Die Ukraine braucht die EU gegen Trump

Die EU erweist sich bei der Unterstützung der Ukraine überraschend als verlässlicher als die USA.

Ursula von der Leyen vermochte ihr Versprechen eines 50 Milliarden-Kredits an das überfallene Land letzte Woche bekanntlich einzuhalten, wobei es vor allem sie ist, der das Verdienst dafür zukommt: Sie konnte 26 EU-Staaten davon überzeugen, diesen Kredit zur Not nicht als EU, sondern als lose Staatengemeinschaft aufzunehmen und Victor Orban, der die Vergabe durch die EU mit seinem Veto blockierte, auf diese Weise zu isolieren. Vermutlich tatsächlich ohne finanzielle Gegenleistung rückte er plötzlich innerhalb weniger Stunden von seinem Veto ab.

Damit hat die Ukraine zumindest das Geld, den Staatsbetrieb aufrecht zu erhalten.

Denn Joe Biden konnte sein Versprechen eines 70 Milliarden Dollar Kredits nicht einhalten: Die Republikaner, die schon beinahe einem Kompromisspaket zugestimmt hatten, wonach die Ukraine-Hilfe mit beträchtlichem Mehraufwand für die Sicherung der Grenze zu Mexiko und einer Erschwernis der Zuwanderung gekoppelt war, ließen diesen Kompromiss im letzten Moment platzen, nachdem Donald Trump seine engsten Getreuen entsprechend instruiert hatte: Für ihn ist der immer heftigere Zustrom  von Wirtschaftsflüchtlingen über die mexikanische Grenze das wichtigste Argument im Wahlkampf gegen Joe Biden. Er will die Grenze im Moment nicht besser kontrolliert wissen, um dieses Argument nicht zu verlieren. Tatsächlich ist die immer massivere Zuwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen aus den armen Staaten Mittelamerikas für die USA ein mindestens so großes Problem wie die massive Zuwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen aus Afrika, Pakistan oder Afghanistan für uns. Die US- Bevölkerung befürchtet die Konkurrenz billiger Arbeitskräfte und natürlich lassen sich die Zuwanderer aus Guatemala oder Mexiko genauso als Kriminelle, voran Drogendealer diffamieren.

Gleichzeitig hat Trump die Unterstützung der Ukraine schon zuvor als zu teuer und nicht im nationalen Interesse abgelehnt, hat damit aber bei einer Reihe von Republikanern nicht den erhofften Erfolg gehabt, weil die in Wladimir Putin sehr wohl einen Gegner sehen. Das Platzen des Hilfspakets hat gezeigt, dass Trump seine Interessen letztlich auch gegen Widerstand durchzusetzen vermag.

Die Ukraine wird bis zu den Wahlen im November kein amerikanisches Geld erhalten, und sollte Trump diese Wahlen gewinnen, sicher auch danach keines mehr. Nur die EU ist dann noch in der Lage, die Niederlage der Ukraine zu verhindern. Wirtschaftlich möglich ist das – aber sie muss es entschlossen in Angriff nehmen.

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Wenn der Mörder seinen Mord untersucht

Wladimir Putin liefert derzeit eindrückliche Beweise seiner Glaubwürdigkeit:

Anfang der Woche erklärte er, dass auch er sich wie die Europäer einen Sieg Joe Bidens bei den Präsidentschaftswahlen der USA wünscht und soeben ordnete er an, den Tod des Regimekritikers von Alexej Nawalny im Straflager bei der Gefängnisverwaltung zu untersuchen.

Die EU erklärte, dass Russland zahlreiche Fragen zu beantworten hätte. Ich gehe davon aus, dass Putin sie demnächst geben wird: Alle Bemühungen der Ärzte hätten den Tod Nawalnys durch einen Herzinfarkt leider nicht verhindern können.

In Russland wird das von der Bevölkerung kaum anders hingenommen werden als Putins Behauptung, er habe eine „Spezialoperation“ in Gang setzen müssen, um die Ukraine von der Nazi-Diktatur des Juden Wolodymyr Selenskyj zu befreien und sein Land vor einem Angriff der NATO zu schützen.

In Österreich wollen derzeit laut Umfrage 30 Prozent der Wähler für eine Partei stimmen, die Sanktionen gegen Wladimir Putin ablehnt und einen Freundschaftspakt mit seiner Partei geschlossen hatte. Alexander Van der Bellen meint immer wieder, dass wir „nicht so sind“ wie man meinen könnte- ich fürchte, dass wir zu einem verdammt großen Teil sehr wohl so sind.

 

 

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Ahnungslos in der Sendung “Im Zentrum”

Die ORF Sendung “Im Zentrum” am vergangenen Sonntag war in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Die ÖVP scheint absolut entschlossen, die einzige realistische Möglichkeit, die Steuern auf Arbeit zu senken indem man diese Senkung durch erhöhte Vermögenssteuern gegenfinanziert, auszuschließen.

Die Dummheit der dabei vorgebrachten Argumente übersteigt alles, was sie bisher zu diesem Thema vorgebracht hat – etwa, dass der erzielbare Ertrag den Aufwand nicht lohnt. So krönte VP-Generalsekretär Christian Stocker die ahnungslose Behauptung, dass höhere Vermögensteuern, wie sie die USA oder die Schweiz vorweisen, der „linken Mottenkiste“ entstammen, mit der grotesken Behauptung, dass sie Reiche und Leistungsträger aus Österreich vertrieben, obwohl sie niedrigere Vermögenssteuern nur noch in der Slowakei fänden, und obwohl USA oder die Schweiz sich ja wahrhaftig nicht dadurch auszeichnen, dass Reiche und Leistungsträger diese Länder fluchtartig verlassen.

Die einzige, die in dieser Sendung ökonomische Kenntnisse verriet und verständlich “kapitalistisch“ zu argumentieren wusste, warum höhere Vermögensteuern Sinn machen war ausgerechnet die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. Von Beate Meinl- Reisinger hatte ich mir aus früheren Äußerungen – wenn die höheren Vermögenssteuern zu niedrigeren Einkommenssteuern führen, könne man darüber reden – eigentlich auch ein gewisse ökonomisches Verständnis erwartet, aber „Im Zentrum“ strafte sie mich Lügen. Außer dass alle Parteien mit Ausnahme der Neos unehrlich wären, fiel ihr nichts ein. Das hat mich deshalb so bekümmert, weil ich sie ob ihrer Ehrlichkeit tatsächlich besonders schätze und vor allem bewundere, wie offen sie Österreichs teuren Föderalismus kritisiert, dass sie einsam wagt, an Österreichs überholten Neutralität zu zweifeln und nicht zuletzt, dass die Neos ebenso einsam für eine EU-Armee eintreten.

PS: Mit Marianne Engelhardt habe ich in meinen Kommentar der Vorwoche natürlich Marlene Engelhorn. gemeint.

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Die ökonomische Ahnungslosigkeit der ÖVP

Die EZB ortet in Österreich „extreme Vermögenskonzentration“. Die ÖVP ordnet Vermögensteuern der „linken Mottenkiste“ zu. Die Schweiz reduziert mit ihnen die Lohnsteuern

Zwei Ereignisse haben die Diskussion über Vermögenssteuern aktualisiert:

  • Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) belegten erneut Österreichs extreme Vermögenskonzentration: Die reichsten 5 Prozent besitzen mehr als die Hälfte allen Vermögens. Dennoch liegen wir bei den Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern unter 38 OECD-Staaten an fünftletzter Stelle: Nur 1,5 Prozent des Steueraufkommens stammen aus ihnen – gegenüber 5,6 Prozent im Schnitt der OECD.
  • und Marlene Engelhardt überließ einem, der Gesellschaft Österreichs nachgebildeten Gremium tatsächlich 25 Millionen Euro ihres Erbes zur Verteilung, um zu demonstrieren, wie ungerecht es sei, dass sie dieses Gel ohne die geringste Leistung erhielt.

Mir wäre lieber gewesen, sie hätte wie das SPÖ-Modell vorsieht, 1,5 Millionen für sich behalten, denn die Österreicher hätten sich dann eher damit identifiziert: Vermögenssteuern verlangen von der überwältigen Mehrheit keineswegs Selbstlosigkeit – bringen aber größten ökonomischen Profit. Stattdessen identifizieren sie sich mehrheitlich mit dem Generalsekretär der angeblichen Wirtschaftspartei ÖVP, Christian Stocker, der behauptete, dass Vermögenssteuern „aus der linken Mottenkiste“ stammten.

Bisher haben VP- Granden nur behauptet, dass Vermögenssteuern nichts einbrächten, so absurd das angesichts der EZB- Daten auch ist. Aber Stocker krönte die schwarze Ahnungslosigkeit: Während Österreich dank der ökonomischen Weisheit der ÖVP nur 1,5 Prozent seines Steueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern bezieht, sind es in der „linken“ Schweiz 7,7 und in den „linkslinken“ USA gar 11,4 Prozent. Einziger Vorteil dieser für Stocker offenbar schwachsinnigen linken Steuerpolitik: Diese Staaten besteuern Arbeit vergleichsweise niedrig und weisen ein besonders hohes Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf, obwohl (in Wahrheit weil) vermögensbezogene Steuern in den USA volle 3,5 Prozent des BIP ausmachen.

Jedenfalls ist die besondere Wirtschaftsfreundlichkeit vermögensbezogener Steuern der Grund dafür, dass OECD, IWF oder Wirtschaftsforschungsinstitut Österreich seit Jahren raten, seine vermögensbezogenen Steuern zu erhöhen und die Steuern auf Arbeit zu senken.

