Deutscher Pazifismus erschwert Frieden

So verständlich es ist, dass die Deutschen nicht mit Waffen und Krieg assoziiert werden wollen, so nachteilig ist es für Europas Sicherheitsarchitektur und die Ukraine

Die Reihe abgelöster deutscher Verteidigungsministerinnen ist symptomatisch: Weder Christina Lambrecht noch Ursula von der Leyen noch Annegret Kramp Karrenbauer hatten sich davor mit militärischen Fragen befasst. Lambrecht war zudem ein politisches Leichtgewicht und dankte ihre Ernennung voran dem Umstand, dass Olaf Scholz 50 Prozent Ministerinnen versprochen hatte. Die Vorwürfe, die schließlich dazu führten, dass sie durch Boris Pistorius ersetzt wurde – dass ihre erste Waffenlieferung In die Ukraine aus Helmen bestand und alle weiteren so langsam erfolgten wie die waffentechnische Erneuerung der Bundeswehr – sind natürlich voran Olaf Scholz zu machen. Er ist es, der sich so sehr scheut, im Ukraine-Krieg ähnlich kämpferisch wie Großbritanniens Rishi Sunak oder Frankreichs Emmanuel Macron zu agieren, und er nimmt damit nicht nur Rücksicht auf die Mehrheit der SPD-Wähler.  Scholz macht trotz „Zeitenwende“ klassische deutsche Nachkriegspolitik.

An sich ist denkbar verständlich, dass die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg mit nichts weniger als mit Waffen assoziiert werden wollten. Bei vielen wurde die NS-Kriegsbegeisterung von einem unterbewussten Pazifismus in der Tradition der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Berta von Suttner („Die Waffen nieder“) abgelöst, der einem Denkfehler Vorschub leistet: dass nämlich voran Waffen für Kriege verantwortlich wären. Schon die Wiederbewaffnung der BRD und ihr NATO-Beitritt bedurften des Drucks der USA und der Überzeugungskraft Konrad Adenauers, der schon Adolf Hitler mit Waffen entgegentreten wollte: Mein Großvater, der ihm als Polizeipräsident Nordrhein-Westfalens dabei Unterstützung zugesagt hatte, ließ ihn leider im Stich.

Scholz lässt die Ukraine nicht im Stich, aber er unterstützt sie mit angezogener Handbremse, weil er, wie Angela Merkel, die der Ukraine die Aufnahme in die Nato verweigerte, Angst hat, Putin zu sehr zu vergrämen. Dass ein bestens bewaffnetes Heer, die beste Absicherung des Friedens darstellt, ist unterbewussten Pazifisten fremd, auch wenn sie bewusst anerkennen, dass NATO- Mitglieder noch nie angegriffen wurden.

Voran den Nachkommen von Familien, die seinerzeit der NSDAP besonders nahestanden, fällt schwer, die NATO als friedlich anzusehen, wird sie doch von den USA angeführt. Dass die, anders als das überfallene Russland, aus moralischen Gründen am Krieg gegen Hitler beteiligt und seine Niederlage besiegelt haben, wird ihnen nie ganz verziehen. Obwohl Deutschland der NATO nach außen überzeugt angehören, ist sie vielen Deutschen so suspekt wie er Ruf nach militärischer Stäke des „Westens“. Jedenfalls hat die Scheu der Deutschen, mit Waffen assoziiert zu werden, zu einer der österreichischen Neutralität sehr nahen Haltung geführt: Deutschland schätzt Äquidistanz, tat sich schwer, sich am Nato -Einsatz gegen die Taliban zu beteiligen, und hielt sich, freilich zu Recht, aus der „Koalition der Willigen“ im Irakkrieg heraus.

Aber es liefert Kiew zu Unrecht keine Kampfpanzer. Denn trotz ihres großen Einsatzes können die Ukrainer ihre dramatische numerische Unterlegenheit nur mittels überlegener Waffen wettmachen, und nur ein militärisches Patt schafft sogar die winzige Möglichkeit eines Verhandlungsfriedens. Das Interesse daran wäre allerdings so klar zu signalisieren, wie die Bereitschaft zu Waffenlieferungen, um Putin nicht in die Lag zu bringen, die Joe Biden zu Recht fürchtet: dass er doch zu Atomwaffen greift. Es braucht intensive Diplomatie und schwere Waffen zugleich.

Denn trotz der aktuellen Erfolge der Truppen Wolodymyr Selenskyjs, etwa in Cherson, teile ich die Befürchtung des Militär-Analysten Markus Reisner, dass sie uns übersehen lassen, wie erfolgreich Putin die Infrastruktur der Ukraine zerstört: die befreiten Bürger im dunklen Cherson frieren. Auf die Dauer kann ein Land mit 43,8 Millionen Einwohnern dem Angriff eines Landes mit 150 Millionen Einwohnern ohne überlegene Waffen nicht standhalten. Beide Länder dürften bisher 100.000 Soldaten verloren haben – Putin kann sie problemlos ersetzen, Selenskyj nicht mehr lange. Mit billigen Drohnen aus dem Iran vermag Putin Stellungen der Ukraine so lange zu beschießen, bis deren Luftabwehr ihr Pulver verschossen hat und seine Marschflugköper gezielte Verwüstung anrichten können. Deutschland hat Selenskyj zum Zweck der Luftabwehr bisher 7 Haubitzen geliefert – aber nur Munition für zwei Tage. Ihr Nachschub stockt, weil die Bundeswehr sie nicht auf Lager hat und auch im Rest der EU Produktionskapazitäten fehlen. Dass Kampfpanzer trotz Drängens von Grünen und FDP vorerst nicht geliefert wurden, liegt auch daran, dass sie rar sind. Merkels Austerity-Pakt hat nicht nur die Bundeswehr kaputtgespart, sondern die Wehrkraft der EU als Ganzes minimiert, während Putin die Rüstung Russlands in Vorbereitung seiner Kriege maximiert hat.

Hier liegt das größte Problem, das Deutschland der EU aufbürdet: sie ist dank deutschen Sparens und seiner Scheu vor Waffen wehrlos. Nur ein militärisch starkes Deutschland könnte mit Frankreich den Kern einer EU-Streitmacht bilden, die nicht total auf die USA angewiesen ist. Dabei zeigt der Ukrainekrieg, dass kein US-Präsident seinem Volk künftig den Einsatz und die Kosten zumuten wird, die üblich waren, als Nikita Chruschtschow oder Leonid Breschnew Russland regierten – obwohl Putin aggressiver als beide ist.

 

 

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