Weiß die Geldpolitik, wohin sie führt?

Die EZB glaubt, die mit dem Ukrainekrieg einsetzende Inflation am besten mit höheren Zinsen zu bekämpfen – vielleicht überschätzt sie sich und schafft nur Rezession

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Mitte Dezember die Leitzinsen erneut um 50 Basispunkte erhöht und EZB-Chefin Christine Lagarde hat weitere Erhöhungen angekündigt. Für das deutsche Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel ist das Ausdruck „energischer Entschlossenheit“ die Inflation in den Griff zu bekommen. Die damit verbundene Gefahr, „dass das Wachstum sinkt und die Arbeitslosigkeit steigt“, scheue sie nicht, denn es gelte die Glaubwürdigkeit der EZB zu wahren. Tatsächlich ist für die EZB, anders für die FED, Preisstabilität noch vor allgemeinem wirtschaftlichem Funktionieren das höchste Ziel.

Für mich nicht. Mich besorgt das Risiko, dass uns steigende Arbeitslosigkeit und sinkendes Wachstum in eine vermeidbare Krise führen. Zugleich ist mir ein Rätsel, warum eine Inflation, die für mich offenkundig auf der Verteuerung von Öl, Gas und Getreide im Zuge des Ukrainekrieges beruht, voran der lockeren Geldpolitik (QE) der Notenbanken angelastet wird. Denn durch volle 13 Jahre war QE ganz im Gegenteil fast mit Deflation verbunden: Statt dass die Preise „durch die Decke schossen“, wie der heutige Agenda Austria Chef Franz Schellhorn in der Presse vermutete, lag die Teuerung fast bei null. Schellhorn ist freilich nicht zufällig zu seiner Vermutung gelangt, sondern der These von Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman gefolgt, wonach jede Erhöhung der umlaufenen Geldmenge Inflation erzeugt. Denn QE erhöht sie zweifellos: Die EZB kauft voran von Banken Staatsanleihen und zwingt sie, das erhaltene Geld so schnell wie möglich als Kredite zu vergeben, indem sie ihnen Strafzinsen verrechnet, wenn sie es bei ihr parken. Die FED, die QE 2008 als erste Notenbank einsetzte, war auf Grund ihrer Beobachtungen nämlich zuversichtlich, dass Friedmans These nicht stimmt und sah sich darin durch 13 Jahre bestätigt: Den meisten US-Ökonomen gilt Friedmans These als falsifiziert. Lagardes Vorgänger Mario Draghi hat QE 2015 jedenfalls unbesorgt und aus gutem Grund übernommen: Er sah, wie schwer sich die Wirtschaft der EU von der Finanzkrise erholte, weil der Maastricht-Vertrag ihre Staaten zwingt, sich bei ihren Investitionen zurückzuhalten, um ihre Schulden nicht über 60 Prozent des BIP zu erhöhen – einer Grenze, der erwiesen falsche Berechnungen des Ökonomen Kenneth Rogoff zu Grunde liegen. Draghi hoffte zu Recht, dass QE der Wirtschaft der EU das Geld zuführt, das Maastricht ihr vorenthält und dass der Kauf von Staatsanleihen höher verschuldeter Länder wie Italien darüber hinaus die sogenannten „Spreads“ minimiert: Sie mussten auf den Kapitalmärkten nicht soviel höhere Zinsen als Österreich oder Deutschland zahlen. Manche Juristen sehen darin eine unlautere Begünstigung Italiens, statt wie ich eine sinnvolle Stabilisierung der EU in ihrer Gesamtheit. Sicher aber ist es keine Erklärung dafür, dass QE plötzlich wesentlich zu einer Inflation um die zehn Prozent beigetragen haben soll. Während ich meine, dass sie mit der fast so hohen Verteuerung von Öl, Gas und Getreide im Zuge des Ukrainekrieges hinreichend erklärt ist, bietet der deutsche „Starökonom“ Hans Werner Sinn folgende Erklärung an: Die Inflation habe sich wie Katchup in einem Flaschenhals angestaut und pflatsche nun auf einmal heraus. Ich sehe einen umgekehrten solchen Mechanismus nur am Aktienmarkt: Dort hat QE zweifellos zu einer „Blase“ geführt, die jetzt rasch geschrumpft ist.

Entscheidend ist freilich, ob die nunmehr massiv erhöhten Zinsen die aktuell richtige Politik für die EU sind. In meiner Vorstellung hätte die darin bestanden, die Maastricht-Kriterien nicht bloß befristet auszusetzen, sondern endlich so abzuändern, dass sie höhere Staatsschulden und damit höhere Investitionen zulassen. Erst dann könnten Anleihekäufe der EZB sich darauf beschränken, große Spreads zu verhindern. Denn grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, wenn Geld die Banken wieder mehr kostet, so dass ihre Kunden es voran an der richtigen Stelle einsetzen.

Ansonsten senken erhöhte Zinsen wie Schnabel richtig sagt, das Wachstum und erhöhen die Arbeitslosigkeit. Letzteres wird von den Notenbanken logisch begründet: Inflation ist dann gefährlich, wenn steigende Preise nur immer höhere Löhne nach sich ziehen, die die Preise noch mehr erhöhen, so dass daraus ein sich selbst verstärkender Prozess wird. Der wird durch erhöhte Arbeitslosigkeit zweifellos gebremst, weil die höheren Löhne dann nicht mehr durchsetzbar sind. An der Inflation der USA mögen überhöhte Löhne vielleicht einen Anteil haben – an der Inflation der EU sicher nicht: Die Löhne breiter Schichten sind durch über ein Jahrzehnt gesunken.

Nunmehr durch die FED erhöhte Arbeitslosigkeit wird daher nur das BIP senken und womöglich weiterhin von Teuerung begleitet sein. Besonders kritisch kann das für ein Land wie Italien werden: die Rückzahlung seiner Schulden wird durch die deutlich erhöhten Zinnen deutlich teurer, gleichzeitig drohen erhöhte „Spreads“ die Aufnahme neuer Schulden zu erschweren. Das kann der Beginn der nächste Eurokrise sein.

P.S.: In die USA ist die Inflation bereits deutlich, in der EU etwas gesunken. FED wie EZB schreiben sich das gut. Ich vermute respektlos, dass es voran ausgeweitetem Fracking zu danken ist, sowie dem Umstand, dass die EU ihre Abhängigkeit von Erdgas reduziert konnte und dass ihre Staaten einander beim Kauf von Erdöl nicht mehr überbieten.

 

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