Dass ich lieber von „vermögensbezogenen“ Steuern schreibe, liegt daran, dass „Vermögenssteuer“ in der Einzahl eine Steuer bezeichnet, die jedes Vermögen bis hin zur Briefmarkensammlung besteuert und die es meines Wissens nur mehr in der Schweiz gibt, weil die Ehrlichkeit der Bürger den Verwaltungsaufwand begrenzt. Das hat die ÖVP nie gehindert, missverständlich zu behaupten, dass es ja kaum mehr Vermögenssteuern gäbe und dass der rote Finanzminister Ferdinand Lacina sie bei uns abgeschafft hätte. In Wirklichkeit lehnte Lacina nur das Schweizer Modell ab und die Erbschaftssteuer endete mit einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs, der es gleichheitswidrig befand, dass jemand, der ein Grundstück im Verkehrswert von einer Million Euro erbte, ungleich weniger Steuer bezahlen musste, als jemand, der diese Million in bar erbte, weil Grundstücke gemäß ihrem „Einheitswert“ bewertet werden, obwohl der mittlerweile zehnmal niedriger als ihr Verkehrswert ist. Allerdings trug der VfGH der Regierung auf, diesen Fehler zu beheben und setzte dafür eine Frist. Die verstrich, weil die ÖVP zu keiner Reparatur bereit war. Seither haben wir keine Erbschaftsteuer mehr und weiterhin nur eine lächerliche Grundsteuer, während sie in den meisten Staaten die wichtigste vermögensbezogene Steuer ist. Dass sie bei uns so niedrig ist, ist einmal mehr ökonomisch von Nachteil: es ermöglicht, Grundstücke zu horten, während man sie in den USA schnellstens verkaufen oder verbauen muss.

Der entscheidende Vorteil höherer vermögensbezogener Steuern ist freilich, dass sie niedrigere Lohn- und Einkommenssteuern erlaubten, die der überwältigenden Mehrheit zu Gute kommen, die Arbeitskosten der Unternehmen senken und die Beschäftigung erhöhen. Einziger winziger Vorteil extrem niedriger Vermögenssteuern: Sie führten dazu, dass einige Superreiche zu Österreichern wurden und hier voran Grundstücke kauften. Das entzieht, wie jede Steueroase ihrem Herkunftsland, meist Deutschland, Steuern, ohne unser Steueraufkommen sonderlich zu erhöhen, weil unsere Grundsteuer ja extrem niedrig ist. Ansonsten investieren sie bei uns so viel oder so wenig wie zuvor. Nur Parteispenden an die ÖVP sind für sie eine beinahe zwingende Investition.

Der SPÖ oder den Grünen ist der verteilungspolitische Vorteil Vermögensbezogener Steuern zwar klar – ihre spezifischen ökomischen Vorteile betonen sie meines Erachtens aber viel zu wenig. Sie haben diese Steuern immer nur allgemein gefordert, statt zu trommeln, dass sie die Steuern auf Arbeit entsprechend senken werden. Dabei wäre der Grüne Werner Kogler als Ökonom dafür prädestiniert gewesen – nur koaliert er leider mit der ÖVP.

Auch NEOS- Chefin Beate Meinl -Reisinger schien mir den Vorteil des Abtauschs höherer Vermögenssteuern gegen niedrigere Einkommenssteuern zu verstehen – jedenfalls hat sie sich einmal dahingehend geäußert. Jüngst allerdings hat auch sie wieder „Nein“ zu Vermögensteuern gesagt. Sollte das darauf beruhen, dass ihr Wirtschaftssprecher sie zurückgepfiffen hat, so versteht er von Wirtschaft so wenig wie Christian Stocker oder Herbert Kickl für den Vermögenssteuern auch nicht in Frage kommen.

 

 

 

 

 

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Kein gutes Neues Jahr für die Welt

Wladimir Putin schafft 2024 das größte Blutbad seit Adolf Hitler. Der Welt droht das Comeback Donald Trumps und Österreich ein Kanzler Herbert Kickl

Es fällt schwer, dem neuen Jahr optimistisch entgegenzusehen. Bisher verantwortete Iraks Saddam Hussein bei seinem Überfall auf den Iran mit geschätzten fünfhunderttausend Kriegstoten das größte Blutbad seit Adolf Hitler – 2024 wird ihn Wladimir Putin in der Ukraine um Leichenberge übertreffen. Und sollte Donald Trump tatsächlich wieder zum Präsidenten der USA gewählt werden, so hören nicht nur sie auf, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein, sondern alle halbwegs demokratischen Staaten verlieren die weltstärkste Armee als sicheren oder zumindest denkbaren Schutz vor den Diktaturen Russlands, China und des Iran.

Für die Ukraine bedeutete ein Wahlsieg Donald Trumps die fast sichere Niederlage: Reduziert auf die Unterstützung der EU, die Viktor Orban jederzeit torpedieren kann, hielte sie Russlands Übermacht kaum weiter stand. Nur, dass Putin riesige Truppen brauchte, um das riesige Land unter Kontrolle zu halten, hindert ihn vielleicht, sofort Georgien zu kassieren und in Moldawien vorzustoßen. Ein Nato-Land griffe er meines Erachtens nicht an, weil ich nicht glaube, dass Trump die Nato tatsächlich auflöste, wenn sie die USA nichts kostet. Am ehesten lockerte er freilich die Beistandspflicht, was gefährlich genug wäre. Entgegen stünde dem, dass sichere Verbündete in der Konfrontation mit China auch für Trump von Vorteil sind – aber denkt er so weit?

Anders als die Ukraine profitierte Israel von Trumps Sieg: Der unterstütze, was immer es im Westjordanland und in Gaza täte. Ein Rechtsstaat blieb es dann kaum und auch einen Flächenbrand in Nahost schlösse ich nicht völlig aus.

Ich glaube, dass es nötig ist, so weit in die Zukunft zu spekulieren, weil Umfragen Trump derzeit in 5 von 6 der bisher stets wahlentscheidenden Swing-States vor Joe Biden sehen, auch wenn ich hoffe, dass die gute Wirtschaftslage und der insgeheime Widerstand der Frauen gegen die Abtreibungsgesetze der Republikaner diese Umfragen Lügen strafen.

Was wird aus Kickl?

In Österreich wird die Umfrage-Führung der FPÖ so gut wie sicher in ihren Wahlsieg münden, zumal die Rezession, die uns die Geldpolitik der EZB bescherte, Herbert Kickl weiter Stoff für wüste Kritik liefern wird, obwohl diese Regierung dafür keinerlei Verantwortung trägt.

Allerdings bleibe ich zuversichtlich, dass Kickl keinen Partner findet, um tatsächlich zu regieren, selbst wenn die ÖVP sich von Karl Nehammer trennt. Zum einen, weil ihr christlich-sozialer Flügel nicht völlig abgedankt hat, zum anderen, weil ihr auch ein Kanzler Andreas Babler das Finanzministerium überließe und weil mir ihre Chance, Babler dereinst durch einen schwarzen Kanzler abzulösen, größer scheint als die Chance auf die Ablöse Kickls, wenn der sich etabliert hat.

Ich rechne daher relativ fest mit einer Koalition aus SPÖ, ÖVP und NEOS oder Grünen, denn eine rote Minderheitsregierung zu dulden hat die ÖVP keinen Anlass und Kickl dürfte Babler kaum die Chance einräumen, die Friedrich Peter Bruno Kreisky eingeräumt hat. Denn Kickls größte Chance besteht darin, fünf Jahre zuzuwarten, um dann allein zu regieren – das wünschen auch seine Wähler.

Deshalb muss die wahrscheinliche Dreierkoalition unbedingt begreifen, dass sie sich augenscheinlich bewähren muss, wenn sie Kickl = Österreichs Orbanisierung nachhaltig verhindern will. Dazu ist unverzichtbar, dass die beteiligten Parteichefs ein brauchbares Verhältnis zueinander haben. Babler hat mittlerweile begriffen, dass er politische Profis zu seiner Unterstützung braucht – vielleicht begreift er auch, wie kontraproduktiv es ist, wenn er Karl Nehammer im Einklang mit Kickl beschimpft: Er treibt damit nur Wähler zur FPÖ.

Bei der Frage, welche wesentliche wirtschaftliche Verbesserung die künftige Koalition bewirken könnte, drängt sich auf, endlich, wie von OECD, IWF oder WIFO-Steuerexpertin Margit Schratzenstaller und allen einigermaßen kundigen Ökonomen seit langem gefordert, die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß zu senken, in dem man die Steuern auf Vermögen auf ein Mittelmaß anhebt. Für Babler ist die Forderung nach höheren Vermögenssteuern bekanntlich Wahlprogramm und eine Erbschaftssteuer mit hohen Freigrenzen erfüllte es am einfachsten. Nur darf er keine Zweifel lassen, dass er die Steuern auf Arbeit im gleichen Ausmaß senkt, denn dann hat er nicht nur Grünen-Chef Werner Kogler, sondern auch Neos-Chefin Beate Meinl Reisinger auf seiner Seite und macht es der ÖVP um Vieles schwerer, bei ihrem sturen „Nein“ zu bleiben.

Die ÖVP ist leider Gefangene ihrer speziellen Klientel von Superreichen und Großspendern, die natürlich vorzieht in einem Land zu leben, das nach Mexiko und der Slowakei die niedrigsten Vermögenssteuern der Welt hat – aber die Gruppe derer, die von niedrigeren Steuern auf Arbeit profitierten, ist natürlich auch unter VP- Wählern die viel größere – sie hat nur anders als die Superreichen keine Lobby. Deshalb muss es Babler, Meinl Reisinger und Kogler gelingen, der ÖVP klarzumachen, dass sie in dieser Frage die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hat und dass das in der jüngsten Umfrage schon offenbar so war. Bei Finanzminister Magnus Brunner sollten auch Gespräche mit Margit Schratzenstaller helfen und selbst bei Karl Nehammer gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass er erkennt, dass hohe Steuern auf Arbeit die Wirtschaft mehr belasten als durchschnittliche Steuern auf Vermögen

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Trumps Chancen steigen – die EU sieht zu

Der Ex-Präsident liegt in 5 von 6 Swing-States klar vor Biden. Seine Zweifel an der Nato sind amtsbekannt. Dennoch baut die EU keine eigene Streitmacht auf.  

