Der Zollkrieg mit den USA und das Zurückbleiben des „Südens“ haben die gleiche Ursache. Die EU muss sich von der Schuldenbremse und zu niedrigen Löhnen trennen.
In den Gesprächen, die EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič mit US-Handelsminister Howard Lutnick führt, um den Zollkrieg zu beenden, hofft er sehnlich, dass das Angebot der EU, Industriegüter ganz von gegenseitigen Zöllen auszunehmen, auf Interesse stößt. 2014 hätte die EU ein ähnliches Abkommen sehr wahrscheinlich bekommen: Jean Claude Juncker verhandelte damals als Präsident der EU-Kommission lange scheinbar erfolgreich mit US-Präsident Barack Obama das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, das alle, auch landwirtschaftliche Güter und Pharmazeutika umfassen und auch für Kanada und Mexiko gelten sollte. Doch es scheiterte am massiven Widerstand Deutschlands. Zentrales Motiv der öffentlichen Ablehnung: die Sorge, dass TTIP den USA ermöglichte, in Europa „Chlorhühner“ zu verkaufen. In Österreich fuhr die Kronenzeitung dagegen eine wochenlange Kampagne: „Wir wollen kein Chlorhühner.“ Wobei sich die Diskussion durch das übliche Unwissen auszeichnete: Nicht nur hielt die EU-Behörde für Nahrungsmittelsicherheit es für unbedenklich, Hühnerfleisch mit Chlor zu desinfizieren, sondern die deutschen Behörden sagten sogar, dass die Chorbehandlung vorzuziehen sei, weil sie auch Salmonellen abtöte. Ebenfalls gegen TTIP wetterte die Geschäftsführerin von Global 2000 Leonore Gewessler, wobei ihr Widerstand sich voran gegen die vorgesehene Einrichtung eines gemeinsamen „Regulierungsrates“ richtete, der eine Harmonisierung der in den beteiligten Ländern geltenden Regulierungen herbeiführen sollte. In der Öffentlichkeit galt die Ablehnung der möglichen Zulassung von „Genmais“ und war so fundiert wie beim „Chlorhuhn“. Auch wenn TTIP nicht zustande kam, gab und gibt es allerdings kaum Zölle zwischen den beiden damals so befreundeten Blöcken: Nur US-Autos werden von der EU mit 10 Prozent Zoll belastet, während EU- Autos in den USA nur mit 2,5 Prozent belastetet sind. Heute schaffte man diesen Unterschied nur zu gerne ab, wenn man Trumps Autozölle verhindern könnte.
Darüber unbefangen zu diskutieren, ist allerdings kaum möglich, ist Trump doch der übelste frei gewählte Staatschef der Welt: dabei, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der USA zu beenden, die Ukraine Wladimir Putin zu opfern und ihm Europa auszuliefern. Und so, wie er das US-Defizit-Problem anging, hat er voran Chaos angerichtet. Dennoch gilt es zu begreifen: Kein US-Präsident wird dauerhaft akzeptieren, dass sich die USA jedes Jahr gegenüber der EU mit fast 200 Milliarden Dollar verschulden, damit die Wirtschaft der EU nicht auf Grund der Staatsschuldenbremse schrumpft.
Wir danken sie bekanntlich dem Maastricht-Vertrag, der die Staaten der EU auf Drängen Deutschlands zum Sparen verpflichtet, auch wenn das ihr Wirtschaftswachstum auf von mir hier Dutzende Male beschriebene Weise hemmen muss. Um dieses gehemmte Wachstum anzukurbeln, ging EZB-Präsident Mario Draghi contre Coeur – er betonte stets, um wieviel besser staatliche Investitionen wären – zu anhaltender Niedrigzinspolitik über. Das aber musste den Euro gegenüber dem Dollar abwerten, zumal der seiner zentralen Stellung wegen, immer besonders hoch bewertet war. Doch je stärker der Dollar ist, desto schwerer ist es für die USA, Waren zu exportieren, während die EU ihre Waren dank des schwachen Euro in den USA besonders günstig anbieten kann. Diese Währungsrelation trug entscheidend zum 200 Milliarden-Handelsbilanz Defizit der USA gegenüber der EU bei. Für ein deutsches Auto, dass ein Amerikaner 2010 um 30.000 Dollar kaufen musste, musste er 2020 nur 20.000 Dollar bezahlen.
Mehrere ökonomische Berater Trumps plädierten daher dafür, voran den Dollar abzuwerten. Wäre er ihnen gefolgt, wäre Widerstand dagegen öffentlich viel schwerer als bei „Zöllen“ gefallen. Die FED hätte nur den Zins für den Dollar massiv senken und möglichst viele Euros für Dollars kaufen müssen, wie die Schweizer Notenbank das ständig tut, um den Franken abzuwerten. Doch dem stand die gestiegene US -Inflation entgegen, die die FED zu höheren Zinsen veranlasste. Das könnte der rationale Grund gewesen sein, der Trump zu „Zöllen“ greifen ließ – der andere ist seine Vorliebe für kriegerische Ultimaten.
