Die EU versteht Israels Angriff auf das Atomprogramm des Iran. Viele Österreicher verstehen ihn so wenig wie Israels Bombardement des Gazastreifens. Eine Diskussion.
Anders als bei der Ukraine einigten sich die G7 (USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und EU) bezüglich des Angriffs Israels auf den Iran auf folgenden Text: Der Iran ist „Hauptquelle regionaler Instabilität und des Terrors“ und „Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung“.
Der Zufall wollte es, dass ich unmittelbar nach dieser Erklärung vor sechzig jüngeren Leuten ein Referat über die Motive hielt, die meine Eltern veranlassten, in der NS-Zeit Juden zu verstecken und ich nutzte die Gelegenheit, sie nach ihrer Meinung zum aktuellen Verhalten Israels zu fragen. Ich war wenig erstaunt, dass sie Israels Vorgehen im Gazastreifen einmütig ablehnen, aber die Ablehnung des Angriffs auf den Iran fiel ebenso eindeutig aus. Die ausnehmend informierten Diskutanten begründeten sie so: Ein unmittelbarer Angriff des Iran auf Israel, der eine vorbeugende Abwehr gerechtfertigt hätte, sei nicht bevorgestanden; zudem sei es Donald Trump gewesen, der den Vertrag verließ, mit dem der Iran auf die Herstellung einer A-Bombe verzichtet; dass er Uran daraufhin so angereichert hat, dass ihm die Herstellung der Bombe in wenigen Jahren möglich wäre, sei zu wenig, um Israels Angriff zu rechtfertigen.
Ich bestritt das mit dem Argument, dass man inhaltlich von einem ständigen Krieg des Iran gegen Israel ausgehen müsse: Teheran fordert nicht nur permanent dessen Auslöschung, sondern finanziert, vom Gazastreifen, über den Libanon und Syrien bis zum Jemen eine Kette von Milizen, die abwechselnd vom Iran gelieferte Raketen auf Israel abfeuern. Man müsse mit einem Gegenschlag nicht warten, bis der Iran nur mehr Wochen zur Herstellung von A-Bomben braucht.
Bei den jungen Leuten blieb ich mit dieser Argumentation erfolglos. Einvernehmen gab es nur in einem Punkt: Auch ich sehe ein Kriegsverbrechen darin, dass Israel auch iranische Gasfelder und Raffinerien zerstört, denn sie sind Lebensgrundlage der Bevölkerung.
Am weitesten entfernt von den jungen Diskutanten war ich bei „Gaza“. Seit dem Mord an sechs Millionen Juden, von denen viele vor den Augen meiner Mutter mit den Worten „Nächstes Jahr in Jerusalem“ ins Gas gegangen sind, war es für mich unausweichlich, ihnen dort eine Heimstätte zu schaffen – der Nahe Osten ist dazu groß genug. Dass Organisationen wie die Hamas diese Notwendigkeit bestreiten, ist für mich Basis des Nahostkonflikts. Nur davon ausgehend, könne man Israels Fehler diskutieren.
Bei „Gaza“ gipfelten sie darin, dass Benjamin Netanjahu, um einem Korruptionsprozess zu entgehen, eine Koalition mit religiösen Ultras einging, die als einzige bereit waren, ihn zum immunen Regierungschef zu machen. Es war die militärische und nachrichtendienstliche Unfähigkeit dieser Regierung, die am 7.Oktober 2023 dazu führte, dass Kämpfer der Hamas die Grenze überwanden, mehr als tausend Israelis massakrieren und zweihundert Geiseln nahmen.
Obwohl klar war, dass Israel jedes Recht zur Selbstverteidigung hat, schrieb ich damals, dass ich es für besser hielte, wenn es im Gazastreifen zwar einen einzelnen Militärschlag setzte, die große Bodenoffensive aber unterließe, weil Häuserkampf in ein Gemetzel münden müsse. Um sich gegen Raketen zu wehren, die die Hamas weiterhin abschießen würde, sollte Israel möglichst rasch ein technisch bereits entwickeltes Abwehrsystem installieren, das es erlaubt auch kleine, selbstgebastelte Raketen billig abzufangen.
Obwohl ich das schrieb, war ich ziemlich sicher, dass es nicht so kommen würde: Wohl jeder Staat, der militärisch dazu in der Lage ist, wäre wie Israel in den Gazastreifen vorgestoßen, zumal es militärischen Druck zur Befreiung der Geiseln brauchte. Wenn die Hamas sie weder freigab noch sich ergab, musste es zu dem Massensterben kommen, das mich zu meiner Warnung veranlasst hat: In die unterirdischen Gänge der Hamas einzudringen, hätte es dort hinter Deckung mit Maschinengewehren Wartenden denkbar einfach gemacht, die Eindringenden zu Tausenden zu erschießen, und die Gänge zu fluten hätte die Geiseln umgebracht. Selbstverständlich haben die USA Afghanistan daher aus der Luft bombardiert, um die Taliban zu stürzen. Dass Israel das auch tat, hat dazu geführt, dass tausend massakrierten Israelis rund fünfzigtausend tote Palästinenser gegenüberstehen und schon diese Relation beweist für die jungen Diskutanten Israels Kriegsverbrechen. Das übersieht in meinen Augen die Besonderheit der Situation: Die Kämpfer der Hamas bewegten sich in einem unterirdischen Gangsystem, das seine Ein– und Angänge wie seine Gefechtsstände bevorzugt unter Krankenhäuern und Schulen hat. Es ist nicht zufällig ein eindeutiges Kriegsverbrechen, die eigene Streitmacht mit einem Schutzschild von Zivilisten zu umgeben – wer das wie die Hamas grundsätzlich tat, trägt daher in meinen Augen die Hauptschuld an Abertausenden Opfern. Israels Mitschuld liegt allenfalls darin, Überlegungen wie ich sie angestellt habe, nie in Betracht gezogen zu haben. Ich bin deshalb unverändert nicht bereit, es ein „Kriegsverbrechen“ zu nennen, dass Israel Bereiche, in denen es Hamas-Kämpfer vermutete, bombardierte. Wirklich stark erscheinen mir hingegen die Indizien für ein Kriegsverbrechen Israels dort, wo es die Gaza –Bevölkerung von der Versorgung mit Nahrung und Medikamenten abgeschnitten hat. Auch die jungen Diskutanten sahen darin das größte Verbrechen – ohne freilich meine Meinung zum Bombardement zu teilen.