Der Pyrrhussieg Emmanuel Macrons

Das Wahlrecht hat Macron einen klaren Sieg beschert – aber nie standen mehr Franzosen so weit rechts. Ohne neue Politik steigt das Risiko dieser Rechts-Wendung weiter.

Die Rechtsextreme Marine Le Pen hatte abermals keine Chance gegen Emmanuel Macoron, weil alle im ersten Wahlgang Unterlegenen, mit Ausnahme des Rassisten Eric Zemmour auch diesmal ihn zur Wahl empfohlen haben.

Voran die positive Sicht: Macron hat voll auf Europa gesetzt; ihm ist zuzutrauen, dass eine europäische Streitmacht Gestalt annimmt, und er könnte sich mit Olaf Scholz auf eine Aufweichung der schwachsinnigen Staatsschuldenregeln der EU einigen.

Doch die eigentliche Befindlichkeit Frankeichs gibt leider der erste Wahlgang wieder: Da hat Le Pen 23,1 Prozent, der drittplatzierte Alt-Linke Jean-Luc Melanchon, der die EU verlassen will, 21,9 Prozent erreicht. Der Rassist Zemmour ist auf 7,1 Prozent, der EU-Kritiker Nicolas Dupont-Aignan auf 2,1 Prozent gekommen. Heißt zusammen: Ein Drittel der Franzosen neigt der extremen Rechten zu, fast zwei Drittel zweifeln an der EU. Die Kandidaten der Parteien, die Frankreich durch Jahrzehnte dominierten, konservative Republikaner und Sozialisten, wurden mit 4,8 Prozent und 1,8 Prozent Prozent am Boden zerstört. Das erinnert nicht nur frappant an den ersten Wahlgang unserer Bundespräsidentenwahl 2016, sondern hat auch ähnliche Ursachen: Gibt es in Österreich immer mehr Abgehängte, so ist Frankreich ein abgehängtes Land.

Wie sehr der Spar-Pakt dazu beigetragen hat, möchte ich mit Richard Koo, Chefökonom des japanischen Finanzhauses Namura, begründen: Wenn, wie 2008/9 eine schuldenfinanzierte Blase wie die Subprime-Blase in den USA oder die Immobilienblase in Spanien platzt, erwächst Bürgern und Unternehmen ein gewaltiger Schuldenberg. Wenn beide ihn gleichzeitig abbauen, verliert die Wirtschaft entsprechend dem gesparten und nicht ausgegebenen Betrag an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Seit Koo wird das “Bilanzrezession” genannt und sie ist im Gegensatz zur Verkrampfung des Bankenapparates in der Finanzkrise, in der EU – anders als in den USA – bisher nicht überwunden. Vielmehr bremst sie die Wirtschaft auf eine Weise, die Koo so beschreibt: “Man stelle sich eine Welt vor, in der ein Haushalt ein Einkommen von 1.000 USD und eine Sparquote von 10 Prozent hat. Wenn es wie im Lehrbuch abläuft, werden 900 USD ausgegeben und die gesparten 100 USD vom Finanzsektor aufgenommen und an Kreditnehmer (voran Unternehmer) ausgeliehen. Wenn diese Kreditnehmer die 100 USD tatsächlich ausgeben, belaufen sich die Gesamtausgaben auf 1.000 USD (900+100) und die Wirtschaft funktioniert. In einer Welt, in der Unternehmen wie Konsumenten versuchen, Schulden abzubauen, gibt es aber keine Kreditnehmer, die die gesparten 100 $ aufnehmen und ausgeben, selbst wenn der Zins- wie derzeit- auf null sinkt und es bleibt bei Ausgaben von nur 900 USD. Diese 900 USD stellen aber das Einkommen für alle anderen Wirtschaftseinheiten dar und wenn diese wieder 10 Prozent ihres Einkommens sparen, blieben nur noch 810 USD zum Ausgeben übrig, die in der nächsten Runde auf 730 USD schrumpfen. Das war der mathematisch zwingende Weg in die Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre. Zwischen 1929 und 33 verloren die USA 46 Prozent ihres BIP.

Eine Bilanzrezession kann nur überwunden werden, indem der Staat die Ausgaben macht, die Bürger und Unternehmen ihm durch ihr Sparen vorenthalten- indem der Staat sich verschuldet. “Leider,” so bedauert Koo, und ich mit ihm “sehen Bevölkerung, Politiker und manche Ökonomen diesen volkswirtschaftlichen Zusammenhang genau umgekehrt und fordern staatliches Sparen, wo sie staatliche Verschuldung fordern müssten.”

Obwohl der Spar-Pakt die Konjunktur aller EU-Länder massiv beeinträchtigt hat, gibt es den Grund, warum Deutschland, Österreich oder Holland damit leben können, während Frankreich extrem darunter leidet: Dort wurden – ich kann es nicht oft genug wiederholen, denn es ist entscheidend – die Löhne die längte Zeit exakt gemäß dem Inflationsziel der EZB von 2 Prozent, um Produktivitätszuwachs plus Inflation erhöht. Damit aber haben Frankreichs Unternehmen mehr und mehr Marktanteile an Deutschland verloren, wo diese Formel seit 2000 nicht mehr galt und dank dieser “Lohnzurückhaltung” bis zu 20 Prozent niedrigere Lohnstückkosten anfielen.

Deutschland hat dieses Rezept von Holland übernommen und an Österreich weitergegeben. Deutsche Ökonomen erklärten daher, die Franzosen mögen es doch wie die Deutschen machen und sie haben das tatsächlich versucht: „Die nominalen Lohnstückkosten sind in den drei Jahren bis 2016 nur noch um 1,4 Prozent gestiegen, auch wenn frühere Verluste nicht aufgeholt werden konnten”, schreibt die EU-Kommission 2017 in ihrem Frankreich-Bericht. Die ökonomische Konsequenz: Frankreich hat die verlorenen Marktanteile natürlich nicht zurückgewonnen, aber dazu auch noch Kaufkraft verloren.

Emmanuel Macron ist diesen Weg weiter gegangen und man erwartet, dass er ihn weiter geht. Damit dürfte der Druck der zurückgehaltenen deutschen Löhne weitere Jahre auf allen Volkswirtschaften der EU lasten und überall die Kaufkraft senken. Erlitten Geringverdiener trotz bis 2021extrem geringer Inflation schon bisher Reallohnverluste und wanderten politisch nach rechts ab, so werden diese Verluste angesichts der nunmehr hohen Inflation dramatisch zuzunehmen. Ich habe die Folgen von “Spar-Pakt” und “Lohnzurückhaltung” in einem kaum gelesenen Buch mit Dutzenden Statistiken belegt und ihm den unpopulären Titel “Die Zerstörung der EU- Deutschland als Sprengmeister” gegeben – ohne neue Politik könnte es 2027 bei Frankreichs Wahlen Leser finden.

 

 

 

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