Ein denkbar zweischneidiges Neujahrskonzert

Mit 5o Millionen Zuschauern in 91. Ländern ist das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker der mit Abstand größte Werbeauftritt Wiens und Österreichs und er wurde in der Vergangenheit auch immer besser genutzt indem man Balletteinlagen an besonders sehenswerten Plätzen der Stadt einbaute.

Diesmal baute man in der Mitte des Konzerts einen Film ein, wie er schlechter kaum sein konnte: Am Bildschirm ist, bei weiterhin guter musikalischer Untermalung die meiste Zeit ein unglaubwürdiges, nicht einmal spaciges, scheinbar   gebasteltes oder künstlich animiertes Weltraumgefährt zu sehen, in dessen hässlichem Innenraum unter dem rätselhaften Namen „Kapitän Tom“ ein an sich gut aussehender,  ansonsten aber völlig nutzloser Nachfahre der Familie Strauss vor einem altmodischen Radio sitzt. Ansonsten geht er in Schuhen oder barfuß durch den Innenraum des Gefährts, tippt manchmal auf irgendwelche Bildschirme, auf denen gelegentlich Bilder manchmal aber auch Zeichen wir „error“ oder „solved“ auftauchen, die offenbar ans Cockpit einer Raumfähre erinnern sollen. „Kapitän Tom“ setzt denn auch manchmal einen Raumfahrer-Helm auf um dann wieder sein Gesicht in die Kamera zu halten – er scheint sehr zufrieden damit zu sein. Einmal tanzt er auch barfuß Walzer und ist dabei nicht im Takt.

Zwischendurch werden auch interessante historische Bilder der Familie Strauss eigeblendet oder man sieht ein paar Musiker auf einer Art Floß auf der alten Donau gut musizieren. Wirklich Interessantes über die Familie Strauß erfährt man kaum -nur dass Johann Strauss Sohn auch in Sankt Petersburg und in den USA Konzerte gab. Meist aber beherrscht das gebastelte Raumschiff hässlich und störend den Bildschirm. Dabei hätte man anlässlich seines zweihundertsten Geburtstages einen durchaus interessanten Kurzfilm über ihn drehen und seinen Nachfahren vielleicht auch darin einbauen können, wenn der etwas Interessantes zu erzählen hat – so weiß man nicht einmal worauf die Verwandtschaft beruht. In Summe ein miserabler Film, der angesichts der Raumfähre nicht einmal ganz billig gewesen sein kann und das Konzert auf ausschließlich störende Weise unterbricht.

Leider sind auch die Tanzeinlagen diesmal weit schlechter als sonst gelungen: Sie spielen einmal im an sich morbid eleganten Südbahn-Hotel am Semmering, nur dass die wie immer blendenden Tänzer und Tänzerinnen des Staatsoper-Balletts diesmal anfangs besonders öde antike Kostüme anhaben und dass die Männer später besonders knallige bunte Hemden anhaben, die Modernität suggerieren sollen, aber erst recht altmodisch wirken. Zweiter Schauplatz ist dann Wiens Technisches Museum, wo dann in hübscheren Kostümen rund um eine alte Lokomotive getanzt wird, weil auch die Bahn angeblich 200 Jahre alt ist. Gegenüber den Schauplätzen vergangener Tanzeinlagen regt dieser jedenfalls zweifellos am wenigsten dazu an, Wien zu besuchen.

Jedenfalls war man erleichtert, als das gesamte Zwischenprogramm vorbei war und man wieder den wunderbaren Saal des Musikvereins sieht und sich auf die dargebotene Musik konzentrieren konnte, denn besser als unter Ricardo Muti können die Philharmoniker kaum musizieren.

Es ist zu hoffen, dass Zuschauer im Ausland während des Zwischenspiels mit der Raumfähre nicht aufgestanden sind und den Fernseher verlassen haben.

10 Kommentare

  1. Seltsam, dass bis zum 6.Jänner kein weiterer Artikel seitens Herrn Lingens online gestellt wurde. Ist er zum „Kulturredakteur mutiert? Oder fällt ihm zur in den letzten 72 Stunden in Österreich eingetretenen politischen Situation nicht einmal ein Nebensatz ein?

    1. Der wegen seiner hochintelligenten Analysen und Kommentare von mir – und vermutlich vielen anderen – hochgeschätzte Herr Lingens ist nicht mehr der Jüngste und könnte ganz einfach krank sein. Ich hoffe, es ist nichts Ernstes und freue mich auf weitere Beiträge.

      1. Könnte sein, dass er krank ist. War ja schon seltsam, dass er es mitteilenswert fand, die Kostüme der Tanzpaare, die ihm nicht gefallen haben, zu kritisieren, ihm aber die multiethnische Zusammensetzung der Tanzpaare kein Wort wert war. Das Verhalten eines alten kranken Mannes? Hoffen wir auf baldige Besserung!

        1. Oder eher das Verhalten eines vorsichtigen Mannes? Es traut sich ja auch keiner zu hinterfragen, ob mehr Windeln einer bestimmten Marke verkauft werden, seit ein glückliches schokoladebraunes Baby in der ORF-Werbung vorkommt. Ob ein Werbespot mit einem weißen Baby in einem afrikanischen Land die Verkaufszahlen heben würde?. Also ich verstehe Herrn Lingens durchaus, wenn er sich da nicht die Finger verbrennen will.

  2. Lieber Herr Lingens, danke für Ihre wie fast immer treffende Kritik. Viele der bisher dargebotenen Pausenfüller des Neujahrskonzertes waren vom Konzept her so gut, dass sie dem Niveau des Konzertes als ebenbürtig anzusehen waren, choreografische Meister-srücke auf die man sich freuen konnte. Dieses Konstrukt war eine Verunzierung und beleidigende Abwertung der Kompomisten, des Maestros Riccardo Muti, der Philharmoniker und des bedauernswerten, sonst so großartigen Staatsopernballetts.

  3. Mir fällt grad auf: es sollte doch heissen:
    SCHREIB einen Kommentar!
    (ohne das verschlimmbessernde E am Ende des Imperativs!)

  4. Wie recht Sie doch mit diesem Kommentar haben!
    (Lese übrigens Ihre Meldungen stets mit viel Einverständnis.)
    Und (ein bissl verspätet): Schönes Neues Jahr!
    Herzlichst Friedel Wicke

  5. Danke, so habe ich das auch empfunden. Ich BIN aufgestanden und habe die Zeit zum Kochen genützt. Was für eine jämmerliche Scharade!

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