Mit meiner Sorge konfrontiert, dass Donald Trump 2024 gewählt werden könnte, weil man sich seines wirtschaftlichen Erfolgs erinnert, haben mir amerikanische Freunde noch im Vorjahr versichert, dass das ausgeschlossen sei – heute sind sie ähnlich besorgt wie ich: Folgt man den aktuellen Umfragen, muss man Trumps Wiederwahl für wahrscheinlicher als die Joe Bidens halten. In fünf der sechs “Swing-States”, deren Resultate bekanntlich meist wahlentscheidend sind, liegt Trump vor Biden, in vieren um volle neun Prozent – in einem einzigen Staat, Wisconsin, ist Biden zwei Prozent vorne. Dabei hat er 2020 alle diese Staaten gewonnen, aber seine Popularität ist regelrecht abgestürzt: Laut einer Umfrage der Analyse-Website FiveThirtyEight  sind 55,8 Prozent der Wähler nicht mit seiner Arbeit zufrieden, nur 37 Prozent unterstützen ihn. Auch die bundesweite Umfrage des Wall Street Journal sieht Biden daher mit 43 Prozent um 4 Prozent hinter Trump. In Summe sind es die schlechtesten Daten eines zur Wiederwahl antretenden Präsidenten.

Größten Anteil daran hat eine Emotion: Die Meinung, dass Biden zu alt für sein Amt sei. Gelegentliche sprachliche Aussetzer – “Good save the Queen”- haben dazu ebenso beigetragen wie sein peinliches Bemühen, rasch zu gehen. Dabei zeigen gerade seine Äußerungen zum Gaza-Konflikt, dass er seiner Aufgabe intellektuell durchaus gewachsen ist – aber das sehen nur Politik- Interessierte, die ihn sowieso wählen. Obwohl die USA (wie freilich schon unter Trump) alle wirtschaftlichen Krisen ungleich besser als die EU gemeistert haben – der Abstand zueinander hat sich seit 2008 verdreifacht – gereicht auch die wirtschaftliche Entwicklung Biden nicht zum Vorteil: Trump, das wurde in Europas Medien oft negiert, hat keine schlechte Wirtschaftspolitik gemacht, auch wenn er die Steuern Superreicher zu drastisch gesenkt hat – denn er hat auch die Steuern von Unternehmen und Mittelstand gesenkt, und seine Schutzzölle gegen chinesischen Billigstahl wurden von Arbeitern als hilfreich wahrgenommen. Auch wenn Biden sie jetzt durch Protektionismus ersetzt, muss der zughörige Erfolg erst in Zahlen sichtbar werden – zumindest ist das meine Hoffnung.

Denn so wie 2020 die Pandemie, für die er nichts konnte, die gute Wirtschaftsbilanz Trumps verhagelt hat, verhagelt bisher die Inflation, für die er nichts kann, die gute Wirtschaftsbilanz Bidens. Auch in den USA hat sie eine große Zahl Unzufriedener geschaffen, und die Zinserhöhungen, mit denen die FED sie bekämpft, verhindern einen Boom, auch wenn sie, anders als die Zinserhöhungen der EZB wahrscheinlich berechtigt sind. Selbst dass die USA auf einem entscheidenden Gebiet, der Digitalisierung, weit besser als die EU dastehen, kehrt sich im Moment gegen Biden: Es schafft zunehmend Arbeitslose unter ungebildeten sozial Schwachen, die sonst seine Wähler wären.

Im demokratischen Lager tröstet man sich über die katastrophalen Umfragedaten, indem man betont, dass es Momentaufnahmen sind, und dass Umfragen vielleicht voran von Menschen beantwortet werden, die etwas auszusetzen haben, 0bwohl das qualifizierte Umfragen vermeiden. Zudem hofft man wie ich, dass voran Frauen sich wegen der Abtreibungsgesetze in der Wahlkabine doch gegen die Republikaner entscheiden werden und dass das in den Umfragen nicht voll zu Tage tritt. Nur hat auch Trump dieses Risiko begriffen und hütet sich, sich als Abtreibungsgegner zu outen. Obwohl ich unverändert hoffe mich zu irren, muss man einen Wahlsieg Trumps selbst als Optimist derzeit für mindestens so wahrscheinlich wie einen Wahlsieg Bidens halten: Faschistoide USA sind eine reale Gefahr. Denn dass Strafprozesse Trump stoppen bezweifle ich: Im Amerika der Gegenwart werden sie von seinen Wählern nur als Hexenjagt gegen ihn  wahrgenommen.

Leider überdenken die Demokraten die Kandidatur Bidens trotz der miserablen Umfragedaten in keiner Weise. Sie erinnern mich damit stark an die Europäer, die ihre Sicherheitspolitik nicht überdenken: Zwar kann man natürlich hoffen, dass die Nato ein unverändert starkes Schutzschild bleibt – aber man muss sich doch zumindest in Betracht ziehen, das sich das mit Trumps Wiederwahl dramatisch ändert. Schließlich hat er schon bisher nie Zweifel daran gelassen, dass ihm die Verteidigung Europas keine Herzensangelegenheit ist. So wird er den Krieg in der Ukraine mit größter Wahrscheinlichkeit binnen eines Tages beenden: er wird sie Putin überlassen. Dass er die Verpflichtungen der Nato in Europa einhält, ist zwar wahrscheinlich, aber es für sicher zu halten, ist fahrlässig. Ich kann nicht verstehen, dass man sich in der EU so gar nicht mit der Möglichkeit auseinandersetzt, dass Europa Trump keine toten US-Soldaten wert sein könnte. Dass man nicht einmal daran denkt, eine ernsthafte eigene Streitmacht aufzubauen. Es stehen ja in den nationalen Armeen der EU rund 600.000 Mann unter Waffen. Es gibt nur keine gemeinsame Militärindustrie, keine gegenseitige Abstimmung der Truppen aufeinander und vor allem keine gemeinsame Befehlsstruktur. Das alles kann man sehr wohl schaffen, ohne die Nato zu damit zu konkurrenzieren. Besteht sie wie bisher, so wäre diese Streitmacht eben ein adäquater Partner der Armeen der USA oder Kanadas. Ökonomisch wäre das kein Problem: Die Militärausgaben bedingen einen Teil der ökonomischen Vorsprungs der USA.

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Eine VP-interne Vision von Kanzler Kickl

Die ÖVP könnte Nehammer nach Brüssel wegloben und jemanden an ihre Spitze hieven, der Blau-Türkis für stimmiger als Rot-schwarz- grün/pink hält. Die SPÖ befördert das.

Bisher habe ich die Horrorvision, dass Herbert Kickl 2024 “Volkskanzler” wird, damit zur Seite geschoben, dass mir ausgeschlossen schien, dass Karl Nehammer ihn dazu macht, hat er doch denkbar eindringlich erklärt, dass das für ihn nicht in Frage kommt. Denn obwohl er sich schützend vor Wolfgang Sobotka stellt, halte ich ihn für einen anständigen Menschen: Was soll er tun, wenn der nicht geht? Dass es ihm  nicht und nicht gelingt, die ÖVP wenigstens ein Stück aus ihrem Umfragetief herauszuführen, lässt mich allerdings, je länger es andauert, eine Entwicklung für möglich halten, die mir ein intimer Kenner der ÖVP  so beschrieb: Nehammer wird die Wahlschlappe, der die ÖVP entgegengeht, nicht verantworten wollen; mit Österreichs Anspruch auf einen Kommissar in Brüssel böte sich ihm eine Alternative; massive Kräfte (auch Landeshauptleute)innerhalb der ÖVP planten daher, ihn dorthin weg zu loben und jemanden an die Spitze der Partei zu hieven, für den es ein Aufstieg und  kein Problem wäre, Vizekanzler(in) einer blau-türkisen Regierung zu sein. Zwar müssten die schwarzen Landeshauptleute damit einen Kanzler Herbert Kickl akzeptieren, aber da alles dafür spreche, dass sie andernfalls einen Kanzler Andreas Babler akzeptieren müssten, sei ihnen Ersterer lieber. Denn leider sei die innere Übereistimmung mit der FPÖ, die man unter Sebastian Kurz erlebt hat, viel größer als mit der SPÖ. Zudem kann die ÖVP in der möglichen Zweierkoalition mit der FPÖ weit mehr Ministerien für sich fordern als in einer Dreierkoalition mit SPÖ und Grünen oder Neos. Viele Funktionäre hielten das blau-türkise Bündnis daher leider für stimmig und erfolgversprechender. Ich habe eingewendet, dass Tirols Anton Mattle oder Vorarlbergs Markus Wallner das schwerlich so sehen und dass die FPÖ zwar grundsätzlich national, wirtschaftlich aber eher sozialistisch ticke, aber mein Gesprächspartner sah in Mattle und Wallner “leider Leichtgewichte” und wirtschaftlich, so sei man in der ÖVP überzeugt, würde sie das Sagen haben.

Nicht, dass ich den blau-türkisen “Volkskanzler” damit für wahrscheinlich hielte – aber für ganz unwahrscheinlich halte ich ihn nicht mehr.

Hans Rauscher hat im DerStandard ausgeführt, wie wichtig es ist, dass eine konservative Partei entscheidende Werte mit der Linken teilt und ich möchte das unterstreichen. Ich sehe eine Katstrophe darin, dass der ÖVP ihr christlich-soziales Fundament abhanden kommt. Am eindrücklichsten illustriert das die Haltung schwarzer Granden zu Sebastian Kurz: sie wollten sich von ihm nicht einmal distanzieren, als offenbar wurde, dass er alles unternommen hat, um zu verhindern, dass Reinhold Mitterlehner mit Christian Kern 1,5 Milliarden für die schulische Förderung von Kindern beschließt, obwohl das viel übler als selbst die Korruption ist, deren er verdächtigt wird.

Wenn ich mich frage, wie die jedenfalls gegebene Gefahr eines blau-türkisen Volkskanzlers im verbleibenden Jahr ausgeschlossen werden kann, fällt mir leider nicht viel ein: Die FPÖ wird ihr Umfragehoch in einen Wahlsieg verwandeln. Nehammer hat nur mehr wenige Möglichkeiten zu punkten: Schwarz-Grün wird irgendwann doch das Transparenzgesetz beschießen, das nur umstritten ist, weil es Bürgermeistern die Möglichkeit korrupter Baubewilligungen erschwert. Er hat ferner die vom Verfassungsgerichtshof eröffnete Möglichkeit, ein ORF- Gesetz zu beschließen, das den Einfluss der Parteien so einschränkt, dass Kickl nicht mehr behaupten kann, die Berichterstattung über die FPÖ sei parteiisch. Leider meint ein anderer diesbezüglicher Insider, die ÖVP wolle einen VP-nahen ORF und würde alles tun, ihn dazu zu machen, ehe ein neues ORF-Gesetz das verhindert. Schließlich könnte Nehammer mit dem größten Applaus das Gesetz beschließen, das eine parteiunabhängige Spitze der Staatsanwaltschaft sicherstellt. Aber daran zweifelt mein zweiter Gesprächspartner noch mehr: Derzeit wolle die ÖVP die WKSTA diffamieren und danach einen alleinigen Bundesanwalt installieren, der ihr nahesteht.

