Österreich hat einen „Marxist“ als Kanzlerkandidat

Dass Andreas Babler es für nützlich hält, die Welt durch eine marxistische Brille zu betrachten, habe ich noch verstanden, auch wenn mir lieber gewesen wäre, er hätte die Worte „gelegentlich auch“ vor der „Brille“ eingefügt – Karl Marx war auch für mich ein scharfer Beobachter des Wirtschaftsgeschehens.

Aber schon als Andreas Babler erklärte, „Marxist“ zu sein, war er für mich nicht mehr wählbar. Marxens zentrale Thesen sind ja nicht nur falsifiziert, sondern Karl Popper hat in „Die offene Gesellschaft und Ihre Feinde“ auch eingehend begründet, wieso sie als Kommunismus in absolut allen Ländern, von Russland bis China, von Kuba bis Venezuela zu Diktaturen führten, die neben Millionen Verhungerter auch Millionen Ermordeter verantworten. Ein politisch gebildeter Mensch kann heute kein Marxist/Kommunist mehr sein, auch wenn er Marx als Ökonomen respektiert.

Allerdings habe ich unter den Linken, die gelegentlich Marxens Vokabular gebrauchen, mit Ausnahme des verstorbenen Politwissenschaftlers Norbert Leser noch keinen getroffen, der auch Marx` Schriften gelesen hat – und Leser war Antimarxist. Insofern braucht man die Kommunisten Elke Kahr in Graz und Kai Michael Dankl in Salzburg nicht zu fürchten: Sie haben, wie vermutlich auch Babler, kaum eine Ahnung, wozu sie sich in der Theorie bekennen- was sie in der Praxis fordern, ist auch nicht kommunistisch und Diktaturen lehnen sie glaubwürdig ab. Ich wundere mich nur, dass jemand so Intelligenter wie Dankl seine Partei nicht lieber „Linke plus“ nennt.

Seit es das Video gibt, in dem der47 jährige – nicht der 17 jährige – Babler der EU nachsagt, ein „neoliberalistisches, protektionistisches, amerikanisches Konstrukt der übelsten Art und Weise“ und „das aggressivste außenpolitische militärische Bündnis“ zu sein, „das es je gegeben hat“, sehe ich in ihm allerdings doch eine echte Gefahr: Merkt denn ein Peter Menasse nicht, wie nahe Bablers EU-Bild dem Herbert Kickls ist? Hat er je überlegt, wie ein Kanzler Babler zur Bewaffnung der Ukraine durch die EU  stünde?

Ich habe etwas Neues über Österreichs „linke Intellektuelle“ gelernt: links zu sein, reicht ihnen völlig.  Für sie ist „Links“ ist eine Sache des Glaubens, nicht des Nachdenkens.   

Doskozil sagte jedenfalls sofort, was er anstrebt: Rot-Grün Pink. Seine wirtschaftlichen Forderungen unterscheiden sich wenig von denen Bablers und beraten wird er offenbar von Christian Kern, dem ich hier schon immer die größte ökonomische Kompetenz bescheinigt habe.

Biden stärkt Trump.

 Joe Biden hat sich wie erwartet im letzten Moment mit den Republikanern geeinigt, die Staatsschuldengrenze anzuheben. Denn zumindest ihrem Sprecher, Kevin McCarthy war klar, dass „Zahlungsunfähigkeit“ neben einer Weltwirtschaftskrise (die seine Radikalen kalt gelassen hätte) auch die größte Wirtschaftskrise der USA seit 1929 ausgelöst hätte – das hat er verhindert. Wohl aber gelang es den Republikanern, Joe Biden neuerlich zu schwächen: Er musste seine schon vielfach gekürzten Investitionen neuerlich erheblich kürzen. Da die Zinserhöhung der FED die Inflation gleichzeitig weniger als die Wirtschaft bremst, wird Biden 2024 bei der Wahl kaum mit Wirtschaftsdaten punkten können, die die Ära Trump in den Schatten stellen. Und Trump, nicht Floridas Gouverneur Ron DeSantis, wird Bidens Gegner sein. Denn nicht nur geriet DeSantis Wahlkampf-Auftakt bei Twitter zum Fiasko, sondern er wird dem Show Profi Trump in den kommenden Vorwahl-Konfrontationen genauso klar unterliegen, wie 2016 Floridas Gouverneur Jeff Bush.

Dass der um Jahrzehnte älter wirkende Biden Trump 2024 abermals schlägt, obwohl Stagflation herrschen dürfte, ist daher alles eher als gewiss. Wenn ihn die Strafjustiz nicht doch rechtzeitig aufhält, gibt es meines Erachtens ein 49 prozentiges Risiko, dass die freie Welt 2025 neuerlich mit Trump als US-Präsident konfrontiert ist. Nur dass er, der schon in seiner ersten Amtszeit am Sinn des transatlantischen Bündnisses zweifelte, ihm in seiner zweiten Amtszeit noch kritischer gegenüberstehen wird. Jedenfalls käme es einem Wunder gleich, wenn Trump die Verteidigung Europas gegen Putins Russland garantierte. Als Ukrainer, aber auch als Este, Lette, Georgier oder Moldawier sähe ich seiner Amtszeit jedenfalls mit panischer Angst entgegen. Und selbst wenn man die Chance, dass Trump die Wahl gewinnt, geringer als ich einschätzt, ist das Risiko, sich dabei zu irren, doch so groß, dass ich nicht verstehe, wie wenig sich die EU auf einen solchen GAU vorbereitet.

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So schaffen Notenbanken sinnlos Risiken  

Der Jammer des Monetarismus: Erhöhte Zinsen können Öl nicht verbilligen – aber Geld von Unternehmen zu Banken umverteilen und eine Rezession herbeiführen.

In den USA müssen weitere Banken davor bewahrt werden, auf Grund der Zinsanhebung der FED Pleite zu gehen. Denn Unternehmen, die plötzlich dank der erhöhten Zinsen mit verdoppelten Kreditkosten belastet sind, haben weiter Probleme, ihre Bank-Kredite zu bedienen. Haben die Banken kein perfektes Risikomanagement betrieben, so sind sie gleichzeitig damit konfrontiert, dass die hohen Zinsen den Kurs ihrer  sichersten und wichtigsten Aktiva, der Staatsanleihen, massiv verringern. Das ist der von der Silicon Valley -Bank vorgezeichnete Weg in die Pleite und ihn geht mittlerweile die vierte Bank.

Zwar erklärten Präsident Joe Biden, Finanzministerin Janet Yellen und FED -Präsident Jerome Powell unisono, wie “robust und widerstandsfähig” das US-Bankensystem sei und schufen auch einen entsprechenden Schutzschirm, aber dass sie das mussten, weckt den Verdacht, dass doch nicht alles so perfekt ist. Jerome Powell befindet sich jedenfalls in einer denkbar heiklen Lage: Erhöht er die Zinsen wie versprochen weiter, riskiert er noch mehr Bankenpleiten – erhöht er sie nicht, verstärkt er den Verdacht, dass es schlecht ums Bankensystem bestellt ist und gefährdet es damit erst recht.

Die EU beteuert, dass ihre Banken sicherer als die der USA sind: sie mussten mehr Risikokapital bilden und strengere Stresstest überstehen. Dennoch sehen ihre Probleme nur quantitativ anders aus. EZB wie FED haben sich mit der so schnellen, so starken Zinserhöhung in meinen Augen gleichermaßen überflüssig erhöhten Risiken ausgesetzt. Denn eine gefährliche Inflation, bei der überhöhte Löhne in einer selbsttätigen Spirale zu immer höheren Preisen führen, gibt es weder in den USA noch in der EU. Es gibt die von Russland und OPEC herbeigeführte, langsam abklingende Verteuerung von Öl/Gas, die man nur durch vermehrtes Fracking und, weit besser, durch die raschere Erschließung alternativer Energie erfolgreich bekämpfen kann. Nur gefährliche Inflation bekämpft man lehrbuchmäßig mittels höherer Zinsen, weil sie weitere Lohnerhöhungen erschweren, indem sie die Arbeitslosigkeit erhöhen. Wendet man dieses Rezept an, obwohl gar keine gefährliche Inflation sondern bloße Teuerung vorliegt, dann riskiert man hohe Arbeitslosigkeit samt Rezession.

Es prallen diesbezüglich zwei ökonomische Denkschulen aufeinander: hier die “Monetaristen”, die wie Notenbankgouverneur Robert Holzmann, die Notenbanker Deutschlands, der deutsche Starökonom Hans Werner Sinn oder Franz Schellhorn(Agenda Austria) glauben, dass eine erhöhte umlaufende Geldmenge zwingend Inflation erzeugt – dort die Mehrzahl angelsächsischer Ökonomen (leider nicht Jerome Powell) die den Monetarismus, wie der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck oder der Österreicher Stephan Schulmeister für falsifiziert halten: Japans Notenbank “flutet” die Wirtschaft seit 33 Jahren mit billigem Geld  – dennoch hat Japan nie auch nur die Zielinflation von 2 Prozent erreicht und hat selbst jetzt mit 3,2 Prozent ein der niedrigsten weltweit, weil es über viel Kernenergie verfügt. Hans Werner Sinns These, dass sie sich in diesem Zeitraum angestaut hätte und jetzt “hereinpflatscht” ist blanker Unsinn.

Die ökonomischen Irrtümer des Monetarismus waren so lange harmlos, als sie keine praktischen Folgen nach sich zogen, weil die Notenbanken sich nicht danach richteten. Doch als die Teuerung die Zehnprozent-Grenze überschritt, fraß die Angst den Verstand auf. Die Monetaristen sahen ihre Stunde gekommen und drängten die Notenbanken die Geldpolitik “endlich” zu straffen obwohl niemand erklären kann, warum hohe Zinsen Öl verbilligen oder der Wirtschaft besonders gut tun sollen. Paul Schulmeister nennt “Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhung” unter den gegebenen Umständen daher im Standard folgerichtig  “Irrsinn mit System”: “Eine Erhöhung von (Zins-)Kosten samt Umverteilung von Unternehmern und Haushalten zu  Banken bekämpft nicht die Teuerung, sondern die Realwirtschaft. Es bedeutet, dass Unternehmen und Haushalte eine Verdoppelung ihrer Kreditkosten aushalten müssen.”

In Österreich sind Unternehmen mit etwa 400 Milliarden Euro, Haushalte mit 200 Milliarden Euro verschuldet. Die Zinszahlungen dafür lagen vor der Zinserhöhung bei circa zehn (sechs plus vier) Milliarden Euro – jetzt sind daraus 20 Milliarden geworden. Unter den Unternehmen belasten die zusätzlichen Kosten die am meisten, die am meisten investieren, bei den Haushalten belasten sie am meisten jungen Familien, die eine Wohnung brauchen. Denn natürlich haben die höheren Kreditkosten als erstes dazu geführt, dass weniger gebaut wird. “Und wer” so fragt Schulmeister, “kassiert  die zehn Milliarden Euro zusätzlicher Zinszahlungen? Nicht die Sparer, sondern die Banken”. Dafür gibt es einen  Grund, der zum Anfang dieses Textes führt: Da die erhöhten Zinsen mit “Staatsanleihen” die sichersten Aktiva der Banken entwerten, kompensieren sie dieses erhöhte Risiko, indem sie weiter niedrige Sparzinsen zahlen.

