Das Erdgas-Dilemma der EU

Wladimir Putin weniger Gas abzukaufen hat seiner Kriegskasse nicht geschadet und den Klimawandel eher beschleunigt. Die Erschließung grüner Energie freilich auch.

In der Vorwoche gab die Internationaler Energieagentur bekannt, dass der Erdgasverbrauch 2024 einen neuen Höchststand erreichte. Mit 2,8 Prozent stieg er mehr als in den Jahren davor und wird 2025 weiter steigen. Der ORF meldete das zwar, aber es wird verdrängt, was es bedeutet: Das EU- Klimaziel ist weit weg, denn aus viel Erdgas entsteht bei Verbrennung besonders viel CO2; und der „Höchststand“ des Gasverbrauchs kommt voran Russland zugute. Die Hoffnung der EU, dass es Wladimir Putins Kriegskasse schadet und dem Planeten nützt, wenn sie Russland weniger Erdgas abkauft, war mindestens voreilig. Denn es gibt kein EU- Klima, sondern nur ein Weltklima, das vom weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen abhängt –  dass die EU weniger davon ausstößt nützt nichts, wenn andere Staaten, von China bis Indien, um diesen Minder-Ausstoß mehr ausstoßen. Denn was immer an fossilen Brennstoffen gefördert wird, das wird auch verbrannt. Während in der EU immerhin die Chance besteht, dass Filter etwas CO2 abfangen, besteht sie in Indien oder China kaum – dass der Verkauf sich dorthin verlagert hat, beschleunigt den Klimawandel daher sogar. An all dem ändert nur wenig, dass die Ukraine den Transit russischen Gases jetzt gestoppt hat – es erreicht uns eben auf anderen Wegen, so wie es Indien oder China weiter erreicht.

Dass die VOEST ihren Stahl oder die AMAG ihr Aluminium lang mittels billigen russischen Gases produzierten konnten, war nicht zuletzt Teil unseres Wirtschaftswunders. Wir waren nur zu lange der Meinung, dass Putin ein „Partner“ wäre und haben unsere Abhängigkeit erst in den letzten zwei Jahren verringert. Das Dilemma ist dennoch keineswegs auf uns beschränkt: Fast alle EU-Staaten, auch Deutschland oder Frankreich, brauchen weiterhin Gas: Es war (ist) zwar immer ein Fehler, dabei von einem Lieferanten -Russland- abzuhängen, aber es ist fraglich, ob es weiterhin klug ist, Russland kein Erdgas abzukaufen, obwohl es das relativ billigste ist? Normalerweise nennen wir es „Ausbeutung“ unterentwickelter Länder, ihnen ihre Bodenschätze billig abzukaufen – warum soll es derzeit falsch sein, Russland auszubeuten? Vollendete man die fast fertige Nordstream 2 Pipeline, so könnte man Putin besonders billiges Gas abkaufen, ohne durch ihn erpressbar zu sein, denn es gibt ja jetzt Norwegen oder Algerien als weitere Bezugsquellen und Andock-Stellen für LNG aus den USA.

Es müsste gelingen, alle Maßnahmen so aufeinander abzustimmen, dass das Ergebnis ökologisch wie ökonomisch optimal ist: Noch braucht man Erdgas und ich glaube, dass man es besser billig von Putin als teuer von Donald Trump kauft. Gleichzeitig muss die CO2-Steuer so hoch sein, dass dennoch alles geschieht, um den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu vermindern. Zugleich muss die EU vermeiden, wirtschaftlich gegenüber den USA oder China total ins Hintertreffen zu gelangen – eine Sisyphus -Aufgabe.

Jemand, der die diesbezüglichen Probleme der EU von Beginn an gesehen hat, ist der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck. Ich habe hier vor Monaten wiedergegeben, warum er bezweifelt, dass wir das Klimaziel erreichen: Man weiß, in welchem Ausmaß die Förderung fossiler Energie zu diesem Zweck abnehmen müsste – aber sie nimmt (siehe oben) im Gegenteil zu. Erfolgreich wäre man nur, wenn die Erdgas-Produzenten sich einvernehmlich bereit erklärten, die Förderung schrittweise zu drosseln. Das aber geschieht wohl erst, wenn alternative Energie preiswerter als fossile ist – deshalb ist es nicht sinnlos, dass der „Green Deal“ der EU die Erschließung  alternativer Energie vorantreibt.

Im Vorjahr hat Flassbeck dergleichen Probleme in dem  Buch „Grundlagen einer relevanten Ökonomik“[1] aufgezeigt, das Professor Ewald Nowotny auf mein Ersuchen hin im Falter besprochen hat: Er fand es zwar  „interessant“, bezweifelte aber etliche darin enthaltene Überlegungen. Ich hingegen sehe Flassbeck immer öfter bestätigt und halte sein Buch für eines der wichtigsten der Gegenwart, weil es den Thesen der herrschenden neoklassischen und neoliberalen Ökonomie gegenüberstellt, was sich tatsächlich ereignet. So ist es eine zentrale Vorstellung der Neoklassik, dass der Markt Gleichgewichte herstellt und genau das tut er an zentraler Stelle nicht: So verhielten sich von Arbeitslosigkeit Bedrohte marktgerecht, wenn sie möglichst viel Geld ausgäben und ihre Arbeit möglichst teuer anböten, aber in der Realität sparen sie und nehmen ungünstigere Arbeitsverträge in Kauf. Vor allem geht Flassbeck auf eine  wesentliche Veränderung gegenüber den Umständen ein, die John M. Keynes zu seinen Thesen veranlassten: Keynes erlebte, dass sich Unternehmen nicht ausreichend verschuldeten, um Wachstum zu generieren, so dass der Staat sich durch Defizit Spending  verschuldend, eingreifen muss, um Krisen zu überwinden. Derzeit aber verschulden Unternehmen sich fast nie ausreichend, weil sie ihre Investitionen aus ihren Gewinnen finanzieren können –  daher muss der Staat sich permanent verschulden, wenn die Wirtschaft wachsen soll. Das Buch beginnt mit der überraschenden Erkenntnis, dass der Weltwirtschaftskrise in den USA uns Europe eine Massive Senkung der Löhne voranging, weil man meinte, damit mehr Arbeit zu schaffen – aber das Gegenteil trat ein. Die von zu niedrigen Löhnen ausgehende Gefahr ist in der EU auch jetzt gegeben – auch das macht das Buch so aktuell.

[1] Westend Verlag Neu Isenburg

 

 

Ein Kommentar

  1. Ich staune. Jedesmal, wenn Prof. Hans-Werner Sinn die Argumentation aus dem ersten Absatz oben machte, gab es buchstäblich einen sh..storm. Bei fossilen Brennstoffen kommt es ganz und gar nicht darauf an, was beispielsweise Deutschland einspart, sondern lediglich darauf, was aus der Erde gefördert wird. Was gefördert wird, wird verbrannt. Nur ein koordiniertes Einsparen auf der ganzen Welt würde an der Förderung etwas ändern. Das hat es bisher nur einmal und nur vorübergehend gegeben – während Covid. Eine Ausnahmeerscheinung. Mittlerweile steigt die weltweite Förderung wieder. Kurz und gut: was Deutschland weniger verbrennt, verbrennt ein anderer mehr.

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