Kann man von Angegriffenen Frieden fordern?

Deutsche Intellektuelle fordern von Olaf Scholz “die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!“  Putin begrüßt das so sicher, wie es die Ukrainer ablehnen.

Alice Schwarzer hat zum zweiten Mal, diesmal gemeinsam mit der Galionsfigur der „Linken“ Sarah Wagenknecht, ein Schreiben zum Ukrainekrieg verfasst. Unterschrieben hat auch diesmal eine Reihe höchst achtbarer deutscher Intellektueller. Das „Manifest für den Frieden“ enthält einen unbestreitbar richtigen Satz: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.“ Danach kommt eine kühne Behauptung: „Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen- einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley.“ Aber auch wenn er das sagt, stimmt es nicht: Eben erst hat die Atommacht USA in Afghanistan den Krieg gegen die Taliban verloren und 1968 verlor die Atommacht Sowjetunion dort den Krieg gegen die Mudschaheddin, die von den USA mit Waffen unterstützt wurden.

Ausgeschlossen ist ein Sieg der Ukraine gegen die Atommacht Russland also nicht und ich würde sogar so weit gehen, einen Sieg Russlands über die Ukraine auszuschießen, solange der Westen ihr Waffen liefert: Eine Armee die für die Freiheit ihres Landes kämpft, kämpft nun einmal ungleich besser, als eine Armee, die kaum begreift, warum sie in dieses Land entsendet wurde..

Allerdings ist Afghanistan nach zwei „Siegen“ ein restlos zerstörtes Land und wie Schwarzer ersparte ich das der Ukrainer lieber. Nur maße ich mir nicht an, an Stelle  Wolodymyr Selenskyjs zu entscheiden, was die Ukrainer wollen – endlich Frieden, oder Gerechtigkeit bis hin zur Rückeroberung der Krim.

Der Militäranalytiker Walter Feichtinger  

hat im ZIB2 -Gespräch mit dem Mitunterzeichner des Manifests, Hajo Funke, gemeint, dass die Ukrainer laut Meinungsumfrage zu 85 Prozent weiterkämpfen wollen. Ich halte Umfragen in Zeiten des Krieges zwar für höchst problematisch – welcher Soldat gibt schon zu, dass er nicht mehr kämpfen will – aber wir haben nur diese Umfragen und Selenskyjs Aussagen. Die sieht das Manifest denkbar kritisch: „Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis: Nach zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, um Russland auf ganzer Linie zu besiegen.“ Meines Wissens fordert er nicht „ Russland zu besiegen“ sondern nur Putins vollen Rückzug aus der Ukraine, und mir fehlt im „Manifest“ die Klarstellung, dass ihm das eigentlich zusteht – Putin hat in der Ukraine nichts zu suchen.

Trotzdem – und darin bin ich mit dem Manifest einig – wird der volle Rückzug Putins kaum zu erreichen sein, weil tatsächlich die Gefahr besteht, dass er, ehe er eine solche volle Niederlage akzeptiert, Atomwaffen einsetzt. Ich halte das zwar für unwahrscheinlich, weil es sein und Russland Ende wäre, aber das Risiko, mich in dieser Einschätzung zu irren, ist mir wie Joe Biden zu groß.

Insofern – und da treffe ich mich mit dem Manifest- glaube auch ich, dass es zu Friedensverhandlungen kommen sollte, ehe man diesen kritischen Punkt erreicht. Vermutlich differiere ich mit Schwarzer auch nicht in der Frage, wie ein Frieden aussehen muss, der Chancen darauf hat, von Putin akzeptiert zu werden: Selenkyj müsste auf die Krim verzichten und sich im für ihn günstigsten Fall mit neuerlichen Abstimmungen in Lugansk und Donezk zufriedengeben.

Im Gegensatz zu Schwarzer glaube ich, dass Selenskyj das auch weiß und in jedenfalls wird er sich dem Rat Bidens fügen müssen, der ihm sicher nur bis zu einem solchen Verhandlungsfrieden Munition liefert.

Völlig unterschiedlicher Meinung mit Schwarzer bin ich nur in der Frage, wie man Friedensverhandlungen am ehesten erreicht. Laut Manifest sollte Kanzler Olaf Scholz „sich jetzt …an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen“. Freilich erst, nachdem er die entscheidende Forderung des Manifests erfüllt hat: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!“

Ich behaupte: In der Sekunde in der Scholz auch nur andeutete, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen, wäre jeder realistisch Chance auf erfolgreiche Friedensverhandlungen dahin, denn Wladimir Putin wäre endlich sicher, diesen Krieg zu gewinnen.

Brigadier Feichtinger hat in der angeführten Diskussion ausgeführt, dass er den Zeitpunkt für Verhandlungen noch nicht gekommen sieht, weil beide Seiten noch nicht sähen, dass sie ihre militärische Position nicht mehr verbessern können. Ich teile diese Ansicht. Man muss nicht so sehr darauf warten, dass Selenskyj durchblicken lässt, dass er zu einem Kompromissfrieden bereit ist, sondern man muss darauf warten, dass Putin die Bereitschaft zum Rückzug aus er Restukraine erkennen lässt. Bisher verschärft er seine Angriffe und bereitet eine Offensive vor.

Putins Bereitschaft zum Kompromiss erreicht man nicht, indem man Waffenlieferungen „stoppt“, sondern indem man sie ganz im Gegenteil massiv forciert: Putin muss ernsthafte fürchten, dass sich seine militärische Situation verschlechtern könnte. Man kann zugleich mit der Ankündigung eskalierender Waffenlieferung auf Friedensverhandlungen drängen – nicht sie stoppen und dann auf Verhandlungen hoffen.

Schwarzer und Wagenknecht sollte nicht nur in ihrem Manifest formulieren, dass Russland die Ukraine „brutal überfallen“ hat, sondern in Putin tatsächlich den Gangster sehen, der er ist. Gangster verstehen nur die Sprache einer großen Zahl überlegener Waffen.

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