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Wie Putin und OPEC das Klima retten

Der Beschluss der OPEC plus Russland sorgt mehr als das Aus für Verbrenner für weniger CO2 in der Atmosphäre. Aber es gibt es einen besseren Weg zu diesem Ziel.

Dass OPEC plus Russland beschlossen haben, die Öl/Gas -Förderung neuerlich zu drosseln, stabilisiert den Öl-Preis und  lässt die ärgerliche Teuerung länger anhalten. Gleichzeitig gibt es allerdings keine Maßnahme, die den Klimawandel ähnlich wirksam bekämpfte. Denn wenn man vom Methan aus Rindermägen absieht, hängt die Erwärmung der Atmosphäre so gut wie ausschließlich davon ab, wie viel Öl/Gas wir verbrennen. Der aktuelle Beschluss der OPEC +  bedeutet, dass täglich eine Million Barrels, (159 Millionen Liter) weniger Öl gefördert und verbrannt werden. Das bremst die Erwärmung stärker als die E-Autos, die täglich mehr auf die Straße kommen. Regierte Vernunft die Politik, so würde eine solche stete Verteuerung des Öls, in sozialverträglich abgefederter Form, einvernehmlich beschlossen.

Die EU hat soeben immerhin beschlossen, den Europäischen Emissionshandel über die Industrie hinaus auch auf die Bereiche Gebäude und Verkehr auszuweiten. Zirka  85 Prozent aller europäischen CO2-Emissionen sind damit zukünftig an Emissionsrechte gebunden. Die Menge dieser Emissionszertifikate soll kontinuierlich sinken, so dass sie sich sukzessive verteuern und der entsprechende Kostendruck sollte dazu zwingen, in allen Bereichen das jeweils Kostengünstigste zu unternehmen, um diesen Ausstoß zu verringern. Die EU ist zuversichtlich, auf  diese Weise ihre Klimaziele bis 2030 und weiter bis 2050 zu erreichen. Ich glaube zwar auch, dass sie damit große, den CO2-Ausstoß vermindernde technologische Verbesserungen erreichen wird, aber auch wenn das natürlich sinnvoll ist,  zweifle ich, dass es reicht, den Klimawandel zu verhindern.

Ich teile diesbezüglich die Einwände des deutschen Ökonom Heiner Flassbeck, der  in seiner Argumentation vom eingangs beschrieben Tatbestand ausgeht: Die Erwärmung  der Atmosphäre kann nur in dem Ausmaß vermindert werden, in dem weniger Öl/Gas gefördert und damit verbrannt wird. Global ist das trotz des Pariser Klimaabkommens in keiner Weise gelungen: Die CO2 Emissionen sind vielmehr weiter gestiegen, obwohl zumindest die EU seit zwanzig Jahren Gegenmaßnahmen ergriffen hat und es den Emissionshandel der Industrie längst gibt. Dieser Misserfolg liegt daran, dass die Erwärmung eben nicht in erster Linie davon abhängt, ob in der EU weniger CO2 aus Schloten und Auspuffen kommt -wobei nicht einmal das gelungen ist, aber vielleicht in Zukunft gelingen könnte – sondern ob weltweit weniger CO2 emittiert wird. Und diesbezüglich, so meint Flassbeck, unterliege man in der EU einem Denkfehler: Dass in der EU weniger Öl verbrannt wird, bedeute nämlich in keiner Weise, dass auch weltweit weniger Öl verbrannt würde. Vielmehr würde jeder Liter Öl, den die EU nicht kauft und verbrennt, sofort von Indien, China oder irgendeinem Entwicklungsland gekauft und verbrannt, um sich unserem Lebensstandard anzunähern. Das sei ökonomisch unvermeidlich und bedeute: Was immer wir weniger verbrennen, verbrennen andere mehr. “Nur wenn man sich das eingesteht”, meint Flassbeck, “kann es gelingen, ganz andere internationale Vereinbarungen zu treffen, bei denen die Produzenten fossiler Energieträger von Anfang an mit an Bord sind und eine kontinuierliche Reduktion der Förderung festgeschrieben wird. Nur ein solches globales Abkommen kann den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich alle erfolgreich anpassen können.”

Ich halte diese Einbindung der OPEC-Produzenten, voran Saudi Arabiens und der Golfstaaten nicht nur für notwendig, sondern auch für möglich. Durch Jahrzehnte haben sie sich nämlich der Forderung der USA nach einem niedrigeren Ölpreis gebeugt, um sich deren Waffenhilfe zu sichern    umso mehr sollten sie eine Vereinbarung akzeptieren, die ihnen zugesteht, den Ölpreis in einem festgesetzten Rhythmus und Ausmaß kontinuierlich zu erhöhen und damit  länger von ihrem Öl zu profitieren. Zwar unternimmt Joe Bidens  derzeit leider das Gegenteil: Aus Angst, dass die Teuerung ihn 2024 die Wahlen kostet, versuchte er – erfolglos – die  Saudis zur Rücknahme ihres Beschlusses zur Förderkürzung zu bewegen. Aber statt dass die EU sich von ähnlichen Ängsten leiten lässt, sollte sie die Führungsrolle übernehmen und Biden überzeugen, dass die zitierte Einigung mit der OPEC der bessere Weg ist, weil er zu messbaren Erfolgen im Kampf gegen den Klimawandel führen wird, mit denen alle Beteiligten bei den Wählern punkten können. Das Richtige – die kontinuierliche Verteuerung des Öls durch kontinuierliche Reduktion der Förderung  – kann nur geschehen, wenn alle Beteiligten begreifen, dass sie zu ihrem Vorteil ist, indem sie den Planeten schützt. Am Schwersten ist dieses Begreifen für die breite Bevölkerung: Sie wird die Verteuerung des Öls nur akzeptieren, wen sie sozialverträglich erfolgt. Dazu müssen die Regierungen über einen neoliberalen Schatten springen: Sie müssen die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß senken, in dem sie die Steuern auf Vermögen erhöhen. Man wird um den Abbau der gewaltigen Differenz zwischen Arm und Reich nicht herumkommen, wenn man die Zukunft lebenswert gestalten will.

Gleichzeitig könnte die EU, wenn sie begreift, dass ihr Bemühen, weniger Öl zu verbrennen, nicht linear dazu führt, dass weltweit weniger Öl verbrannt wird, zu einer weniger hektischen Anpassung unseres Öl/Gas -Verbrauchs kommen. Denn Menschen, die damit finanziell massiv überfordert sind,  sind sonst auch im Begreifen der notwendigen Verteuerung überfordert.

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Emmanuel Macrons unlösbare Aufgabe

Die Wut gegen Frankreichs Präsidenten entlädt sich aus einem absurden Grund. Frankreichs eigentliches wirtschaftliches Problem kann er beim besten Willen nicht lösen.

Dass man das Pensionsantrittsalter etwas erhöhen muss, wenn die Lebenserwartung dramatisch steigt, scheint relativ einsichtig. Dass die Anhebung von 62 auf 64 Jahre in Frankreich seit Monaten zu Straßenschlachten führt, hat einen simplen Grund: Nach Frankreichs Rechter, die sich Marine Le Pen als Präsidentin wünscht, wollen auch Frankreichs Sozialisten, aus deren Reihen er kommt, nichts mehr von Emmanuel Macron  wissen. Selbst dass er Frankreichs Größe (Grandeur) im Gespräch hält – bei seinem jüngsten Chinabesuch erklärte er, dass die Franzosen nicht daran dächten, die Taiwan – Politik der USA wie Vasallen zu kopieren- stieß zu Hause auf kleinliche Kritik: Es sei vielleicht ganz gut, dass die USA Taiwan schützen wollten.

Dennoch ist die Weltpolitik den Männern und Frauen auf der Straße reichlich egal. Sie demonstrieren gegen zwei Jahre weniger Pension, weil sie das Gefühl haben, dass ihr ohnehin geringer Wohlstand einmal mehr beschnitten wird. Die Überlegung, dass die massiv gestiegene Lebenserwartung rechnerisch nichts anderes zulässt, ist diesem Gefühl nicht gewachsen. Die Franzosen wollen, dass es ihnen besser, statt schlechter geht und sie können den wirtschaftlichen Zustand ihres Landes nicht nur aus Zahlen ablesen, sondern erleben ihn täglich: Die Arbeitslosigkeit liegt noch immer bei 7,1 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit verharrt bei 17,4 Prozent – in Deutschland gibt es ganz drei Prozent Arbeitslose.

Es war die Hoffnung, dass Macron diesen wirtschaftlichen Zustand grundlegend verändern würde, die seiner inhomogenen “Bewegung” 2017 als Partei “En Marche” eine satte parlamentarische Mehrheit bescherte. Er setzte zwar durch, dass die Abfertigung Gekündigter nicht mehr so hoch ist, dass sie in Wirklichkeit Anstellungen verhindert und dass Eisenbahner nicht mehr mit 54 in Pension gehen dürfen, aber besser geht es den Franzosen nicht. Zuletzt war die zerstrittene Regierung nicht einmal mehr in der Lage, auch nur den Beschluss zur dringenden Anhebung des Pensionsalters zu fassen. Für diesen Fall kennt das französische Präsidialsystem die Möglichkeit des Präsidenten, sein Anliegen mit einer Art Notverordnung durchzusetzen und wie viele Präsidenten vor ihm machte Macron davon Gebrauch – was die Stimmung freilich noch mehr anheizte. Die Opposition focht die Verordnung an, aber die neun Verfassungsrichter, durchwegs ranghohe Ex- Politiker, beurteilten die Anhebung als verfassungskonform. Macron hat scheinbar einen klaren Sieg errungen.

Aber der Schein trügt. Die Unruhen dauern an; die Gewerkschaften haben Macron den totalen Krieg erklärt; er hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Niemand weiß, wie er bis 2027 etwas weiterbringen soll. In deutschen Zeitungen kann man zutreffend lesen, woran Frankreich krankt: An der Weigerung so vieler Franzosen, strukturelle Reformen zu akzeptieren; an den zu starken Gewerkschaften; am zu großen Anteil der Landwirtschaft am BIP; an der zu geringen Bereitschaft einer abgehobenen Elite, sich mit den Problemen des kleinen Mannes zu befassen und Schonung der Elite vor Strafverfahren wegen Korruption.

