Wie der Lohn-Verfall die FPÖ stärkt

Die FPÖ dankt ihren Aufstieg voran der Migration, aber Migranten werden voran von Menschen als irritierende Konkurrenz empfunden, deren Löhne ständig gesunken sind.

 Wenn man fünfundachtzig ist und aus einer Familie kommt, die mehr als andere unter dem Nationalsozialismus gelitten hat und zu wissen glaubt, was ihn so stark werden ließ, wird man zur Irritation von Lesern und Redaktion zur Kassandra, die das immer gleiche Thema für entscheidend hält: Die ökonomischen Voraussetzungen faschistoider Entwicklungen. Ohne die Arbeitslosigkeit der Zwischenkriegszeit hätte es den enormen Zustrom zur NSDAP nicht gegeben – ohne die schlechte wirtschaftliche Entwicklung der EU in den letzten Jahrzehnten wären rechtsextreme Parteien nicht derart erstarkt.

Dass man in meinem Alter trotz elektrischer Zahnbürste immer mehr Zahnprobleme hat – Zahnstein setzt sich an und drängt Zahnfleisch und Kieferknochen zurück- bot mir den jüngsten Anlass, es wahrzunehmen. Mein Zahnarzt empfahl mir die Behandlung durch eine Zahnarztassistentin, die mit einer Reihe technischer Geräte, unter anderem mittels Ultraschalls, Zahnstein zu entfernen vermag. Nachdem sie das durch eine Stunde getan hatte, wollte ich wissen, was sie nach drei Jahren Grundausbildung und einem Jahr Zusatzausbildung für Zahnprophylaxe verdient: 1500 Euro netto bei einer 22 Stunden-Woche. Deshalb sei dies, so erklärte sie mir, auch ihr letzter Arbeitstag: Sie wechsle in eine Tankstelle, wo sie mehr verdiene. Die Fortsetzung des Gespräches förderte den Grund ihrer besonderen Frustrationen zu Tage: ihre Nachbarin, eine Migrantin mit zwei Kindern erhalte, ohne zu arbeiten auch 1500 Euro im Monat. Ich wunderte mich nicht, wenn meine Gesprächspartnerin FPÖ wählte.

Das Beispiel wirft etliche Fragen auf. Erstens: Man zahlt für die Stunde Zahnhygiene 140 Euro – warum bekommt die Zahnarztassistentin nur 17 Euro für ein Stunde, auch wenn ihr der Zahnarzt teure Geräte zur Verfügung stellt? Er, der Kapital einzusetzen vermag und selbstständiger Unternehmer ist, hat offenbar einen gewaltigen Einkommensvorteil. Zweitens: es ist grotesk, dass man für die simple Tätigkeit in einer Tankstelle mehr verdienten kann als für eine hochspezialisierte Tätigkeit. Drittens: Der berühmte „Fachkräftemangel“ wundert mich nicht, solange Arbeitgeber Fachkräfte so schlecht bezahlen. Und vor allem: Nicht die 1500 Euro Grundsicherung für einen Flüchtling mit zwei Kindern sind zu viel, sondern 1500 Euro für eine hoch spezialisierte Arbeit sind viel zu wenig.

