Frauen demolierten einen Midterm-Triumph von Trump & Co. Dennoch lebt seine Chance auf Wiederwahl. Obwohl nicht nur er die NATO in Frage stellt, bleibt die EU wehrlos
Dass Donald Trump wieder von „Wahlbetrug“ spricht, zeigt am Klarsten, um wie viel besser die Midterm-Wahlen für die Welt, und um wie viel schlechter sie für ihn und die Republikaner ausgegangen sind. Dabei hatte Joe Biden massive Handikaps zu tragen: das Fiasko seines Afghanistan-Abzugs; die nur zu einem Viertel durchgesetzten Investitionen in die Infrastruktur; und zuletzt und vor allem die Inflation – auch wenn sie unter Trump nicht geringer wäre.
Es besteht kein Zweifel, dass die Demokraten ihr dennoch passables Abschneiden den Frauen verdanken: Das republikanische Eintreten für ein Abtreibungsverbot erwies sich als Rohrkrepierer. Zwar nennen es „nur“ 27 Prozent der Wähler ihr zentrales Wahlmotiv, während 33 Prozent die Inflation benennen, aber diese Umfrage trügt: In konservativen Bundesstaaten scheuen viele Wähler zweifellos auch nachträglich das Bekenntnis, dass das Abtreibungsverbot für sie wahlentscheidend war.
Auch für die Präsidentschaftswahlen von 2024 wird gelten: Trump hat die Mehrheit der „alten, weißen Männer“ hinter sich – aber die Mehrheit der Frauen gegen sich.
Auch sonst sind die Wahlen für Trump enttäuschend verlaufen: Von ihm unterstützte Kandidaten waren keineswegs immer erfolgreich. In Pennsylvania unterlag sein Kandidat für den Sitz im Senat dem Demokraten John Fetterman, obwohl der im Wahlkampf durch einen Schlaganfall gehandicapt war. Vergleichbares passierte in Nevada und erhielt den Demokraten die Mehrheit im Senat durch Dirimierung seitens der Vizepräsidentin.
Am meisten litt Trump aber zweifellos unter dem Erdrutschsieg eines Republikaners bei den Gouverneurswahlen in Florida: Ron DeSantis ist sein mit Abstand aussichtsreichster Konkurrent als republikanischer Präsidentschaftskandidat. Obwohl er also nicht mehr unumstritten ist, dürfte Trump seine Kandidatur verkünden: Er hat keine andere Möglichkeit als die Präsidentschaft, massiven Strafverfahren zu entgehen. Und chancenlos ist er leider keineswegs: Schließlich ist sehr wahrscheinlich, dass die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobert haben und das macht noch unwahrscheinlicher, dass Biden weitere Investitionen beschließen kann. Nur die aber sorgten ziemlich sicher dafür, dass die Amerikaner seine Ära der Ära Trumps vorziehen. Denn die FED bekämpft die Inflation, die ihre zentrale Ursache im Ukrainekrieg hat, zwar wie traditionell erfolgreich, indem sie die Zinsen stark erhöht – aber das kann auch in eine Rezession münden, die ein Booster für Trump wäre. Seine neuerliche Präsidentschaft bleibt ein Damoklesschwert über den USA und der Welt.
Deshalb halte ich für unverantwortlich, wenn die EU sich nicht damit befasst, was das für sie bedeuten kann. Immerhin stellt Trump die NATO massiv in Frage und sein Verhältnis zu Wladimir Putin ist ein besonderes: Der kann jederzeit beweisen, dass er im Einvernehmen mit Trump und damit für diesen strafbar, in den Wahlkampf gegen Hillary Clinton eingegriffen hat, und er kann vermutlich beweisen, dass Trumps Wirtschaftsimperium mit Geld des russischen Geheimdienstes gerettet wurde. Es steht ernsthaft zu befürchten, dass Trump täte, was Putin von ihm fordert: Dass er das US-Engagement in der NATO mit der nicht einmal falschen Begründung minimierte, dass das den Amerikanern Geld und Blutzoll erspart.