Theoretisch könnten die Grünen die ÖVP bei allen diesen Gesetzen zu Eile und Sauberkeit drängen, indem sie erklären, die Koalition andernfalls zu sprengen – nur dass sie die folgenden Neuwahlen in der Praxis kaum minder als diese zu fürchten haben. Ich meine freilich, dass das jedenfalls so ist, so dass sie auch energischer drängen und dieses Risiko in Kauf nehmen könnten.

Für absolut verfehlt  halte ich die Taktik der SPÖ und Andras Bablers, Nehammer genauso heftig zu kritisieren wie Kickl es tut. Erstens machen sie Kickl damit glaubwürdig und treiben ihm Wähler zu; zweitens muss die SPÖ mit Nehammer koalieren, wenn sie Schwarz-Blau abwenden will; drittens ist ihre aktuell zentrale Kritik – dass Schwarz-Grün die Teuerung so viel schlechter als andere Regierungen bekämpfe – höchst problematisch: Es waren vorangegangene Regierungen, die Österreich eine so extreme Abhängigkeit von russischem Gas bescherten, dass sie doppelt so hoch wie die Deutschlands ausfiel. Es ist absurd, Teuerungsraten zu vergleichen, ohne zu berücksichtigen, wie die Energieversorgung eines Landes beschaffen ist.

In Wirklichkeit sollte man in der SPÖ beten, dass ihr Nehammer als ÖVP-Obmann erhalten bleibt. Denn seine Ablehnung dessen, was ein Volkskanzler Kickl für Österreich bedeutete, ist ehrlich.

 

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Schuldengebremst tiefer in die Rezession

Die Regierung Scholz hält die Schuldenbremse nicht ein. 2024 beharrt Friedrich Merz (CDU) auf ihr. Deutschland fehlen Milliarden. Trotz Rezession ist reine Vernunft chancenlos.

Einen “Tsunami” nennen deutsche Politiker das Urteil, mit dem ihr Verfassungsgerichtshof den Nachtragshaushalt 2021 der Regierung Olav Scholz` als verfassungswidrige Umgehung der Schuldenbremse brandmarkte. Bekanntlich hat Finanzminister Christian Lindner einen 60 Milliarden-Kredit, den der Bundestag bewilligte, weil die “Corona”-Notlage das Aussetzen der Schuldenbremse erlaubte, dazu verwendet, in “Klimaschutz” zu investieren. Geld darf nur ausgegeben werden, wofür es bewilligt wurde, klärte der VfGH. So offenkundig das juridisch ist, so wenig hatte Lindner es gesehen: Indem er die 60 Milliarden für den Kampf gegen den Klimawandel verwendete, half er ein Wahlversprechen der Grünen einzuhalten, weil nicht nur sie in Glashauseffekt die größte Gefahr für den Erdball sehen.

Entsprechend kritisch sind die Konsequenzen des Urteils: Der Regierung, die Teile der 60 Milliarden schon ausgegeben hat, fehlt dafür die gesetzliche Deckung und das gilt wohl auch für 200 Milliarden eines gleichgelagerten “Wirtschaftsstabilisierungsfonds”. Der grüne Klimaschutzministers Robert Habeck beschrieb die entstandene Lage so: “Ich soll einen Boxkampf mit am Rücken gefesselten Händen gewinnen”. Denn natürlich respektiert Scholz das Urteil nicht bloß, weil Friedrich Merz (CDU) es fordert. Nur wäre es unter vernünftigen Menschen Anlass, die “Staatsschuldenbremse” zu diskutieren: Auch wenn man sie nicht, wie ich, für unsinnig hält, könnte man sie so reformieren, dass dringende Investitionen zulässig sind, auch wenn sie die Schuldengrenze überschreiten.

Jetzt belässt Scholz zwar die Investitionen in den Klimaschutz wie geplant, aber Lindner hat eine Haushaltsperre verhängt, der bisher Strom- und Gaspreisbremse zum Opfer fielen. Für das Budget 2023 wird er die Schuldenbremse neuerlich aussetzen und das mit Ukrainekrieg, Inflation und Überflutung in Nordrhein Westfahlen begründen, obwohl das nicht so leicht ist, denn Krieg und Inflation gibt es schon lange. Wahrer Grund der aktuellen Notlage ist das Urteil des VfGH – nur dass er das wohl kaum gelten ließe. Die Regierung Scholz´ wird Lindners Budget trotz des Risikos neuerlicher Aufhebung beschließen, denn die CDU dürfte diesmal nicht klagen, hat aber angekündigt, es zu tun, falls die Schuldenbremse 2024 neuerlich ausgesetzt werden sollte. Damit muss die Regierung ab sofort drastisch sparen – für Merz am besten, indem sie geplante Milliardeninvestitionen in den Sozialstaat unterlässt. Dass unterlassene Investitionen aus saldenmechanischen Gründen zwingend die aktuelle Rezession vertiefen, werden Deutsche damit erstmals vor der eigenen Haustür erleben.

Trotzdem wollen sie sich weiter nicht rational mit der Schuldenbremse auseinandersetzen, haben Angela Merkel, Olaf Scholz oder Christian Lindner sie doch wie eine Monstranz vor sich hergetragen und Wirtschaftsforscher, Wirtschaftsweise oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihr täglich gehuldigt: 60 Prozent der Deutschen hält die Schuldenbremse für die unverzichtbare Basis ihres Wohlstands, auch wenn alle Zahlen- vom Wirtschaftswachstum bis zur Arbeitslosigkeit- zeigen, um wie viel besser als die EU die USA ohne Schuldenbremse fahren.

Stifter des Spar-Glaubens war der Ökonom Kenneth Rogoff, der aus den Daten von 200 Volkswirtschaften ermittelt haben will, dass Staatschuldenquoten über 100 Prozent zunehmend Wachstum kosten. Ihm wurde nicht nur nachgewiesen, dass er Volkswirtschaften, die dieser These widersprechen, nicht berücksichtigt hat, sondern auch, dass ihm ein simpler Rechenfahler unterlaufen ist. Dennoch hat die EU sich seine These mit den Maastricht-Kriterien zu Eigen gemacht und dort sogar 60 Prozent Schuldenquote als Grenze festgelegt. Dass jemand, der 5000 Euro monatlich verdient, unter dieser Voraussetzung keinen ausreichenden Kredit für einen Wohnungskauf aufnehmen könnte, irritiert zuständige Ökonomen so wenig wie die empirische Erfahrung, dass Japan mit 260 Prozent oder die USA mit 123 Prozent Schuldenquote ausreichendes Wirtschaftswachstum verzeichnen, während Bulgarien mit der Traumquote von 21 Prozent eher kein Traumstaat ist. Nur das faktische wirtschaftliche Funktionieren ist von Bedeutung – die Quote gibt allenfalls dann Anlass zur Sorge, wenn sie wie 2011in Griechenland, drastisch ansteigt und das mit offenkundigem Nichtfunktionieren gepaart ist. Dennoch wäre es zu keiner Krise gekommen, wenn Spekulanten nicht angenommen hätten, dass die EZB nicht mehr hinter Griechenland steht. Als Mario Draghi dieser Annahme den Boden entzog, waren Euro und Griechenland gerettet – nur das von Merkel verordnete drastische Sparprogramm hat es fast noch ruiniert. Aber auch das beeindruckte deutsche Ökonomen so wenig wie eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds, wonach Merkels Spar- Pakt der EU “mehr schlecht als gut” getan hat.

Gegen die deutsche Verwechslung von Schulden mit Schuld, von Sparen mit Sparsamkeit und Volkswirtschaft mit Hauswirtschaft (wo “Sparen” eine Tugend ist) haben Mathematik und empirische Erfahrung keine Chance: Die Weltwirtschaftskrise (und Adolf Hitler) wurden überwunden, indem die USA etwas aus der aktuellen Sicht deutscher Ökonomen Ruinöses taten: Obwohl sie durch den “New Deal” bereits hoch verschuldet waren, druckten sie weiter Geld, um aufzurüsten und bescherten ihrer Wirtschaft damit zweistellige Wachstumsraten. Aber was ist schon Empirie gegen den Glauben deutscher Ökonomen.

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Deutschlands selbstgemachte Rezession

Was die EZB unter dem Druck deutscher Ökonomen der Eurozone antut, trifft auf ein Deutschland, dessen Exportmodell lahmt, und dem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geplante Investitionen verbot.

Wie sehr die Eurozone ökonomisch schwächelt sagen folgende Zahlen: war ihr Wirtschaftsleistung 2008 real um 15 Prozent geringer als die der USA, so ist sie jetzt 31 Prozent geringer. Der zentrale Grund: Sie hat sich wirtschaftlich an Deutschland orientiert und ihren Mitgliedern die durch Angela Merkels Austerity-Pakt verschärfte “Staatsschuldenbremse”  vorgeschrieben, so dass die Unternehmen in dem Ausmaß weniger verkaufen, in dem der Staat weniger einkauft. Deutschland (Österreich) ging es nur deshalb vergleichsweise gut, weil sie durch ihre “Lohnzurückhaltung”, (die ich “Dumping” nenne), anderen EU-Mitgliedern Marktanteile wegnehmen konnten. Jetzt aber kränkelt auch Deutschlands Wirtschaft: zum dritten Mal sinken Bruttoinlandsprodukt und  aussagekräftige Einzelhandelsumsätze; es gibt die meisten Insolvenzen seit Ende der Pandemie; entscheidend ist aber wohl der Rückgang der Exporte um 7,5 Prozent: permanent geschwächte EU- Mitglieder können nicht mehr als bisher aus Deutschland importieren; die Wirtschaft Chinas, das für sie in die Bresche sprang, schwächelt ebenso; die USA bevorzugen neuerdings per Gesetz eigene Produkte; und Exporte nach Russland fielen dem Ukrainekrieg zum Opfer.

