Ein Orden für Karl Nehammer

Indem Karl Nehammer sich wie kein anderer festlegte, nicht mit Herbert Kickl zu koalieren, erwarb er nicht nur größte Verdienste um Österreich, sondern auch um die EU.

Für mich war der 12. Juli ein Staatsfeiertag: Was letzten Mittwoch geschah, erspart nicht nur Österreich eine Regierung, die unter einem “Volkskanzler” Herbert Kickl die Orbanisierung anstrebt, sondern auch der EU, dass dieser Kanzler in ihr mit Erfolg die Interessen Wladimir Putins vertritt. Karl Nehammer verdient dafür in meinen Augen einen Orden: Nichts hat ihn dazu gezwungen, eine Regierungskoalition mit der Kickl -FP auszuschließen – er hat sich damit vielmehr um die Möglichkeit gebracht, in den auf diese Weise unausweichlichen Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ jeden Wunsch durchzusetzen, indem er ihr die Zusammenarbeit mit der FPÖ androht. Das ist  für einen VP-Obmann neu.

Der 12. Juli verlief wie ein Krimi. In der 9 Uhr-ZIB ließ Nehammer bekanntlich nur wissen, dass er Kickl für ein “Sicherheitsrisiko” hält, weil er sich gegen die Teilnahme an “Sky-Shield” ausspricht, aber erst in der ZIB2 zog er daraus die Konsequenzen: Auch er schließe aus, mit der Kick-FPÖ zu koalieren. Armin Wolf tat durch 15 Minutenlang absolut alles, um diese Aussage in Stein zu meißeln. Er hielt ihm vor, dass ja auch Johanna Mickl Leitner versprochen hätte, nie mit der Landbauer -FPÖ zu koalieren und es doch getan hat – Nehammer pochte auf dem wesentlichen Unterschied zwischen Bund und Ländern; als er ihm zuletzt vorhielt, dass Kickls Einwände gegen Sky Shield  ja keineswegs das Abwegigste wären, das er geäußert hat, blieb Nehammmer zwar zu Recht dabei,  diese Ablehnung eine nicht hinnehmbare  Gefahr  zu nennen, aber ich glaube, dass er nur einen möglichst  einsichtigen Anlass gesucht hat, sich von Kickl zu distanzieren: Auch ihm graut vor diesem Mann. Die Rede, die er nach seinem Amtsantritt im KZ Mauthausen gehalten  hat, hat mich diesbezüglich immer mit einem gewissen Optimismus erfüllt: Nehammer ist, was immer man sonst gegen ihn einwenden mag, ein anständiger Mensch und nicht einmal ein “Feschist”.

Und natürlich waren Kickls Einwände gegen Sky Shield einmal mehr nur Liebesdienst für Wladimir Putin: Die Teilnahme an der von Deutschland initiierten  Beschaffungsgemeinschaft, die es ermöglichen, Drohen, Raketen oder Marschflugkörper, die auf eines der beteiligten Länder abgefeuert werden, rechtzeitig abzufangen, indem alle beteiligten Beobachtungsstationen einander ihre Daten übermitteln, so dass die Flugbahn des eindringenden Objekts präzise zu erkennen ist und der Abschuss möglich wird, verstößt in keiner Weise gegen die Neutralität: denn  befohlen würde dieser  Abschuss immer durch die Regierung des betroffenen Landes und Österreich geht auch, anderes als bei einem Bündnis, keine Verpflichtung ein, auf den Beschuss eines anderen Mitglieds militärisch zu reagieren – daher ist selbstverständlich auch die neutrale Schweiz Sky Shield beigetreten.

Um Kickl für ein Sicherheitsrisiko zu halten, hätte es freilich nicht erst der Auseinandersetzung um Sky Shield bedurft: Kickl und seine FPÖ sind in jeder Hinsicht die fünfte Kolonne Wladimir Putins, so sehr der dabei ist, Saddam Hussein den Rang als größter Kriegsverbrecher seit Adolf Hitler streitig zu machen. Noch untere H.C. Strache unterzeichnete die FPÖ bekanntlich einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei “Einiges Russland” und FP-Politiker unterstützten ihn konkret in seinem Angriffskrieg, indem sie nach seinem Einmarsch in die Krim bestätigtem, dass die ihm folgende Volksabstimmung korrekt verlaufen sei.

Seit Kickl Obmann der FPÖ ist, ist er gemeinsam mit Ungarns Viktor Orban der Politiker, der sich am heftigsten gegen die Sanktionen der EU gegen Russland ausspricht. Ich will fair sein und ihm zugestehen, dass auch ich nur die Sperre der Lieferung von Hochtechnologie für eine unverzichtbare Sanktion halte, aber es geht um die Grundhaltung gegenüber einem eindeutigen Aggressor: Wenn Kickl Österreich in Brüssel repräsentierte, hätte er jeder Sanktionen gegen Russland die Zustimmung verweigert.

Nehammers jetzt so eindeutige Festlegung macht es restlos unsinnig, dass sich Andreas Babler  darauf festgelegt hat, nicht mit der ÖVP zu koalieren. Man sollte sich innerhalb der SPÖ doch darüber im Klaren sein, dass die Variante einer rot-grün- pinken Koalition in Wahrheit so gut wie ausgeschlossen ist. Wenn die Babler -SPÖ Stimmen dazu gewinnt, dann in erster Linie von den Grünen und das ist von einer Koalition her ein  Nullsummenspiel.

Ich gebe zu, dass es sehr schwer fällt, sich einen Kompromiss zwischen Bablers Reichensteuer  und der Ablehnung jeder vermögensbezogenen Steuer durch die ÖVP vorzustellen, aber  der Weg zu jedem Kompromiss ist versperrt, wenn man, wie Sven Hergovich von der SP-Niederösterreich droht, sich die Hand abzuhacken, wenn es nicht zu Vermögenssteuern kommt – so kann man in keine Verhandlung gehen. Ich hätte mir zwar erhofft, dass Mikl Leitner die Koalition mit der FPÖ dennoch ablehnt und wartet, bis Hergovich seine Selbstverstümmelungsphantasien revidiert – aber die SPÖ hat es ihr denkbar schwer gemacht, so zu handeln.

Babler sollte es Nehammer nicht so schwer machen. Ich gebe nämlich auch die Hoffnung nicht auf, dass Nehammer ökonomisch lernfähig ist: Wenn Babler keinen Zweifel daran lässt, dass Lohn und Einkommenssteuern vollumfänglich um den Betrag reduziert werden, den die vermögensbezogenen Steuern einbringen, wird es Nehammer schwer fallen, sich dem zu verweigern.

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Immerwährend gentechnikfrei?

Die EU will mit moderner Gentechnik hergestellte Nahrungsmittel nicht mehr diskriminieren. Österreich ist dagegen. Die Folgen können kostspielig sein.

Die EU-Kommission schlägt vor Agrarprodukte, die mit der Genschere CRISPR/Cas9 hergestellt
werden, in Zukunft nicht mehr anders als konventionell hergestellte zu behandeln. Sie begründet das
damit, dass es mit der Genschere ein neues gentechnisches Instrument von nie dagewesener Präzision
gibt, das es ermöglicht, die Gene von Nutzpflanzen so zu verändern, dass sie allen gewünschten
Anforderungen genügen und sich nicht von natürlich gezüchteten unterscheiden. Diese Möglichkeit sei
angesichts des Klimawandels von überragender Bedeutung, um die wachsende Weltbevölkerung zu
ernähren. In Österreich, wo jedes Nahrungsmittel als “gentechnikfrei” beworben wird, musste das auf massiven Widerstand stoßen. Umwelt-Ministerin Leonore Gewessler sieht keine Möglichkeit, der Kommission zuzustimmen und nennt deren Argumente “vorgeschoben” – ich halte sie mit Deutschlands Forschungsministerin Bettina Schwarz Watzinger (FDP) für zutreffend.
Normalerweise warnen die Grünen zu Recht eindringlich vor der Veränderung der landwirtschaftlichen Bedingungen durch den Klimawandel: Die Böden werden trockener, die Schädlinge nehmen zu. Dass das negativen Einfluss auf Ernteerträge hat, scheint mir kein gewagter  Fehlschluss. Eine aktuelle Studie im Fachblatt “Nature Food” kommt zu dem Ergebnis, dass Dürren und veränderte Regenmuster schon in den nächsten 20 Jahren zu Ertragseinbrüchen bei Grundnahrungsmitteln wie Mais oder Reis führen werden. Ich bin seit den Vorhersagen des Club of Rome, was Zeiträume betrifft vorsichtiger, aber dass das grundsätzlich zutrifft, bezweifle ich nicht.
Die Menschen haben aber auch schon vor dem industriebedingten Klimawandel zu Recht versucht,
den Ertrag ihrer Nutzpflanzen zu steigern. Durch Jahrhunderte gelang das nur sehr langsam und mühsam: Man musste nach Pflanzen suchen, die durch zufällige Mutationen, wie sie in der Natur ständig vorkommen, vorteilhafte Eigenschaften, etwa besonders viele Körner in der Ähre eines Getreides aufwiesen, um sie miteinander zu kreuzen. In der Neuzeit ging es um Einiges schneller, indem man durch radioaktive Bestrahlung Mutationen beförderte und dann die Pflanzen zur Kreuzung auswählte, die eine der gesuchten Eigenschaften zeigten. Jetzt erledigt die Genschere dergleichen viel schneller und präziser, indem man das gewünschte Gen einfügt. Man kann Pflanzen sowohl ertragreicher wie widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder höhere Temperaturen machen. Gleichzeitig gibt es keinen logischen Grund, exakt gezielte Eingriffe in die Genetik für gefährlicher zu halten als Mutationen, wie sie in der Natur ständig und durch natürliche Radioaktivität oder aktive radioaktive Bestrahlung gehäuft, stattfinden. Das Horrorszenario der Gentechnik-Gegner – eine ungenießbare gentechnisch veränderte Pflanze, die alle anderen Pflanzen verdrängt, wird schwerlich mit der Genschere entstehen, von der man genau weiß, wo sie ansetzt – viel eher kann eine eine zufällige natürliche Mutationen eine solche Pflanze hervorbringen.
“Es ist längst machbar, Mais, Soja oder Reispflanzen so herzustellen, dass sie weniger Pestizide zu ihrem Schutz brauchen und gleichzeitig ertragreicher und gehaltvoller sind”, urteilt die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten -Scheid vom Gregor-Mendel-Institut der österreichischen Akademie der Wissenschaften exakt wie die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie spricht von einer
regelrechten Revolution der Biologie: “Die Liste der Kulturpflanzen, die dank CRISPR verbesserte
Eigenschaften aufweisen, wird jeden Monat länger.” Es gibt bereits Reispflanzen, die immun gegen
Schädlinge sind, aber man versucht auch sehr Spezielles: Japanische Forscher arbeiten an Tomaten, die gesundheitsfördernde Antioxydanten produzieren. “CRISPR wird zudem ein demokratisierendesWerkzeug sein”, sagt die Molekularbiologin Jennifer Doudna, die gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier für die Entdeckung der Genschere den Nobelpreis erhielt: "Wir entwickeln Möglichkeiten, CRISPR auch bei Pflanzen einzusetzen, die in kleinen Betrieben oder nur in bestimmten Teilen der Welt angebaut werden. So lassen sich auch lokal Probleme angehen."
All dem stehen in der EU restriktive rechtliche Regelungen entgegen. Nach einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs aus 2018 unterliegen Pflanzen, die mit Hilfe von CRISPR gezüchtet wurden, auch wenn sie keine artfremden Gene enthalten, strengsten Anbau – Auflagen. Die genetische
Veränderung einer Pflanze mittels Röntgenbestrahlung wurde hingegen als unbedenklich eingestuft, obwohl sie weit weniger präzise ist: Radioaktiv genetisch veränderte Nahrungsmittel werden in
Österreich daher seit Jahren problemlos verkauft. “Diese Unterscheidung ist wissenschaftlich nicht
haltbar”, kritisiert Mittelsten -Scheid. “Wir sollten uns nicht mehr fragen, was die Folgen der Nutzung
von CRISPR sein könnten, sondern was passiert, wenn wir dieses Werkzeug nicht nutzen.”
Sollte Gewessler mit ihrem Widerstand EU-weit Erfolg haben, droht Europas Agrarindustrie in
absehbarer Zeit mangelnde Konkurrenzfähigkeit. Sollte sie nur erreichen, dass Österreich weiterhin
darauf bestehen kann, dass gentechnisch hergestellte Nutzpflanzen hierzulande nicht angebaut werden
dürfen und dass Nahrungsmittel, die sie enthalten, gekennzeichnet werden müssen, so werden sie nur
etwas teurer als bisher sein.