Maroš Šefčovič wird bei seinen Verhandlungen nur Erfolg haben, wenn die EU dennoch begreift, dass sie aktiv zum Abbau des US-Defizits beitragen muss. Deutschlands designierter Kanzler Friedrich Merz begreift es leider in keiner Weise: Er meint bekanntlich, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit steigern müsse, obwohl es gegenüber den USA jedes Jahr einen Überschuss von 80 Milliarden Dollar erzielt. So wie er nicht begreift, dass es ein Problem ist, dass Deutschland auch im Handel mit allen EU-Staaten ständig Überschüsse erzielt: Er ist überzeugt, dass Deutsche eben besser wirtschaften und dass die aktuelle Rezession nur ein Betriebsunfall ist, den er beheben muss. In Wirklichkeit gilt, was das US-Finanzdepartment Deutschland vorwirft: Es hat seine Löhne zu Gunsten seiner Wettbewerbsfähigkeit und zu Lasten der Kaufkraft der Bevölkerung gesenkt. Dabei fordert das Regelwerk der EU eigentlich, dass es keine dauerhaften Überschüsse eines Landes geben soll. Die EU wird erst dann ohne Zurückbleiben des „Südens“ funktionieren und Auseinandersetzungen mit den USA vermeiden können, wenn sie sie diese Regel durchsetzt und wenn die Schuldenbremse für alle Ausgaben des Staates Vergangenheit ist.
4 Kommentare
Danke! Wieder einmal. Ihr Buch „Zeitzeuge eines Jahrhunderts“ liegt in der SPÖ und in den Schulen ja hoffentlich überall auf, um zum Beispiel zum Thema „Soziale Medien“(Seite 354) hineinzulesen. Oder sich ein Update über Kreisky, Androsch, bedeutende Frauen, Portisch, Parteien, Antisemitismus, Medien gestern und heute, wirtschaftliche Abenteuer, die aktuelle Weltlage oder einfach ein Lesevergnügen zu holen. Für mich als Immer-schon-gerne-Leser war und ist es ein hochspannendes Buch. Egal, auf welcher Seite ich „nur kurz“ (Vorsatz) reinschaue. Bis ich dann wieder auf die Uhr schaue und staune, über den Begriff „Zeit“ … (Dazu und zu meiner Lebenserfahrung passt: ich bekam das Buch, das ich mir ja kaufen wollte, geschenkt, von einem Freund seit zig Jahren, der den „Roten“, ähem, nicht eben positiv gegenüberstand. Hat sich aber schon etwas normalisiert, je mehr er altersbedingt Hilfestellungen des sozialen Wien – die in Österreich hoffentlich wirklich allen zur Verfügung stehen – gerne in Anspruch nahm.)
Die EU wird zerfallen, wenn noch länger demokratische Werte mit Füßen getreten werden. Wahlen werden ignoriert, Kandidaten mit dubiosen Vorwänden einer Kandidatur beraubt. Unglaubliche Geldsummen für Gentherapien und Waffenbeschaffungen bereitgestellt. Die Grenzöffnung für Islamisten und Sozialschmarotzer leistet auch seinen Beitrag für den wissenschaftlichen und sozialen Zerfall Europas. Unsere Politikmarionetten haben bald ausgedient. Auftrag erfüllt.
Die volkswirtschaftliche Betrachtung des Problems ist sicherlich die maßgebliche, man sollte aber auch die betriebswirtschaftliche Betrachtung überlegen. Trump sieht nur die betriebswirtschaftliche Betrachtung.
Betriebswirtschaftlich betrachtet ist die Leistungsbilanz einer Volkswirtschaft (Handel + Dienstleistungen + Transfers) der ‚cross-border cash-flow from operations‘. Die Bilanz der Volkswirtschaft ist die ‚net international investment position‘. Die USA haben seit Jahrzehnten einen negativen ‚cash-flow from operations‘, d. h. ein Leistungsbilanzdefizit, das mittlerweile jährlich 1.000 Mrd. Dollar übersteigt (eine US trillion oder eine europäische Billion). In diesem Ausmaß erhöht sich also jährlich die ‚net international investment position‘, allerdings sind es dort die Verbindlichkeiten (Schulden gegenüber dem Ausland), die sich erhöhen und derzeit bei 26.000 Mrd. Dollar liegen. Die USA, einst der größte Kreditgeber der Welt, sind seit Jahrzehnten der größte Schuldner der Welt (Trump: „They took away our wealth!“).
Ein Leistungsbilanzdefizit ist – betriebswirtschaftlich betrachtet – ein Vermögenstransfer ins Ausland; inländische Vermögenswerte gehen in ausländischen Besitz und die Renditen darauf werden ins Ausland bezahlt und belasten die Leistungsbilanz noch mehr. Außerdem – und das ist Trump’s zweiter wunde Punkt – Leistungsbilanzdefizite sind gewissermaßen ein „cross-border deficit spending“ seitens der USA zu Gunsten des Restes der Welt. Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand wären im Rest der Welt ohne das US Leistungsbilanzdefizit niedriger.
Ökonomen sind durch obige Entwicklung nicht übermäßig beunruhigt, weil es für sie eine natürliche Konsequenz der Globalisierung ist. Allerdings muß man Trump recht geben, dass dadurch die USA – betriebswirtschaftlich betrachtet – jedes Jahr ‚ärmer‘ werden. Ein globales System, dass auf derartigen Ungleichgewichten aufbaut, wird auf Dauer wohl nicht stabil bleiben. Eine globale Wirtschaft, wo Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand im Rest der Welt übermäßig davon abhängen, dass sich die größte Volkswirtschaft quasi grenzenlos verschuldet (und wegen des USD auch verschulden kann), ist auf Dauer wohl nicht stabil.
Trump möchte das Problem mit bilateralen Drohungen und Erpressung reformieren. Das wird wohl nicht funktionieren und zerstört auch den Ruf der USA. Mögliche Lösungen müssten in einem globalen Forum diskutiert und verhandelt werden. Ein neues „Bretton Woods“ würde angebracht erscheinen.
Herr Klaus Kastner, danke für die wertvolle Analyse. Ich denke Trump wird Erfolg haben die amerikanische Wertschöpfung zu verbessern. Unendliche Diskussionsrunden werwässern nur den Inhalt. Russland war durch die Sanktionen auch gezwungen die eigene Leistungsbilanz zu verbessern. Not macht erfinderisch.