Dennoch ist nicht er, und die schon wieder sinkende Verteuerung der Energie die zentrale Ursache der aktuellen Rezession, sondern die Geldpolitik der EZB, die, voran unter dem Druck ihres deutschen (österreichischen) Mitgliedes eine Inflation bekämpft, die es in der üblichen ökonomischen Bedeutung dieses Begriffes – nämlich als sich selbst verstärkende Lohn-Preis-Spirale in der EU nicht gibt. Was es gibt ist die logische Verteuerung der Waren  durch die kurzfristig massive Verteuerung von Öl und Gas, die zustande kam, weil OPEC und Putin vereinbarten, die Förderung zu drosseln. Diese Teuerung flaute von sich aus ab, nachdem die primäre Panik sich gelegte hatte und man sie außerdem sinnvoll bekämpfte, indem Norwegen und die USA mehr Öl und Gas förderten und alternative Energiequellen erschlossen wurden.

Die EZB aber akzeptierte zunehmend die Behauptung ihres deutschen (und österreichischen) Mitgliedes und diverser lautstarker deutscher Ökonomen, voran des “Starökonomen” Hans Werner Sinn, dass ihre “lockere Geldpolitik” die zentrale Ursache der Teuerung sei. Verunsichert begann EZB-Chefin Christine Lagarde, die Jus, nicht Geldpolitik studiert hat, die Teuerung so wie echte Inflation zu bekämpfen, an der im Allgemeinen hohe Löhne wesentlichen Anteil haben: sie hob die Zinsen in kurzen Abständen drastisch an. Das hat laut Lehrbuch den Zweck, einen wirtschaftlichen Boom zu dämpfen und die Arbeitslosigkeit soweit  zu erhöhen, dass es Arbeitnehmern schwer fällt, Lohnerhöhungen durchzusetzen. Sie nahm sich dabei ein Beispiel an der Notenbank der USA, die damit möglicherweise -keineswegs sicher- Recht hat, weil es in den USA tatsächlich einen Boom und starke Lohnerhöhungen gab. Tut eine Notenbank dergleichen aber in einem Wirtschaftsraum, in dessen “Süden” es das Gegenteil eines Booms gibt und in dessen “Norden” anstelle hoher Löhne “Lohnzurückhaltung” herrscht, so dämpft sie die Inflation zwar auch, aber in erster Linie erzeugt sie “Rezession”. Wie sehr Lagarde sich dabei über ökonomische Erfahrungen hinwegsetzen muss, kann man daran ermessen, dass “lockere Geldpolitik” durch zehn Jahre nicht nur keine Inflation sondern fast Deflation erzeugt hat. Es bauchte, um die Inflation so zu bekämpfen, wie die EZB das getan hat, die Vorstellung von Hans Werner Sinn, dass sich die Inflation in zehn Jahren wie Catchup in einer Plastikflasche gestaut hätte, um dann plötzlich aus dem Flaschenhals zu pflatschen. Ökonomisch Abstruseres fällt mir nicht ein. Obwohl ich primär kein Freund extrem billigen Geldes bin, weil es die richtige Allokation der Mittel erschwert und bei Aktien oder City-Baugrund zu Blasen führt, deren letztere soeben platzt. Doch auch die extrem lockere Geldpolitik, die der Geld-Experte Mario Draghi der EZB verordnete, war nur die Reaktion auf deutsches ökonomisches Versagen: Die von Deutschland durchgesetzte Staatsschuldenbremse reduzierte alle staatlichen Investitionen derart, dass die EU-Konjunktur ohne extrem billiges Geld eingebrochen wäre.

Sollte die EZB ihre aktuelle Politik teuren Geldes fortführen, könnte das das jetzt passieren, denn jetzt reduziert Deutschland plante Investitionen  neuerlich: Das deutsche Bundesverfassungsgericht erklärte soeben für verfassungswidrig, dass Finanzminister Christian Lindner einen 60 Milliarden- Kredit, den sein Vorgänger Olaf Scholz erfolgreich beantragt hatte, weil die durch “Corona” geschaffene Notlage es erlaubte, die “Staatsschuldenbremse” außer Kraft zu setzen, dazu verwendet hat, in den Klimaschutz zu investieren. Die CDU-CSU klagte gegen diesen “Taschenspielertrick” die “Ausgabenbremse” zu umgehen, und hat, wie hier befürchtet, Recht bekommen. Sie sieht darin ein triumphales Ergebnis, obwohl es nicht nur die Regierung Scholz´, sondern ganz Deutschland inmitten der Rezession in eine wirtschaftlich höchst angespannte Lage versetzt. Nach Ansicht der CDU CSU soll Lindner die nunmehr verbotenen 60 Milliarden bei den Sozialleistungen einsparen, um die Klimawende nicht zu gefährden –  aber dann werden sie der Wirtschaft eben bei Spitälern oder Schulen schmerzlich fehlen und die Rezession weiter vertiefen; Österreich wird mitleiden.r

 

 

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Die heikle Einigung der Metaller

Eine späte Einigung kostet Geld – eine falsche kostet Jobs. 11,6 Prozent mehr Lohn verteuert Waren. Erhöht die EZB deshalb die Zinsen, vertieft sie die Rezession.

 Nach einer Woche Streik haben die Arbeitgeber der metalltechnischen Industrie und die Gewerkschaft vergangenen Montag ihre Verhandlungen wieder aufgenommen. Meines Erachtens wäre es keine Niederlage für die Gewerkschaft, wenn die Einigung in etwa zwischen ihrer Forderung nach 11,6 Prozent mehr Lohn und dem bisher letzten Angebot der Arbeitgeber über 6 Prozent plus 1.200 Euro Einmalzahlung läge, die sie mittlerweile offenbar als Lohnerhöhung über 8,2 Prozent auszuzahlen bereit ist. Weil das im Widerspruch zu Überlegungen steht, die ich hier mehrfach geäußert habe, will ich es ausführlich begründen.

Der erste Grund ist banal und illustriert die Argumentation des Verhandlungsführers der Arbeitgeber Stefan Ehrlich-Adám am “Runden Tisch” des ORF: Österreichs metallverarbeitende Industrie muss im Export, der 80 Prozent ihres Geschäfts ausmacht, mit der metallverarbeitenden Industrie anderer Länder, voran Deutschlands, konkurrieren. Dort fordert die Gewerkschaft soeben eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent, die sie, wenn auch nicht allzu energisch, mit der Forderung nach 32 statt 35 wöchentlichen Arbeitsstunden verknüpft. Die Arbeitgeber setzen dem ein Angebot von 3,1 Prozent mehr Lohn mit einer Laufzeit von 15 Monaten und eine Einmalzahlung entgegen und lehnen eine Arbeitszeitverkürzung angesichts des Fachkräftemangels kategorisch ab. Wenn ich den Kompromiss abschätze, den man in Deutschland finden dürfte, so wird er kaum viel anders aussehen als die eingangs von mir empfohlene Einigung in Österreich. Deutlich höhere Löhne als Deutschland können wir uns nämlich kaum leisten, denn in der metallverarbeitenden Industrie sind sie für 30 bis 40 Prozent der Kosten einer Ware verantwortlich.

In beiden Ländern kämpft die exportorientierte Industrie, für die der Abschluss der Metaller noch dazu Vorbild ist, zudem mit einer Rezession: Die Auftragseingänge sind massiv zurückgegangen. Natürlich muss es die Chefökonomin des ÖGB Helene Schuberth empören, dass Unternehmen, die im zurückliegenden sehr guten Jahr, in dem sie die Inflation nicht selten zur Ausweitung ihrer Gewinnmargen nutzten, hohe Dividenden zahlten, nun erklären, die geforderte Lohnerhöhung nicht zu verkraften. Aber dann waren die vergangenen Lohnforderungen der Gewerkschaft leider nicht energisch genug – für das gegenwertige Konkurrenz- Problem ist das irrelevant: Wenn die Lohnstückkosten bei uns deutlich höher als in Deutschland oder der Schweiz ausfallen, wird das Problem der Betriebe unweigerlich zum Problem entlassener Arbeitnehmer.

Anders bei den Bäckern, die nur im Inland mit inländischen Bäckern konkurrieren

Es gibt aber einen zweiten Grund, warum die von mir sonst so geschätzte Benya-Formel in der aktuellen Situation nicht ausschließliche Basis der Lohnforderung sein kann. Sie lautet bekanntlich, dass eine Lohnerhöhung das Ausmaß der durchschnittlichen Inflation des zurückliegenden Jahres zuzüglich des erzielten Produktivitätszuwachses haben soll und das hat folgenden ökonomischen Sinn: Die Bevölkerung erzielt auf diese Weise einen Lohn- und Kaufkraftzuwachs, der sie theoretisch in die Lage versetzte, alle Waren, die ihre Volkswirtschaft auf Grund des Produktivitätszuwachses in Summe mehr erzeugt hat, auch zu kaufen, obwohl sie sich im Ausmaß der Lohnerhöhungen des abgelaufenen Jahres verteuert haben. Praktisch kauft sie natürlich auch Waren fremder Volkswirtschaften, aber wenn alle Volkswirtschaften gemäß der Benya-Formel agieren, gleicht sich das aus. Dass Österreich, Deutschland, Holland und die Schweiz seit 2000 nicht mehr so agieren, habe ich hier als eines der existentiellen ökonomischen Probleme der EU gebrandmarkt und insofern machten hohe Lohnabschlüsse in Österreich und Deutschland durchaus Sinn.