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EU und Frankreich leiden an Deutschland

Die Unruhen in Frankreich und der Aufstieg der AfD in Deutschland oder der FPÖ bei uns spielen vor dem selben, von deutscher Politik geschaffenen ökonomischen Hintergrund

 Natürlich haben die brennenden Autos in Frankreich mehrere Gründe. Die Tradition, Konflikte auf der Straße auszutragen, reicht bis zur französischen Revolution zurück; der Abstand zwischen Volk und Elite war schon vor Emanuel Macron ein sehr großer; Frankreichs Geschichte als Kolonialmacht hat ihm immer schon ein Rassen – und Zuwanderungsproblem beschert. Aber der zentrale Grund für die von Randalierern angezündeten Autos ist Frankreichs Jugendarbeitslosigkeit von 18,4 Prozent. Und deren Hintergrund ist, wie überall im Süden der EU, ein deutscher.

Ich weiß nicht, welche Zahlen ich noch anführen muss, um klar zu machen, wie sehr die von Deutschland durchgesetzten Maastricht- Kriterien der EU wirtschaftlich schaden. Nur das durch sie erzwungene Sparen des Staates erklärt den hier schon einmal angeführten Tatbestand: Das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Eurozone war 2009 nach der Finanzkrise nur um 9.615 Dollar geringer als das der USA – doch mit dem Spar-Pakt hat sich dieser Abstand bis 2021auf 27.797 Dollar fast verdreifacht. Mein nur von Ex-Notenbank-Chef Ewald Nowotny für lesenswert befundenes Buch über die fortgesetzte “Zerstörung der EU” zeigt an Hand von Grafiken zum Wirtschaftswachstum diverser EU -Länder, wie es 2012 mit der Verschärfung der Maastricht-Kriterien durch den Spar-Pakt regelrecht einbrach, und mit der Saldenmechanik gibt es eine schlüssige ökonomische Theorie, die das mathematisch erklärt. Aber von Angela Merkels Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über Olaf Scholz` Finanzminister Christian Lindner (FDP) bis zu unserem Magnus Brunner (ÖVP) gibt es niemanden in diesem Amt, der daraus rationale Schlüsse zieht. Für die EU- Kommission bleibt er beschlossene Politik.

Eine seiner Folgen – die “kaputtgesparte Bundeswehr”- ist immerhin in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen, eine andere, die vernachlässigte deutsche Bahn, wird ihrer Verspätungen wegen zumindest diskutiert. Gefordert wird jetzt sogar der Bau von 400.000 Sozial-Wohnungen pro Jahr, die der sparende deutsche Staat unterließ. Voran in Paris mit seinen unerschwinglichen Wohnungen unterließ er in den Vororten neben dem sozialen Wohnbau auch die notwendigsten Investitionen in Einrichtungen sozialen Ausgleichs: Die dort seit jeher bestehenden Gettos mussten wie Geschwüre wachsen und sich verfestigen. Bei 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in diesen Regionen musste Kriminalität zur vorrangigen Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufstieg werden.

Die zweite Frankreich und der EU von Deutschland aufgebürdete Plage ist seine “Lohnzurückhaltung”. Dass die deutschen Löhne seit 2000 nicht mehr mit der Produktivität wuchsen, während französische Löhne das weiterhin taten, musste dazu führen, dass Frankreich die Marktanteile verlor, die Deutschland gewann. (Nicht anders war es in Italien oder Spanien, wo die Lohnstückkosten noch stärker über den deutschen liegen.) Weniger Marktanteil bedeuten in allen Sektoren der Wirtschaft weniger Verkäufe und damit eine geringere Auslastung der französischen (spanischen, italienischen) Industrie = höhere Arbeitslosigkeit, voran bei Jungen. Der “Süden” hat die Arbeitslosigkeit, die Deutschland, Österreich, Holland und die Schweiz durch ihre Lohnzurückhaltung vermeiden.

Gäbe es keinen gemeinsamen Euro, so wertete die deutsche, holländische und österreichische Währung dramatisch auf, (so tut es nur der Schweizer Franken) und auf den Märkten herrschte wieder Chancengleichheit – so gab und gibt es ihn und die innereuropäische Ungleichheit wuchs und wächst und wird angesichts der jüngsten EZB-Beschlüsse auch noch durch höher Zinsen für den “Süden” befördert.

Im “Norden” bleibt man bei der fatalen Lohnpolitik, weil es ihm relativ zum “Süden” natürlich gut geht- absolut gesehen geht es wachsenden Teilen seiner Bevölkerung schlecht: Es nutzt ihr wenig, dass das Bruttoinlandsprodukt ständig steigt, wenn ihr Lohnanteil daran immer geringer und nur der Gewinnanteil der Aktionäre immer größer wurde. Eine immer größere Gruppe beklagt sinkende Reallöhne und mit ihnen schon vor der aktuellen Teuerung sinkende Kaufkraft = sinkender Wohlstand. In Wirklichkeit ist diese Wirtschaftspolitik surreal: In der stärksten Volkswirtschaft des Nordens, in Deutschland, ist wie bei uns jedes fünfte Kind armutsgefährdet. Und da wundert man sich, dass immer mehr finanziell Zurückleibende in Regionen, die der sparende Staat meist außerdem vernachlässigt, AfD und FPÖ wählen? Dass EU-kritische Parteien in allen Mitgliedsländern immer stärker werden?

Letzter, kaum wahrgenommener, künftig denkbar kritischer Nachteil der Lohnzurückhaltung ist die immer geringere Zunahme der Produktivität in der EU: Holland verzeichnet das geringste Produktivitätswachstum seit vierzig Jahren, auch in Deutschland und Österreich wächst sie immer langsamer und damit in der gesamten EU so langsam wie nie: Angesichts immer geringerer Lohnerhöhungen in ihren wirtschaftsstärksten Ländern fehlt die Peitsche, die Unternehmen zur Modernisierung = Rationalisierung ihrer Anlagen, etwa durch Digitalisierung, antreibt. So wuchs das reale BIP pro Kopf in Holland im letzten Jahrzehnt nur um 1.477 Dollar, in Österreich um 3.211 und in Deutschland um 6.401, in der EU als Ganzes um 1.523 Dollar – gegenüber den erwähnten 27.797 Dollar in den USA.

Aber Zahlenvergleiche interessieren die Spitzen der EU-Politik nicht wirklich. Sie stehen darüber.

 

 

 

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Die gefährliche Rückkehr zu Spar-Budgets

Christian Lindner und Magnus Brunner sind gegen die von der EU geplante Lockerung der Staatsschuldenbremse und erhöhen das Risiko einer Rezession.

Die US-Notenbank FED erhöht die Zinsen nicht, nachdem die Teuerung von 8 auf 4 Prozent gesunken ist. In der EU sank sie von 10,6 auf 6 Prozent, um wieder auf 7 Prozent zu steigen und die EZB erhöht die Zinsen weiter. Wenn man meint, dass die lockere Geldpolitik an der Teuerung schuld ist, ist das logisch. Ich gehöre mit den Ökonomen Heiner Flassbeck und Paul Schulmeister zur Gruppe derer, die das bezweifeln und die Hauptursache der Teuerung im Ukrainekrieg und nebenher erhöhten Unternehmensgewinnen sehen. Zudem halten wir die Ausgangslage von EU und USA für nicht vergleichbar: Die USA haben Finanzkrise, Pandemie und Ukraine so gut verdaut, dass die Kurve ihres Wirtschaftswachstums so nach oben weist, als hätte es diese Ereignisse nicht gegeben: Die Löhne stiegen massiv, es herrscht Vollbeschäftigung und jetzt verbilligt neuerlich vermehrtes Fracking Gas bis hin zum erfolgreichen Exportschlager. In der EU blieb ein massiver Knick beim Wirtschaftswachturm, blieben die Löhne weiterhin zurück, gibt es immer noch 6 Prozent Arbeitslose und kommt Gas aus den USA weit teurer als aus Russland. Der Haupteffekt der Zinserhöhungen der EZB, so unsere Furcht, könnte darin bestehen, Rezession herbeizuführen: Bei unserem größten Handelspartner, Deutschland, schrumpft die Wirtschaft bereist das dritte Quartal geringfügig; beim zweitgrößten, Italien, das zweite Quartal aber heftig; in Österreich schrumpft sie erstmals.

Inmitten dieses Schrumpfens kämpfen die Finanzminister Österreichs und Deutschlands, Magnus Brunner und Christian Lindner für die möglichst rasche Wiederbelebung einer strengen „Staatsschuldenbremse“. Denn deren Ausgestaltung steht immerhin zur Diskussion. Es ist zwar nicht so, dass die EU-Kommission den Widersinn der Maastricht-Kriterien anerkennt, aber sie hat doch zur Kenntnis genommen, dass selbst der IWF den Austerity-Pakts “mehr schlecht als gut” nennt und plant eine EU-typische Lösung: Der Pakt wird zwar nicht entsorgt, aber seine Einhaltung wird nicht wie bisher verfolgt sondern soll nur Langfristiges Ziel sein. Sofern Lindner und Brunner sich mit ihrer Opposition nicht durchsetzen, würde die Schuldenbremse damit zwar nicht abgeschafft aber immerhin deutlich gelockert.

Ich möchte kurz festalten, was sie bisher angerichtet hat: Sie hat Militär und Rüstungsindustrie der EU kaputtgespart. Sie lässt Spitäler rundum kränkeln, weil auch Gesundheitsausgaben sich für nicht gleich wahrnehmbares Sparen geeignet haben. Kaum minder gefährlich äußert sich staatliches Sparen im Rückstand bei Digitalisierung und KI. Entscheidend behindert hat sie natürlich das Wirtschaftswachstum: War die Wirtschaftsleistung (das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf) der Eurozone 2009 nach der Finanzkrise um 9.615 Dollar geringer als die der USA, so hat sich dieser Abstand mit dem Spar-Pakt bis 2021auf 27.797 Dollar fast verdreifacht. Und zwar als zwingende Folge mathematischer Zusammenhänge, die der deutsche Ökonomen Wolfgang Stützel aufgezeigt hat: Wirtschaft kann nur wachsen, wenn irgendwer sich verschuldet, um mehr als bisher einzukaufen, so dass mehr als bisher verkauft werden kann. Zwar ist es optimal, wenn die Konsumenten mehr einkaufen – nur steht dem in der EU die “Lohnzurückhaltung” extrem im Weg. Lange haben auch Unternehmer mehr eingekauft – aber nur, wenn sie mehr Absatz erwarten konnten und das können sie nicht, wenn die Löhne zurückgehalten werden und der Spar-Pakt den Staat beim Einkaufen bremst.

Lindner und Brunner sehen das anders: Nach den hohen Staatsausgaben zur Bewältigung der Pandemie und Abfederung der Inflation müsse der Staat noch mehr sparen, weil auch die Zinsen für seine Schulden gestiegen sind. Dazu ist in Österreich zu sagen: Dass unsere Ausgaben für Pandemie- und Abfederung der Inflation besonders hoch sind, verdanken wir der ÖVP mit der COFAG und Brunner, die beides besonders kostspielig bekämpften, indem sie einer VP-Klientel Geschenke machten. „Sparsamkeit“ des Staates wäre diesbezüglich zweifelsfrei besser gewesen – nur ist die etwas völlig anderes als „Sparen des Staates“. Zweitens: selbst wenn man eine niedrige Staatsschuldenquote (Schulden pro BIP) für erfolgversprechend hält, obwohl Bulgarien mit traumhaften 22 Prozent und Japan mit katastrophalen 258 Prozent nicht gerade für diese These sprechen, muss einem das eigene Bruttoinlandsprodukt doch die wichtigere Größe sein. Und dieses Bruttoinlandsprodukt wächst, siehe Stützle und die USA, eben nicht durch Sparen, sondern durch Ausgeben des Staates.