Aber trotz all dieser traditionellen Schwächen wies Frankreich noch 2005 ein reales, kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf aus, das mit 36.703 USD nur um 1.198 USD unter dem deutschen von 37. 901 USD lag. Denn Frankreich besitzt gute, große Unternehmen, seine Klein- und Mittelbetriebe sind zwar schwächer als die deutschen, aber dafür hat es eine große konjunkturunabhängige Luxusindustrie und sind seine Banken weit stärker als deutsche Geldinstitute. Es hat gute Patente, sehr gute Schulen und sehr gute Universitäten. Aber während Deutschland sein BIP/Kopf bis 2017 auf 45.229 USD steigerte, legte das Frankreichs nur mehr auf 38.605 USD zu. Aus einem Abstand von rund 1.200 USD zu Gunsten Deutschlands im Jahr 2005 war 2017 einer von 6.000 USD geworden, der heute auf 7.400 USD weiter gestiegen ist.

Der so dramatisch vergrößerte Abstand hat zwar mehrere Gründe, aber  einen zweifelsfreien Hauptgrund, über den Deutschlands Medien kein Wort verlieren: Während Frankreich seine Löhne wie durch Jahrzehnte üblich, jedes Jahr um den Produktivitätszuwachs plus Inflation erhöhte und damit die in der EU vereinbarte Ziel-Inflation von 1,9 Prozent einhielt, übt Deutschland seit 2000 “Lohnzurückhaltung”. Daher die Reallohn Verluste vieler deutscher Arbeitnehmer – daher der gewaltige Konkurrenz-Vorteil der mit immer weniger Lohnkosten belasteten deutschen Waren, der sich gegenüber Frankreich zu einem Lohnstückkosten-Vorsprung von 20 Prozent addierte. Entsprechend massiv mussten französische Unternehmen in der EU, in Russland, in den USA oder in Südamerika Marktanteile an deutsche Unternehmen verlieren; mit Deutschland selbst wuchs  Frankreichs Handelsbilanz-Defizit um den Faktor 30.

Frankreichs Möglichkeit, Deutschland die verlorenen Marktanteile wieder abzujagen, ist eine rein theoretische. Denn  dazu müssten Frankreichs Unternehmen die deutschen Preise unterbieten, das heißt ihr Lohnniveau um mehr als 20 Prozent senken. Das provozierte selbst in Ansätzen eine Revolte, neben der die aktuellen Unruhen lächerlich sind. Zugleich verminderte es Frankreichs Inlands-Kaufkraft, die seine Inlands- Konjunktur aufrecht hält, derart, dass sie zusammenbräche. Aber ich soll nicht ständig wiederholen, warum ich in Deutschlands wirtschaftlichem Verhalten die größte Gefahr für die EU sehe.

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Wann und wodurch wanken Banken?

Die Pleiten von Banken könnten auch davon herrühren, dass sie mehr spekulieren, als sie Unternehmen Geld kreditieren. Hohe Zinsen können diese Gefahr verschärfen

Im Falter-Podcast zu  “Schwächen des Finanzsystems” habe ich die Frage, ob unsere Banken sicher sind, spontan mit “Ja”  beantwortet, weil ich mein eigenes Geld ohne zu Zögern auf jede heimische Bank legte.

Die richtige Antwort wäre gewesen: “In Österreich sind Einlagen bis 100.000 Euro absolut sicher. Aber man kann ein Finanzsystem nicht “sicher” nennen, in dem soeben zwei Großbanken Pleite gegangen sind. Es hat nur keinen Flächenbrand ausgelöst, weil richtig reagiert wurde:” Regierung und Notenbank der Schweiz haben bekanntlich dafür gesorgt, dass die größte Schweizer Bank, UBS, die wankende Credit Suisse übernommen hat; Joe Biden konnte verkünden, dass die Einlagen bei der Silicon Valley Bank (SVB) voll aus einem Topf gedeckt sind, den die US-Banken für solche Fälle gemeinsam gebildet haben. Auch wenn er nachschießen musste, dass die Regierung die Sicherheit aller Einlagen garantiert und das nur glaubwürdig war, weil die FED erklärte, jeder Bank, die sich in Schwierigkeiten befände, anonym zur Hilfe zu kommen.

Obwohl es in der EU keinen gemeinsamen Topf gibt und nichts Vergleichbares gesagt wurde, ist auch hier Ruhe eingetreten. Der Ökonom Stefan Schulmeister hat aber  zu Recht sofort darauf hingewiesen, dass das aktuelle Bankensystem störanfällig bleibt. Er, die ATTAK -Ökonomin Lisa Mittendrein und ich waren auch eher einig, woran das liegt: Das Hauptgeschäft der Banken besteht nicht mehr darin, Konsumenten und vor allem Unternehmen das Geld für realwirtschaftliche Geschäfte zu kreditieren, sondern darin, Geld in die Geldwirtschaft zu stecken und dort um so größere Gewinne zu machen, je spekulativer diese Investition ist. Denn das zeichnet die “Börse” aus: Der Aktienkurs eines Unternehmens, etwa “Tesla”, kann auch nur deshalb immer mehr steigen – den sämtlicher anderer Autoproduzenten zusammen übertreffen – weil immer mehr Menschen Tesla-Aktien in der Hoffnung auf Kursgewinne kaufen. Vor allem wenn Geld billig ist, geschieht das öfter. Es entstehen riesige Scheinwert-Blasen, die mit den realen Gewinnerwartungen des betreffenden Unternehmens nichts mehr zu tun haben. Irgendwann platzen diese Blasen – die von Tesla ist bereits stark geschrumpft – aber bis dahin können gewaltige Gewinne oder Verluste erzielt werden. Wenn es an den Börsen sehr viele Unternehmen gibt, deren Kurse wenig mit ihrer realwirtschaftlichen Erfolgserwartung zu tun haben, dann kann es für Banken, die solche Wertpapiere halten, leicht zum Problem werden. Die Aktien von Start-ups, wie die SVB sie durchaus zu Recht finanzierte, bilden besonders leicht Blasen und wenn die Zinsen steigen wird es für sie kritisch. Die SVB deckte sich daher zum Ausgleich mit scheinbar todsicheren mäßig verzinsten Staatsanleihen ein. Aber deren Kurs musste dramatisch fallen, als die FED den Leitzinssatz drastisch anhob – das war bekanntlich der Todesstoß für die SVB. Das Problem ist die starke Zunahme relativ spekulativer Aktien und typisch für die aktuelle Situation ist, dass sogar Unternehmen mit ihren Gewinnen derzeit lieber an der Börse spekulieren, als sie ins eigene Geschäft  zu stecken.

Frägt sich, wie man ein zu hohes Maß an Spekulation und damit Unsicherheit reduzieren kann. Theoretisch dadurch, dass jeder, der sich verspekuliert, eben pleite geht. Aber wenn das einer große Bank wie Lehman Brothers passiert, mündet es in eine Finanzkrise, die zur Wirtschaftskrise wird – deshalb werden solche Pleiten bei großen Banken mit aller Kraft vermieden – vielleicht sollten sie nicht so groß sein?

In den USA mussten jetzt nur die Mittel aus dem gemeinsamen Bankentopf aufgewendet werden – in der EU gibt es diesen Topf vorerst nicht. Aber die EU-Bankenunion” soll noch viel mehr leisten: Schon jetzt sorgt sie, besser als in den USA für eine gemeinsame Bankenaufsicht und sieht auch einen Mechanismus für die Abwicklung strauchelnder Banken vor, damit sie nicht so teuer wie bei der Credit Suisse ausfällt. Was weiter fehlt ist die in allen Ländern gleiche Absicherung der Einlagen durch einen gemeinsamen Topf: Deutschland wehrt sich dagegen mit seinen Banken womöglich für die Pleiten “südlicher” Banken zu haften, obwohl die “Deutsche Bank” gelegentlich in Skandale verwickelt war, die an die Credit Suisse erinnern.

Vergleichbar nützlich erschienen mir für alle Unternehmen absolut gleiche, von jedem Unternehmen einzuhaltende Vorschriften der Bilanzierung: Es sollte undenkbar sein, dass, wie in Österreich geschehen, für ein Geschäftsjahr zuerst ein Verlust und dann einen Gewinn bilanziert wird. Wenn sich alle Unternehmen an Hand ihrer Bilanzen einfach bewerten lassen, bleibt weniger Raum für Spekulation.

Sehr unterschiedlich haben wir im Podcast die Rolle der Notenbanken beurteilt: Die Ökonomin Heike Lehner, die an der Wirtschaftsuni tätig ist, war der Meinung, dass sie durch ihr zu spätes Eingreifen Schuld an der aktuellen Inflation trägt und die Zinsen jetzt zu Recht endlich deutlich erhöht – Schulmeister und ich können unverändert nicht verstehen, warum eine Geldpolitik, die durch 13 Jahre fast mit Deflation verbunden war, plötzlich zentrale Ursache der Inflation sein soll und zweifeln auch am Segen der aktuellen massiven Zinserhöhung, von der ich fürchte, dass sie jedenfalls dann in eine Rezession münden wird, wenn die Staaten der EU weiterhin sparen, statt massiv in Digitalisierung und Klimaschutz zu investieren. Gegen Ende des Jahres könnten Sie es wissen.

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So sind wir-zu einem leider großen Teil

Herbert Kickl tritt mit seinem Verhalten gegenüber der Ukraine und seinem politischen Erfolg den Beweis an, dass wir doch weitgehend so sind wie “Ibiza” uns zeigt.

“So sind wir nicht”, sagte Alexander Van der Bellen im Juni 2019, als “Ibiza” die Nachrichten beherrschte. Es war das eine der wenigen Halbwahrheiten aus dem Mund des Bundespräsidenten: Ein erheblicher Teil der Österreicher ist so. Seit einer Woche können wir für uns in Anspruch nehmen, das einzige westliche Land zu sein, in dem, wenn Sonntag gewählt würde, eine Partei die mit Abstand meisten Stimmen erhielte, deren Mandatare geschlossen den Saal verlassen haben, als der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj dem Parlament per Videoschaltung für Österreichs humanitäre Hilfe dankte. “Vertreter der Ukraine haben hier genau so wenig verloren, wie der Vertreter Russlands oder einer anderen kriegsführenden Partei”, begründete Herbert Kickl die Vorgangsweise seiner Partei und brachte es mit diesem Satz fertig, das Vorgehen des neben Saddam Hussein größten Kriegsverbrechers seit Adolf Hitler in einem Atemzug mit dem Kampf der Ukrainer für das Überleben ihrer überfallenen Heimat zu erwähnen. Auch die SPÖ schien mit Selenskyjs Auftritt nicht ganz klar zu kommen: Die Hälfte ihrer Mandatare blieb, wenn auch nicht demonstrativ, der Selenskyj Rede fern, denn auch in der SPÖ sind viele Abgeordnete nicht sicher, dass diese Rede mit der Neutralität vereinbar ist.

Das kommt davon, dass dieser Staat, seine Bevölkerung und seine Parteien zur Neutralität durchwegs ein schlampiges Verhältnis unterhalten: Sie ist ein Bestandteil jeder außenpolitischen Rede und wahrscheinlich inzwischen tatsächlich der österreichischen Identität, den man in Wahrheit nur akzeptieren kann, wenn man – ich wiederhole mich – gewillt ist, untätig zuzusehen, wenn jemandem mit Füssen gegen den Kopf getreten wird. Die grundsätzliche Diskussion um den humanen Wert oder Unwert der Neutralität zu unterlassen, ist ein zentrales österreichisches Problem, das einzig die NEOS als solches begreifen.

