Donald Trump hat viel mit Herbert Kickl gemein: Beide schimpfen und hetzen perfekt. Abgehängte glauben ihren Versprechungen. Aber Trump kann dazu auf Gott zählen.
Für Europäer bleibt der Wahlsieg Donald Trumps ein Rätsel- für Amerikaner ist er es nicht. Zwar ist Trump auch vielen von ihnen politisch suspekt, aber der Mehrheit hat seine Steuerpolitik höhere Löhne beschert, auch wenn er primär Reiche entlasten wollte, und der großen Zahl wirtschaftlich Abgehängter der traditionellen US-Industrie hat seine Zollpolitik Jobs erhalten. Joe Biden hat Trumps Protektionismus denn auch voll übernommen, nur dass eine Inflation für die er nichts konnte, ihm den Erfolg geraubt hat, den seine viel nachhaltigeren Investitionen verdient hätten. Doch das Volk sah nur die gestiegene Preise.
Solange nicht begriffen wird, dass der Neoliberalismus „oben“ eine winzige Gruppe immer reicher macht, während „unten“ eine riesige Gruppe finanziell Abgehängter entsteht, erhalten rechte Politiker, die versprechen, das „System“ zu ändern, zwingend wachsenden Zulauf. Sonstige Ingredienzien dieses Zulaufs sollten uns geläufig sein: Permanentes Beschimpfen des politischen Gegners funktioniert bestens, wenn es unterhaltsam ist und prägnante Slogans enthält, wie Trumps Sager zum US-Wohlstand: „She broke it, I´ll fix it“. Das weiß und kann auch Herbert Kickl. Natürlich spielt Migration bei Trump und ihm die gleiche zentrale Rolle. Beide schwören, sie zu beenden, wobei Trump es noch phantasievoller begründet: Migranten äßen Hunde und Katzen. Da Migration Abgehängten auch echte Probleme beschert – sie drückt die Löhne und verschärft die Konkurrenz dort, wo der Staat soziale Leistungen erbringt – war „Abschiebung“ beider Wahlschlager. Zudem scheint die Behauptung des deutschen Neurologen Hoimar von Ditfurth zu stimmen, dass vorsteinzeitliche Erfahrungen unser Stammhirn prägen: So wie sich Höhlenbewohner mit allen Mitteln gegen Eindringlinge wehrten, gibt es die fast reflexive Ablehnung massiver Zuwanderung auch bei Leuten, die keine Faschisten sind. Nicht zuletzt wünscht sich jedes vorsteinzeitliche Rudel in kritischen Situationen einen starken Führer und dem entsprach Trump schon rein optisch optimal. Voran im ländlichen Raum wusste Trump so erfolgreich wie Kickl, ans Stammhirn zu appellieren obwohl gerade dort oft die wenigsten Zuwanderer sind.
Eher US-spezifisch ist, dass eine Frau ohne Chance ist, an die Staatsspitze zu gelangen: Harris hat das so wenig wie Hillary Clinton geschafft. Intelligente Frauen sind für simple Männer nicht zu ertragen. Gleichzeitig hat „Pussygrabing“ Trump bei simplen Frauen nicht geschadet. Machos überleben vorerst den Feminismus. Extrem US-spezifisch war die extreme Rolle der Religion: Der chronische Lügner Trump, der bekanntlich wegen Betruges verurteilt ist, weil er das Schweigegeld für eine Pornodarstellerin von der Steuer absetzen wollte, wurde von der evangelikalen Gemeinde der USA heilig gesprochen. Wie ihm das gelang, ist charakteristisch: Star unter den vielen „Tele-Evangelisten“, die ständig im TV auftreten, ist die dadurch steinreiche, bildhübsche, zum dritten Mal verheiratete Paula White-Cain, auch wenn Kollegen sie nur für die beste Schauspielerin halten. 2011, so erzählt Cain Zeitungen, hätte Trump sie um einen Gefallen gebeten: „Bring mich mit Leuten zusammen, um zu beten, ich möchte wirklich von Gott hören.“ Sie lud ihn zu einem Bibelkreis ein und berät ihn seither in Glaubensfragen. 2017 dankte sie Gott, dass er Trumps Amtseinführung ermöglichte; unmittelbar vor der aktuellen Wahl ging ein Video viral, in dem sie ekstatisch erklärte „Ich höre den Klang des Sieges. Der Herr sagt, es ist getan“; dazwischen hatte sie in einer Predigt erklärt, warum jemand, der sehr reich ist, sehr fromm sein kann.
Von Max Weber wissen wir, dass das am Anfang des Kapitalismus steht. Der Schweizer Theologe Johannes Calvin (1509-1564) wollte die Kirche bekanntlich im Sinne Martin Luthers reformieren und sah Gott noch allmächtiger als dieser. Das Leben jedes Menschen, so lehrte er, sei von Gott vorherbestimmt, so dass von Beginn an feststünde, wer auserwählt und wer verdammt ist. Als seine Anhänger wissen wollten, ob es nicht wenigstens Zeichen gäbe, aus denen sie ersehen könnten, zu welcher Kategorie sie gehören, meinte Calvin, am ehesten zähle zu den Auserwählten, wer fleißig sei, sparsam lebe und zum Gemeinwohl beitrage. Indem das – kaum im Sinne Calvins – zu der Vorstellung verkam, dass erwählt sei, wer zu Reichtum gelange, wurde es emotionale Basis des Kapitalismus. Elon Musk oder Donald Trump für ihren Reichtum zu bewundern, ergibt sich aus dem Calvinismus ebenso logisch wie die Duldung größter Armut: Es ist gottgegeben, dass es viel mehr Arme=Verdammte als Auserwählte= Reiche gibt – und ein wichtiges Motiv nach Wohlstand zu streben. Auch dass US-Milliardäre dem Gemeinwohl durch Millionen- Spenden dienen, wurzelt im Calvinismus. Europas seit mehr als einem Jahrhundert übliches Bemühen, große Armut durch staatliche Gesetze zu verhindern, wird demgegenüber als „sozialistisch“= kommunistisch diffamiert. Dass es in jüngerer Zeit so vielen weißen Evangelikalen immer schwerer fiel, den Wohlstand, nach dem sie denkbar fleißig strebten, auch zu erlangen, erklärt ihren Wunsch nach einem Heiligen, der behauptet, das liege nur an den demokratisch wählenden gottlosen Eliten „Washingtons“.
Nach Trumps Sieg müsste die EU mehr denn je beweisen, dass sich Sozialstaat, Rechtsstaat und wirtschaftlicher Erfolg vereinen lassen. Mit den geltenden Schuldenregeln ist das leider unmöglich.
Ein Kommentar
Es ist interessant, dass Herr Lingens einerseits Trump Lügen vorwirft und andererseits die Lügen von Bill Clinton – siehe Lewinsky mit der Zigarre – verdrängt.