Vielleicht hilft es Lindner und Brunner, ihre Schuldenphobie abzulegen, indem sie Meldungen des Jahres 2007 zur dramatischen Verschuldung der Stadt Frankfurt nachlesen. Sie wurden nämlich gefolgt von einer Meldung über das Eigentum der Stadt Frankfurt an Immobilen, aus der hervorging, dass alleine sie ein Vielfaches der Schulden wert sind. Man kann Schulden nämlich nicht nur im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung betrachten, sondern muss sie auch im Verhältnis zu dem sehen, was im Laufe der Jahre durch sie an Werten geschaffen wurde – sei es an Immobilien, sei es an funktionierenden Einrichtungen für Bildung, Energieversorgung, Gesundheitsversorgung oder Gewährleistung des Rechtstaates. Denn sie alle sind ein eminenter Vorteil beim Erzielen eines hohen BIP. Genau so wertvoll wie kampfkräftige statt kaputtgesparter Heere, die unseren Wohlstand vor Männern wie Wladimir Putin schützen.

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Was macht den Kommunismus salonfähig?

Die historische Belastung des realen Kommunismus mit Blut und Elend wiegt erstaunlich wenig. Traditionelle linke Politik angeblicher Kommunisten beeindruckt zu Recht.

Es gibt eine kurze Antwort auf die im Titel gestellte Frage: Die Schere zwischen hyperreich und relativ arm war lange nicht so groß, und Ahnungslose meinen, dass das im Kommunismus anders war. Gemäß einer Gallup Umfrage können sich daher 24 Prozent der Österreicher vorstellen die Kommunistische Partei (KPÖ) zu wählen. Am ehesten mit 29 Prozent Sympathisanten der SPÖ, aber mit 27 Prozent auch Grün-Affine. Am meisten verblüfft, dass sich selbst 25 Prozent Neos-Affiner vorstellen können, kommunistisch zu wählen, während es unter ÖVP-Affinen nur 13 Prozent sind. Weniger verblüffend: Dass die Bereitschaft bei unter 30-Jährigen mit 33 Prozent am höchsten ist – dies entspricht der Qualität unseres Geschichtsunterrichts – und dass sie bei Freiheitlichen mit 16 Prozent ähnlich niedrig wie bei VP-Affinen ist; Neo-Faschismus liegt ihnen vermutlich näher als Neo-Kommunismus.

Am Rande erklären diese Zahlen, warum eine “linke” SPÖ unter Andreas Babler laut Umfragen mehr Stimmen als eine “rechte” unter Hans Peter Doskozil erhielte: Sie nähme Grünen und Neos am ehesten Stimmen weg. Dadurch wird aber die von Babler erhoffte rot-grün-pinke Koalition um nichts wahrscheinlicher.

Obwohl das der realpolitisch bedeutsamste Schluss ist, den man aus der überraschenden Kommunismus-Akzeptanz der Österreicher ziehen muss, beeindruckt mich einmal mehr, wie wenig die historische Belastung einer Weltanschauung wiegt. Immerhin sind in der kommunistischen Sowjetunion allein aufgrund der “Zwangskollektivierung” (Enteignung der Bauern zugunsten staatlicher Agrar-Kombinate) schätzungsweise  sieben Millionen Menschen verhungert und wurden bis zu Stalins Tod im Jahr 1953 mindestens 18 Millionen Menschen als angebliche “Konterrevolutionäre” verhaftet, von denen 2,5 Millionen im “Archipel Gulag” starben und weiter 700.000 hingerichtet wurden. Gleichzeitig entstand die ungerechteste Gesellschaft, die man sich vorstellen kann: Parteifunktionäre besaßen zwar nichts, verfügten aber über absolut alles – prachtvollen Datschen bis zur eigenen Autobahn. Gleichzeitig war die Bevölkerung nicht nur relativ, sondern absolut arm. Kommunismus war und ist in jedem Land, in dem er herrschte – von Kuba über Kambodscha bis China -, mit Elend und Folter verbunden: Auch geflohene Kubaner haben Folternarben; dass es der Masse der Chinesen trotz Folter ökonomisch immer besser geht, liegt daran, dass ihre Wirtschaft immer weniger mit Kommunismus zu tun hat. Auch die Forderung der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) oder des Salzburger KPÖ-Shootingstars Kay-Michael Dankl haben nichts mitKommunismus zu tun.

Die historische Belastung des realen Kommunismus mit

Blut und Elend wiegt erstaunlich wenig. Traditionelle

linke Politik angeblicher Kommunisten beeindruckt zu recht

Beide fordern nur glaubwürdiger als andere normle linke Politik ein, die natürlich sinnvolle staatliche Eingriffe umfasst. Dass sie sich Kommunisten nennen, ist ihr privates Steckenpferd, auch wenn es zweifellos am meisten zur öffentlichen Akzeptanz der KPÖ beträgt

Der historische Kommunismus ist etwas anderes und lässt sich nicht vom Marxismus trennen, zu dem sich der neue SPÖ Chef Andreas Babler aus Privatvergnügen – sicher nicht aus Kenntnis – bekennt. Bablers Unterstützer wandten ein, dass selbst Karl Popper, Auto von “Die offene Gesellschaft und ihre Feinde”, einst Kommunist war – aber im Jahr 1922 mit 20 Jahren, nicht wie Babler 2023 mit 50 Jahren.

1922 wusste man noch nicht vom Elend und den Verbrechen, die der Kommunismus hervorgebracht hatte. Der Journalist Arthur Köstler hatte Folter und Schauprozesse in Russland noch nicht beschrieben. Marxismus war 1922, als Karl Popper sich ihm hingab noch nicht blutbefleckt, sondern eine faszinierende ökonomische Theorie, die die überragende Bedeutung von Eigentum und Profit erstmals in den Mittelpunkt stellte. Für Popper Generation galt das Bonmot: Wer mit 20 kein Marxist war, war nicht anständig – wer es mit 50 noch immer ist, ist nicht intelligent.

Aus seiner Kenntnis des Marxismus heraus hat Popper dessen kardinale Schwächen aufgezeigt: Marx, der viele große Risiken des Kapitalismus richtig sah, vermeinte fälschlich, aus ihnen ein “ehernes Gesetz” ableiten zu können, wonach sie zwingend zum Zusammenbruch des Kapitalismus führen müssen, der wiederum mit dem Sieg des Sozialismus enden muss. Wenn dem so ist, bräuchte es keine Gewerkschaften, um den Kapitalismus zu zähmen. Marx lehnte Gewerkschaften ab und warf ihnen vor, durch “Scheinerfolge” den Zusammenbruch des Kapitalismus und den Sieg des Sozialismus hinauszuzögern. Folgerichtig gab es in kommunistischen Staaten keine Gewerkschaften, die den Kapitalismus in allen anderen Staaten in gewisse Schranken wiesen (die Gewerkschaft Solidarność entstand in Polen 1980gegen den Willen des damaligen KP-Regimes). Gleichzeitig war die Überzeugung, dass der Sozialismus siegen müsse, eine willkommene Rechtfertigung, dafür, diesem Zweifel durch Folter nachzuhelfen.

Die zweite Schwäche der Marx´schen Theorie bestand darin, dass sie zwar lehrte, der siegreiche Sozialismus bestehe in der “Vergesellschaftung der Produktionsmittel”, nicht aber, worin “Vergesellschaftung” bestehe, denn das bescherte der Kommunistischen Partei die maximale Macht. Allerdings lehrte Otto Bauer diese Auslegung. Durch “Verstaatlichung”, so spottete er, hätten statt versierter Kaufleute ahnungslose Beamte das Sagen in Unternehmen. Es ist sicher nicht Kenntnis”, die SPÖ und Babler “Verstaatlichung” dennoch für “sozialistisch” halten lässt.

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Österreich hat einen „Marxist“ als Kanzlerkandidat

Dass Andreas Babler es für nützlich hält, die Welt durch eine marxistische Brille zu betrachten, habe ich noch verstanden, auch wenn mir lieber gewesen wäre, er hätte die Worte „gelegentlich auch“ vor der „Brille“ eingefügt – Karl Marx war auch für mich ein scharfer Beobachter des Wirtschaftsgeschehens.

Aber schon als Andreas Babler erklärte, „Marxist“ zu sein, war er für mich nicht mehr wählbar. Marxens zentrale Thesen sind ja nicht nur falsifiziert, sondern Karl Popper hat in „Die offene Gesellschaft und Ihre Feinde“ auch eingehend begründet, wieso sie als Kommunismus in absolut allen Ländern, von Russland bis China, von Kuba bis Venezuela zu Diktaturen führten, die neben Millionen Verhungerter auch Millionen Ermordeter verantworten. Ein politisch gebildeter Mensch kann heute kein Marxist/Kommunist mehr sein, auch wenn er Marx als Ökonomen respektiert.

Allerdings habe ich unter den Linken, die gelegentlich Marxens Vokabular gebrauchen, mit Ausnahme des verstorbenen Politwissenschaftlers Norbert Leser noch keinen getroffen, der auch Marx` Schriften gelesen hat – und Leser war Antimarxist. Insofern braucht man die Kommunisten Elke Kahr in Graz und Kai Michael Dankl in Salzburg nicht zu fürchten: Sie haben, wie vermutlich auch Babler, kaum eine Ahnung, wozu sie sich in der Theorie bekennen- was sie in der Praxis fordern, ist auch nicht kommunistisch und Diktaturen lehnen sie glaubwürdig ab. Ich wundere mich nur, dass jemand so Intelligenter wie Dankl seine Partei nicht lieber „Linke plus“ nennt.

Seit es das Video gibt, in dem der47 jährige – nicht der 17 jährige – Babler der EU nachsagt, ein „neoliberalistisches, protektionistisches, amerikanisches Konstrukt der übelsten Art und Weise“ und „das aggressivste außenpolitische militärische Bündnis“ zu sein, „das es je gegeben hat“, sehe ich in ihm allerdings doch eine echte Gefahr: Merkt denn ein Peter Menasse nicht, wie nahe Bablers EU-Bild dem Herbert Kickls ist? Hat er je überlegt, wie ein Kanzler Babler zur Bewaffnung der Ukraine durch die EU  stünde?

Ich habe etwas Neues über Österreichs „linke Intellektuelle“ gelernt: links zu sein, reicht ihnen völlig.  Für sie ist „Links“ ist eine Sache des Glaubens, nicht des Nachdenkens.   

Doskozil sagte jedenfalls sofort, was er anstrebt: Rot-Grün Pink. Seine wirtschaftlichen Forderungen unterscheiden sich wenig von denen Bablers und beraten wird er offenbar von Christian Kern, dem ich hier schon immer die größte ökonomische Kompetenz bescheinigt habe.

Biden stärkt Trump.

 Joe Biden hat sich wie erwartet im letzten Moment mit den Republikanern geeinigt, die Staatsschuldengrenze anzuheben. Denn zumindest ihrem Sprecher, Kevin McCarthy war klar, dass „Zahlungsunfähigkeit“ neben einer Weltwirtschaftskrise (die seine Radikalen kalt gelassen hätte) auch die größte Wirtschaftskrise der USA seit 1929 ausgelöst hätte – das hat er verhindert. Wohl aber gelang es den Republikanern, Joe Biden neuerlich zu schwächen: Er musste seine schon vielfach gekürzten Investitionen neuerlich erheblich kürzen. Da die Zinserhöhung der FED die Inflation gleichzeitig weniger als die Wirtschaft bremst, wird Biden 2024 bei der Wahl kaum mit Wirtschaftsdaten punkten können, die die Ära Trump in den Schatten stellen. Und Trump, nicht Floridas Gouverneur Ron DeSantis, wird Bidens Gegner sein. Denn nicht nur geriet DeSantis Wahlkampf-Auftakt bei Twitter zum Fiasko, sondern er wird dem Show Profi Trump in den kommenden Vorwahl-Konfrontationen genauso klar unterliegen, wie 2016 Floridas Gouverneur Jeff Bush.

Dass der um Jahrzehnte älter wirkende Biden Trump 2024 abermals schlägt, obwohl Stagflation herrschen dürfte, ist daher alles eher als gewiss. Wenn ihn die Strafjustiz nicht doch rechtzeitig aufhält, gibt es meines Erachtens ein 49 prozentiges Risiko, dass die freie Welt 2025 neuerlich mit Trump als US-Präsident konfrontiert ist. Nur dass er, der schon in seiner ersten Amtszeit am Sinn des transatlantischen Bündnisses zweifelte, ihm in seiner zweiten Amtszeit noch kritischer gegenüberstehen wird. Jedenfalls käme es einem Wunder gleich, wenn Trump die Verteidigung Europas gegen Putins Russland garantierte. Als Ukrainer, aber auch als Este, Lette, Georgier oder Moldawier sähe ich seiner Amtszeit jedenfalls mit panischer Angst entgegen. Und selbst wenn man die Chance, dass Trump die Wahl gewinnt, geringer als ich einschätzt, ist das Risiko, sich dabei zu irren, doch so groß, dass ich nicht verstehe, wie wenig sich die EU auf einen solchen GAU vorbereitet.

