Gemessen an ihren ökonomischen Fehlern hätte der Rechtsruck der EU schlimmer ausfallen können. Seit Einführung des Euro funktioniert sie ökonomisch schlechter als davor.
Die EU-Wahlen haben nicht ganz den erwarteten Rechtsruck gebracht: Nur in Österreich und Frankreich hat die extreme Rechte dramatisch zugenommen. EU-weit haben die Parteien der Mitte weiter eine klare Mehrheit, auch wenn Grüne und Liberale Einbußen erlitten. Die EU ist nur beschädigt: Mandatare, die sich mit Viktor Orban eine illiberale Demokratie vorstellen können oder mit Herbert Kickl meinen, dass Recht der Politik zu folgen hätte, sind deutlich mehr geworden. Entsprechend geschwächt ist die EU als Friedensprojekt: FPÖ, AfD oder das Rassemblement Nationale mit Marine Le Pen’s kritisieren durchwegs die Sanktionen gegen Russland und wollen kein Geld zur Verteidigung der Ukraine aufwenden. Allerdings ist die Rechte gespalten: Le Pen ist die AfD zu braun, Italiens Giorgia Meloni steht klar auf Seiten der Ukraine, schätzt die EU und dürfte für Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin stimmen.
Nur dass von der Leyen leider Mitschuld daran trägt, dass unerlässliche ökonomische Reformen unterblieben sind: Die EU als Wirtschaftsprojekt, so urteilt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, und meine ich mit ihm, ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Kluft zwischen armen und reichen Bürgern ist ebenso gewachsen wie die zwischen armen und reichen Ländern. Sowohl in den armen wie in den reichen Ländern ist die Schicht derer gewachsen, die sich wirtschaftlich abgehängt fühlen und für rechtsextreme Parteien votieren. Insofern ist der Rechtsruck der EU selbstverschuldet.
Zentrale Ursache für das Zurückbleiben des Wirtschaftsprojekts hinter den Erwartungen ist nach Meinung von Stiglitz, die ich teile, die Einführung des Euro unter Bedingungen, die sich völlig von denen des Dollar unterscheiden:
o Während beim Dollar nie der geringste Zweifel bestand, dass die USA in ihrer Gesamtheit für ihn haften, waren diese Zweifel beim Euro aufgrund der Einwände Deutschlands so groß, dass er beinahe gescheitert wäre, hätte Mario Draghi ihn nicht mit der Erklärung, ihn mit allen Mitteln, also auch denen Deutschlands, zu verteidigen, gerettet. Dennoch ist der deutsche Bundesgerichtshof bis heute nicht überzeugt, dass das rechtens war. Das aber bewirkt, dass Länder wie Spanien oder Italien nach wie vor viel höhere Zinsen für Kredite zahlen als Deutschland oder Österreich, während in den USA Bundesstaaten wie Massachusetts, die ständig am Rand der Pleite stehen, nur minimal höhere Zinsen als Kalifornien zahlen.
- Die USA sind eine Transferunion, in der die Mittel für Verteidigung, Gesundheit, vor allem aber für die Bewältigung der Arbeitslosigkeit von der Bundesregierung kommen, während deutsche und österreichische Politiker gar nicht oft genug erklären können, dass die EU „nicht zur Transferunion verkommen darf“.
- Die US-Bundesregierung unterstützt Bundesstaaten, die in Probleme geraten sind zwar nicht, sondern erwartet, dass sie diese selbst bewältigen, was angesichts der niedrigen Zinsen freilich viel leichter als in der EU ist, aber sie schreibt ihnen nicht vor, wie sie ihre Probleme bewältigen sollen: Wenn sie meinen, dass höhere Staatsausgaben der richtige Weg sind, so können sie ihn beschreiten. Zwar sind auch viele US- Politiker der Ansicht, dass der Staat so wenig wie möglich ausgeben soll, aber spätestens beim Militärbudget halten sie sich nicht daran. Die EU hingegen macht ihren Mitgliedern Sparen des Staates zur Vorschrift: Sie müssen ihre Budgets von der Kommission bewilligen lassen und sind verpflichtet, dabei eine Staatsschuldenquote von 60 Prozent des BIP zu erreichen und eine „Staatsschuldenbremse“ in ihrer Verfassung zu verankern.
