestätigt. Hans Werner Sinn hat dafür ein Bild gefunden: Wie aus einer zu lange nicht geöffneten Ketchup-Flasche pflatsche die angestaute Inflation nun aus dem Flaschenhals.

Das ist im Kern falsch: Die Teuerung hat ihre zentrale Ursache in der beschriebenen Verknappung von Öl, Gas und nun auch ukrainischem Getreide. Die lockere Geldpolitik befördert sie allenfalls am Rande, weil bei der Verteuerung wichtiger Güter immer auch „Spekulation“ im Spiel ist: Sobald sich die Verteuerung eines Rohstoffes ankündigt, kaufen Spekulanten entsprechende Aktien und treiben den Preis damit solange zusätzlich hoch, bis sie die entsprechenden Gewinne lukrieren. Man konnte das beim Ölpreis perfekt beobachten: Anfangs schoss er weit höher, als er jetzt zu liegen kam. Nur für diese Spekulationen ist das billige Geld der EZB ein Vorteil.

Allerdings betreibt sie QE nicht freiwillig schon so lange, sondern sah sich dazu gezwungen, weil die Volkswirtschaften der EU wegen des Spar-Paktes nicht und nicht investierten. Ganz anders die USA, wo nach der Finanzkrise durchgehend investiert wurde, so dass die FED schon bald  erste Zinserhöhungen vornahm und damit nur angesichts der Pandemie pausierte. Dass sie die Zinsen jetzt sogar relativ kräftig anhebt, liegt einmal mehr an der soviel besseren Wirtschaftsentwicklung der USA: Sie haben die Delle, die Covid-19 ihrem Wirtschaftswachstum zufügte, bereits total überwunden. Während es in der EU noch immer 8,5 Prozent Arbeitslosigkeit gibt (inoffiziell ist sie im „Süden“ weit höher), herrscht in den USA Vollbeschäftigung und vermutlich sogar ein Lohn-getriebener Boom – daher hat es Sinn, dass die FED dämpfend eingreift.

Ein vergleichbares Eingreifen der EZB sehe ich dagegen wie der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher: „Der Euroraum befindet sich in einer deutlich anderen Situation als die USA, wo Zinserhöhungen angebracht und notwendig sind… Die erhöhte Inflation ist zum größten Teil das Resultat stark gestiegener Energiepreise, gegen die die EZB mit ihrer Geldpolitik nichts tun kann und auch nichts tun sollte: Eine verfrühte Straffung der Geldpolitik würde an den hohen Energiepreisen nichts ändern und stattdessen die Arbeitslosigkeit erhöhen und die Löhne schwächen, so dass die Bürgerinnen und Bürger doppelt geschädigt wären.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Kommentar

  1. Herr Lingen glaubt, Milton Friedman liegt falsch und die Vertreter der sogenannten New monetary theory haben recht: Debts don’t matter. Also Schulden sind egal. Man wird sehen.

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