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So schaffen Notenbanken sinnlos Risiken  

Der Jammer des Monetarismus: Erhöhte Zinsen können Öl nicht verbilligen – aber Geld von Unternehmen zu Banken umverteilen und eine Rezession herbeiführen.

In den USA müssen weitere Banken davor bewahrt werden, auf Grund der Zinsanhebung der FED Pleite zu gehen. Denn Unternehmen, die plötzlich dank der erhöhten Zinsen mit verdoppelten Kreditkosten belastet sind, haben weiter Probleme, ihre Bank-Kredite zu bedienen. Haben die Banken kein perfektes Risikomanagement betrieben, so sind sie gleichzeitig damit konfrontiert, dass die hohen Zinsen den Kurs ihrer  sichersten und wichtigsten Aktiva, der Staatsanleihen, massiv verringern. Das ist der von der Silicon Valley -Bank vorgezeichnete Weg in die Pleite und ihn geht mittlerweile die vierte Bank.

Zwar erklärten Präsident Joe Biden, Finanzministerin Janet Yellen und FED -Präsident Jerome Powell unisono, wie “robust und widerstandsfähig” das US-Bankensystem sei und schufen auch einen entsprechenden Schutzschirm, aber dass sie das mussten, weckt den Verdacht, dass doch nicht alles so perfekt ist. Jerome Powell befindet sich jedenfalls in einer denkbar heiklen Lage: Erhöht er die Zinsen wie versprochen weiter, riskiert er noch mehr Bankenpleiten – erhöht er sie nicht, verstärkt er den Verdacht, dass es schlecht ums Bankensystem bestellt ist und gefährdet es damit erst recht.

Die EU beteuert, dass ihre Banken sicherer als die der USA sind: sie mussten mehr Risikokapital bilden und strengere Stresstest überstehen. Dennoch sehen ihre Probleme nur quantitativ anders aus. EZB wie FED haben sich mit der so schnellen, so starken Zinserhöhung in meinen Augen gleichermaßen überflüssig erhöhten Risiken ausgesetzt. Denn eine gefährliche Inflation, bei der überhöhte Löhne in einer selbsttätigen Spirale zu immer höheren Preisen führen, gibt es weder in den USA noch in der EU. Es gibt die von Russland und OPEC herbeigeführte, langsam abklingende Verteuerung von Öl/Gas, die man nur durch vermehrtes Fracking und, weit besser, durch die raschere Erschließung alternativer Energie erfolgreich bekämpfen kann. Nur gefährliche Inflation bekämpft man lehrbuchmäßig mittels höherer Zinsen, weil sie weitere Lohnerhöhungen erschweren, indem sie die Arbeitslosigkeit erhöhen. Wendet man dieses Rezept an, obwohl gar keine gefährliche Inflation sondern bloße Teuerung vorliegt, dann riskiert man hohe Arbeitslosigkeit samt Rezession.

Es prallen diesbezüglich zwei ökonomische Denkschulen aufeinander: hier die “Monetaristen”, die wie Notenbankgouverneur Robert Holzmann, die Notenbanker Deutschlands, der deutsche Starökonom Hans Werner Sinn oder Franz Schellhorn(Agenda Austria) glauben, dass eine erhöhte umlaufende Geldmenge zwingend Inflation erzeugt – dort die Mehrzahl angelsächsischer Ökonomen (leider nicht Jerome Powell) die den Monetarismus, wie der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck oder der Österreicher Stephan Schulmeister für falsifiziert halten: Japans Notenbank “flutet” die Wirtschaft seit 33 Jahren mit billigem Geld  – dennoch hat Japan nie auch nur die Zielinflation von 2 Prozent erreicht und hat selbst jetzt mit 3,2 Prozent ein der niedrigsten weltweit, weil es über viel Kernenergie verfügt. Hans Werner Sinns These, dass sie sich in diesem Zeitraum angestaut hätte und jetzt “hereinpflatscht” ist blanker Unsinn.

Die ökonomischen Irrtümer des Monetarismus waren so lange harmlos, als sie keine praktischen Folgen nach sich zogen, weil die Notenbanken sich nicht danach richteten. Doch als die Teuerung die Zehnprozent-Grenze überschritt, fraß die Angst den Verstand auf. Die Monetaristen sahen ihre Stunde gekommen und drängten die Notenbanken die Geldpolitik “endlich” zu straffen obwohl niemand erklären kann, warum hohe Zinsen Öl verbilligen oder der Wirtschaft besonders gut tun sollen. Paul Schulmeister nennt “Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhung” unter den gegebenen Umständen daher im Standard folgerichtig  “Irrsinn mit System”: “Eine Erhöhung von (Zins-)Kosten samt Umverteilung von Unternehmern und Haushalten zu  Banken bekämpft nicht die Teuerung, sondern die Realwirtschaft. Es bedeutet, dass Unternehmen und Haushalte eine Verdoppelung ihrer Kreditkosten aushalten müssen.”

In Österreich sind Unternehmen mit etwa 400 Milliarden Euro, Haushalte mit 200 Milliarden Euro verschuldet. Die Zinszahlungen dafür lagen vor der Zinserhöhung bei circa zehn (sechs plus vier) Milliarden Euro – jetzt sind daraus 20 Milliarden geworden. Unter den Unternehmen belasten die zusätzlichen Kosten die am meisten, die am meisten investieren, bei den Haushalten belasten sie am meisten jungen Familien, die eine Wohnung brauchen. Denn natürlich haben die höheren Kreditkosten als erstes dazu geführt, dass weniger gebaut wird. “Und wer” so fragt Schulmeister, “kassiert  die zehn Milliarden Euro zusätzlicher Zinszahlungen? Nicht die Sparer, sondern die Banken”. Dafür gibt es einen  Grund, der zum Anfang dieses Textes führt: Da die erhöhten Zinsen mit “Staatsanleihen” die sichersten Aktiva der Banken entwerten, kompensieren sie dieses erhöhte Risiko, indem sie weiter niedrige Sparzinsen zahlen.

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Es braucht Doskozil plus Babler

Es braucht Doskozil plus Babler

Wenn man Blau- Schwarz unter der Führung von Herbert Kickl für das Schlimmste hält, was Österreich zustoßen kann, dann ist die Aufgabe der Delegierten zum kommenden Parteitag der SPÖ klar: Sie müssen eine Führung etablieren, mit der die SPÖ genug Wähler dazu gewinnt, um eine rot-grün-pinke Mehrheit sicherzustellen, denn nur die schließt Blau-Schwarz mit Sicherheit aus. Gemessen an den aktuellen Umfragen sind das ziemlich viele Wähler, aber noch vor wenigen Monaten gab es eine klare Mehrheit der SPÖ in den Umfragen aller Institute, und in der Umfrage, die Hans Peter Doskozil vor einem Monat in Auftrag gab, schnitt sie mit ihm an der Spitze jedenfalls deutlich besser als derzeit ab. Dieses Resultat bestätigte sich auch in gleichartigen Umfragen unabhängiger Institute. Doskozil ist mit Sicherheit der beste Kanzler-Kandidat, wenn es gilt, Wähler von der FPÖ zurückzugewinnen oder sogar hin und wieder der ÖVP zu entreißen, und auch bei Unentschlossenen scheint Doskozil anzukommen: Das gute Management der Flüchtlingsflut von 2015 wird ihm auch in der Mitte gutgeschrieben. Dass Rendi- Wagners Wähler eine Doskozil-SPÖ nicht wählten, weil er sie schlecht behandelt hat, halte ich für unwahrscheinlich: Wer der SPÖ unter ihr treu blieb, ist rot geeicht. Selbst ORF-Ex-General Gerhard Zeiler, der aus der SPÖ austreten will, wenn Doskozil sie übernimmt, wählt sie vermutlich weiter, wenn es Blau-Schwarz abzuwehren gilt, denn grün oder Pink zu wählen wäre ein Nullsummenspiel, das ihr schadete, wenn es um die Beauftragung durch den Bundespräsidenten geht.

Aber auch Andreas Babler kann Wähler für die SPÖ hinzugewinnen. Mit Sicherheit ist er der Beste, wenn es darum geht, Erstwähler anzuziehen, denn er wirkt deutlich jünger als Doskozil.. Pamela Rendi-Wagners Wähler wählen ihn sicher, aber vor allem bei der großen Gruppe der Nichtwählern könnte er punkten: Dass die „KPÖ plus“ in Graz und Salzburg so erfolgreich war, zeigt, dass ein explizit linkes Programm und vor allem linkes Auftreten erstaunlich viel Resonanz erzielt. Einziges Problem: Ich glaube, dass Babler die Doskozil-Wähler und die Wähler, die die SPÖ rechts der Mitte gewinnen muss, eher abschreckt.

Mein Schluss aus dieser Analyse: Ich glaube, dass die SPÖ mit Doskozil als Kanzlerkandidat die besseren Chancen hat, dass es aber optimal wäre, wenn sie Babler in die Führung einbinden kann. Jedenfalls als Obmann-Stellvertreter, notfalls aber sogar, indem man eine Doppelspitze bestellt, Doskozil aber klar zum Kanzlerkandidaten macht. Hinter beiden stehen übrigens Männer. die wirklich etwas von Wirtschaft verstehen: Hinter Babler der Ökonom Nikolaus Kowall von der „Sektion 8“, hinter Doskozil Ex-Kanzler Christian Kern. Gemeinsam könnten die beiden ein optimales Aktionsprogramm für eine“ SPÖ plus“  entwerfen.

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Die Gründe für unsere hohe Teuerungsrate

Hauptgrund unserer überdurchschnittlichen Teuerung ist unsere überdurchschnittliche Abhängigkeit von russischem Gas. Erst danach kommen die Versäumnisse der Regierung.

Dass Österreich mit 9,8 Prozent eine höhere Teuerungsrate als der Durchschnitt der EU mit 8,3 Prozent aufweist, liegt vielleicht auch an Managementfehlern der Regierung – der Hauptgrund ist aber zweifellos, dass Österreich auf Grund der Energiepolitik früherer Regierungen weit mehr als der Durchschnitt der EU von russischem Gas abhängt. Gemessen daran, dass unsere Abhängigkeit doppelt so groß wie die Deutschlands ist, ist der so heftig diskutierte Unterschied zur 7,2 prozentigen deutschen Teuerung sogar relativ klein. Zwar mag es sein, dass die Regierungen Japans oder der Schweiz, die mit 3,2 und 2,9 Prozent die weltweit geringste Teuerung aufweisen, sie besser gemanagt haben, aber der Hauptgrund ist ihre viel billigere Energie: Japan hat Atomenergie, die Schweiz dazu Wasserkraft.

Fast überall trat zur Verteuerung der Energie hinzu, dass Unternehmen die Verunsicherung der Kunden zu höheren Gewinnmargen nutzten. Null Einfluss hatte dagegen die viel kritisierte lockere Geldpolitik der Notenbanken: Japans Notenbank flutet seine Wirtschaft seit 33 Jahren durchgehend mit billigem Geld und die Schweizer Notenbank hat dafür im Verhältnis zum BIP noch mehr Geld aufgewendet. Deshalb ist so unwahrscheinlich, dass die jetzt massiv gestraffte Geldpolitik die Teuerung vermindert: sie kann den Öl/Gaspreis als ihre zentrale Ursache nicht senken – es sei denn, sie bewirkt eine so schwere Rezession, dass weit weniger Öl und Gas als bisher gebraucht wird.

Während der Hauptgrund für Österreichs hohe Teuerungsrate also auf der Hand liegt, ist nicht so klar, wieso sie im letzten Quartal noch einmal um 0,6 Prozent gestiegen ist. Dass die Lebensmittelpreise daran die Hauptschuld tragen, ist insofern wahrscheinlich, als nur drei Handelsketten das Land beherrschen, was seit jeher für hohe Preise sorgte. Denkbar ist, dass Restaurants ihre Preise den verteuerten Nahrungsmitteln nicht sofort, sondern erst im letzten Quartal angepasst haben. Viele waren aber auch erst verspätet mit ihrer so viel höheren Stromrechnung konfrontiert und auch das wäre eine Erklärung, dass die Preise erst jetzt gestiegen sind.