Angesicht dieses Risikos scheint es mir von existentieller Bedeutung, dass die EU endlich begreift, dass sie über ernsthaftes eigenes militärisches Potential verfügen muss: Sie muss einem Angreifer auch selbst Paroli bieten können. Eine dazu fähige EU- Streitmacht ist weder ein personelles noch ein ökonomisches Problem: Höhere Militärausgaben beflügeln die Wirtschaft, auch wenn höhere Ausgaben für Wärmepumpen das genau so tun. Aber anders als Russland müssten die Staaten der EU nicht weniger für Wärmepumpen ausgeben, wenn sie ihre Militärbudgets erhöhen, sondern können beides nebeneinander finanzieren. Ebenfalls ohne ökonomische Probleme lassen sich die 600.000 Mann, die in den nationalen Armeen der EU schon jetzt unter Waffen stehen auf 800.000 Berufssoldaten aufstocken: Sie brauchen „nur“ ein gemeinsames Kommando, um eine Russland ebenbürtige Streitmacht zu bilden.
Das Problem der EU ist der gemeinsame Wille: 27 Staaten haben 27 Vorstellungen von Sicherheit. Aber angesichts des Vorgehens Putins in der Ukraine können diese Vorstellungen doch schwer so unterschiedlich bleiben: Dass es mehr Sicherheit bietet, wenn die Armee der EU der Putins ebenbürtig ist, sollte doch jedermann einleuchten. Aber nur Frankreichs Emmanuel Macron fordert eine EU-Armee: Im Frühjahr 2021 beschloss man eine „Eingreiftruppe“ von 5.000 Mann – ein Witz gemessen an der Armee Russlands und der Gefahr, dass ein wiedergewählter Trump die NATO aufkündigt und dass auch kein anderer künftiger US- Präsident einsehen wird, warum voran Amerikaner für Europas Sicherheit den Tod riskieren sollen.
Bisher stand einer ernsthaften EU-Armee voran entgegen, dass man fürchtete, die USA damit aus der Verantwortung zu entlassen. In Wirklichkeit können NATO und EU-Armee durchaus nebeneinander bestehen, ja einander besser als bisher ergänzen. Theoretisch müssten EU und USA daran auch gleichermaßen interessiert sein: China wie Russland sind so am ehesten in Schach zu halten.
PS: Wie erwartet ließen weder Wolodymyr Selenskij noch Putin von ihren Maximalforderungen ab, um beim G20-Gipfel Friedensgespräche zu ermöglichen.
3 Kommentare
Bin immer wieder überrascht, wie gediegene Intellektuelle in einen Kriegs- und damit Aufrüstungwahn verfallen. In 2-3 Jahren ist der von Rusland ausgelöste Rückschritt der Menschheit Geschichte und der Weg zu Friedfertigkeit nimmt wieder Fahrt auf. Bleiben wir doch besonnen.
Lange galt die Regel: Auf Wehtlose und auf Wirtschaftspartner haut man nicht hin. Warum soll Aufgerüstet werden? Da weint jemand dem lukrativen Kalten Krieg nach. Weltfrieden ist für die Wirtschaft pfui.
Die unsäglichen Sanktionen beweisen, dass idiotische Politmarionetten die Grundregeln des Anstandes missachten. Egal wie es dem Volk dabei geht. Der 8 jährige Bürgerkrieg in der Ukraine wird einfach ausgeblendet. Das ist Journalismus!!!!!!! Das ist Opportunismus.
Dies ist nicht nur „kein Journalismus“, sogar „reiner Opportunismus“. Das was Herr Lingens und viele andere Journalisten betreiben, ist unüberlegter Fanatismus. Jeder nur halbwegs strategisch denkende Mensch hat Russland / Putin verstanden, dass er nicht zulassen kann und wird, wohin die Ukraine tendiert. Wie auch die USA – ungebrochen bis heute – sein Interessen auf der ganzen Welt auch mit Waffengewalt vertritt. Lingens u. Co. sind nicht objektiv, sondern sie sind Partei! Es wäre fair, wenn sie das auch zugeben würden.