Dass es dennoch problematisch ist, ihre Höhe nach der Benya-Formel zu berechnen, indem man zu 2 Prozent Produktivitätszuwachs 9,6 Prozent Teuerung des abgelaufenen Jahres addiert, liegt daran, dass diese Teuerung nicht wie in der Vergangenheit aus Lohnerhöhungen resultiert und damit im Idealfall bei rund zwei Prozent lag, sondern aus der außergewöhnlichen Verteuerung der Energie durch Wladimir Putin. Nur ist diese Teuerung, nicht zuletzt weil es sich um ein so untypisches, fast einmaliges Ereignis gehandelt hat, Gott sei Dank mittlerweile EU-weit schon wieder auf 2,9 Prozent, in Österreich auf 5,4 Prozent gesunken. (Letzteres liegt an Österreichs extremer Abhängigkeit von russischem Gas – allenfalls am Rande an mangelnder Inflationsbekämpfung durch die schwarz-grüne Regierung.)

Daher macht es mehr Sinn als sonst, den Verlust, den die Metall-Arbeitnehmer im abgelaufenen Jahr durch die extreme Teuerung erlitten haben, durch eine beträchtliche Einmalzahlung der Arbeitgeber abzufedern, die sich zu den Zahlungen der Regierung (abgeschaffte kalte Progression, erhöhte Absetzbeträge, Einmalzahlungen) addiert. Dagegen stellt es ein Problem dar, die Löhne um 11,6 Prozent zu erhöhen, weil es die Inflation doch neuerlich befeuerte, auch wenn sie die Waren derzeit nur mehr um höchstens 5,4 Prozent, wahrscheinlich aber weit weniger, verteuert.

Das aber nähme die ökonomisch leider verwirrte EZB mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Anlass, die Zinsen, die derzeit Gott sei Dank pausieren, doch wieder anzuheben. Damit aber vertiefte sie die Rezession, in die sie uns bereits gestürzt hat, dramatisch.

 

 

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Ein Fiasko für Deutschlands Regierung

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (BVerfGE) hat es für verfassungswidrig erklärt, dass Finanzminister Christian Lindner einen 60 Milliarden Euro Kredit, den sein Vorgänger Olaf Scholz erfolgreich beantragt hatte, weil die durch “Corona” geschaffene Notlage es erlaubt, die in Deutschland in der Verfassung verankerte “Staatsschuldenbremse” außer Kraft zu setzen, dazu verwendet hat, in den Klimaschutz zu investieren um damit ein Wahlversprechen der Grünen zu erfüllen.

Die CDU-CSU hatte gegen diesen “Taschenspielertrick” die “Ausgabenbremse” im aktuellen Budget zu umgehen geklagt und recht bekommen und sieht darin ein triumphales Ergebnis, obwohl es nicht nur die Regierung Scholz´, sondern ganz Deutschland inmitten einer harschen Rezession in eine wirtschaftlich denkbar kritische Lage versetzt: Die 60 nunmehr verbotenen Milliarden, die die Regierung nach Ansicht der CDU CSU bei den Sozialleistungen einsparen soll, um die Klimawende nicht zu gefährden, werden der Wirtschaft schmerzlich fehlen und die Rezession vertiefen.

Natürlich beeinträchtigt alles, was die Konjunktur Deutschlands beeinträchtigt, auch die Konjunktur Österreichs.

Einigermaßen kundige Ökonomen, die in Deutschland allerdings besonders dünn gesät sind, äußern daher lauter als bisher die Meinung, dass die Staatsschuldenbremse, zu der die EU dank ihrer Deutschland-Hörigkeit auch Österreich verpflichtet, nur dass sie bei uns nicht in der Verfassung verankert, nur von Sebastian Kurz gepredigt wurde, endlich zumindest massiv reformiert werden müsse.

So erklärt der Präsident des führenden Deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts DIW Marcel Fratzscher: “Die Versuche der Bundesregierung, in den vergangenen zwölf Jahren die Schuldenbremse zu umgehen, haben immer absurdere Züge angenommen. Die Schuldenbremse ist nicht mehr zeitgemäß, weil sie der Politik notwendigen Spielraum nimmt, um Krisen zu bekämpfen und Zukunftsinvestitionen zu tätigen, wie sie heute dringender denn je sind.”

Obwohl sich der Präsident eines Arbeitgeber-nahen Forschungsinstituts in Köln, Michael Hüther, schon vor dem aktuellen Urteil des BVerfGE noch viel kritischer zur Schuldenbremse geäußert hat, ist fraglich, wie weit er und Fratzscher gehört werden, denn in der wirtschaftlich ahnungslosen Bevölkerung ist die Staatsschuldenbremse so populär wie in Österreich und normalerweise vertritt der ahnungslose Finanzminister der FDP, Christian Lindner, sie sogar besonders energisch und behauptet, der einzige zu sein, der ihre künftige Einhaltung gewährleistet.

Jetzt hat er nur die Wahl, sie massiv zu missachten und ein gewaltiges Budgetdefizit zu verantworten oder zu behaupten, dass auch der Ukrainekrieg es erlaubt, die Staatsschuldenbremse außer Kraft zu setzen, wogegen die CDU-CSU beim BVerfGE klagen würde und vermutlich recht bekäme, weil der Krieg schon vor zwei Jahren begonnen hat. Man kann auch an der eigenen wirtschaftlichen Ahnungslosigkeit ersticken.

 

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Die Renaissance des Antisemitismus

Der mit Flüchtlingen aus der arabischen Welt importierte  Israel- Hass kann das feste Fundament des heimischen Antisemitismus nutzen. Auschwitz hat es nicht unterspült.

 Der Extremismus-Forscher Peter Neumann warnte im Gespräch mit Armin Wolf,  dass die Ereignisse in Gaza eine neue Welle islamistischen Terrors in Europa auslösen könnten, die gefährlicher als die der Jahre 2015/16 mit den Attentaten auf die Zeitschrift  Charlie Hebdo, das Theater Bataclan oder den Berliner Weihnachtsmarkt sein könnte. Seine Argumente: Das Netz strotze von Videos, die mit den Bilden verletzter Kinder in Gaza maximal zu radikalisieren vermögen; Israel des “Völkermordes” zu beschuldigen biete die Möglichkeit, maximale Gegengewalt zu fordern; “Gefährder”, die sich zum “Islamischen Staat” bekennen, hätten plötzlich wieder ein Thema, das ihnen ermöglicht, jeden Moslem zum Dschihad aufzurufen: Zum Endkampf der islamischen Welt gegen Israel als Inkarnation des “Westens”. Er, Neumann fürchte, dass die Rückwirkung dieses Dschihad gegen Israel in Europa dazu führt, dass Juden sich hier nicht mehr sicher fühlen können. Jüngste Vorfälle an Schulen scheinen ihn zu bestätigen.

Dass Europa dem Antisemitismus mit der Aufnahme so vieler muslimischer Flüchtlinge neue Nahrung verschafft hat, entpuppt sich damit als unerwartet gefährlich, obwohl der Islam “Juden” primär neutraler als das Christentum gegenübersteht: Sie sind für den Koran zwar “Ungläubig” mit entsprechend  negativen Eigenschaften, aber es wird ihnen nicht, wie vom zweiten Vatikanischen Konzil, vorgeworfen, “auf den Tod Jesu gedrungen” zu haben. Es blieb dem Christentum vorbehalten, diese emotionale Grundlage für den Holocaust zu schaffen.

Der alltägliche heimische Antisemitismus war noch vor kurzem ein ganz ungenierter: Mein Religionslehrer klagte, “dass es hier fast wie in einer “Judenschule” zugeht; jemand war “jüdisch, aber gar nicht geizig” oder “ein Jude, aber ein netter Mensch”. Wie viel die Bevölkerung bei Kriegsende sehr wohl von “Auschwitz” ahnte, geht daraus hervor, dass “bis zur Vergasung” eine populäre Redewendung ist. Zu glauben, dass dieser Antisemitismus mit “Auschwitz” endet, war eine Illusion: In Wirklichkeit musste das schlechte Gewissen, das der Holocaust voran Deutschen und Österreichern bescherte, sie veranlassen, im Verhalten von Juden unverändert nach Eigenschaften zu suchen, die verständlicher machen, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern zu m größten Teil zwar nur mittelbar, aber gar nicht so selten auch unmittelbar, am Holocaust beteiligt war. Schließlich gab es tausende Bewacher der Vernichtungslager, Tausende, die in Wehrmachts- oder SS-Einheiten an Massenerschießungen mitwirkten, Tausende die Verhaftungen vornahmen oder die Deportation nach Polen organisierten. Wenn man diese Abertausend Deutschen und Österreicher, mit denen man womöglich verwandt war, nicht wie Daniel Goldhagen im gleichnamigen Buch unter “Hitlers willige Vollstrecker” reihen wollte, musste man psychologisch das Bedürfnis haben, den Juden durch ihr Verhalten zumindest eine leise Mitschuld an dem zuzuschreiben, was ihnen zugestoßen ist. Voran in Österreich glaubt man, dieses angeblich “jüdische” Verhalten sogar seit jeher zu kennen und sah sich darin bestätigt, dass man es den Juden in so vielen anderen Ländern nachsagt.

Es gibt also genug genuinen Antisemitismus, aber es gab auch Fortschritte: So erlebte ich etwa die Wahl-Großmutter eines Bekannten als geeichte Antisemitin, auch wenn sie meinte, man hätte die Juden “nicht gleich umbringen müssen”; als die Israelis die von ihr als Untermenschen betrachteten Araber in nur sechs Tagen besiegten, fand sie es “toll wie die kämpfen”;  als jemand ihr zu sagen wagte, dass sie die Juden doch immer für feig gehalten hätte, wies sie ihn entrüstet zurecht: “Die Israelis sind doch keine Juden!!!”. Die Gründung Israels, so sieht man, hat die Juden gestärkt. Ihr Enkel, und das krönt die Entwicklung, verliebte sich in eine Jüdin, trat ihr zuliebe zum Judentum über und trägt die Kippa. Juden persönlich zu kennen vermindert Antisemitismus am meisten. Dass ziemlich viele Österreicher Israel bereisten war diesbezüglich nützlich.