Die Opposition und die meisten Österreicher sind freilich voran daran interessiert, was die Regierung falsch gemacht hat und da spielen die jüngsten 0,6 Prozent eine untergeordnete Rolle: Sie hat mangelnden Wettbewerb nie unterbunden; sie hat die sinnvolle Strompreisbremse zu spät verwirklicht und keine gleichartige Gaspreisbremse installiert; sie gilt innerhalb der Unternehmen einer VP-Klientel wie Hotels Verluste ab, die mangels Konkurrenz kaum eintreten werden; ihre Hilfen waren selten treffsicher. Damit werden die Erfolge der Regierung bei der Abfederung der Teuerung – und das ist mein Hauptvorwurf – in einem schlechten Verhältnis zu aufgewendeten Summen stehen. Beseitigen – und das gilt es zu begreifen – lässt sich eine durch den erhöhten Öl/Gas- Preis bedingte Teuerung durch keine Regierung der Welt.

Die schwarz-grüne Überlegung, dass es nur gelingen kann, Bedürftigen dabei zu helfen sie zu überstehen, während sozial Starke sie stemmen müssen, ist grundsätzlich richtig. Sie wurde nur eben nicht konsequent verwirklicht und das Haupthindernis – das sollte eine Lehre für die Zukunft sein – ist das Fehlen von Finanzdaten, aus denen nicht nur hervorgeht, wer was verdient, sondern auch, wer welches Vermögen hat. Die Regierung hat immer nur geschätzt, wer wie bedürftig ist, und dabei haben politische Intentionen der ÖVP stets mitgespielt. So hat sie zwar richtig – und für die Zukunft denkbar wichtig – diverse Beihilfen an die Inflation gekoppelt, nicht aber Notstandshilfe und Arbeitslosengeld. Dort wartet sie auf eine Generalreform, die nach den bisherigen Äußerungen von Arbeitsminister Martin Kocher leider Harz 4 zum Vorbild hat.

Massiv verfehlt war es, die Erhöhung der Mietpreise nicht zu Lasten der Haus- und Wohnungseigentümer zu begrenzen, denn die gehören im Allgemeinen der finanziell stärksten Schicht an. Anders herum verfehlt scheint mir, Abgaben und Gebühren der Gemeinden zu deckeln, denn das sind Entgelte für Leistungen, die sich stark verteuert haben und die Gemeinden sind finanziell nicht stark. Dass die Regierung die Übergewinne von Energieerzeugern in Zukunft vermehrt abschöpfen will, ist sinnvoll, sofern das Gesetz sie zwingt, so schnell wie möglich so viel wie möglich in alternative Energie zu investieren. Es wird den Strompreis zwar nicht rasch senken, aber es vermindert die Teuerung an ihrer Wurzel.

Zu Recht gewehrt hat sich die Regierung meines Erachtens immer gegen die Forderung, Steuern auszusetzen: Dass die deutsche Regierung Steuern auf Treibstoff ausgesetzt hat, hat den deutschen Fiskus drei Milliarden Euro gekostet und den deutschen Benzinpreis kaum gesenkt – nur der Treibstoffhandel hat gewonnen. Dieses Risiko besteht auch für die so vehement geforderte Mehrwertsteuersenkung bei Grundnahrungsmitteln: Es bleibt möglich, dass auch sie den Staat nur Einnahmen kostet und die Gewinne von Rewe und Co erhöht. Der Vergleich mit der niedrigen Inflation Frankreichs von 5,7 Prozent und Spaniens von 4,3 Prozent, wo diese Steuer gesenkt wurde hinkt: Beide haben eine riesige Agrarindustrie mit vielen konkurrierenden Handelsketten. Auch sonst sind beide Länder kein Maßstab: Frankreich hat den meisten Atomstrom, Spanien hat Atom-und Solarenergie, muss wenig heizen und kauft Gas seit jeher in Marokko und Algerien.

 

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Die Rückseiten des Beschäftigungswunders

Österreich verzeichnet die höchste Beschäftigung aller Zeiten. Zugleich Reallohnverluste und die aktuell höchste Armutsgefährdung. Die Arbeitslosigkeit ist ausgelagert.

Man soll alles immer von zwei Seiten betrachten. Als ich mir Herbert Kickls Bierzelt- Rede auf YouTube angehört habe, dachte ich zuerst: Hoffentlich hören das möglichst viele Leute, denn nirgends kann man klarer sehen, wohin er Österreich führt. Aber gleich darauf hat sich diese Hoffnung in die Furcht verkehrt, dass die Mehrheit der Österreicher so beschaffen sein könnte, dass Kickls Rede sie begeistert.

Die SPÖ hat jedenfalls nur anderthalb Jahre Zeit, um stark genug zu werden, uns in einer Koalition mit Grünen und NEOS davor zu bewahren, einer faschistoiden Zukunft entgegenzusehen. Ursprünglich hatte ich nach der Rede Karl Nehammers im KZ Mauthausen gedacht, dass auch die ÖVP keine Koalition mit Kickls FPÖ einginge, aber Niederösterreich und Salzburg haben mich gelehrt: Österreich könnte 2024 tatsächlich neben Ungarn, aber vor Polen und Italien, zum EU-Land mit der rechtsextremsten aller Regierung werden – der einzigen, die die “Panzerkolonnen der NATO” mit Kickl heftiger ablehnt als Wladimir Putins Aggression.

Gemessen daran wirken alle anderen Sorgen, die diese erste Mai-Woche aufwirft, unerheblich: Statt zu fallen stieg die Inflation angeblich wegen verteuerter Nahrungsmittel – genau weiß es niemand- um 0,6 Punkte auf 9,8 Prozent. Voran der Abstand von 2,6 Prozent zu Deutschland macht dabei Sorgen, könnte er doch den Wettbewerb erschweren. Nachträglich lässt sich jedenfalls sagen: Die Strompreisbremse wurde zwar rechtzeitig erdacht, aber zu spät verwirklicht, auf eine gleichartige Gaspreisbremse und eine Mietpreisbremse wurde ebenso verzichtet wie auf Preiskontrollen. Zugleich hat das Fehlen von Vermögensdaten allen Hilfsmaßnahmen die Treffsicherheit genommen, so dass der finanzielle Aufwand in keinem Verhältnis zum Erfolg steht. Dennoch wird die Inflation langsam abklingen, denn der Ölpreis ist nun einmal gegenüber seinem Höchststand deutlich gefallen.

Auch Österreichs Arbeitslosigkeit ist minimal gestiegen. Wahrscheinlich vor allem, weil die Statistik jetzt auch geflohene Ukrainerinnen umfasst – aber vielleicht auch, weil Österreich sich schon in einer Rezession befindet: Das Wirtschaftswachstum ist den zweiten Monat, wenn auch minimal, rückläufig. Die Zinserhöhungen der EZB haben voran die Bauwirtschaft eingebremst und meines Erachtens werden sie die gesamte Wirtschaft schneller als die Inflation bremsen – aber ich hoffe, dass ich mich irre.

Doch zwischen solchen negativen Nachrichten vermochte Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher eine höchst positive zu verkünden: Mit 77,5 Prozent sind derzeit mehr Österreicher denn je erwerbstätig. Zu verdanken ist das der gestiegenen Erwerbstätigkeit von Frauen, die 71,6 Prozent erreicht hat. Man könnte hinzufügen, dass das gegen eine ÖVP erreicht wurde, die der linken Forderung nach mehr Kindergartenplätzen und Gesamtschulen erst ganz zuletzt nachgegeben hat.

Aber auch abseits der erhöhten Beschäftigung von Frauen ist die Beschäftigungslage hervorragend: Die Arbeitslosigkeit liegt nach internationaler Definition bei nur 4,8 Prozent. Besser liegen unter den starken Ländern des “Nordens” nur Deutschland und Holland mit einer Arbeitslosigkeit von 2 und 3,1 Prozent. Beide Länder sind, wie Österreich, voran wegen des Mangels qualifizierte Arbeitskräfte, kaum mehr in der Lage, die Auftragsflut zu bewältigen, der sie gegenüberstehen.

Scheinbar die perfekte Wirtschaftslage. Nur dass die Reallöhne großer Teile der Bevölkerung aller drei Länder gefallen sind und ihre Armutsgefährdung in jüngerer Zeit nie höher war. “Seit dem Jahr 2000”, sagt ein Bericht der OECD, “haben in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen OECD Land. Hinsichtlich der Primärverteilung lässt sich sowohl ein rapider Rückgang des Anteils der Löhne am gesamten Volkseinkommen feststellen als auch eine zunehmende Ungleichverteilung innerhalb der Lohneinkommen”. Ähnliches gilt für Holland und Österreich: Der Anteil der Löhne am BIP ist in dem Ausmaß gesunken, in dem der Anteil der die Gewinne gestiegen ist, und nicht anders hat der Abstand zwischen niedrigen und hohen Einkommen zugenommen. Alle drei Volkswirtschaften haben nicht deshalb so viele Aufträge, weil sich ihre Bevölkerung immer mehr kaufen kann – sie kann im Gegenteil immer weniger kaufen, weil ihre Löhne seit 23 Jahren nicht mehr wie davor um Produktivitätszuwachs plus Inflation gestiegen sind.

Aber genau dadurch sind ihre Waren unschlagbar preiswert und haben den Volkswirtschaften, die keine “Lohnzurückhaltung” – kein Lohndumping- geübt haben, durch 23 Jahre Marktanteile weggenommen und all die Aufträge hinzugewonnen, die deren Unternehmen verlieren mussten.

Entsprechend groß ist dort die Arbeitslosigkeit: in Frankreich liegt sie offiziell bei 7,3 Prozent, nur dass viele Menschen die Arbeitsuche schon aufgegeben haben, während die Arbeitslosigkeit der 15 bis 24 jährigen 17 Prozent erreicht. In Italien gibt es 8 Prozent Arbeitslose und 22 Prozent sind unter 24. Und in Spanien mir der größten Zahl qualifizierter Arbeitskräfte der EU liegt die allgemeine Arbeitslosigkeit bei 12,8 Prozent und erreich unter 15 bis 24jährigen gespenstischen 29 Prozent – gegenüber 5,7 Prozent in Deutschland.

Man kann, wie voran in Deutschland, die eigene Lohnpolitik für optimal halten – oder in ihr wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stieglitz eines der zentralen Probleme der Wirtschaft sehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die globalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, laut Stiglitz “nicht zuletzt auf die Wirkungen zunehmender Einkommensungleichheit in den einzelnen Ländern zurückführen”. Folgt man dieser Analyse, bedarf es – insbesondere auch in Deutschland – einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung, um die latente Nachfrageschwäche und damit die gesamtwirtschaftliche Krisenanfälligkeit zu überwinden.

Diese Schlussfolgerung steht im Widerspruch zu gängigen wirtschaftspolitischen Empfehlungen in Deutschland. Diese bleiben bisher weitgehend einer Prä-Krisenstrategie mit Forderungen nach Lohnzurückhaltung und größerer Lohnspreizung verhaftet, d

Der im internationalen Vergleich außergewöhnlich star-ke Anstieg der ökonomischen Ungleichheit in Deutsch-land während des letzten Jahrzehnts ist mittlerweileausführlich dokumentiert. War Deutschland (Österreich) in der Vergangenheit traditionell
in geringerem Ausmaß von Einkommensungleichheit und -armut betroffen als der Durchschnitt der OECD-Länder,so ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer
drastischen Verschärfung der Ungleichheit gekom-
men: „

 

 

deutschen Banken standen nach den vielfältigen
Deregulierungsmaßnahmen im letzten Jahrzehnt un-
ter erheblichem Renditedruck und wandten sich bei
schwacher Kreditnachfrage im Inland zunehmend der
Spekulation mit riskanten Produkten im Ausland zu. Im
Ergebnis wurden die deutschen Banken – ebenso wie
die deutsche Exportindustrie – stark von der amerikani-
schen Immobilienkrise erschüttert.
Schlussfolgerungen
Die Weltwirtschaftskrise erzeugt für die Zukunft eine
Reihe von schwierigen gesamtwirtschaftlichen Her-
ausforderungen, die zwar von einigen Autoren seit lan-
gem erkannt wurden, 62 aber erst mit der globalen Wirt-
schaftskrise ins allgemeine Bewusstsein gerückt sind.
Es geht um nichts weniger als die Suche nach globaler
wirtschaftlicher Stabilität durch internationale Koopera-
tion.
Wie von Fitoussi und Stiglitz 63 ausgeführt, lassen sich
die globalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewich-
te nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Wirkungen
zunehmender Einkommensungleichheit in den einzel-
nen Ländern zurückführen. Folgt man dieser Analyse,
bedarf es – insbesondere auch in Deutschland – einer
gleichmäßigeren Einkommensverteilung, um die latente
Nachfrageschwäche und damit die gesamtwirtschaftli-
che Krisenanfälligkeit zu überwinden.
Diese Schlussfolgerung steht im Widerspruch zu gän-
gigen wirtschaftspolitischen Empfehlungen in Deutsch-
land. Diese bleiben bisher weitgehend einer Prä-Kri-
senstrategie mit Forderungen nach Lohnzurückhaltung
und größerer Lohnspreizung verhaftet, die keines der
derzeitigen Probleme lösen, dafür aber die Gefahr wei-
terer Instabilitäten hervorrufen. Sie beruhen zudem auf
empirisch fragwürdigen und teilweise widersprüchli-
chen Argumentationen. Statt eines „Weiter so“ bzw. ei-
ner „Erhöhung der Dosis“ sollte es zu einem – möglichst
international koordinierten – Richtungswechsel in der
Lohn- und Verteilungspolitik kommen. Dies ist eine we-
sentliche Voraussetzung für die künftige Stabilität der
globalen Wirtschaft.

