Veränderte „Feuer bei Moskau“ den Krieg?

Ein russischer Beobachter glaubt, dass erfolgreiche Angriffe der Ukraine auf russische Ziele Putins Rückhalt gefährden, wenn, sie anhalten. Ein anonymisiertes Interview.

 „Boris“, wie ich ihn hier nennen will, war in den Achtzigerjahren -seit damals kennen wir einander- jemand, von dem man sich halbwegs glaubwürdige Informationen erhoffte, wenn man die Sowjetunion als Journalist besuchte. Er hatte innerhalb des Regimes eine höhere Funktion inne, die ihm Einblicke in die Machtverhältnisse gewährte. Mich verblüffte er damals durch seinen Kenntnisreichtum, mit dem er mir die Schwierigkeiten beschrieb, die sich Moskau durch den Einmarsch in Afghanistan eingehandelt hatte. Später, als unser Verhältnis freundschaftlicher wurde, erwies er sich als engagierter Anhänger Wladimir Putins. Heute, längst pensioniert, ist er das immer noch. Er versteht nur nicht, warum der in seinen Augen so erfolgreiche Staatschef sich auf den Ukrainekrieg eingelassen hat. Was er mir über den aktuellen Stand dieses Krieges sagt, scheint mir spannend, so wenig ich überprüfen kann, wie weit es zutrifft

Lingens: Was schätzt Du so an Putin?

Boris: Er hat das Chaos beendet, in das Russland mit Boris Jelzin gestürzt ist. Erst mit ihm hat das Land wieder funktioniert, haben bewaffnete Überfälle aufgehört, wurden Geschäftszeiten oder Fahrpläne wieder eingehalten. Er hat den Oligarchen den Großteil dessen, was sie gestohlen haben, wieder abgenommen und dem Staat zurückgegeben. Die Wirtschaft konnte sich erholen. Natürlich blieb sie weiter viel zu abhängig von Öl und anderen Bodenschätzen, aber es sind doch auch zusätzliche Wirtschaftszweige entstanden. Zwar immer noch viel zu viele Großbetriebe, aber doch auch Mittel- und Kleinbetriebe, nicht zuletzt in Kooperation mit ausländischen Unternehmen. Eigentlich war es eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Es ist der Bevölkerung immer besser gegangen.

Lingens: Dass die Staatsführung immer autoritärer wurde hat niemanden gestört?

Boris: Die wenigsten. Man kann Russland nicht anders führen. Dass es den Leuten soviel besser gegangen ist, war jedenfalls viel wichtiger.

Lingens: Du sagst, dass diese Verbesserung der Lebensumstände seit dem Ukrainekrieg in Gefahr ist?

Boris: Der Ukrainekrieg war ein mir völlig unverständlicher Fehler. Man musste wissen, dass er nicht einmal dann etwas gebracht hätte, wenn er schon gewonnen wäre: ein so großes Territorium zu beherrschen kostete nur Geld. Aber er wurde nicht gewonnen und das kostet noch mehr Geld.

Lingens: Die russische Wirtschaft wächst doch. Die Öl-Einnahmen sind trotz der Sanktionen gewaltig. Immer mehr Leute und sogar politische Parteien in der EU bezweifeln den Sinn der Sanktionen.

Boris: Die Kriegswirtschaft wächst- der Konsum leidet. Es sind nicht die Öleinnahmen aus der EU die uns abgehen – da sind die Chinesen eingesprungen. Aber erstens hängen wir jetzt von denen ab: Sie haben viele der Geschäfte übernommen, die früher die EU gemacht hat. So verkaufen sie uns jetzt ihre Autos -aber teuer. Zweites und vor allem ist alles teurerer geworden. Und zwar so gewaltig teurer, dass jeder es spürt. Natürlich geht uns McDonald´s nicht ab, wohl aber hat alles gelitten, was Hochtechnologie braucht. Elektronik wird immer schlechter, Flugzeuge fallen herunter, weil Ersatzteile fehlen.

Lingens: Das scheint auch im Krieg eine Rolle zu spielen. Besonders erfolgreich agiert Russlands Armee nicht, wenn man bedenkt, wie viel mehr Menschen sie aufbieten kann.