Schweden, Finnland oder Norwegen waren nie wie Österreich “dauernd” (“immerwährend”) neutral – das ist nur die Schweiz. Aber sie war es von Beginn an aus eigenem Willen, während wir uns einer Forderung Nikita Chruschtschows beugten, ohne deren Erfüllung wir den Staatsvertrag nicht erhalten hätten: Unsere angebliche Freiwilligkeit war erzwungen. Wenn man diese erzwungene “dauernde” Neutralität ohne politische Notwendigkeit weiterhin ernst nimmt, dann hat Herbert Kickls Ablehnung einer Rede Wolodymyr Selenskyjs im Parlament eine Menge für sich: Die Professoren für Völkerrecht, Stephan Verosta und Alfred Verdross, die den Staatsvertrag rechtlich begleiteten, waren der damals unstrittigen Rechtsansicht, dass zwar der einzelne Bürger des dauernd neutralen Staates nicht verpflichtet ist, sich eines moralischen Urteils über die kriegsführenden Parteien zu enthalten (er ist kein Subjekt des Völkerrechts), “wohl aber wird es der dauernd neutrale Staat vermeiden, in Konflikten dritter Staaten Partei zu ergreifen.” (Verosta). Im zweiten Weltkrieg warf Deutschland der Schweiz Bruch der Neutralität vor, weil sie nicht verhinderte, dass ihre Zeitungen Hitlers Vorgehen kritisierten und die Schweizer Regierung erwog ernsthaft Zensurmaßnahmen. Die Behauptung, die österreichische Neutralität sei ausschließlich militärisch zu verstehen, steht völkerrechtlich auf halb so sicheren Beinen. Allerdings hätte Österreich durch seinen Beitritt zur EU (den die Schweiz vermied) viel schwerwiegender  gegen die Forderung nach “dauernder” Neutralität verstoßen als durch Selenskyjs Rede im Parlament, und auch Österreichs lächerliche Wehrkraft war ein ungleich massiverer Verstoß dagegen.

Gleichzeitig ist das Völkerrecht freilich einem steten gewohnheitsrechtlichen Wandel unterworfen: Die Rechtsansicht, dass der dauernd neutrale Staat sehr wohl moralisch Partei ergreifen darf, ist heute längst nicht mehr so umstritten wie 1956. Vor allem gibt es auf der Welt nur mehr zwei Staaten, die dieses Gewohnheitsrecht formen: Österreich und die Schweiz. Natürlich konnte Selenskyjs Rede daher völkerrechtlich genauso gut stattfinden, wie man sie völkerrechtlich begründet vermeiden konnte. Kickl kennzeichnet, dass es sie nicht hören will –  dazu steht ihm Wladimir Putin politisch zu nahe.

Wenn in Österreich irgendwann irgendetwas ernsthaft durchdacht und diskutiert würde, verabschiedete es sich aus Gründen des politischen Anstands wie der rechtlichen Sauberkeit von der “dauernden” Neutralität – oder handelte wie die Schweiz ein anderes Abkommen mit der EU aus und steckte um die zwanzig Milliarden Euro in ein der Schweiz ebenbürtiges Heer. Letzteres kommt natürlich für keine Partei des Landes, auch nicht die FPÖ, in Frage. So wie wir das Trittbrettfahren lieben, lieben wir die schlampigen Rechtsverhältnisse – wir sind so.

Auch Herbert Kickl bekämpft die Parteinahme Österreichs ja nicht aus ernsthafter Sorge um ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht. Mir ist nicht bekannt, dass er aufgeschrien hätte, als die FPÖ in ihrer Koalition mit der ÖVP Wolfgang Schüssels sehr ernsthaft den Beitritt zur NATO erwog. Vielmehr vermochte Kickl vielen Österreichern glaubhaft zu machen (und glaubt es wahrscheinlich auch selbst), dass ihnen die Teuerung erspart bliebe, wenn Russland nicht sanktioniert und Putin nicht kritisiert würde. Und sobald viele Österreicher meinen, dass es ihnen mit “Heraushalten” wirtschaftlich besser ginge, ist ihnen Moral völlig egal. Denn so sind wir – leider zu einem verdammt großen Teil.

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Bewegung in der Ukraine

US-Außenminister Antony Blinken versteht sein Geschäft. Indem er Verhandlungen über die künftigen Grenzen der Ukraine nicht ausschließt, lässt er Wolodymyr Selenskyj wissen, dass er davon ausgeht, dass die Krim bei Russland bleibt und lässt er Wladimir Putin wissen, dass die USA ihm einen gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Ukrainekrieg ermöglichen wollen, indem er die Krim behält.

Anders lassen sich Blinkens Worte vor dem Congress kaum interpretieren: “Ich glaube, dass es Gebiete in der Ukraine gibt, bei denen die Ukrainer entschlossen sind, am Boden darum zu kämpfen. Und eventuell gibt es Gebiete, bei denen sie beschließen zu versuchen, sie auf anderen Wegen wiederzuerlangen.” Er, Blinken, warte darauf, wie sich die Ukrainer entscheiden.

De Facto ist das was Blinken da in Gang gesetzt hat, der einzige gangbare Weg zu einer Waffenstillstandsvereinbarung und einem künftigen Frieden.

Ich gehe davon aus, dass die Truppen der Ukraine in den nächsten Monaten alles unternehmen, um die Grenzen im Donbass zu ihren Gunsten zu verschieben und wenn ihnen das gelingt, kann man als Optimist hoffen, dass im Herbst Verhandlungen beginnen. Selenskyj will zwar vorerst von veränderten Grenzen nichts wissen, aber ohne die massive Hilfe der USA kann er nicht in die Krim vorstoßen und es ist klar, dass er diese massive Hilfe zu diesem Zweck nicht erhält.

Der Frieden, der auf diese Weise zustande kommen könnte, bleibt zwar ungerecht – es bliebe dabei, dass Putin mittels eines völkerrechtswidrigen Vorstoßes Terrain gewinnt – aber das Sterben nähme ein Ende. Und man soll auch nicht ganz vergessen, dass die Krim nur deshalb zur Ukraine gehört, weil der Ukrainer Nikita Chruschtschow sie ihr 1968 geschenkt hat – nicht sehr viel anders als Adolf Hitler das Salzkammergut in der NS-Zeit seiner Heimat Oberösterreich angeschlossen hat.

PS: Ich glaube dass die Demokraten gut beraten wären, mit Antony Blinken statt mit Joe Biden in den Wahlkampf zu ziehen: er ist jung, gewinnt ständig an Bekanntheit und trägt keine Altlasten mit sich.

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Wie Notenbanken unsinnig Risiken erhöhen

Silicon Valley Bank und Credit Suisse sind primär Opfer ihres schlechten Risikomanagements – aber massiv erhöhte Leitzinsen haben ihre Risiken zusätzlich erhöht.

Vor einem Monat habe ich hier getitelt: “Hoffentlich weiß die Geldpolitik, wohin sie führt?” Jetzt ist klar: Sie weiß es nicht. Die Silicon Valley Bank (SVB) ist, wie die Credit Suisse, zwar primär Opfer ihres schlechten Risikomanagements, aber angesichts massiv erhöhter Zinsen musste ihr Risiko schlagend werden: Im gegebenen Zinsumfeld erwiesen sich Schwächen als letal.

Ausgangspunkt der massiven Zinserhöhung von FED und EZB war die absurde These, dass ihre lockere Geldpolitik die Hauptschuld an der aktuellen Teuerung trüge, obwohl sie durch ein Jahrzehnt beinahe mit Deflation verbunden war. Aber während für Laien klar war, dass die aktuelle Teuerung voran der Verteuerung fossiler Energie durch den Ukrainekrieg geschuldet ist, beharren Wirtschaftswissenschafter wie Deutschlands “Starökonom” Hans Werner Sinn auf der zentralen Schuld der lockeren Geldpolitik, die er so begründet: Die Inflation hätte sich in zehn Jahren wie Catchup in einer Flasche angestaut und pflatsche nur auf einmal heraus.

Auch ich halte billiges Geld keineswegs für grundsätzlich gut, aber nach der Finanz- und der Corona- Krise erleichterte es die Erholung erheblich. Richtig wäre gewesen, den Leitzins nur in den viel besser erholten USA und erst nach ihrer völligen Erholung auch in der sparenden EU, in beiden Fällen aber denkbar behutsam, anzuheben – ihn massiv anzuheben war ein grober Fehler. In den USA wurde er dadurch begünstigt, dass die “Democrats” fürchten, die Teuerung könnte Joe Biden den politischen Erfolg kosten – in der EU geschah er, weil Christine Lagarde dem Druck nachgab, den voran Deutschlands Vertreter, aber auch Österreichs Robert Holzmann im EZB-Rat entfalteten. Gemeinsam war ihnen, den Unterschied von “Teuerung” und echter Inflation nicht zu sehen: Letztere liegt nur vor, wenn steigende Preise überhöhte Löhne bedingen, die zu noch höheren Preisen führen, und wenn das in einen sich selbst verstärkender Prozess mündet – das aber war weder in den USA noch in der EU der Fall und wäre die einzige Rechtfertigung, den Leitzins massiv zu erhöhen. Zudem hätte man gewarnt sein müssen: Genauso hat FED-Chef Alan Greenspan 2008 agiert, als er die Märkte zuerst aus einem falschen Grund, nämlich wegen bröckelnder Aktienkurse, mit billigem Geld flutete, um den Leitzins plötzlich aus Angst um den Dollar massiv zu erhöhen.

Die Pleite der SVB erinnert zwar an die so entstandene Pleite von Lehman Brothers, aber die Unterschiede sind doch erheblich. 2008 hatten nicht nur Lehman Brothers, sondern alle großen Banken der USA und der EU toxische Finanzprodukte im Tresor: “Derivate” vermischten auf undurchsichtige Weise Kredite von Hauskäufern bester Bonität mit Krediten an denkbar schwache (“subprime”) Schuldner. Als Greenspan den Leitzins plötzlich massiv anhob, konnte keiner diese schwachen Schuldner seine Kreditraten zahlen, der Wert der Derivate stürzte ab und zahllose Banken in den USA wie der EU wankten.