63 J. P. Fitoussi, J. Stiglitz, a.a.O.
scheidend mit befördert hat. 55 Anders als in den USA ist
es in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit nicht
zu einem nennenswerten Anstieg der Verschuldung
der Privathaushalte relativ zu ihren Einkommen gekom-
men. 56 Vielmehr hat ein Großteil der Bevölkerung auf
fallende Reallöhne und die sozialpolitischen Einschnitte
der vergangenen Jahre mit Konsumverzicht reagiert. 57
Neben der offenbar ausgeprägten sozialen Norm der
vorsichtigen persönlichen Finanzplanung, die auf die
Kreditnachfrage wirkt, sind auch die Kreditvergabe-
praktiken deutscher Banken traditionell eher konserva-
tiv. 58 Im Ergebnis ist für Deutschland, im Unterschied
zu den USA, kaum ein signifikanter Vermögenseffekt
auf den privaten Konsum zu beobachten; die Haushalte
finanzieren ihren Konsum ganz überwiegend aus den
laufenden Einkommen.
Selbst während des letzten Aufschwungs sind aber die
real verfügbaren Einkommen bzw. die Nettolohnsumme
nicht mehr gestiegen. Die Reallöhne sind sogar wäh-
rend des Aufschwungs gefallen, eine in der Geschich-
te der Bundesrepublik einmalige Entwicklung. 59 Der
private Verbrauch ist dieser stagnativen Einkommens-
entwicklung bestenfalls passiv gefolgt. Zwar wurden
durch die schwache Lohnstückkostenentwicklung die
internationale Wettbewerbsfähigkeit und somit die Ex-
porte befördert. Zugleich folgte aber aus der Einkom-
mensumverteilung gleichsam mechanisch ein Anstieg
der privaten Sparquote, da die oberen Einkommens-
gruppen einen deutlich größeren Teil ihres Einkom-
mens auf die Ersparnis verwenden als die unteren
Einkommensgruppen. 60 Dies schwächte die Entwick-
lung der Binnenwirtschaft. Nicht nur dürfte der Netto-
effekt von Exportsteigerungen und Konsumstagnation
auf das Wachstum in einer großen Volkswirtschaft wie
Deutschland negativ ausgefallen sein. 61 Auch beding-
te diese Entwicklung hohe Kapitalexporte und somit
eine starke Auslandsorientierung des Bankensystems.

 

im Februar 2023 verzeichnet Spanien mit rund 12,8 Prozent die höchste Arbeitslosenquote innerhalb der Europäischen Union (EU-27). Im Durchschnitt sind 6 Prozent der EU-Bürgerinnen im Februar 2023 als arbeitslos registriert, während die durchschnittliche Arbeitslosenquote in den Ländern der Eurozone² mit rund 6,6 Prozent, signifikant höher liegt. In Deutschland, Polen und Tschechien herrscht mit Arbeitslosenquoten zwischen 2,4 bis 2,9 Prozent nahezu Vollbeschäftigung.

 

Jugendarbeitslosigkeit 29%   Arbeitslosigkeit 26% im Jahr 2013 aber nur 8,3 % 2007

 

Der Ausfuhrüberschuss im Handel mit Spanien belief sich im Jahr 2021 auf rund 9,75 Milliarden Euro. Der Gesamtwert der deutschen Exporte nach Spanien lag damit um 9,75 Milliarden Euro höher, als die spanischen Importe nach Deutschland.

 

 

Im Jahr 2022 hat die Arbeitslosenquote in Italien geschätzt rund 8,09 Prozent betragen. Für das Jahr 2023 wird die Arbeitslosenquote in Italien auf rund 8,30 Prozent prognostiziert Jugendarbeitlosigkeit zwischen 15 und 24 Jahren…..22,3%

 

2023 Laut den Daten des italienischen Statistikamts Istat exportierte Italien Waren im Wert von 77,5 Milliarden Euro nach Deutschland (ein Plus von 15,8 Prozent). Der Import aus der Bundesrepublik wuchs sogar um rund 20 Prozent – und steigt damit auf 91 Milliarden Euro.

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Als linker Wähler restlos ratlos

Die Wahl 2024 entscheidet, ob uns die Kickl-FPÖ regiert – und die SPÖ hat keinen überzeugenden Spitzenkandidaten. Vielleicht ist eine Ämterteilung ein gangbarer Ausweg.

  Wenn man die FPÖ Herbert Kickls wie ich für faschistoid hält, muss man die Wahlen von 2024 als wichtigste der 2. Republik ansehen. Denn die Österreicher sind ein Volk, das diese FPÖ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur stärksten Partei macht, so dass die reale Gefahr besteht, dass sie uns künftig regiert.

Die Gefahr bestünde nicht, wenn Karl Nehammer wie Pamela Rendi-Wagner, Werner Kogler und Beate Meinl-Reisinger erklärte, dass verbindliche Zusammenarbeit mit der FPÖ im Bund für ihn nicht in Frage kommt – aber das wird er nicht. Darüber verärgerte Linke sollten sich freilich erinnern, dass es der große Bruno Kreisky war, der 1970 den Cordon sanitaire durchbrach, der eine solche Zusammenarbeit ausschloss. Die von ihm arrangierte rot-blaue Koalition unter Fred Sinowatz`, nicht die schwarz-blaue unter Wolfgang Schüssel war der endgültige Tabubruch.

Diesmal wird die FPÖ anders als damals noch dazu die eindeutig stärkste Partei sein und das macht die aktuelle Situation so dramatisch: Eine FP-dominierte Regierung bleibt uns nur erspart, wenn SPÖ, Grüne und NEOS gemeinsam mehr Mandate als ÖVP und FPÖ erreichen. In jedem anderen Fall wird die ÖVP mit der FPÖ koalieren, weil Mitregieren ihrem Wirtschaftsflügel unverzichtbar scheint und man sich der erfolgreichen Zusammenarbeit unter Sebastian Kurz erinnert, auch wenn nun Kickl Kanzler sein wird.

Damit ist, um das zu verhindern, unerlässlich, dass Rot-Grün-Pink bis 2024 eine Mehrheit gegenüber Blau-Schwarz erringt und das ist deshalb so schwierig, weil sie in einem ähnlichen Wählerreservoir fischen und es nichts bringt, wenn sie einander Wähler wegnehmen. Es kann nur gelingen, wenn der SP-Kanzler-Kandidat Wähler aus der FPÖ und der ÖVP hinzugewinnt oder Nichtwähler zu SP-Wählern macht.

Dafür scheint primär Hans Peter Dokozil am besten geeignet. Nicht nur seine eigenen Umfragen, sondern auch Umfragen unabhängiger Institute sagen, dass die SPÖ mit ihm an der Spitze besser abschnitte. Nur sind Umfragen unter theoretischen Annahmen höchst ungenau – dass der ehemalige rote ORF- Intendant Gerhard Zeiler erklärte, eine Doskozil-SPÖ auf keinen Fall wählen, hat kaum weniger Gewicht als eine solche Umfrage. Erhebliches Gewicht hat allerdings auch der Umstand, dass Ex-Kanzler Christian Kern offenkundig dem Team Doskozils angehört und ihn in Zukunft beraten wird, denn Wirtschaftskompetenz wird für den Erfolg wesentlich sein. Derzeit fordert Doskozil mit dem Mindestlohn etwas jedenfalls Vernünftiges und hat ihn, wenn auch an suboptimaler Stelle, nämlich bei den eigenen Landesbediensteten, auch verwirklicht. Auch die Anstellung Pflegender beim Land ist nichts Optimales, aber dafür Reales. Und ein landeseigenes Busunternehmen war eine ziemlich gute, grüne Idee.

Was am meisten gegen Doskozil spricht, ist sein Verhalten gegenüber Pamela Rendi-Wagner: Sie durch Monate schlecht zu machen, ohne selbst zu kandidieren, war  parteischädigend. Deshalb ist leider nicht sicher, dass Doskozil unter Rechten und Nichtwählern so viele Wähler hinzugewinnt, wie er innerhalb der SPÖ zu Nichtwählern macht.

Die von ihm kritisierte Pamela Rendi-Wagner hat in meinen Augen freilich bewiesen, dass sie Kanzlerkandidatin nicht kann. Ihr Ehrgeiz ist beeindruckend, sie sagt auch nichts grundlegend falsches, aber es ist charakteristisch, dass kaum jemand weiß, was sie sagt. Dass die SPÖ in einer für sie optimalen politischen Situation so schlecht abschneidet, liegt jedenfalls nicht nur dran, dass Doskozil ihre Stellung ständig geschwächt hat und Herbert Kickl ein so perfekter Demagoge ist – Rendi-Wagner ist (anders als Gesundheitsministerin) einfach nicht überzeugend. Und dass sie erst jetzt einen anderen Parteisekretär neben (statt anstelle von) Christian Deutsch sucht, zeigt, dass sie einfach zu wenig vom politischen Handwerk versteht.

Das kann man dem dritten SP-Kandidaten Andreas Babler nicht nachsagen: In Traiskirchen mit dem größten Flüchtlingslager des Landes eine satte politische Mehrheit zu erzielen, ist ein eindrucksvolle Leistung. Ihr steht freilich eine eindrucksvolle politische Fehlleistung gegenüber: Sich mit dreißig für den Öxit auszusprechen, ist mehr als eine Jugendsünde, so sehr ich die neoliberalen Versäumnisse der EU geißle. Und dass sich mit der SJ-Frontfrau Julia Herr eine Abgeordnete für Babler engagiert, die in der Nato die Hauptschuldige des Ukrainekrieges sieht, spricht auch nicht rasend für ihn. Sein wirtschaftliches Programm ist sympathisch links, aber denkbar einfach gestrickt – ich zweifle, dass er wirtschaftliche Probleme auch nur entfernt wie Christian Kern durchschaut. Trotzdem kann ich mir von Babler am ehesten vorstellen, dass er Nichtwähler zu SP-Wählern macht, denn dieses Reservoir ist, wie Kay Michael Dankl mit der “KP plus” in Salzburg gezeigt hat, erstaunlich groß.

Damit komme ich zu folgendem wenig befriedigendem Schluss: Nur Babler und Doskozil haben eine vage Chance, die blau-schwarze Mehrheit zu verhindern, aber vermutlich wird dank der Unterstützung fast aller Parteigranden am ehesten Pamela Rendi- Wagner die SPÖ anführen. Den einzigen realistischen Ausweg halte ich daher für weit schwieriger als Christian Kern: Rendi- Wagner bleibt Parteichefin, Babler wird einer ihrer Stellvertreter und neuer Parteisekretär, Doskozil geht als Spitzenkandidat ins Rennen und alle Beteiligen sind aus Liebe zu Österreich zu diesem Kompromiss bereit.

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Wie Putin und OPEC das Klima retten

Der Beschluss der OPEC plus Russland sorgt mehr als das Aus für Verbrenner für weniger CO2 in der Atmosphäre. Aber es gibt es einen besseren Weg zu diesem Ziel.

Dass OPEC plus Russland beschlossen haben, die Öl/Gas -Förderung neuerlich zu drosseln, stabilisiert den Öl-Preis und  lässt die ärgerliche Teuerung länger anhalten. Gleichzeitig gibt es allerdings keine Maßnahme, die den Klimawandel ähnlich wirksam bekämpfte. Denn wenn man vom Methan aus Rindermägen absieht, hängt die Erwärmung der Atmosphäre so gut wie ausschließlich davon ab, wie viel Öl/Gas wir verbrennen. Der aktuelle Beschluss der OPEC +  bedeutet, dass täglich eine Million Barrels, (159 Millionen Liter) weniger Öl gefördert und verbrannt werden. Das bremst die Erwärmung stärker als die E-Autos, die täglich mehr auf die Straße kommen. Regierte Vernunft die Politik, so würde eine solche stete Verteuerung des Öls, in sozialverträglich abgefederter Form, einvernehmlich beschlossen.