Sie entsprechen einer grundsätzlichen Entwicklung, die seit rund fünf Jahrzehnten in Europa wie in den USA stattfindet: das oberste Prozent der Bevölkerung verdient sagenhaft, zehn Prozent verdienen sehr gut -die untersten 25 Prozent verdienen miserabel. Die Lohnentwicklung für Österreich im Zeitablauf: Die Lohnquote ist zwischen 1976 und 2008 von 75 auf 25 Prozent gefallen, die Gewinnquote von 25 auf 42 Prozent gestiegen. Die Finanzkrise brachte 2008 eine befristete Unterbrechung dieses Trends -seither setzte er sich als Konsequenz neoliberalen Wirtschaftens kontinuierlich fort. Wir erleben die Ära eines neuen Feudalismus die 1980 mit Ronald Reagan begann. Davor gab es in den USA eine Erbschaftssteuer von 80 Prozent und die Progression der Einkommensteuer reichte bis 90 Prozent. Inzwischen wird Nachlass in den USA bis 40 Prozent besteuert, die Einkommens-Progression endet bei 39,6 Prozent- bei uns endet sie bei 55 Prozent, aber es gibt keine Erbschaftsteuer und auch alle anderen vermögensbezogenen Steuern sind bekanntlich für die ÖVP und groteskerwiese auch für die FPÖ, deren Sorge angeblich dem kleinen Mann gilt, des Teufels: Ihr Anteil am BIP beträgt 0,63 Prozent und ist damit der geringste der entwickelten Welt– in den USA liegt er bei 3,22 Prozent. Wir besteuern Arbeit besonders hoch -Vermögen besonders niedrig. Wie heftig ÖVP, aber auch Neos diese Besonderheit verteidigen, haben die Regierungsverhandlungen gezeigt. Auch im Moment sind Arbeitnehmer besonders schlecht dran: Zu den 6,4 Milliarden des Sparpakets 2025, das uns die EU absurder Weise auferlegt, tragen Haushalte mehr als das Doppelte von Unternehmen bei.

Seit Jahrzehnten haben wir es so mit einer sozialen Schicht von rund 25 Prozent zu tun, deren Einkommen real ständig gesunken, statt gestiegen ist, und deren Angehörige noch dazu immer wieder Gefahr laufen, den Job, den sie gerade innehaben, zu verlieren. Dass diese Menschen beträchtliche Ressentiments gegenüber der herrschenden Politik haben und sie abwählen wollen, ist verständlich. Dass ihre Ressentiments ausgerechnet der FPÖ zugutekommen, die sie steuerlich ganz besonders benachteiligte, liegt teils an mangelnder Bildung, teils an unzureichender Berichterstattung, vor allem aber daran, dass Parteien wie ÖVP und Neos der gleichen falschen Wirtschaftsphilosophie anhängen: Wenn sie als angebliche Wirtschaftsparteien vermögensbezogene Steuern als No-Go betrachten – wie soll es der „kleine Mann“ dann bei der FPÖ für falsch halten?

Die Katastrophe ist, dass die Wirtschaftspolitik der EU-Kommission den Lohnverfall der Unterschicht mehrfach begünstigt: Sparen des Staates lässt das BIP pro Kopf seit 2000 weit langsamer als in den USA wachsen; die Umverteilung durch Steuern hat abgenommen, so dass die Ungleichheit steigt. Und die Kommission bestraft zwar auf absurde Weise Staaten, die zu Recht mehr Geld ausgeben, nicht aber Staaten, die, wie Deutschland, Vorteile gegenüber anderen Staaten erlangen, indem Unternehmen inadäquate Löhne bezahlen. So fördert die EU Rechts-Parteien.

 

 

6 Kommentare

  1. Das kann ich nur bestätigen. Ich beobachte schon lange, daß auch bei uns in Deutschland die Löhne und Gehälter viel zu niedrig liegen. Steigende Mieten und Lebenshaltungskosten führen auch bei mittleren Einkommen inzwischen dazu, daß Familien sich deutlich einschränken müssen. Das Modell der Erwerbsarbeit als Grundlage für ein finanziell sorgenfreies Leben gerät so zusehends in Verruf.

  2. Diesmal bin ich ganz ‚bei Ihnen‘. Und ergänze mit dem Satz: „Die Hoffnung stirbt zuletzt!“ Denn obwohl uns seit Jahrzehnten zum Thema Umverteilung das Nichtwollen oder Nichtkönnen konservativer und freiheitlicher Politiker in der Funktion des Finanzministers deutlich genug vor Augen geführt wurde, bin ich hoffnungsfroh, dass Herr Dr. Marterbauer am Ende der kommenden ’sauren Jahre‘ des wirtschaftlich erforderlichen Sparkurses nicht nur ein zufriedenstellendes und weitgehend saniertes Budget präsentieren können wird, sondern auch die SPÖ am Ende der Regierungsperiode als Gewinner hervorgehen wird, was vielleicht einen Wechsel im Kanzleramt und für die Bevölkerung einen Paradigmenwechsel im Steuerwesen bringen könnte. Wie gesagt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt!“