Das ist jetzt anders, auch wenn die hohen Aktienkurse einmal mehr mit zuvor billigem Geld zu tun haben. (Obwohl es nicht der Aktien, sondern der Pandemie wegen bis lange billig war). Der größte Unterschied zu 2008 besteht aber darin, dass die Probleme von SVB oder Credit Suisse nicht die Dimension haben, die die toxischen Derivate mit sich brachte. Die Credit Suisse wankte auf Grund einer einzigartigen Abfolge von Skandalen und hat sich dank 100 Milliarden aus der Schweizer Notenbank in der starken UBS aufgelöst. Die SVB hatte sich auf die Finanzierung von Startups spezialisiert und ihr Risiko unterschätzt, und es gibt zwar eine Menge US-Banken mit diesem Geschäftsmodell – aber nicht entfernt so viele, wie 2008 sowohl in der USA wie in der EU toxische Derivate in ihren Büchern hatten. Denn die Undurchsichtigkeit dieser Derivate war damals staatlich vorgegeben: Die USA hatten den Handel mit ihnen im Eivernehmen mit Greenspan als “Privatgeschäft” eingestuft und bewusst nicht reguliert. Komplettiert wurde dieser neoliberale Skandal dadurch, dass die großen Rating-Agenturen, die von den Banken gegen hohes Honorar mit der Bewertung der Derivate beauftragt wurden, sie als absolut sicher (tripple A) einstuften, obwohl sie oft völlig wertlos waren. Zum Flächenbrand wurde die Lehman – Pleite, weil George W. Bush sie bewusst nicht durch staatliches Eingreifen abwendete. Da unzählige Banken Derivate besaßen, hörten sie aus Pleiten-Angst auf, einander Geld zu borgen und die nötigsten Geldflüsse trockneten aus.

Barack Obama und die Regierungen der EU lösten das Problem bekanntlich, indem der Staat “Systemrelevanten” Banken hohe Kredite gewährte. Die Banken mussten ihr Eigenkapital erhöhen und es wurden, in der EU mehr als in den USA, Stresstests eingeführt, die prüfen, wie widerstandsfähig sie sind. Gleichzeitig zahlen US-Banken in einen gemeinsamen Topf, aus dem die Kunden der SVB jetzt das Geld erhalten, das sie dort eingelegt haben – nur die Aktionäre der SVB verlieren Geld. Joe Biden garantiert im Wege der FED mittlerweile alle Bankeinlagen. In der EU gibt es das schon seit 2014 und dazu ein System für die Abwicklung kranker Banken. Zudem ist das Problembewusstsein geschärft: Die Credit Suisse ist bereits in der UBS aufgegangen und die Schweizer Notenbank hat dazu 100 Milliarden beigetragen. In Summe hat das in den USA wie in der EU gereicht, einen “Bankenrun” zu verhindern – eine demnächst kräftige Rezession verhindert es nicht.

 

 

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Das Risiko militärischer Impotenz

Mit kaputtgesparter Wehrkraft verlässt sich die EU militärisch voll auf die USA. Aber alle künftigen US-Präsidenten werden das Engagement der USA in Europa vermindern.

Obwohl seine Berater ihn gewarnt haben, dass er sich damit schaden könnte, scheint Donald Trump seinen Wahlkampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner mit der Forderung nach dem Austritt der USA aus der Nato zu bestreiten. Er erhob diese Forderungen sowohl in einem eben erschienen Buch wie kürzlich auf einer Tagung rechter Republikaner, bei der er versprach, Geld statt für die Verteidigung der Ukraine lieber für den Bau seiner Mauer gegen Mexiko zu verwenden. Sein Kalkül: Die Amerikaner sind in ihrer Mehrheit isolationistisch, und nie war ihre Kriegsmüdigkeit größer als nach der Niederlage in Afghanistan.

Obwohl die Zuhörer begeistert “we want Trump” skandierten, zweifle ich, dass die Republikaner ihn tatsächlich nominieren- der Gouverneur von Florida Ron De Santis hat die zweifellos besseren Chancen- aber ausschließen kann man weder, dass sie Trump doch nominieren noch dass er 2024 doch wieder Präsident wird. Bei den Wettbüros wird sein Sieg jedenfalls für nur halb so wahrscheinlich wie der Joe Bidens gehalten. Wie man als Spitzenpolitiker der EU angesichts eines Risikos dieser Größenordnung darauf verzichten kann, eine ernstzunehmende Streitmacht der EU wenigstens als rasch zu verwirklichende Möglichkeit zu planen, ist mir rätselhaft.

An sich stehen in den nationalen Armeen der EU kaum weniger Männer als in Russland unter Waffen und ihr gemeinsames Budget ist größer. Was fehlt, ist eine gemeinsame Befehlsstruktur und eine Einigung darüber, wann diese Streitmacht eingesetzt wird. Etwa: dass eine Mehrheit, die mindestens drei Viertel der EU-Bevölkerung vertritt, über den Einsatz bestimmt und dass opponierende Mitglieder sich daran nicht beteiligen müssen. Eine vorsorgliche solche Planung hieße ja keineswegs, die viel bessere Zugehörigkeit zur NATO aufzugeben – er vermiede nur fast völlige militärische Impotenz, wenn der Trump-GAU doch eintritt.

Und egal, ob der nächste US-Präsident Trump, De Santis, Joe Biden oder sonst wie heißt, wird er das Engagement der USA in Europa vermindern, weil es, wie einzelne Abgeordnete laut sagen, nicht im Zentrum des nationalen Interesses liegt. Es gibt keine vernünftige Begründung dafür, dass die Amerikaner die Hauptlast für Frieden in Europa tragen. Es ist weder finanziell gerechtfertigt – die EU ist ein sogar noch größerer Wirtschaftsraum und könnte bei besserer Wirtschaftspolitik auch genau so reich sein – noch ist es in Hinblick auf den menschlichen Einsatz gerechtfertigt: Wenn Putins Truppen die baltischen Staaten angriffen, ist es naheliegender, dass sich ihnen mehr deutsche und polnische als amerikanische Truppen entgegenstellen. Die EU kann nicht auf die Dauer militärisch impotent sein. Emotional gilt es einen Denkfehler der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Berta von Suttner (oder jetzt Sarah Wagenknechts und Alice Schwarzers) zu vermeiden, die da meinen, “die Waffen nieder” garantierte am ehesten Frieden, denn das Gegenteil ist wahr: Nichts lädt potentielle Aggressoren so sehr zur kriegerischen Eroberung ein wie ein militärisch schwacher Gegner. Mindestens gleiche militärische Stärke schützt weit eher vor Krieg, und wenn der potentielle Aggressor, wie im Falle von Putins Russland, ein Unrechtsstaat ist, dann ist es nicht “Kriegs-hetzerisch”, sondern “Friedens-erhaltend”, wenn die rechtsstaatlichen Demokratien sich bemühen, die militärisch klar stärkeren zu sein.

Leider hat die deutsche EU-Politik bisher das Gegenteil bewirkt: Es wurde ja nicht nur die Bundeswehr kaputtgespart, sondern fast alle Armeen der EU haben gespart. Dass die EU der Ukraine derzeit weder genug Panzer noch genug Munition liefern kann, liegt ja nicht nur am Zögern Olaf Scholz`, sondern daran, dass es von beiden nicht genug gibt – auch die Rüstungsindustrie der EU wurde krank gespart. Die “Zeitenwende” dürfte zwar dazu führen, dass die meisten Staaten in Zukunft 2 Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben werden, aber es bedarf einmal mehr der Grundeinsicht, dass Investitionen des Staates die Wirtschaft beleben, nicht aber bremsen, sonst werden der höheren Rüstungsausgaben wegen womöglich die Investitionen in den Klimaschutz verringert. In Wirklichkeit geht das – zum Vorteil der Wirtschaft – sehr wohl nebeneinander. Dass Deutschland derzeit ein 100 Milliarden Sondervermögen in sein Heer und zugleich 60 Milliarden in den Klimaschutz investiert, wird ihm wirtschaftlich nicht schaden, sondern es vor Rezession bewahren.

Leider fordert derzeit nur Emmanuel Macron eine eigene europäische Streitmacht und damit auch eine potente Rüstungsindustrie (und in Österreich sieht ausschließlich Beate Meinl- Reisinger diese Notwendigkeit.) Ursprünglich war an eine EU-Eingreiftruppe von immerhin 50.000 Mann gedacht – die nunmehr geplante 5000 Mann starke Truppe ist geradezu lächerlich klein. Aber selbst sie ist zumindest ein Ausgangspunkt und kann so Gott will als Kristallisationspunkt dienen. So haben die Spitzen der EU diese Woche immerhin beraten, wie der Rüstungsindustrie auf die Beine geholfen werden kann: sie muss erstens dauerhaft mit Aufträgen einer gewissen Größenordnung rechnen können und es sollte zweitens auch schon jetzt eine Einigung über die benötigten Waffensysteme geben. Vielleicht ergibt sich aus dieser Diskussion ein Nachdenken über die gemeinsame Streitmacht. Oder die EU ist doch so beschaffen, dass es den GAU braucht.

 

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Israel auf faschistoiden Abwegen?

Wenn Israel seinen Obersten Gerichtshof entmachtet, überschreitet es eine rote Linie. Benjamin Netanjahu garantiert nicht Israels Sicherheit, sondern die eigene.

Wenn Israels Parlament wirklich in vollem Umfang beschließen sollte, dass es Entscheidungen des Obersten Gerichtshof annullieren kann, dann betritt es den Weg zum faschistoiden Staat. Das schmerzt mich fast physisch: „Nächstes Jahr in Jerusalem“, so erzählte mir meine Mutter, die Auschwitz als Häftlingsärztin überlebte, hätten die Jüdinnen gerufen, die wussten, dass sie ins Gas geführt wurden. Seither war ihr und ist mir Israel so wichtig wie Österreich.

Zweifellos ist es unter der Bedrohung, unter der es steht – der Iran vernichtete es lieber gestern als heute – besonders schwer, einer faschistoiden Entwicklung zu widerstehen: Natürlich will man in dieser Lage einen starken Führer und legt Wert auf schnellstes, ungehindertes Handeln. Aber bisher hat Israel diese Anforderungen innerhalb einigermaßen rechtsstaatlicher Grenzen erfüllt – jetzt ist es dabei, sie zu überschreiten.

Die aktuelle Schuld daran trägt Benjamin Netanjahu, der seit jeher behauptet, der so notwendige starke Führer zu sein. Das war schon bisher fraglich, weil er der Annäherung Israels an seine arabischen Nachbarn stets am meisten im Wege stand, statt sie wie Shimon Perez zu erleichtern. Allerdings hat es diese Annäherung dennoch gegeben: Durch reinen Zeitablauf ist Israels Bedrohung trotz des Iran in Summe gesunken: Frieden und Waffenstillstände mit den größten arabischen Ländern stehen auf immer festeren Beinen. Daher verstärkt sich mein Verdacht, dass es Netanjahu bei seinem Bemühen, unter allen Umständen an der Regierung zu bleiben, nicht so sehr um die Sicherheit Israels als um die eigene Sicherheit geht: Sobald er nicht mehr Regierungschef ist, drohen ihm, wie Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, viele Jahre Gefängnis für Korruption. Diese Bedrohung büßt Israels Bevölkerung mit der Koalition von Netanjahus Likud mit Parteien der extremen religiösen Rechten.

Diese religiöse Rechte war und ist in meinen Augen Israels zentrales Problem. Fanatische Religion ist immer und überall – vom Iran der Mullahs bis zu Donald Trumps USA – das größte Hindernis für Vernunft. Spätestens in dem Moment, in dem religiöse Parteien als Zünglein an der Waage die Politik einer Regierung entscheiden, wird es lebensgefährlich.