Die Auswirkung:
- Das Bruttoinlandsprodukt der USA ist in den letzten drei Jahrzehnten um 60 Prozent gewachsen, das der EU um 30 Prozent. Der Abstand im BIP pro Kopf der EU zu dem der USA hat sich seit dem Sparpakt verdreifacht.
- Hatte der gemeinsame Markt zu einer massiven Verbesserung der wirtschaftlichen Performance der EU geführt – Österreich ist ein Paradebeispiel – so endet dieser Aufwärtstrend mit dem Euro: Seither hat die EU in allen Belangen – BIP pro Kopf, Produktivität, Arbeitslosigkeit- schlechter abgeschnitten, als im Zeitraum vor seiner Einführung. Innerhalb der EU haben sich die 19 Mitglieder der Eurozone ökonomisch schlechter entwickelt als die Mitglieder ohne Euro.
- Am Dramatischsten ist, dass die Angleichung von Wohlstand und wirtschaftlicher Potenz, zu der der Euro führen sollte, so gar nicht gelungen ist. Die Länder des Südens blieben immer weiter zurück, weil sie aufgrund der von Deutschland (Österreich und Holland haben mitgemacht) ausgehenden Lohnzurückhaltung immer mehr Marktanteile verloren. Am Beispiel Spaniens, das ich gut kenne: Die Arbeitslosigkeit beträgt heute immer noch 11,5 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit 28 Prozent- das sind die höchsten Werte nicht nur der EU, sondern der OECD Länder, obwohl Spanien nach Corona einen beispiellosen Tourismus- Boom erlebt. 26 Prozent der Spanier sind „arm“. Dem entspricht die niedrigste Geburtenrate der EU. Zusammen mit den niedrigsten Investitionen in Forschung und Entwicklung sind das Zahlen, die nahe einen „failed state“ kennzeichnen. Und das am Ende eines Wirtschaftsprojekts, das gemeinsamen Wohlstand versprochen hat.
Solange die EU ihre Wirtschaftspolitik nicht ändert, wird Europa immer weiter hinter die USA oder China zurückfallen und als Friedensprojekt zunehmend Probleme haben.
3 Kommentare
sehr geehrter Herr Kastner,
leider bin ich erst jetzt, mit großer Verspätung, auf Ihren hoch interessanten Text gestoßen. Ich freute mich sehr über einen persönlichen Kontakt. Meine E-Mail-Adresse: pmlingens00@gmail.com
Beste Grüße Peter Michael Lingens
Denke für diesen Kommentar. Da es in der Weltpolitik keine Zufälle gibt, wird es für Oligarchen, die die Politik bestimmen, bzw. die Marionetten für die Politik auswählen, schon einen Sinn haben. Die Verantwortlichen waschen sich die Hände in Unschuld und begnadigen immer die Falschen. Obama bekommt den Friedensnobelpreis Julian Assange sitzt noch immer. Ist das nicht 180 Grad verkehrt?
Der glorifizierte Dollar lässt sich ohne umfassende Kriege nicht mehr unendlich vermehren. Große Teile der Welt spielen da nicht mehr mit. Die BRICS Länder verabschieden sich von der Weltwährung Dollar. Es wird noch spannend. Zivilisierte Völker sind in der Lage Aufgaben friedlich zu lösen. Die gekaufte Politik und die geförderten Medien dürfen jedoch nicht dagegen sein. Die Sehnsucht nach Freiheit und Frieden ist auf Dauer unaufhaltsam.