Dass der mittlerweile zumindest nicht mehr ganz so virulente heimische Antisemitismus durch die Zuwanderung arabischer Muslime neue Nahrung erhielt war zum Teil schlicht historisches Pech: Syrienkrieg und Irakkrieg lösten zwingend Flüchtlingswellen aus. Aber leider vermögen heimischer und zugewanderter Antisemitismus einander gegenseitig zu stärken: “Die Israelis behandeln die Palästinenser genau wie die Nazis die Juden behandelt haben”, ist die dafür typische Formulierung, die seit dem 7. Oktober  zum Sieg der Hamas im Informationskrieg geführt hat: Persönlicher, brutalster Mord wird vielfach weniger geächtet, als vielleicht zu massives israelisches Bombardement, das leider unschuldige Opfer fordert, und das aus humanitären Gründen zu unterbrechen meines Erachtens schon früher richtig gewesen wäre, auch wenn es der Hamas ermöglichte sich neu zu formieren. Nur war es auch nicht absurd, die Pause wie Benjamin Netanjahu mit der Forderung nach der Freilassung von Geiseln zu verknüpfen.

Ich hege zwar den Verdacht, dass er den Krieg so führt wie er ihn führt, weil er den totalen Sieg braucht, um der Absetzung und einem Strafverfahren wegen Korruption zu entgehen – aber wenn man kein Antisemit ist, erwartet man von einem Juden nicht automatisch, dass er sich anders als die meisten Menschen benimmt.

 

 

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Die Renaissance des Antisemitismus

Der mit Flüchtlingen aus der arabischen Welt importierte  Israel- Hass kann das feste Fundament des heimischen Antisemitismus nutzen. Auschwitz hat es nicht unterspült.

 Der Extremismus-Forscher Peter Neumann warnte im Gespräch mit Armin Wolf,  dass die Ereignisse in Gaza eine neue Welle islamistischen Terrors in Europa auslösen könnten, die gefährlicher als die der Jahre 2015/16 mit den Attentaten auf die Zeitschrift  Charlie Hebdo, das Theater Bataclan oder den Berliner Weihnachtsmarkt sein könnte. Seine Argumente: Das Netz strotze von Videos, die mit den Bilden verletzter Kinder in Gaza maximal zu radikalisieren vermögen; Israel des “Völkermordes” zu beschuldigen biete die Möglichkeit, maximale Gegengewalt zu fordern; “Gefährder”, die sich zum “Islamischen Staat” bekennen, hätten plötzlich wieder ein Thema, das ihnen ermöglicht, jeden Moslem zum Dschihad aufzurufen: Zum Endkampf der islamischen Welt gegen Israel als Inkarnation des “Westens”. Er, Neumann fürchte, dass die Rückwirkung dieses Dschihad gegen Israel in Europa dazu führt, dass Juden sich hier nicht mehr sicher fühlen können. Jüngste Vorfälle an Schulen scheinen ihn zu bestätigen.

Dass Europa dem Antisemitismus mit der Aufnahme so vieler muslimischer Flüchtlinge neue Nahrung verschafft hat, entpuppt sich damit als unerwartet gefährlich, obwohl der Islam “Juden” primär neutraler als das Christentum gegenübersteht: Sie sind für den Koran zwar “Ungläubig” mit entsprechend  negativen Eigenschaften, aber es wird ihnen nicht, wie vom 2. Vatikanischen Konzil, vorgeworfen, “auf den Tod Jesu gedrungen” zu haben. Es blieb dem Christentum vorbehalten, diese emotionale Grundlage für den Holocaust zu schaffen.

Der alltägliche heimische Antisemitismus war noch vor kurzem ein ganz ungenierter: Mein Religionslehrer klagte, “dass es hier fast wie in einer Judenschule” zugeht; jemand war “jüdisch, aber gar nicht geizig” oder “ein Jude, aber ein netter Mensch”. Wie viel die Bevölkerung bei Kriegsende sehr wohl von “Auschwitz” ahnte, geht daraus hervor, dass “bis zur Vergasung” eine populäre Redewendung ist.. Zu glauben, dass dieser Antisemitismus mit “Auschwitz” endet, war eine Illusion: In Wirklichkeit musste das schlechte Gewissen, das der Holocaust voran Deutschen und Österreichern bescherte, sie veranlassen, im Verhalten von Juden unverändert nach Eigenschaften zu suchen, die verständlicher machen, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern zu m größten Teil zwar nur mittelbar, aber gar nicht so selten auch unmittelbar, am Holocaust beteiligt war. Schließlich gab es tausende Bewacher der Vernichtungslager, Tausende, die in Wehrmachts- oder SS-Einheiten an Massenerschießungen mitwirkten, Tausende die Verhaftungen vornahmen oder die Deportation nach Polen organisierten. Wenn man diese Abertausend Deutschen und Österreicher, mit denen man womöglich verwandt war, nicht wie Daniel Goldhagen im gleichnamigen Buch unter “Hitlers willige Vollstrecker” reihen wollte, musste man psychologisch das Bedürfnis haben, den Juden durch ihr Verhalten zumindest eine leise Mitschuld an dem zuzuschreiben, was ihnen zugestoßen ist. Voran in Österreich glaubt man, dieses angeblich “jüdische” Verhalten sogar seit jeher zu kennen und sah sich darin bestätigt, dass man es den Juden in so vielen anderen Ländern nachsagt.

Es gibt also genug genuinen Antisemitismus, aber es gab auch Fortschritte: So erlebte ich etwa die Wahl-Großmutter eines Bekannten als geeichte Antisemitin, auch wenn sie meinte, man hätte die Juden “nicht gleich umbringen müssen”; als die Israelis die von ihr als Untermenschen betrachteten Araber in nur sechs Tagen besiegten, fand sie es “toll wie die kämpfen”;  als jemand ihr zu sagen wagte, dass sie die Juden doch immer für feig gehalten hätte, wies sie ihn entrüstet zurecht: “Die Israelis sind doch keine Juden!!!”. Die Gründung Israels, so sieht man, hat die Juden gestärkt. Ihr Enkel, und das krönt die Entwicklung, verliebte sich in eine Jüdin, trat ihr zuliebe zum Judentum über und trägt die Kippa. Juden persönlich zu kennen vermindert Antisemitismus am meisten. Dass ziemlich viele Österreicher Israel bereisten war diesbezüglich nützlich.

Dass der mittlerweile zumindest nicht mehr ganz so virulente heimische Antisemitismus durch die Zuwanderung arabischer Muslime neue Nahrung erhielt war zum Teil schlicht historisches Pech: Syrienkrieg und Irakkrieg lösten zwingend Flüchtlingswellen aus. Aber leider vermögen heimischer und zugewanderter Antisemitismus einander gegenseitig zu stärken: “Die Israelis behandeln die Palästinenser genau wie die Nazis die Juden behandelt haben”, ist die dafür typische Formulierung, die seit dem 7. Oktober  zum Sieg der Hamas im Informationskrieg geführt hat: Persönlicher, brutalster Mord wird vielfach weniger geächtet, als vielleicht zu massives israelisches Bombardement, das leider unschuldige Opfer fordert, und das aus humanitären Gründen zu unterbrechen meines Erachtens schon früher richtig gewesen wäre, auch wenn es der Hamas ermöglicht sich neu zu formieren. Nur war es auch nicht absurd, die Pause wie Benjamin Netanjahu mit der Forderung nach der Freilassung von Geiseln zu verknüpfen.

Ich hege zwar den Verdacht, dass er den Krieg so führt wie er ihn führt, weil er den totalen Sieg braucht, um der Absetzung und einem Strafverfahren wegen Korruption zu entgehen – aber wenn man kein Antisemit ist, erwartet man von einem Juden nicht automatisch, dass er sich anders als die meisten Menschen benimmt.

 

 

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Etwas “Sahra Wagenknecht” nutzte auch uns

Die Ikone der “Linken” will nicht auf Putins Gas verzichten, weniger Zuwanderung, mehr Umverteilung und Wettbewerb. Vieles davon schadete der FPÖ nicht anders als der AfD.

Umfragen prophezeien der Partei, die in Berlin mit dem “Bündnis Sahra Wagenknecht” aus der Taufe gehoben wurde, aus dem Stand 12 Prozent Stimmen, die sie voran der AfD wegnehmen würde. Ich teile diese Annahme und meine, dass es der SPÖ leichter fiele, der FPÖ Stimmen wegzunehmen, wenn sie ihre Forderungen ähnlich wie Sahra Wagenknecht formulierte.

Wagenknechts größter Vorteil ist freilich ortsgebunden: Ihr Bekanntheitsgrad reicht weit über ihre Ex-Partei, “Die Linke”, hinaus. Ständiger Stargast politischer Talkshows, vertritt sie politische Thesen nicht nur eloquent, sondern macht dabei in jedem Sinne dieser Formulierung auch blendende Figur. Das einzige Mal, dass sie – freilich nicht bei AfD-Sympathisanten – schlecht abschnitt, war eine Talkshow, in der es um Deutschlands Verhalten gegenüber Wladimir Putin ging: Sie blieb bei ihrer aus dem Manifest mit Alice Schwarzer bekannten Ansicht, dass man auf Verhandlungen drängen, statt der Ukraine Waffen liefern sollte. Ich halte diese Alternative bekanntlich für grob falsch – nur indem man der Ukraine Waffen liefert, kann man auf Verhandlungen hoffen – und auch für die Partei Wagenknechts wird ihre Russland-Position die größte Schwachstelle sein: Man wird sie zur “Putin-Versteherin” stempeln, auch wenn sie das nicht wirklich ist – sie hält sein Regime sehr wohl für autoritär und seinen Krieg für einen Überfall – nur glaubt sie an die Mitschuld der NATO und übersieht seine Großmachtallüren.

Zugleich ist Wagenknecht wie AfD und FPÖ der Meinung, dass es falsch ist, auf russisches Gas zu verzichten und das meine ich auch. Es stimmt zwar nicht, wie Herbert Kickl behauptet, dass Russland Öl und Gas  als Reaktion auf die Sanktionen der EU verteuert hat, sondern Putin und OPEC haben die Drosselung der Förderung ein gutes Jahr davor beschlossen, aber Deutschland wie Österreich schaden sich selbst mehr als Russland, wenn sie hektisch auf russisches Gas verzichten, ehe alternative Energie vergleichbar preiswert ist.