Boris: Auch das kann sie immer weniger. Die Musterungen sind verhasst. Und die Soldaten kosten den Staat immer mehr Geld. Er muss ihnen 2.000 Euro im Monat bezahlen. Und er muss auch den Hinterbliebenen immer mehr bezahlen, damit die Unzufriedenheit nicht zu laut wird. Und natürlich sind die russischen Waffen durch den Mangel an Hochtechnologie schlechter als die westlichen. Ich kann nur wiederholen, dass dieser Krieg ein fataler Fehler war. Nicht Putins, wohl aber seiner Berater, die ihm gesagt haben, dass das ein Spaziergang sein wird.

Lingens: Du hast mir gesagt, dass dieser Krieg in eine grundsätzlich neue, qualitativ andere Phase getreten ist – vom außen sieht es nicht so aus.

Boris: Von innen schon. Stell Dir vor, nur ein paar Kilometer von Wien entfernt brennt plötzlich die größte Raffinerie der Stadt, weil sie von einem feindlichen Geschoß getroffen wurde. Sie brennt durch Tage, so dass sogar Benzin knapp wird. So war das mit der Raffinerie, die die Ukrainische Armee, nur ein paar Kilometer von Moskau entfernt, getroffen und in Brand gesetzt hat. Jeder in Moskau hat das Feuer gesehen. Das hat, viel mehr als der ukrainische Vorstoß nach Kursk, die Einstellung der Bevölkerung zu diesem Krieg verändert. Sie ist zwar nach wie vor für Putin- aber der Teil der denkt, so um die zwanzig Prozent, ist gegen diesen Krieg.

Lingens: Du meinst, das lässt sich trennen?

Boris. Ja! Jedenfalls ziemlich lang.

Lingens: Auch wenn der Krieg noch unglücklicher verlaufen sollte?

Boris: Dann könnten Gegner Putins ihn im Geheimdienst entsorgen.

Lingens: Wird er da nicht vorher den Einsatz taktischer Atomwaffen in Betracht ziehen, um den Krieg zu gewinnen?

Boris: Das kann er nicht allein. Außerdem passiert ihm nichts, wenn er entsorgt wird. Auch Jelzin ist nach seiner Entsorgung durch Putin nichts passiert: Seine Familie hat alles was sie hatte- und das war ziemlich viel- behalten.

Lingens: Du glaubst ernsthaft, dass Putin gefährdet ist.

Boris: Noch nicht. Aber Jahre hat er nicht Zeit. Es sei denn Donald Trump wird US-Präsident.

 

 

 

 

2 Kommentare

  1. Alles was Boris über den Zustand der russischen Wirtschaft und die Einstellung der Bevölkerung sagt, höre ich ziemlich genauso auch von Golos Ameriki, dem russischsprachigen und von emigrierten Russen geführten Sender aus Washington. Nur dass Putin so wie Yelsin auf schmerzlose Weise vom Geheimdienst entsorgt werden könnte, ist mir neu.

  2. Wenn Trump Präsident wird, bricht womöglich der Frieden aus. Deutschland bekommt vielleicht, vom seit 1945 bestehenden Waffenstillstand, zu einem echten Friedensvertrag. Das Ende des 2. WK. Wäre besiegelt. Juhu! Die Besetzung Deutschlands durch die Amerikaner könnte beendet werden. Der Abzug der Amerikaner aus u.a. deutschen, italiänischen und rumänischen Militärbasen könnte Anlass für einen Europäischen Feiertag geben. Das sind gute Aussichten, wenn nicht wieder der oder die Falschen ans Kreuz geschlagen werden.
    Putin hat sehr lange beim Bürgerkrieg gegen die russische Bevölkerung in der Ukraine stillgehalten. Das fertige Friedensabkommen von Istambul wurde vom Westen (Boris Johnson) vereitelt. Nicht von Putin. Das Völkerrech sollte nicht außer Acht gelassen werden. Alle Kriege müssen vorbereitet und eingefädelt werden. Europa ging es immer gut wenn gute Beziehungen zum Nachbarn herrschten. Daran sollten wir Interesse zeigen und nicht Öl ins Feuer gießen.

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