Gefährlich war es schon bisher: Es waren und sind die Religiösen, derentwegen der Siedlungsbau in den besetzen Gebieten vorangetrieben wurde und wird, der einen Palästinenserstaat so unendlich erschwert. Ich war aus vielen, nicht zuletzt praktischen Gründen primär kein Anhänger dieses Staates: In meinen Augen hätte der Westen besser darauf gedrängt, dass umliegende Staaten die Palästinenser aufnehmen und Jordanien von einem haschemitischen Staat zu einem Staat aller Palästinenser wird, die dort locker Platz haben. Aber da man sich mit dem Osloer Abkommen auf die Vorstufe zu einem Palästinenserstaat geeinigt hat, war ich der Meinung, dass Israel alles tun sollte, damit er funktionieren kann, denn umso eher würde man in gegenseitigem Frieden leben. Aber es tat mit dem Siedlungsbau das Gegenteil und die Hamas tat mit ihren Raketen nicht anders.

Auch damit habe ich nicht nur ein intellektuelles, sondern auch ein emotionales Problem: Zu einem meiner herzlichen Freunde wurde mit Issam Sartawi ein Palästinenser, der eine Zeitlang der offizielle Außenminister der PLO war. Er war es, der bei der PLO die Anerkennung Israels betrieben und durchgesetzt hat, und er hat das mir gegenüber mit einem Traum begründet: Gemeinsam könnten Israel und ein mit ihm befreundeter Palästinenserstaat der Nukleus einer demokratischen arabischen Welt sein.

„Da ist es doch viel einfacher, Israelis und Palästinenser bilden gleich einen gemeinsamen Staat“, ist es mir in meiner areligiösen Gedankenlosigkeit entschlüpft. „Das geht nicht“ nahm Sartawi Israels Partei, „nach dem Holocaust muss Israel ein jüdischer Staat sein“. Natürlich war das auch für mich in der nächsten Sekunde evident, aber es hat meine Abneigung gegen Religion nicht vermindert.

Wann immer ich Sartawi in Wien traf, warnte er mich, gemeinsam mit ihm auf die Straße zu treten: Radikale Palästinenser, die ihm wegen seines Eintretens für Israel nach dem Leben trachteten, würden mich nicht schonen, wenn sie auf ihn schießen. Ich habe das damals belacht, bis ich beweinen musste, dass sie ihn in Portugal mit neun Schüssen ermordet haben.

Heute ist mir natürlich bewusst wie naiv wir letztlich beide waren: Höchstens Daniel Barenboim hat sich in seinem israelisch- palästinensischen West-Eastern Divan Orchestra Freundschaft zwischen Juden und Arabern vorstellen können. Wieder sorgt Netanjahu für das Gegenteil: Sein Gesetz, das Israel seit 2018 als „Staat der Juden“ definiert, macht arabische Israelis zu Bürgern zweiter Klasse und war der erste Schritt zum faschistoiden Staat.

Und natürlich gereicht der fortgesetzte Status als Besatzer Israels Rechtsstaat zum Schaden: Wenn die Religiösen in den besetzten Gebieten „Erez Israel“ sehen, unterscheidet sich das nicht rasend von Putins Überzeugung, dass die Ukraine eigentlich Teil Russlands ist.

Ich maße mir nicht an zu wissen, welche Politik Israel betreiben sollte. Aber ich weiß, welche Schäden es mit der aktuellen Politik riskiert: Sie kann Israel die bedingungslose Unterstützung der „democrats“ in den USA kosten; sie leistet dem ubiquitären Antisemitismus Vorschub, der in Österreich bekanntlich „Da sieht man`s ja, die Juden sind die Nazis von heute,“ lautet; und vor allem verliert Israel die Kraft der Moral.

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Kann man von Angegriffenen Frieden fordern?

Deutsche Intellektuelle fordern von Olaf Scholz “die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!“  Putin begrüßt das so sicher, wie es die Ukrainer ablehnen.

Alice Schwarzer hat zum zweiten Mal, diesmal gemeinsam mit der Galionsfigur der „Linken“ Sarah Wagenknecht, ein Schreiben zum Ukrainekrieg verfasst. Unterschrieben hat auch diesmal eine Reihe höchst achtbarer deutscher Intellektueller. Das „Manifest für den Frieden“ enthält einen unbestreitbar richtigen Satz: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.“ Danach kommt eine kühne Behauptung: „Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen- einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley.“ Aber auch wenn er das sagt, stimmt es nicht: Eben erst hat die Atommacht USA in Afghanistan den Krieg gegen die Taliban verloren und 1968 verlor die Atommacht Sowjetunion dort den Krieg gegen die Mudschaheddin, die von den USA mit Waffen unterstützt wurden.

Ausgeschlossen ist ein Sieg der Ukraine gegen die Atommacht Russland also nicht und ich würde sogar so weit gehen, einen Sieg Russlands über die Ukraine auszuschießen, solange der Westen ihr Waffen liefert: Eine Armee die für die Freiheit ihres Landes kämpft, kämpft nun einmal ungleich besser, als eine Armee, die kaum begreift, warum sie in dieses Land entsendet wurde..

Allerdings ist Afghanistan nach zwei „Siegen“ ein restlos zerstörtes Land und wie Schwarzer ersparte ich das der Ukrainer lieber. Nur maße ich mir nicht an, an Stelle  Wolodymyr Selenskyjs zu entscheiden, was die Ukrainer wollen – endlich Frieden, oder Gerechtigkeit bis hin zur Rückeroberung der Krim.

Der Militäranalytiker Walter Feichtinger  

hat im ZIB2 -Gespräch mit dem Mitunterzeichner des Manifests, Hajo Funke, gemeint, dass die Ukrainer laut Meinungsumfrage zu 85 Prozent weiterkämpfen wollen. Ich halte Umfragen in Zeiten des Krieges zwar für höchst problematisch – welcher Soldat gibt schon zu, dass er nicht mehr kämpfen will – aber wir haben nur diese Umfragen und Selenskyjs Aussagen. Die sieht das Manifest denkbar kritisch: „Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis: Nach zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, um Russland auf ganzer Linie zu besiegen.“ Meines Wissens fordert er nicht „ Russland zu besiegen“ sondern nur Putins vollen Rückzug aus der Ukraine, und mir fehlt im „Manifest“ die Klarstellung, dass ihm das eigentlich zusteht – Putin hat in der Ukraine nichts zu suchen.

Trotzdem – und darin bin ich mit dem Manifest einig – wird der volle Rückzug Putins kaum zu erreichen sein, weil tatsächlich die Gefahr besteht, dass er, ehe er eine solche volle Niederlage akzeptiert, Atomwaffen einsetzt. Ich halte das zwar für unwahrscheinlich, weil es sein und Russland Ende wäre, aber das Risiko, mich in dieser Einschätzung zu irren, ist mir wie Joe Biden zu groß.

Insofern – und da treffe ich mich mit dem Manifest- glaube auch ich, dass es zu Friedensverhandlungen kommen sollte, ehe man diesen kritischen Punkt erreicht. Vermutlich differiere ich mit Schwarzer auch nicht in der Frage, wie ein Frieden aussehen muss, der Chancen darauf hat, von Putin akzeptiert zu werden: Selenkyj müsste auf die Krim verzichten und sich im für ihn günstigsten Fall mit neuerlichen Abstimmungen in Lugansk und Donezk zufriedengeben.

Im Gegensatz zu Schwarzer glaube ich, dass Selenskyj das auch weiß und in jedenfalls wird er sich dem Rat Bidens fügen müssen, der ihm sicher nur bis zu einem solchen Verhandlungsfrieden Munition liefert.

Völlig unterschiedlicher Meinung mit Schwarzer bin ich nur in der Frage, wie man Friedensverhandlungen am ehesten erreicht. Laut Manifest sollte Kanzler Olaf Scholz „sich jetzt …an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen“. Freilich erst, nachdem er die entscheidende Forderung des Manifests erfüllt hat: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!“

Ich behaupte: In der Sekunde in der Scholz auch nur andeutete, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen, wäre jeder realistisch Chance auf erfolgreiche Friedensverhandlungen dahin, denn Wladimir Putin wäre endlich sicher, diesen Krieg zu gewinnen.

Brigadier Feichtinger hat in der angeführten Diskussion ausgeführt, dass er den Zeitpunkt für Verhandlungen noch nicht gekommen sieht, weil beide Seiten noch nicht sähen, dass sie ihre militärische Position nicht mehr verbessern können. Ich teile diese Ansicht. Man muss nicht so sehr darauf warten, dass Selenskyj durchblicken lässt, dass er zu einem Kompromissfrieden bereit ist, sondern man muss darauf warten, dass Putin die Bereitschaft zum Rückzug aus er Restukraine erkennen lässt. Bisher verschärft er seine Angriffe und bereitet eine Offensive vor.

Putins Bereitschaft zum Kompromiss erreicht man nicht, indem man Waffenlieferungen „stoppt“, sondern indem man sie ganz im Gegenteil massiv forciert: Putin muss ernsthafte fürchten, dass sich seine militärische Situation verschlechtern könnte. Man kann zugleich mit der Ankündigung eskalierender Waffenlieferung auf Friedensverhandlungen drängen – nicht sie stoppen und dann auf Verhandlungen hoffen.

Schwarzer und Wagenknecht sollte nicht nur in ihrem Manifest formulieren, dass Russland die Ukraine „brutal überfallen“ hat, sondern in Putin tatsächlich den Gangster sehen, der er ist. Gangster verstehen nur die Sprache einer großen Zahl überlegener Waffen.

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Wie Putin die FPÖ zu seinem Krieg nutzt

2016 wollte die FPÖ die Sanktionen im Parlament killen, sie bekämpft sie auf Corona-Demos und Herbert Kickl macht damit Wahlkampf. Uns machen sie falsche Hoffnungen.

Es war immer schon charakteristisch für die FPÖ und ihre Wähler, dass es sie nicht irritierte, dass sie unter Heinz Christian Strache einen „Freundschaftsvertrag“ mit Putins Partei „Einiges Russland“ geschlossen hatte, obwohl “Einiges Russland“ nicht demokratischem Wettstreit dient, sondern im Gegenteil das wichtigste Instrument zur Absicherung der Diktatur Wladimir Putins ist. Ein Freundschaftsvertrag mit der griechischen Militärjunta wäre die beste historische Entsprechung.

Aber der von einer internationalen Recherchegemeinschaft ermittelte, soeben im profil veröffentliche interne Mailverkehr unter Putin-Propagandisten scheint weit mehr als Freundschaft zu belegen: FP-Abgeordnete besuchten demonstrativ die Krim, schon auf Corona -Demos wurde Putins Krieg beworben; im März wurde ein Dokument bekannt, das dem Mail des führenden russischen -Putin Propagandisten Sargis M. an einen weiteren PR-Experten Moskaus angehängt war und dessen Titel übersetzt lautet: „Entschließung zur Aufhebung antirussischer Sanktionen im österreichischen Parlament“. Passieren sollte das laut Dokument, indem der FP-Abgeordnete Johannes Hübner einen solchen Antrag im Nationalrat einbringt. Als Kosten dafür wurden 20.000 Euro plus 15.000 Euro bei erfolgreicher Abstimmung veranschlagt.

