Mario Draghi glaubt zu wissen, wie die EU die USA einholen kann: indem sie pro Jahr 750 Milliarden Euro mehr investiert, Innovation fördert und Bürokratie abbaut.
Ursula von der Leyen will in ihrer zweiten Amtszeit bekanntlich die Wirtschaft der EU stärken. Zu diesem Zweck hat sie den ehemaligen Chef der EZB, Mario Draghi, beauftragt, ihre Schwächen zu orten und zu empfehlen, was man besser machen könnte. Einen qualifizierteren Ratgeber hätte sie kaum finden können: Schließlich war es Draghi, der den Euro rettete, indem er, als während der Griechenland-Krise gegen ihn spekuliert wurde, gegen Deutschlands Einwände erklärte, ihn mit allen Mitteln, also auch denen Deutschlands, zu verteidigen. Erst danach hat der EuGH festgestellt, dass die gemeinsame Haftung zum Wesen einer gemeinsamen Währung gehört. In der Folge war Draghi der einzige Staatschef Italiens, der dessen Wirtschaftsdaten zu verbessern vermochte.
Das Urteil des Draghi- Reports über den Zustand der EU wird Leser meiner Kommentare kaum erstaunen: Sie weise seit 2000 ein deutlich geringeres Wirtschaftswachstum als die USA auf; ist die Produktivität der EU ursprünglich im Gleichschritt mit der der USA gewachsen, so wuchs sie in den letzten 20 Jahren um 20 Prozent weniger. Entsprechend weniger ist der Wohlstand der EU gewachsen: Das real verfügbare Einkommen pro Kopf stieg seit 2000 nur halb so stark wie in den USA. Das lag voran daran, dass die EU die digitale Revolution verschlafen hat.Während die US-Industrie sich auf IT und Digitalisierung konzentrierten, blieb mit der nun von China bedrängten Auto-Industrie eine traditionelle Fertigung stärkste Industrie der EU. Nur 4 von 50 führenden Technologie- Unternehmen kommen aus der EU.
Als Ursache dieses Rückstands ortet Draghi viele altbekannte Schwächen der EU: Der Zwang zur Einstimmigkeit erschwert Entscheidungen unendlich und müsse durch Mehrheitsvoten ersetzt werden. (Zu den Hauptbefürwortern der Einstimmigkeit zählt Österreich und dort voran die FPÖ, weil Österreich sonst „überfahren“ würde.) Die EU dulde unverändert fraktionierte Kapitalmärkte und 27 verschiedene Steuersysteme samt Steuer- Oasen. Indem sie die Subsidiarität vernachlässige, fördere sie die Bürokratie, schreibe zu viel vor, statt sich auf zentrale Anliegen zu konzentrieren. Es bedürfe einer eigenen Behörde, Bürokratie abzubauen. Schließlich sei absurd, dass diese riesige starke Volkswirtschaft ihre militärische Verteidigung bis zum Ukrainekrieg vernachlässigt hätte, und natürlich brauche es eine eigene starke Rüstungsindustrie.
Danach geht Draghi sehr detailliert jedem einzelnen Schwachpunkt nach. So sei etwa Energie in der EU ungleich teurer als in den USA. Das liegt freilich (was er nicht erwähnt) auch daran, dass die EU die anfänglich mit Fracking verbundenen gewaltigen Umweltschäden scheute. Allerdings hat sie auch viel weniger getan, um Energie- Oligopole zu verhindern und den Wettbewerb zu befördern. Umso wichtiger sei es für sie, alternative Energiequellen zu erschließen und sie hätte dabei auch beträchtliche Fortschritte gemacht. Allerdings sei es ihr nicht gelungen, die entsprechenden Innovationen erfolgreich durch die Entstehung großer Unternehmen zu vermarkten. Das läge voran daran, dass stets viel zu wenig Geld in entsprechende Projekte fließe. Es gäbe zu wenig private Investoren und Aktionäre; die Banken wären durch zu restriktive „Basel“- Abkommen in der Vergabe von Krediten behindert, statt dass sie endlich durch die Vollendung der Banken- Union abgesichert würden. Insbesondere brauche es Venture Capital für Start- ups, für die es auch eine einfache, billige Rechtsform geben sollte. Ferner sei eine zweite Säule der Pension in Gestalt von Aktien (der ich persönlich mit großer Vorsicht gegenüberstehe) in den USA in Gestalt von Pensions- Fonds sinnvoll, die große Kredite geben könnten. Mit solchen Geldern wäre es beispielsweise möglich, dank Innovationen in der Batterietechnik, die es in der EU durchaus gäbe, erfolgreiche Großunternehmen zu schaffen. Nicht zuletzt sei Bildung von überragender Bedeutung. Dass die EU so viel weniger exzellente Universitäten als die USA besäße, erweise sich als Nachteil.
Damit zu Draghis zentraler Forderung: Um ihre Ziele zu erreichen brauche die EU jedes Jahr zusätzliche Investitionen von mindestens 750 Milliarden Euro, die 4,4 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts entsprächen. Ihre Investitionen würden sich damit insgesamt von 22 auf 27 Prozent des BIP erhöhen. Die EU könne dieses nötige höhere Investment nur erreichen, indem sie sowohl das Investment durch Private und Banken stärke als auch entsprechende gemeinsame Kredite aufnähme.
Was derzeit in der EU geschieht, widerspricht diesen Empfehlungen freilich diametral: Die EU verhängt Strafen gegen Staaten, die einen höheren Prozentsatz ihres BIP investieren und so wie sich Deutschland schon seinerzeit Eurobonds widersetzt hat, hat Finanzminister Christian Lindner sofort energische Einwände gegen Draghis Empfehlung gemeinsamer Schulden erhoben.
Er bleibt eisern bei der Staatsschuldenbremse, obwohl Deutschlands Züge mittlerweile nur mehr zufällig den Fahrplan einhalten und nicht gewartete Brücken einbrechen. Die Neue Zürcher Zeitung, das Parteiorgan der Schweizer freien Demokraten und Zentralorgan des Neoliberalismus, sieht in Draghis Pläne prompt bereits den Weg hin zu sozialistischer Staatswirtschaft.Der von ihm empfohlene Mittelweg, den Markt zu achtet und dennoch seitens des Staates Schwerpunkte zu setzen ist für Ideologen offenbar nicht gangbar.
2 Kommentare
Die großen Finanzoligarchen von Blackrock, Vanguard, und Goldman uva. könnten uns die vielen Vorteile einer massiven Überschuldung nicht besser, leicht verständlich näherbringen. Danke!
Warum nur 750 Milliarden? Diese freundlichen Finanzdiensleister würden uns auch 1000 Milliarden und mehr geben. Der Ausverkauf bankrotter Länder, ja ganzer Kontinente ergibt die neue Sklaverei. Die Abgabenlast ist jetzt schon unerträglich. Schuldhaftes Verhalten wird nicht mehr verfolgt. Die letzte Strafrechtsreform macht es möglich. Wollen wir das wirklich alle? KOSTE ES WAS ES WOLLE! Mir ist der Zwang zur Einstimmigkeit in der EU enorm wichtig. Der FPÖ dafür ans Bein zu pinkeln, ist offensichtlich opportun. Verluderte Infrastruktur ist sichtbares Zeichen einer länger andauernden Misswirtschaft. Durch eine verluderte Finanzpolitik kann es nicht besser werden. Das können nur gekaufte Eliteunis und hochentwickelte Medien vermitteln.
Die Erkenntnisse sind auf dem Tisch, aber wie immer werden Sie
negiert.
Bravo für den Beitrag!