Die Argumente Herbert Kickls gegen die EU als „Kriegstreiber“ könnten auch von friedensbewegten deutschen Linken oder der KPÖ kommen. Zu Lasten der Ukraine.
Zu den Lebensweisheiten, die Simon Wiesenthal mir in der Überzeugung, dass sie fast immer stimmten, hinterlassen hat, zählt diese: „Die Welt ist rund – wenn man sehr weit nach links geht, kommt man rechts heraus.“ Das aktuellste Beispiel: Der hoffentlich überlebende slowakische Premier Robert Fico begann seine Karriere als Marxist und Kommunist und war jetzt nationaler Rechtspopulist wie Viktor Orban. Entsprechend häufig stimmen auch weit rechte und weit linke Argumentationen überein. So plakatierte Herbert Kickls FPÖ bekanntlich „EU-Wahnsinn stoppen“ und versteht darunter die von Ursula von der Leyen durch ihre Unterstützung Wolodymyr Selenskis angeblich betriebene „Kriegstreiberei“ – aber obwohl ich mir keine größere Verdrehung der Fakten vorstellen kann, unterstützt die KPÖ diese Argumentation, indem sie mit dem Slogan „Wohnen statt Kanonen“ in die EU Wahl zieht und damit genauso insinuiert, dass die Aufrüstung der EU gegen Putin eine üble Sache sei. Vor allem aber könnte das FP- Plakat auch vom „Bündnis Sarah Wagenknecht“ stammen, die lange die Ikone der friedensbewegten deutschen Linken war. Denn wenn auch mit anderen Worten forderte auch sie (gemeinsam mit Alice Schwarzer) in ihrem von vielen Österreichern unterschriebenen „Manifest für den Frieden“ im konkreten Effekt nichts anderes als Kickl“: Die EU möge Waffenlieferungen an die Ukraine „sofort stoppen“.
Die verblüffende links-rechte Übereinstimmung ist deshalb so problematisch, weil sie so eminente konkrete Folgen hat: Wir erleben soeben eine massive russische Offensive, mit der Wladimir Putin hofft, in dem Zeitraum, in dem die Ukraine über zu wenige potente Waffen verfügt, einen Durchbruch seiner Truppen durch die ukrainischen Verteidigungslinien und damit endgültig die Oberhand in diesem Krieg zu erzielen. Denn die Ukraine hat keine Waffen, die weit genug reichen, die russischen Truppen vom Nachschub abzuschneiden, weil Deutschland, das angesichts der monatelangen Lähmung der USA alleine in der Lage gewesen wäre, sie in Gestalt der Taurus-Marschflugkörper zu liefern, sie nicht geliefert hat. Die Argumente, die Kanzler Olaf Scholz dafür vorbringt, wurden bekanntlich selbst von seinen abgehörten Generälen widerlegt und die Wahrheit ist wohl, dass er sich vor den Friedensbewegten der eigenen Partei, voran dem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, fürchtet, der einen erheblichen Teil der SPD – Wählerschaft repräsentiert. An ihrer, wie sie meinen, richtigen Haltung hat sich nichts geändert, obwohl wir mittlerweile aus sowjetischen Akten wissen, wie sehr der sowjetische Geheimdienst Friedensbewegte für „nützliche Idioten“ hielt und die Friedensbewegung befördert und mitfinanziert hat.
Es lohnt daher Gedanken und Emotionen der beiden politisch aufs Erste so unterschiedlichen Gruppen – Rechtsextreme und friedensbewegte Linke – näher zu betrachten. So gibt es bei der extremen Rechten trotz ihres Antikommunismus bekanntlich eine massive Sympathie für Putin als Personifizierung des starken Führers – bei der friedensbewegten Linken fehlt sie, aber es gibt eine gewisse nostalgische Sympathie für das leider gescheiterte marxistische Experiment in Russland und jedenfalls lässt das diese Linken Putins Ärger über den Zerfall der Sowjetunion besser als andere verstehen. Denn gemeinsam ist Rechtsextremen und friedensbewegten Linken nicht zuletzt die Antipathie gegen die USA, die zur Gewinnerin diese Entwicklung wurden. Parallel dazu verläuft weit links wie rechts das Misstrauen gegenüber der Nato, die beide entsprechend gerne für den Ukrainekrieg mitverantwortlich machen, obwohl sie noch nie in ihrer Geschichte irgendwo einmarschiert ist, um ein Territorium zu erobern.
All diese Emotionen mengen sich ebenso in den Ukrainekonflikt wie die deutsche „Vergangenheit“ und machen Scholz` Zögern, so sehr ich es kritisiere, um einiges verständlicher: Natürlich haben Deutsche, die 60 Millionen Tote des 2. Weltkriegs zu verantworten hatten, die denkbar größte Scheu, je wieder Waffen zu produzieren. „Die Waffen nieder“, wie Österreichs Friedensnobelpreisträgerin Berta von Suttner es forderte, schien ihnen die richtige Maxime und selbst der gewaltfreie Widerstand eine realpolitische Option. Ich habe 1968 in Prag den grandiosesten gewaltfreien Widerstand miterlebt, den man sich vorstellen kann: Frauen, die versuchten, russische Panzer aufzuhalten, indem sie Blumen in ihre Kanonenrohre steckten – dennoch haben diese Panzer die Freiheit der Tschechoslowakei in wenigen Tagen beendet. Der grundsätzliche Denkfehler der Friedensbewegten liegt darin zu meinen, es läge voran an den Waffen, dass es Kriege gibt und sich moralisch überlegen zu fühlen, indem sie schon gegen Waffen protestieren. In Wirklichkeit besteht die größte Kriegsgefahr dort, wo Männer wie Putin, die es leider immer gibt, keinen massiven bewaffneten Widerstand erwarten. Der Überfall auf die Ukraine ist dafür das klassische Beispiel.
Verteidigungsbereit und verteidigungsfähig zu sein, ist im Gegensatz dazu die größte Absicherung gegen Krieg – man ist das Gegenteil eines Kriegstreibers, wenn man fordert, die EU aufzurüsten, denn damit kann man Europa am ehesten vor weiteren Kriegen bewahren. Natürlich muss man darauf achten, dass der so geschaffene „Militärisch industrielle Komplex“ kein Eigenleben entwickelt – aber das ist sehr viel einfacher als das Verlieren des Krieges gegen einen Aggressor.