Im wichtigsten Punkt ihres Parteiprogramms gebe ich Wagenknecht uneingeschränkt recht: Es gilt, der neoliberalen Struktur der Wirtschaft den Kampf anzusagen. Die Umverteilung von unten nach oben muss einer Umverteilung von oben nach unten weichen und dazu sind höhere Unternehmens- und Vermögenssteuern unverzichtbar. Natürlich setzt auch Wagenknecht die Grenze für eine Erbschaftssteuer wie die SPÖ weit über dem Wert eines Eigenheims an, ist aber als Nationalökonomin sehr viel besser als bisherige SP-Granden in der Lage, ihre Forderung gegen Einwände zu verteidigen. Gleichzeitig tritt sie für die Zerschlagung von Oligopolen ein und weiß das als Unterstützung des Mittelstandes zu verkaufen und auch das funktionierte in Österreich: Natürlich hängen Greissler-Sterben und hohe Teuerungsraten gleichermaßen mit unserem Nahrungsmittel- Oligopol zusammen.

Mit den Grünen liegt Wagenknecht im Clinch, indem sie fordert, “von einem blinden, planlosen Öko-Aktivismus wegzukommen, der das Leben der Menschen zusätzlich verteuert, die Reichen bevorzugt und dem Klima überhaupt nicht nützt“. Ich halte “überhaupt nicht” zwar für eine fahrlässige Übertreibung, aber tatsächlich gilt bei jeder Aktivität zu bedenken, dass jeder Liter Öl, den nicht wir selbst verbrennen, sofort anderswo erworben und verbrannt wird und was das für unsere Wirtschaft bedeutet. Zugleich hat die teure Förderung der E-Mobilität derzeit tatsächlich voran die Zahl der Tesla-Limousinen in Nobelbezirken erhöht. Geringverdiener hingegen erfüllt der Preis eines E-Autos oder einer Wärmepumpe unverändert mit Schrecken, und auch bei Menschen meiner Generation, die von der Nachkriegsarmut geprägt und auf Sparsamkeit programmiert sind, erzeugte die plötzliche Forderung nach so hohen Ausgaben emotionale Abwehr, die sich hier in dem Satz “Ich werde mein Auto sicher nicht gleich gegen ein E-Auto tauschen” niederschlug und nicht ganz ohne rationale Begründung ist: Auch die vorzeitige Nachschaffung längst nicht kaputter Geräte erzeugt CO2. Auch aus diesem Grund halte ich bekanntlich für weise, dass Leonore Gewessler den Zeitdruck vermindert und die Förderungen erhöht. Im Zuge der Begutachtung des Erneuerbare Wärme Gesetzes sollte freilich berücksichtigt werden, wie weit Haus- und Wohnungseigentümer gezwungen werden können, dem Wunsch einer Mehrheit nach grüner Beheizung stattzugeben.

Die größte Differenz zu den Grünen – und die größte Übereinstimmung mit AfD und FPÖ – ergibt sich dort, wo Wagenknecht fordert, die Zuwanderung auf Personen zu beschränken, die Anspruch auf Asyl haben. “Entwicklungshilfe statt Bürgergeld” formuliert sie diese Forderung denkbar geschickt. Ich teile sie in der Theorie und es ist schwer mir Fremdenfeindlichkeit vorzuwerfen, habe ich doch zeitlebens Flüchtlinge in meine Wohnung aufgenommen. Aber wir können unmöglich auch die aufnehmen, die als Wirtschaftsflüchtlinge auf ein besseres Leben hoffen. Das sollte man so unmissverständlich wie Wagenknecht klarstellen. Nur besteht das eigentliche Problem natürlich in der Praxis: Man darf “subsidiär Schutzberechtigte” so wenig wie “Geduldete”  abschieben und kein Land nimmt Flüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl zurück. Dass man diese Gruppen in  die Kriminalität drängte, so sobald man ihnen im Sinne der AfD jede finanzielle Unterstützung versagte, weiß Wagenknecht vermutlich, spricht es aber nicht aus.

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Was bringt (k)eine Bodenoffensive?

Es gibt auch durchaus rationale Gründe, eine massive Bodenoffensive mit abertausenden Toten zu unterlassen, wenn es um Israels künftige Sicherheit geht.

Im Informationskrieg war die Hamas erfolgreich. Obwohl Israel gute Argumente dafür vorbrachte, dass abgestürzte Raketen des “Islamischen Dschihad” die Katastrophe in der Al-Ahli-Klinik verursacht haben, ist die arabische Welt überzeugt, israelisches Bombardement hätte sie verursacht. International wird die Lage der Palästinenser seither mit Bildern sterbender Kinder assoziiert und das nutzt der Hamas massiv, obwohl das Bombardement militärischer Anlagen, wie sie von ihr vorzugsweise neben Kindergärten, Schulen oder Spitälern errichtet werden, auch wenn es leider den Tod Unbeteiligter zur Folge hat, weder rechtlich noch moralisch mit der Ermordung von 1400 Israelis vergleichbar ist, denen die Hamas den Kopf abschnitt oder bei Vergewaltigungen die Knochen brach.

Dass Israels Reaktion, die angekündigte massive Bodenoffensive, ständig verschoben wird, liegt voran daran, dass ihr Einsetzen die Chance minimierte weitere Geiseln freizubekommen. Nicht nur deren Angehörige, sondern bei Doppelstaatsbürgern auch fremde Staaten drängten daher auf Zuwarten. Zugleich erzwang die immer energischere Forderung von Joe Biden, EU und UNO die Zivilbevölkerung unbedingt zu schonen neue Planungsschritte.

Es gibt aber durchaus rationale Gründe, die massive Bodenoffensive gänzlich zu unterlassen: Häuserkampf, noch dazu, wenn sich der Gegner unterirdisch bewegen kann, ist voran für den Angreifer mit gewaltigen Verlusten verbunden. Zudem wächst die Gefahr, seine Dauer könnte die Hisbollah veranlassen, sich doch der Hamas anzuschließen und der mögliche Zweifrontenkrieg vervielfachte die Opferzahl. Israel ginge am Ende – zur Not dank der Hilfe naher US-Kriegsschiffe – zwar hoffentlich als Sieger aus diesem Gemetzel hervor, aber der Preis an Menschenleben erinnerte an die Ukraine.

Hundertschaften der Hamas, die den Grenzzaun zu Israel mit Paragleitern überfliegen und einreißen, um ein archaisches Massaker anzurichten, gäbe es nach diesem Sieg zwar nicht mehr, aber das hätte man immer vermieden, hätte man Truppen aus dem Grenzgebiet nicht ins Westjordanland verlegt, um völkerrechtswidrige israelische Siedlungen zu schützen. Sonst hätten ein paar MG-Schützen, die Paragleiter abschießen und ein paar Panzer, die Bulldozer hindern, Grenzzäune zu durchbrechen, immer genügt, den Überfall der Hamas zu verhindern. Aber selbst wenn Benjamin Netanjahu deshalb nicht abdanken muss, wird keine künftige israelische Regierung einen vergleichbaren Fehler machen. Israel wird daher vor einem neuerlichen Hamas -Massaker auch dann sicher sein, wenn es die Bodenoffensive unterlässt. Im Übrigen hat es ein in absehbarere Zeit einsatzbereites Waffensystem entwickelt, das Mini -Raketen auch in größter Zahl einfach und billig mittels Laserstrahlen abwehren kann, wird also bald vor ihnen geschützt sein.

Jetzt keine massive Bodenoffensive zu starten und das Massaker der Hamas unzureichend gesühnt zu lassen, machte Israel also nicht zu einem unsicheren Land. Eins solche Zurückhaltung ist der geschockten Nation nur sehr schwer zuzumuten, so wie es George W. Bush nach “Nine Eleven” unmöglich war, den Tod von 2977 Amerikanern nicht mit einem Militärschlag gegen die al-Kaida zu beantworten. Nur sollte der Ausgang dieser Aktion einmal mehr vorsichtig stimmen: Reaktionen in noch so begreiflicher und berechtigter Wut führen oft nicht zum besten Ende.

Nicht zuletzt ist es für Europa eine Katastrophe, dass die USA Israel all das Gerät und die Munition, die bei einer Bodenoffensive und womöglich gar einem Krieg mit der Hisbollah verbraucht würden, aus geostrategischen Gründen ersetzen müssten, denn die Milliarden, die das kostete, fehlten bei der Unterstützung der Ukraine. Und so unerträglich es für Israels Bevölkerung angesichts des schlimmsten Massenmordes seit dem Holocaust auch wäre, die Hamas statt “ausgelöscht” nur “massiv geschwächt” im Gazastreifen zu wissen, wäre Israels Existenz im Nahen Osten doch, anders als die Existenz der Ukraine, auch ohne Bodenoffensive besser denn je gesichert: Saudi Arabien kehrte nach kurzer Anstandsfrist mit viel größerer Wahrscheinlichkeit zur neuerdings auch von den Emiraten vorgelebten Politik der Annäherung an Israel zurück. Einer Politik, die die Hamas so sehr gefürchtet hat, dass sie den Überfall auf Israel unternommen hat, um die “Palästinenserfrage” davor zu bewahren, in der Versenkung zu verschwinden.

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock meint, wie Israels Ex-Ministerpräsident Ehud Barak, dass diese Frage unverändert einer Lösung bedürfe, die, wie schon Bruno Kreisky forderte, nur darin bestehen könne, dass es neben Israel einen eigenen Palästinenserstaat gibt. Ich konnte mir nie vorstellen, dass das praktisch funktioniert und unter Jassir Arafat, der die Hamas immer gewähren ließ und das in Oslo beschlossene Autonomiegebiet zur Spielwiese persönlicher Korruption machte, hat es auch nicht funktioniert. Aber vielleicht geschieht ein Wunder und es klappte im zweiten Anlauf.

PS: Ich habe vorige Woche hier unter anderem geschrieben, niemand wisse, wie man klassizistische Altbauten ohne Gastherme beheizt. Das stimmte zwar für mein Haus, aber verallgemeinert war es falsch: gibt es einen Dachboden, kann man dort einfach Wärmepumpen installieren und Leitungen durch Kamine führen – es gibt nur oft keinen Dachboden, weil er ausgebaut wurde.

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