Tatsächlich brachte Hübner am 6. Juli 2016 genau diesen, wenn auch vom Parlament abgelehnten Antrag ein. Dass er dafür Geld erhalten hätte bestritt er, als das Dokument im März 2022 noch ohne begleitenden Mailverkehr ruchbar wurde.

Aber gleich ob Zahlungen erfolgten, werfen die Vorgänge doch auch einiges Licht auf den so vehementen Kampf Herbert Kickls gegen die „Sanktionen.“ Konnte man bisher annehmen, dass er nur sofort begriff, wie erfolgreich es sein musste, der Regierung vorzuwerfen, dass sie die aktuelle Teuerung verantwortet, indem sie sich den Sanktionen anschloss, so drängt sich immer mehr der Verdacht auf, dass Kickl recht gut wissen könnte, wie sehr er Putins Agenda unterstützt.

Wie Kickls meiste Behauptungen ist auch die, dass die Sanktionen die Teuerung ausgelöst hätten, falsch:  Die massive Drosselung der Öl-Förderung, die ihr zu Grunde liegt, wurde von der OPEC und Putin schon 2018/19 in Vorbereitung seines Krieges beschlossen. Und er benützte die Abhängigkeit der EU von seinem Erdgas auch dann als Waffe, wenn ihm keine Sanktionen angedroht worden wären, weil es seine mit Abstand stärkste Waffe gegen die Unterstützung der Ukraine ist. Eigentlich müsste Kickl zugestehen, dass er gegen diese Unterstützung ist – Alexander Van der Bellen hat begreiflicherweise erklärt, dass er ihn deshalb nicht mit einer Regierungsbildung betraute- aber Kickl muss dieses Eingeständnis nicht machen: Die Gleichzeitigkeit von Sanktionen und Teuerung genügt FP- Wählern, das eine für die Ursache des anderen zu halten.

Wie sehr die Sanktionen Putin schmerzen, geht nicht zuletzt aus dem aufgezeigten Bemühen hervor, sie aufzubrechen. Aber natürlich schmerzen sie auch uns. Es gibt nur zwei Sanktionen, die große Wirkung entfalten und null Probleme bereiten: Russland jeden Zugang zu Hochtechnologie zu sperren, denn das wirft seine industrielle Produktion auf Jahrzehnte hinaus zurück und erschwert zugleich unmittelbar seine Waffenproduktion. Und die Vermögen Russlands und aller Unterstützer Putins einzufrieren und sie bei der Reise in die EU dem Risiko der Verhaftung auszusetzen.

Die Einigung der EU auf einen maximalen Ölpreis, mindert zwar seine Einnahmen, aber es gibt genug Abnehmer außerhalb der EU, um diese Minderung nicht dramatisch ausfallen zu lassen. Für die Wirtschaft der EU ist weniger russisches Öl zwar auch nicht lebensgefährlich, aber doch ein Problem, weil Putin und OPEC auf diesen Höchstpreis mit dem Versuch reagieren, die Ölförderung noch weiter zu drosseln, so dass der Ölpreis nur langsam fällt, obwohl die USA wieder mehr in ihr Fracking investieren. Nur befördert weiterhin eher teures Öl wie nichts anderes die Erschließung alternativer Energien, die uns alleine befähigt, eine Klimakatastrophe abzuwehren.   

Weit kritischer wäre ein Erdgas- Höchstpreis, den die EU denn auch nicht beschlossen hat: Zwar könnte Russland sein Gas mangels Leitungen nicht so leicht teuer an andere Abnehmer verkaufen, aber Europa, Deutschland und allen voran Österreich litten dramatisch unter einem Lieferstopp: LNG aus den USA, das die Lücke vor allem füllen müsste, kostet das Doppelte.

Gleichzeitig strotzt die Hoffnung, dass der russische Staat durch Embargos pleite gehen könnte, wie Ratingagenturen glauben machten, nachdem sie die russische Währung auf Ramschniveau heruntergestuft hatten, von ökonomischer Ahnungslosigkeit: Staaten, die über eine eigene Notenbank verfügen, können immer für genug Geld sorgen. (Im Übrigen hat Russland trotz Beschlagnahmen auch noch ausreichend Devisen.) Genauso falsch ist die Hoffnung, dass Putin dank Embargos zu wenig Geld für Waffen und Munition haben könnte. Russische Waffen kauft er mit Rubeln, die ihm seine Notenbank beliebig liefern kann – ausländische Waffen braucht er nicht. Waffenimporte machen nur gerade 0,7 Prozent der gigantischen russischen Waffenexporte aus, die die zweitgrößten hinter der USA sind.

Mit Abstand am ehesten kann (soll) man Putin mit größeren Waffenlieferungen an die Ukraine am Schlachtfeld zum Einlenken zwingen – mit Rohstoff- Embargos kann man es nicht.

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Weiß die Geldpolitik, wohin sie führt?

Die EZB glaubt, die mit dem Ukrainekrieg einsetzende Inflation am besten mit höheren Zinsen zu bekämpfen – vielleicht überschätzt sie sich und schafft nur Rezession

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Mitte Dezember die Leitzinsen erneut um 50 Basispunkte erhöht und EZB-Chefin Christine Lagarde hat weitere Erhöhungen angekündigt. Für das deutsche Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel ist das Ausdruck „energischer Entschlossenheit“ die Inflation in den Griff zu bekommen. Die damit verbundene Gefahr, „dass das Wachstum sinkt und die Arbeitslosigkeit steigt“, scheue sie nicht, denn es gelte die Glaubwürdigkeit der EZB zu wahren. Tatsächlich ist für die EZB, anders für die FED, Preisstabilität noch vor allgemeinem wirtschaftlichem Funktionieren das höchste Ziel.

Für mich nicht. Mich besorgt das Risiko, dass uns steigende Arbeitslosigkeit und sinkendes Wachstum in eine vermeidbare Krise führen. Zugleich ist mir ein Rätsel, warum eine Inflation, die für mich offenkundig auf der Verteuerung von Öl, Gas und Getreide im Zuge des Ukrainekrieges beruht, voran der lockeren Geldpolitik (QE) der Notenbanken angelastet wird. Denn durch volle 13 Jahre war QE ganz im Gegenteil fast mit Deflation verbunden: Statt dass die Preise „durch die Decke schossen“, wie der heutige Agenda Austria Chef Franz Schellhorn in der Presse vermutete, lag die Teuerung fast bei null. Schellhorn ist freilich nicht zufällig zu seiner Vermutung gelangt, sondern der These von Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman gefolgt, wonach jede Erhöhung der umlaufenen Geldmenge Inflation erzeugt. Denn QE erhöht sie zweifellos: Die EZB kauft voran von Banken Staatsanleihen und zwingt sie, das erhaltene Geld so schnell wie möglich als Kredite zu vergeben, indem sie ihnen Strafzinsen verrechnet, wenn sie es bei ihr parken. Die FED, die QE 2008 als erste Notenbank einsetzte, war auf Grund ihrer Beobachtungen nämlich zuversichtlich, dass Friedmans These nicht stimmt und sah sich darin durch 13 Jahre bestätigt: Den meisten US-Ökonomen gilt Friedmans These als falsifiziert. Lagardes Vorgänger Mario Draghi hat QE 2015 jedenfalls unbesorgt und aus gutem Grund übernommen: Er sah, wie schwer sich die Wirtschaft der EU von der Finanzkrise erholte, weil der Maastricht-Vertrag ihre Staaten zwingt, sich bei ihren Investitionen zurückzuhalten, um ihre Schulden nicht über 60 Prozent des BIP zu erhöhen – einer Grenze, der erwiesen falsche Berechnungen des Ökonomen Kenneth Rogoff zu Grunde liegen. Draghi hoffte zu Recht, dass QE der Wirtschaft der EU das Geld zuführt, das Maastricht ihr vorenthält und dass der Kauf von Staatsanleihen höher verschuldeter Länder wie Italien darüber hinaus die sogenannten „Spreads“ minimiert: Sie mussten auf den Kapitalmärkten nicht soviel höhere Zinsen als Österreich oder Deutschland zahlen. Manche Juristen sehen darin eine unlautere Begünstigung Italiens, statt wie ich eine sinnvolle Stabilisierung der EU in ihrer Gesamtheit. Sicher aber ist es keine Erklärung dafür, dass QE plötzlich wesentlich zu einer Inflation um die zehn Prozent beigetragen haben soll. Während ich meine, dass sie mit der fast so hohen Verteuerung von Öl, Gas und Getreide im Zuge des Ukrainekrieges hinreichend erklärt ist, bietet der deutsche „Starökonom“ Hans Werner Sinn folgende Erklärung an: Die Inflation habe sich wie Katchup in einem Flaschenhals angestaut und pflatsche nun auf einmal heraus. Ich sehe einen umgekehrten solchen Mechanismus nur am Aktienmarkt: Dort hat QE zweifellos zu einer „Blase“ geführt, die jetzt rasch geschrumpft ist.

Entscheidend ist freilich, ob die nunmehr massiv erhöhten Zinsen die aktuell richtige Politik für die EU sind. In meiner Vorstellung hätte die darin bestanden, die Maastricht-Kriterien nicht bloß befristet auszusetzen, sondern endlich so abzuändern, dass sie höhere Staatsschulden und damit höhere Investitionen zulassen. Erst dann könnten Anleihekäufe der EZB sich darauf beschränken, große Spreads zu verhindern. Denn grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, wenn Geld die Banken wieder mehr kostet, so dass ihre Kunden es voran an der richtigen Stelle einsetzen.

Ansonsten senken erhöhte Zinsen wie Schnabel richtig sagt, das Wachstum und erhöhen die Arbeitslosigkeit. Letzteres wird von den Notenbanken logisch begründet: Inflation ist dann gefährlich, wenn steigende Preise nur immer höhere Löhne nach sich ziehen, die die Preise noch mehr erhöhen, so dass daraus ein sich selbst verstärkender Prozess wird. Der wird durch erhöhte Arbeitslosigkeit zweifellos gebremst, weil die höheren Löhne dann nicht mehr durchsetzbar sind. An der Inflation der USA mögen überhöhte Löhne vielleicht einen Anteil haben – an der Inflation der EU sicher nicht: Die Löhne breiter Schichten sind durch über ein Jahrzehnt gesunken.

Nunmehr durch die FED erhöhte Arbeitslosigkeit wird daher nur das BIP senken und womöglich weiterhin von Teuerung begleitet sein. Besonders kritisch kann das für ein Land wie Italien werden: die Rückzahlung seiner Schulden wird durch die deutlich erhöhten Zinnen deutlich teurer, gleichzeitig drohen erhöhte „Spreads“ die Aufnahme neuer Schulden zu erschweren. Das kann der Beginn der nächste Eurokrise sein.