Die EU hat soeben immerhin beschlossen, den Europäischen Emissionshandel über die Industrie hinaus auch auf die Bereiche Gebäude und Verkehr auszuweiten. Zirka  85 Prozent aller europäischen CO2-Emissionen sind damit zukünftig an Emissionsrechte gebunden. Die Menge dieser Emissionszertifikate soll kontinuierlich sinken, so dass sie sich sukzessive verteuern und der entsprechende Kostendruck sollte dazu zwingen, in allen Bereichen das jeweils Kostengünstigste zu unternehmen, um diesen Ausstoß zu verringern. Die EU ist zuversichtlich, auf  diese Weise ihre Klimaziele bis 2030 und weiter bis 2050 zu erreichen. Ich glaube zwar auch, dass sie damit große, den CO2-Ausstoß vermindernde technologische Verbesserungen erreichen wird, aber auch wenn das natürlich sinnvoll ist,  zweifle ich, dass es reicht, den Klimawandel zu verhindern.

Ich teile diesbezüglich die Einwände des deutschen Ökonom Heiner Flassbeck, der  in seiner Argumentation vom eingangs beschrieben Tatbestand ausgeht: Die Erwärmung  der Atmosphäre kann nur in dem Ausmaß vermindert werden, in dem weniger Öl/Gas gefördert und damit verbrannt wird. Global ist das trotz des Pariser Klimaabkommens in keiner Weise gelungen: Die CO2 Emissionen sind vielmehr weiter gestiegen, obwohl zumindest die EU seit zwanzig Jahren Gegenmaßnahmen ergriffen hat und es den Emissionshandel der Industrie längst gibt. Dieser Misserfolg liegt daran, dass die Erwärmung eben nicht in erster Linie davon abhängt, ob in der EU weniger CO2 aus Schloten und Auspuffen kommt -wobei nicht einmal das gelungen ist, aber vielleicht in Zukunft gelingen könnte – sondern ob weltweit weniger CO2 emittiert wird. Und diesbezüglich, so meint Flassbeck, unterliege man in der EU einem Denkfehler: Dass in der EU weniger Öl verbrannt wird, bedeute nämlich in keiner Weise, dass auch weltweit weniger Öl verbrannt würde. Vielmehr würde jeder Liter Öl, den die EU nicht kauft und verbrennt, sofort von Indien, China oder irgendeinem Entwicklungsland gekauft und verbrannt, um sich unserem Lebensstandard anzunähern. Das sei ökonomisch unvermeidlich und bedeute: Was immer wir weniger verbrennen, verbrennen andere mehr. “Nur wenn man sich das eingesteht”, meint Flassbeck, “kann es gelingen, ganz andere internationale Vereinbarungen zu treffen, bei denen die Produzenten fossiler Energieträger von Anfang an mit an Bord sind und eine kontinuierliche Reduktion der Förderung festgeschrieben wird. Nur ein solches globales Abkommen kann den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich alle erfolgreich anpassen können.”

Ich halte diese Einbindung der OPEC-Produzenten, voran Saudi Arabiens und der Golfstaaten nicht nur für notwendig, sondern auch für möglich. Durch Jahrzehnte haben sie sich nämlich der Forderung der USA nach einem niedrigeren Ölpreis gebeugt, um sich deren Waffenhilfe zu sichern    umso mehr sollten sie eine Vereinbarung akzeptieren, die ihnen zugesteht, den Ölpreis in einem festgesetzten Rhythmus und Ausmaß kontinuierlich zu erhöhen und damit  länger von ihrem Öl zu profitieren. Zwar unternimmt Joe Bidens  derzeit leider das Gegenteil: Aus Angst, dass die Teuerung ihn 2024 die Wahlen kostet, versuchte er – erfolglos – die  Saudis zur Rücknahme ihres Beschlusses zur Förderkürzung zu bewegen. Aber statt dass die EU sich von ähnlichen Ängsten leiten lässt, sollte sie die Führungsrolle übernehmen und Biden überzeugen, dass die zitierte Einigung mit der OPEC der bessere Weg ist, weil er zu messbaren Erfolgen im Kampf gegen den Klimawandel führen wird, mit denen alle Beteiligten bei den Wählern punkten können. Das Richtige – die kontinuierliche Verteuerung des Öls durch kontinuierliche Reduktion der Förderung  – kann nur geschehen, wenn alle Beteiligten begreifen, dass sie zu ihrem Vorteil ist, indem sie den Planeten schützt. Am Schwersten ist dieses Begreifen für die breite Bevölkerung: Sie wird die Verteuerung des Öls nur akzeptieren, wen sie sozialverträglich erfolgt. Dazu müssen die Regierungen über einen neoliberalen Schatten springen: Sie müssen die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß senken, in dem sie die Steuern auf Vermögen erhöhen. Man wird um den Abbau der gewaltigen Differenz zwischen Arm und Reich nicht herumkommen, wenn man die Zukunft lebenswert gestalten will.

Gleichzeitig könnte die EU, wenn sie begreift, dass ihr Bemühen, weniger Öl zu verbrennen, nicht linear dazu führt, dass weltweit weniger Öl verbrannt wird, zu einer weniger hektischen Anpassung unseres Öl/Gas -Verbrauchs kommen. Denn Menschen, die damit finanziell massiv überfordert sind,  sind sonst auch im Begreifen der notwendigen Verteuerung überfordert.

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Emmanuel Macrons unlösbare Aufgabe

Die Wut gegen Frankreichs Präsidenten entlädt sich aus einem absurden Grund. Frankreichs eigentliches wirtschaftliches Problem kann er beim besten Willen nicht lösen.

Dass man das Pensionsantrittsalter etwas erhöhen muss, wenn die Lebenserwartung dramatisch steigt, scheint relativ einsichtig. Dass die Anhebung von 62 auf 64 Jahre in Frankreich seit Monaten zu Straßenschlachten führt, hat einen simplen Grund: Nach Frankreichs Rechter, die sich Marine Le Pen als Präsidentin wünscht, wollen auch Frankreichs Sozialisten, aus deren Reihen er kommt, nichts mehr von Emmanuel Macron  wissen. Selbst dass er Frankreichs Größe (Grandeur) im Gespräch hält – bei seinem jüngsten Chinabesuch erklärte er, dass die Franzosen nicht daran dächten, die Taiwan – Politik der USA wie Vasallen zu kopieren- stieß zu Hause auf kleinliche Kritik: Es sei vielleicht ganz gut, dass die USA Taiwan schützen wollten.

Dennoch ist die Weltpolitik den Männern und Frauen auf der Straße reichlich egal. Sie demonstrieren gegen zwei Jahre weniger Pension, weil sie das Gefühl haben, dass ihr ohnehin geringer Wohlstand einmal mehr beschnitten wird. Die Überlegung, dass die massiv gestiegene Lebenserwartung rechnerisch nichts anderes zulässt, ist diesem Gefühl nicht gewachsen. Die Franzosen wollen, dass es ihnen besser, statt schlechter geht und sie können den wirtschaftlichen Zustand ihres Landes nicht nur aus Zahlen ablesen, sondern erleben ihn täglich: Die Arbeitslosigkeit liegt noch immer bei 7,1 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit verharrt bei 17,4 Prozent – in Deutschland gibt es ganz drei Prozent Arbeitslose.

Es war die Hoffnung, dass Macron diesen wirtschaftlichen Zustand grundlegend verändern würde, die seiner inhomogenen “Bewegung” 2017 als Partei “En Marche” eine satte parlamentarische Mehrheit bescherte. Er setzte zwar durch, dass die Abfertigung Gekündigter nicht mehr so hoch ist, dass sie in Wirklichkeit Anstellungen verhindert und dass Eisenbahner nicht mehr mit 54 in Pension gehen dürfen, aber besser geht es den Franzosen nicht. Zuletzt war die zerstrittene Regierung nicht einmal mehr in der Lage, auch nur den Beschluss zur dringenden Anhebung des Pensionsalters zu fassen. Für diesen Fall kennt das französische Präsidialsystem die Möglichkeit des Präsidenten, sein Anliegen mit einer Art Notverordnung durchzusetzen und wie viele Präsidenten vor ihm machte Macron davon Gebrauch – was die Stimmung freilich noch mehr anheizte. Die Opposition focht die Verordnung an, aber die neun Verfassungsrichter, durchwegs ranghohe Ex- Politiker, beurteilten die Anhebung als verfassungskonform. Macron hat scheinbar einen klaren Sieg errungen.

Aber der Schein trügt. Die Unruhen dauern an; die Gewerkschaften haben Macron den totalen Krieg erklärt; er hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Niemand weiß, wie er bis 2027 etwas weiterbringen soll. In deutschen Zeitungen kann man zutreffend lesen, woran Frankreich krankt: An der Weigerung so vieler Franzosen, strukturelle Reformen zu akzeptieren; an den zu starken Gewerkschaften; am zu großen Anteil der Landwirtschaft am BIP; an der zu geringen Bereitschaft einer abgehobenen Elite, sich mit den Problemen des kleinen Mannes zu befassen und Schonung der Elite vor Strafverfahren wegen Korruption.

Aber trotz all dieser traditionellen Schwächen wies Frankreich noch 2005 ein reales, kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf aus, das mit 36.703 USD nur um 1.198 USD unter dem deutschen von 37. 901 USD lag. Denn Frankreich besitzt gute, große Unternehmen, seine Klein- und Mittelbetriebe sind zwar schwächer als die deutschen, aber dafür hat es eine große konjunkturunabhängige Luxusindustrie und sind seine Banken weit stärker als deutsche Geldinstitute. Es hat gute Patente, sehr gute Schulen und sehr gute Universitäten. Aber während Deutschland sein BIP/Kopf bis 2017 auf 45.229 USD steigerte, legte das Frankreichs nur mehr auf 38.605 USD zu. Aus einem Abstand von rund 1.200 USD zu Gunsten Deutschlands im Jahr 2005 war 2017 einer von 6.000 USD geworden, der heute auf 7.400 USD weiter gestiegen ist.

Der so dramatisch vergrößerte Abstand hat zwar mehrere Gründe, aber  einen zweifelsfreien Hauptgrund, über den Deutschlands Medien kein Wort verlieren: Während Frankreich seine Löhne wie durch Jahrzehnte üblich, jedes Jahr um den Produktivitätszuwachs plus Inflation erhöhte und damit die in der EU vereinbarte Ziel-Inflation von 1,9 Prozent einhielt, übt Deutschland seit 2000 “Lohnzurückhaltung”. Daher die Reallohn Verluste vieler deutscher Arbeitnehmer – daher der gewaltige Konkurrenz-Vorteil der mit immer weniger Lohnkosten belasteten deutschen Waren, der sich gegenüber Frankreich zu einem Lohnstückkosten-Vorsprung von 20 Prozent addierte. Entsprechend massiv mussten französische Unternehmen in der EU, in Russland, in den USA oder in Südamerika Marktanteile an deutsche Unternehmen verlieren; mit Deutschland selbst wuchs  Frankreichs Handelsbilanz-Defizit um den Faktor 30.

Frankreichs Möglichkeit, Deutschland die verlorenen Marktanteile wieder abzujagen, ist eine rein theoretische. Denn  dazu müssten Frankreichs Unternehmen die deutschen Preise unterbieten, das heißt ihr Lohnniveau um mehr als 20 Prozent senken. Das provozierte selbst in Ansätzen eine Revolte, neben der die aktuellen Unruhen lächerlich sind. Zugleich verminderte es Frankreichs Inlands-Kaufkraft, die seine Inlands- Konjunktur aufrecht hält, derart, dass sie zusammenbräche. Aber ich soll nicht ständig wiederholen, warum ich in Deutschlands wirtschaftlichem Verhalten die größte Gefahr für die EU sehe.

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Wann und wodurch wanken Banken?

Die Pleiten von Banken könnten auch davon herrühren, dass sie mehr spekulieren, als sie Unternehmen Geld kreditieren. Hohe Zinsen können diese Gefahr verschärfen

Im Falter-Podcast zu  “Schwächen des Finanzsystems” habe ich die Frage, ob unsere Banken sicher sind, spontan mit “Ja”  beantwortet, weil ich mein eigenes Geld ohne zu Zögern auf jede heimische Bank legte.