  3. Sehr geehrter Herr Lingens,
    Ihr Beispiel mit der Zahnarztassistentin hinkt etwas. Sie geben an, dass die Dame EUR 1.500 netto bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 22 (!!) Stunden verdient (wobei Sie nicht angeben wodurch diese kurze Arbeitszeit bedingt ist. Liegt es am Arbeitgeber oder der Arbeitnehmerin?). Jedenfalls, hochgerechnet auf die übliche Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden ergäbe das EUR 2.625 (in der Praxis vielleicht geringfügig weniger, da vermutlich ein höherer Grenzsteuersatz zum tragen kommt). Trotzdem scheint das Einkommen damit im Verhältnis zur Mindestsicherung von EUR 1.500 p.m. wieder im Lot zu sein!
    Ihren übrigen Ausführungen kann ich durchaus zustimmen.

  4. danke – genau so ist es! sie und ihre familie haben erlebt, was ich nur aus büchern und filmdokus erfahren kann – mir ist ebenfalls völlig unbegreiflich, wie man die wirtschaftlichen ursachen des faschismus ignorieren und glauben kann, dass (ultra)nationalismus jemals etwas gutes in der menschheitsgeschichte bewirkt hätte.
    der zorn der wenigverdiener ist nachvollziehbar, auch wenn deren anstand reichen sollte, zu vermeiden an einer fpö auch nur anzustreifen. 4.000,- sozialleistungen fürs nixtun gegen 1.500,- arbeitslohn wirkt natürlich verheerend, das kann kein politiker erklären und ist leider wasser auf den mühlen von kickls & co.

  5. Wenn Sie für 22 Sdt. 1.500€ Netto bekommt dann sollte sie halt 38,5 oder 40 Sdt arbeiten dann ist Sie kommt auf die Sdt. an bei ca. 2.700€ Netto
    und hat natürlich mehr als jene in Arbeitslose

  6. Sehr geehrter Hr. Lingens,
    Ihren Ausführungen kann man über weite Teile zustimmen, dennoch sind zwei ihrer Gedankengänge vielleicht ein bisschen unausgegoren: für eine fachspezifische Arbeit bei 22h/Wo lt. ihren Angaben 1500 netto zu verdienen entspricht durchaus keinem Hungerlohn. Und das, wie ihre Fachkraft moniert, man bei einer Tankstelle bei gleicher Stundenanzahl mehr verdient halte ich schlicht für eine Mär. Zudem sind dort Wochenendarbeit und zweitens viele Abendstunden inkludiert.
    Des weiteren halte ich dasselbe Einkommen auf mglw. Basis Mindestsicherung sehr wohl für durchaus überhöht. Warum? Mit diesem Einkommen kann man in Ö. bei halbwegs normalen Wohnkosten sehr wohl ein duchwegs ausgeglichenes Haushaltsbudget auch mit 2 Kindern stellen. Daher ist es aus meiner Erfahrung (arbeite im Sozialbereich) eindeutig zu hoch! Den sozialen Armutstatus MÜSSEN viele, wenn nicht sogar meisten Menschen , sozialpsychologisch spüren, um „Arbeitsmotivation“ zu bekommen. D.h. es muss in den Menschen ein Gefühl des Mangels entstehen. Es ist eine schlichte Kosten-Nutzen-Rechnung die nahezu jeder Mensch anstellt. Eine intrinsische Arbeitshaltung ist eher die Ausnahme. Noch dazu, wenn es sich um „Broterwerbjobs“ handelt. Ich empfehle Ihnen sich in Österreich bei AMS-Geschäftsstellen mehrmals (nicht nur einmal) umzusehen und nicht jede Geschichte die Ihnen so en passant erzählt wird , für bare Münze zu halten.
    Ansonsten ist Ihnen meine Leserstimme stets wohlgesonnen.
    MfG
    Magyar M.

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