Die Väter der Gemeinschaftswährung waren sich der Risiken, die eine einheitliche Geldpolitik birgt, sehr bewusst und warnten lange vor der Einführung des Euros davor. Festgeschrieben wurde dies im Delors-Bericht aus dem Jahr 1989 (Vorsitz Jacques Delors; dienstältester Notenbanker Karl-Otto Pöhl). Einige Zitate:
•„Berücksichtigt man bei der Einführung der Währungsunion die regionalen Ungleichgewichte zu wenig, setzt man sich enormen ökonomischen und politischen Risiken aus.“
•„Eine Währungsunion ist nur denkbar, wenn gleichzeitig ein hohes Maß an wirtschaftlicher Konvergenz erreicht wird.“
•„Ohne Gemeinschaftswährung wird die Währung von Ländern mit Strukturproblemen oder einer Konjunkturkrise billiger und damit ihre Produkte auf den Weltmärkten, das Umgekehrte gilt für strukturstarke Länder bzw. solche in Hochkonjunktur. Bei einer Gemeinschaftswährung ist dies nicht möglich.“
•„Wenn übertriebene Hoffnungen auf die Stabilität der Eurozone oder die gegenseitige Unterstützung zum Einbruch der Risikozuschläge und damit zu sehr tiefen Zinsen führen, kann die Stimmung kippen und zum „Sudden Stop“ führen“ (siehe Griechenland).
•Und viele mehr.
Karl-Otto Pöhl sah die Gemeinschaftswährung sehr kritisch: Fixe Wechselkurse – d. h. eine Währungsunion – wären in den Ländern Europas schlicht nicht funktionstüchtig. Selbst die Kernländer seien immer wieder auf Anpassungen ihrer Währungsverhältnisse angewiesen. Dies gelte für einen deregulierten grenzüberschreitenden europäischen Markt erst recht, denn im europäischen Wettbewerb sind strukturelle Schwächen (ohne Preisanpassungsmöglichkeiten über die Währung) für die Betroffenen besonders schmerzhaft. Eine Währungsunion kann man laut Pöhl nicht einem Integrationsprozess voranstellen, sie war historisch gesehen immer der letzte Schritt einer weit fortgeschrittenen Integration von Ländern.
Pöhl sagte später: „Bei der Formulierung des Berichts dachte ich nicht, dass sich in absehbarer Zeit eine Währungsunion mit einer Europäischen Zentralbank realisieren würde. Ich dachte, vielleicht käme sie irgendwann in den nächsten hundert Jahren. Ich dachte, es wäre sehr unwahrscheinlich, dass andere Europäer das Bundesbankmodell einfach übernehmen würden.“
Francois Mitterand: „Dass die Notenbank in Ermangelung einer politischen Behörde über souveräne Macht verfügt, halte ich für gefährlich. Über unsere Volkswirtschaften hat die Bundesrepublik keine Verfügungsgewalt. Mit der (Europäischen) Zentralbank hätte sie sie.“
Ralf Dahrendorf (1995): „Das Projekt Währungsunion erzieht die Länder zu deutschem Verhalten, aber nicht alle Länder wollen sich so verhalten wie Deutschland. Für Italien sind gelegentliche Abwertungen viel nützlicher als feste Wechselkurse, und für Frankreich sind höhere Staatsausgaben viel sinnvoller als starres Festhalten an einem Stabilitätskriterium, das vor allem Deutschland nützt. Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, ein abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet. Ich bin manchmal verlockt, eine private Gruppe zu bilden, die sich über Europa ohne Währungsunion Gedanken macht.“
Zusammenfassung: Nicht nur Stiglitz jetzt, sondern schon die Väter der Gemeinschaftswährung waren sich bereits vor 35 Jahren der Risiken der Gemeinschaftswährung bewusst und warnten davor. Warum kam es trotzdem zur Gemeinschaftswährung? Die ökonomischen Bedenken mussten schließlich übergeordneten, politischen Zielen weichen. Kein Politiker wird jemals dafür zur Verantwortung gezogen werden.