Die richtige Antwort wäre gewesen: “In Österreich sind Einlagen bis 100.000 Euro absolut sicher. Aber man kann ein Finanzsystem nicht “sicher” nennen, in dem soeben zwei Großbanken Pleite gegangen sind. Es hat nur keinen Flächenbrand ausgelöst, weil richtig reagiert wurde:” Regierung und Notenbank der Schweiz haben bekanntlich dafür gesorgt, dass die größte Schweizer Bank, UBS, die wankende Credit Suisse übernommen hat; Joe Biden konnte verkünden, dass die Einlagen bei der Silicon Valley Bank (SVB) voll aus einem Topf gedeckt sind, den die US-Banken für solche Fälle gemeinsam gebildet haben. Auch wenn er nachschießen musste, dass die Regierung die Sicherheit aller Einlagen garantiert und das nur glaubwürdig war, weil die FED erklärte, jeder Bank, die sich in Schwierigkeiten befände, anonym zur Hilfe zu kommen.

Obwohl es in der EU keinen gemeinsamen Topf gibt und nichts Vergleichbares gesagt wurde, ist auch hier Ruhe eingetreten. Der Ökonom Stefan Schulmeister hat aber  zu Recht sofort darauf hingewiesen, dass das aktuelle Bankensystem störanfällig bleibt. Er, die ATTAK -Ökonomin Lisa Mittendrein und ich waren auch eher einig, woran das liegt: Das Hauptgeschäft der Banken besteht nicht mehr darin, Konsumenten und vor allem Unternehmen das Geld für realwirtschaftliche Geschäfte zu kreditieren, sondern darin, Geld in die Geldwirtschaft zu stecken und dort um so größere Gewinne zu machen, je spekulativer diese Investition ist. Denn das zeichnet die “Börse” aus: Der Aktienkurs eines Unternehmens, etwa “Tesla”, kann auch nur deshalb immer mehr steigen – den sämtlicher anderer Autoproduzenten zusammen übertreffen – weil immer mehr Menschen Tesla-Aktien in der Hoffnung auf Kursgewinne kaufen. Vor allem wenn Geld billig ist, geschieht das öfter. Es entstehen riesige Scheinwert-Blasen, die mit den realen Gewinnerwartungen des betreffenden Unternehmens nichts mehr zu tun haben. Irgendwann platzen diese Blasen – die von Tesla ist bereits stark geschrumpft – aber bis dahin können gewaltige Gewinne oder Verluste erzielt werden. Wenn es an den Börsen sehr viele Unternehmen gibt, deren Kurse wenig mit ihrer realwirtschaftlichen Erfolgserwartung zu tun haben, dann kann es für Banken, die solche Wertpapiere halten, leicht zum Problem werden. Die Aktien von Start-ups, wie die SVB sie durchaus zu Recht finanzierte, bilden besonders leicht Blasen und wenn die Zinsen steigen wird es für sie kritisch. Die SVB deckte sich daher zum Ausgleich mit scheinbar todsicheren mäßig verzinsten Staatsanleihen ein. Aber deren Kurs musste dramatisch fallen, als die FED den Leitzinssatz drastisch anhob – das war bekanntlich der Todesstoß für die SVB. Das Problem ist die starke Zunahme relativ spekulativer Aktien und typisch für die aktuelle Situation ist, dass sogar Unternehmen mit ihren Gewinnen derzeit lieber an der Börse spekulieren, als sie ins eigene Geschäft  zu stecken.

Frägt sich, wie man ein zu hohes Maß an Spekulation und damit Unsicherheit reduzieren kann. Theoretisch dadurch, dass jeder, der sich verspekuliert, eben pleite geht. Aber wenn das einer große Bank wie Lehman Brothers passiert, mündet es in eine Finanzkrise, die zur Wirtschaftskrise wird – deshalb werden solche Pleiten bei großen Banken mit aller Kraft vermieden – vielleicht sollten sie nicht so groß sein?

In den USA mussten jetzt nur die Mittel aus dem gemeinsamen Bankentopf aufgewendet werden – in der EU gibt es diesen Topf vorerst nicht. Aber die EU-Bankenunion” soll noch viel mehr leisten: Schon jetzt sorgt sie, besser als in den USA für eine gemeinsame Bankenaufsicht und sieht auch einen Mechanismus für die Abwicklung strauchelnder Banken vor, damit sie nicht so teuer wie bei der Credit Suisse ausfällt. Was weiter fehlt ist die in allen Ländern gleiche Absicherung der Einlagen durch einen gemeinsamen Topf: Deutschland wehrt sich dagegen mit seinen Banken womöglich für die Pleiten “südlicher” Banken zu haften, obwohl die “Deutsche Bank” gelegentlich in Skandale verwickelt war, die an die Credit Suisse erinnern.

Vergleichbar nützlich erschienen mir für alle Unternehmen absolut gleiche, von jedem Unternehmen einzuhaltende Vorschriften der Bilanzierung: Es sollte undenkbar sein, dass, wie in Österreich geschehen, für ein Geschäftsjahr zuerst ein Verlust und dann einen Gewinn bilanziert wird. Wenn sich alle Unternehmen an Hand ihrer Bilanzen einfach bewerten lassen, bleibt weniger Raum für Spekulation.

Sehr unterschiedlich haben wir im Podcast die Rolle der Notenbanken beurteilt: Die Ökonomin Heike Lehner, die an der Wirtschaftsuni tätig ist, war der Meinung, dass sie durch ihr zu spätes Eingreifen Schuld an der aktuellen Inflation trägt und die Zinsen jetzt zu Recht endlich deutlich erhöht – Schulmeister und ich können unverändert nicht verstehen, warum eine Geldpolitik, die durch 13 Jahre fast mit Deflation verbunden war, plötzlich zentrale Ursache der Inflation sein soll und zweifeln auch am Segen der aktuellen massiven Zinserhöhung, von der ich fürchte, dass sie jedenfalls dann in eine Rezession münden wird, wenn die Staaten der EU weiterhin sparen, statt massiv in Digitalisierung und Klimaschutz zu investieren. Gegen Ende des Jahres könnten Sie es wissen.

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So sind wir-zu einem leider großen Teil

Herbert Kickl tritt mit seinem Verhalten gegenüber der Ukraine und seinem politischen Erfolg den Beweis an, dass wir doch weitgehend so sind wie “Ibiza” uns zeigt.

“So sind wir nicht”, sagte Alexander Van der Bellen im Juni 2019, als “Ibiza” die Nachrichten beherrschte. Es war das eine der wenigen Halbwahrheiten aus dem Mund des Bundespräsidenten: Ein erheblicher Teil der Österreicher ist so. Seit einer Woche können wir für uns in Anspruch nehmen, das einzige westliche Land zu sein, in dem, wenn Sonntag gewählt würde, eine Partei die mit Abstand meisten Stimmen erhielte, deren Mandatare geschlossen den Saal verlassen haben, als der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj dem Parlament per Videoschaltung für Österreichs humanitäre Hilfe dankte. “Vertreter der Ukraine haben hier genau so wenig verloren, wie der Vertreter Russlands oder einer anderen kriegsführenden Partei”, begründete Herbert Kickl die Vorgangsweise seiner Partei und brachte es mit diesem Satz fertig, das Vorgehen des neben Saddam Hussein größten Kriegsverbrechers seit Adolf Hitler in einem Atemzug mit dem Kampf der Ukrainer für das Überleben ihrer überfallenen Heimat zu erwähnen. Auch die SPÖ schien mit Selenskyjs Auftritt nicht ganz klar zu kommen: Die Hälfte ihrer Mandatare blieb, wenn auch nicht demonstrativ, der Selenskyj Rede fern, denn auch in der SPÖ sind viele Abgeordnete nicht sicher, dass diese Rede mit der Neutralität vereinbar ist.

Das kommt davon, dass dieser Staat, seine Bevölkerung und seine Parteien zur Neutralität durchwegs ein schlampiges Verhältnis unterhalten: Sie ist ein Bestandteil jeder außenpolitischen Rede und wahrscheinlich inzwischen tatsächlich der österreichischen Identität, den man in Wahrheit nur akzeptieren kann, wenn man – ich wiederhole mich – gewillt ist, untätig zuzusehen, wenn jemandem mit Füssen gegen den Kopf getreten wird. Die grundsätzliche Diskussion um den humanen Wert oder Unwert der Neutralität zu unterlassen, ist ein zentrales österreichisches Problem, das einzig die NEOS als solches begreifen.

Schweden, Finnland oder Norwegen waren nie wie Österreich “dauernd” (“immerwährend”) neutral – das ist nur die Schweiz. Aber sie war es von Beginn an aus eigenem Willen, während wir uns einer Forderung Nikita Chruschtschows beugten, ohne deren Erfüllung wir den Staatsvertrag nicht erhalten hätten: Unsere angebliche Freiwilligkeit war erzwungen. Wenn man diese erzwungene “dauernde” Neutralität ohne politische Notwendigkeit weiterhin ernst nimmt, dann hat Herbert Kickls Ablehnung einer Rede Wolodymyr Selenskyjs im Parlament eine Menge für sich: Die Professoren für Völkerrecht, Stephan Verosta und Alfred Verdross, die den Staatsvertrag rechtlich begleiteten, waren der damals unstrittigen Rechtsansicht, dass zwar der einzelne Bürger des dauernd neutralen Staates nicht verpflichtet ist, sich eines moralischen Urteils über die kriegsführenden Parteien zu enthalten (er ist kein Subjekt des Völkerrechts), “wohl aber wird es der dauernd neutrale Staat vermeiden, in Konflikten dritter Staaten Partei zu ergreifen.” (Verosta). Im zweiten Weltkrieg warf Deutschland der Schweiz Bruch der Neutralität vor, weil sie nicht verhinderte, dass ihre Zeitungen Hitlers Vorgehen kritisierten und die Schweizer Regierung erwog ernsthaft Zensurmaßnahmen. Die Behauptung, die österreichische Neutralität sei ausschließlich militärisch zu verstehen, steht völkerrechtlich auf halb so sicheren Beinen. Allerdings hätte Österreich durch seinen Beitritt zur EU (den die Schweiz vermied) viel schwerwiegender  gegen die Forderung nach “dauernder” Neutralität verstoßen als durch Selenskyjs Rede im Parlament, und auch Österreichs lächerliche Wehrkraft war ein ungleich massiverer Verstoß dagegen.

Gleichzeitig ist das Völkerrecht freilich einem steten gewohnheitsrechtlichen Wandel unterworfen: Die Rechtsansicht, dass der dauernd neutrale Staat sehr wohl moralisch Partei ergreifen darf, ist heute längst nicht mehr so umstritten wie 1956. Vor allem gibt es auf der Welt nur mehr zwei Staaten, die dieses Gewohnheitsrecht formen: Österreich und die Schweiz. Natürlich konnte Selenskyjs Rede daher völkerrechtlich genauso gut stattfinden, wie man sie völkerrechtlich begründet vermeiden konnte. Kickl kennzeichnet, dass es sie nicht hören will –  dazu steht ihm Wladimir Putin politisch zu nahe.

Wenn in Österreich irgendwann irgendetwas ernsthaft durchdacht und diskutiert würde, verabschiedete es sich aus Gründen des politischen Anstands wie der rechtlichen Sauberkeit von der “dauernden” Neutralität – oder handelte wie die Schweiz ein anderes Abkommen mit der EU aus und steckte um die zwanzig Milliarden Euro in ein der Schweiz ebenbürtiges Heer. Letzteres kommt natürlich für keine Partei des Landes, auch nicht die FPÖ, in Frage. So wie wir das Trittbrettfahren lieben, lieben wir die schlampigen Rechtsverhältnisse – wir sind so.

Auch Herbert Kickl bekämpft die Parteinahme Österreichs ja nicht aus ernsthafter Sorge um ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht. Mir ist nicht bekannt, dass er aufgeschrien hätte, als die FPÖ in ihrer Koalition mit der ÖVP Wolfgang Schüssels sehr ernsthaft den Beitritt zur NATO erwog. Vielmehr vermochte Kickl vielen Österreichern glaubhaft zu machen (und glaubt es wahrscheinlich auch selbst), dass ihnen die Teuerung erspart bliebe, wenn Russland nicht sanktioniert und Putin nicht kritisiert würde. Und sobald viele Österreicher meinen, dass es ihnen mit “Heraushalten” wirtschaftlich besser ginge, ist ihnen Moral völlig egal. Denn so sind wir – leider zu einem verdammt großen Teil.

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