P.S.: In die USA ist die Inflation bereits deutlich, in der EU etwas gesunken. FED wie EZB schreiben sich das gut. Ich vermute respektlos, dass es voran ausgeweitetem Fracking zu danken ist, sowie dem Umstand, dass die EU ihre Abhängigkeit von Erdgas reduziert konnte und dass ihre Staaten einander beim Kauf von Erdöl nicht mehr überbieten.

 

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Deutscher Pazifismus erschwert Frieden

So verständlich es ist, dass die Deutschen nicht mit Waffen und Krieg assoziiert werden wollen, so nachteilig ist es für Europas Sicherheitsarchitektur und die Ukraine

Die Reihe abgelöster deutscher Verteidigungsministerinnen ist symptomatisch: Weder Christina Lambrecht noch Ursula von der Leyen noch Annegret Kramp Karrenbauer hatten sich davor mit militärischen Fragen befasst. Lambrecht war zudem ein politisches Leichtgewicht und dankte ihre Ernennung voran dem Umstand, dass Olaf Scholz 50 Prozent Ministerinnen versprochen hatte. Die Vorwürfe, die schließlich dazu führten, dass sie durch Boris Pistorius ersetzt wurde – dass ihre erste Waffenlieferung In die Ukraine aus Helmen bestand und alle weiteren so langsam erfolgten wie die waffentechnische Erneuerung der Bundeswehr – sind natürlich voran Olaf Scholz zu machen. Er ist es, der sich so sehr scheut, im Ukraine-Krieg ähnlich kämpferisch wie Großbritanniens Rishi Sunak oder Frankreichs Emmanuel Macron zu agieren, und er nimmt damit nicht nur Rücksicht auf die Mehrheit der SPD-Wähler.  Scholz macht trotz „Zeitenwende“ klassische deutsche Nachkriegspolitik.

An sich ist denkbar verständlich, dass die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg mit nichts weniger als mit Waffen assoziiert werden wollten. Bei vielen wurde die NS-Kriegsbegeisterung von einem unterbewussten Pazifismus in der Tradition der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Berta von Suttner („Die Waffen nieder“) abgelöst, der einem Denkfehler Vorschub leistet: dass nämlich voran Waffen für Kriege verantwortlich wären. Schon die Wiederbewaffnung der BRD und ihr NATO-Beitritt bedurften des Drucks der USA und der Überzeugungskraft Konrad Adenauers, der schon Adolf Hitler mit Waffen entgegentreten wollte: Mein Großvater, der ihm als Polizeipräsident Nordrhein-Westfalens dabei Unterstützung zugesagt hatte, ließ ihn leider im Stich.

Scholz lässt die Ukraine nicht im Stich, aber er unterstützt sie mit angezogener Handbremse, weil er, wie Angela Merkel, die der Ukraine die Aufnahme in die Nato verweigerte, Angst hat, Putin zu sehr zu vergrämen. Dass ein bestens bewaffnetes Heer, die beste Absicherung des Friedens darstellt, ist unterbewussten Pazifisten fremd, auch wenn sie bewusst anerkennen, dass NATO- Mitglieder noch nie angegriffen wurden.

Voran den Nachkommen von Familien, die seinerzeit der NSDAP besonders nahestanden, fällt schwer, die NATO als friedlich anzusehen, wird sie doch von den USA angeführt. Dass die, anders als das überfallene Russland, aus moralischen Gründen am Krieg gegen Hitler beteiligt und seine Niederlage besiegelt haben, wird ihnen nie ganz verziehen. Obwohl Deutschland der NATO nach außen überzeugt angehören, ist sie vielen Deutschen so suspekt wie er Ruf nach militärischer Stäke des „Westens“. Jedenfalls hat die Scheu der Deutschen, mit Waffen assoziiert zu werden, zu einer der österreichischen Neutralität sehr nahen Haltung geführt: Deutschland schätzt Äquidistanz, tat sich schwer, sich am Nato -Einsatz gegen die Taliban zu beteiligen, und hielt sich, freilich zu Recht, aus der „Koalition der Willigen“ im Irakkrieg heraus.

Aber es liefert Kiew zu Unrecht keine Kampfpanzer. Denn trotz ihres großen Einsatzes können die Ukrainer ihre dramatische numerische Unterlegenheit nur mittels überlegener Waffen wettmachen, und nur ein militärisches Patt schafft sogar die winzige Möglichkeit eines Verhandlungsfriedens. Das Interesse daran wäre allerdings so klar zu signalisieren, wie die Bereitschaft zu Waffenlieferungen, um Putin nicht in die Lag zu bringen, die Joe Biden zu Recht fürchtet: dass er doch zu Atomwaffen greift. Es braucht intensive Diplomatie und schwere Waffen zugleich.

Denn trotz der aktuellen Erfolge der Truppen Wolodymyr Selenskyjs, etwa in Cherson, teile ich die Befürchtung des Militär-Analysten Markus Reisner, dass sie uns übersehen lassen, wie erfolgreich Putin die Infrastruktur der Ukraine zerstört: die befreiten Bürger im dunklen Cherson frieren. Auf die Dauer kann ein Land mit 43,8 Millionen Einwohnern dem Angriff eines Landes mit 150 Millionen Einwohnern ohne überlegene Waffen nicht standhalten. Beide Länder dürften bisher 100.000 Soldaten verloren haben – Putin kann sie problemlos ersetzen, Selenskyj nicht mehr lange. Mit billigen Drohnen aus dem Iran vermag Putin Stellungen der Ukraine so lange zu beschießen, bis deren Luftabwehr ihr Pulver verschossen hat und seine Marschflugköper gezielte Verwüstung anrichten können. Deutschland hat Selenskyj zum Zweck der Luftabwehr bisher 7 Haubitzen geliefert – aber nur Munition für zwei Tage. Ihr Nachschub stockt, weil die Bundeswehr sie nicht auf Lager hat und auch im Rest der EU Produktionskapazitäten fehlen. Dass Kampfpanzer trotz Drängens von Grünen und FDP vorerst nicht geliefert wurden, liegt auch daran, dass sie rar sind. Merkels Austerity-Pakt hat nicht nur die Bundeswehr kaputtgespart, sondern die Wehrkraft der EU als Ganzes minimiert, während Putin die Rüstung Russlands in Vorbereitung seiner Kriege maximiert hat.

Hier liegt das größte Problem, das Deutschland der EU aufbürdet: sie ist dank deutschen Sparens und seiner Scheu vor Waffen wehrlos. Nur ein militärisch starkes Deutschland könnte mit Frankreich den Kern einer EU-Streitmacht bilden, die nicht total auf die USA angewiesen ist. Dabei zeigt der Ukrainekrieg, dass kein US-Präsident seinem Volk künftig den Einsatz und die Kosten zumuten wird, die üblich waren, als Nikita Chruschtschow oder Leonid Breschnew Russland regierten – obwohl Putin aggressiver als beide ist.

 

 

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Die Leiden der Technik unter der Emotion

Kann Kernenergie grün sein? Können E-Autos das CO2 -Problems verschärfen? Kann Technik den Klimawandel am besten bekämpfen? Die Schwierigkeit, es sachlich zu diskutieren.

Wenn man Österreichs Krieg gegen Kernkraft für verfehlt hält, weiß man, dass man auf heftigsten sachlichen wie emotionalen Widerstand trifft. „Die Enttäuschung, dass der anlassgebende Beitrag redaktionell freigegeben wurde ist groß“, schrieb Falter-Leserin Christa Wieland an Florian Klenk. Ich muss hoffen, dass man auch in der Vielfalt redaktioneller Information einen Wert sehen kann: Texte, wonach Kernkraft gefährlich und unwirtschaftlich sei, sind so zahlreich, dass es erlaubt sein sollte, einmal auch die Argumente vorzubringen, die Hannes Androsch, Science Buster Werner Gruber, die EU- Kommission oder mich die Kernkraft nicht abschreiben lassen, seit gesichert ist, dass man ihren strahlenden Müll zu tragbaren Kosten endlagern kann, indem man ihn mit Neutronen beschießt.

Zu meinem Erstaunen bin ich auf vergleichbar emotionalen Widerstand gestoßen, als ich argumentierte, dass Technik den Klimawandel erfolgreicher bekämpfe, als „systemische Veränderung“.  Solarparks auf einem Hundertstel der Fläche der Sahara, so schrieb ich, könnten mehr CO2 vermeiden, als Energiesparappelle.

„Alle paar Wochen“, entgegnet Falter -Leser Jürgen Gehbert, „öffnet uns P.M. Lingens ein Schaufenster ins letzte Jahrtausend, als man gemeinhin noch dachte, Technologien könnten die Klimamisere ohne Notwendigkeit für systemische Veränderung lösen…Bei den meisten Menschen in der Energiebranche verursacht das höchstens Kopfschütteln… Trotz des Glaubens an neue Technologien bezweifelt er… dass ein E-Auto seinen CO2-Ausstoß senken könnte. Na ja, was will man da noch sagen?“

Statt etwas zu sagen zitiere ich Georg Brasseur, emeritierter Professor für elektrische Messtechnik der TU Graz: „Woher sollen wir genug Strom nehmen, um E-Autos sinnvoll zu betreiben? Es ist unverantwortlich von der Politik ein System durchsetzen zu wollen, von dem klar ist, dass es bei Vollausbau nicht funktionieren kann, da mehr Stromverbraucher ans Netz kommen, als grüne Kraftwerke gebaut werden“.

Bei der zentralen Frage, ob Technik mehr bringe, als systemischer Wandel vertiefte Falter-Leser Alexander Tillinger Gehberts Kritik an meiner Sicht so „Merken Sie denn nicht, dass Sie technisch und ökologisch in einem vergangenen Jahrhundert leben? Woran erkennt man Verbohrtheit? Daran, dass der Betroffene es selbst nicht merkt. Tragisch.“

Mittlerweile führen Tillinger und ich eine gewinnbringende sachliche Auseinandersetzung zu dieser Frage. So wusste ich, als ich meinen Text schrieb, nicht, dass es das Sahara-Projekt, das ich vorschlug bereits gibt und dass es unter dem Namen „Desertec“ beinahe verwirklicht worden wäre. Siemens -Ingenieure hatten nicht anders als ich errechnet, dass ein Solarpark auf einem Hundertstel der Fläche der Sahara genügend Energie für den ganzen Erdball liefern könnte. Die Anlage sollte in Tunesien errichtet werden und über ein Kabel durchs Mittelmeer Strom an Europa liefern.

Tillinger kannte das Projekt und wusste, warum es aufgegeben wurde. Den letzten Stoß versetzte ihm ein tunesischer Polit-Aktivist, der erklärte, dass es „kolonialer Ausbeutung“ diene – Tunesien solle Europa Strom liefern und nichts davon haben – doch Siemens bestreitet das glaubwürdig, denn der gemeinsame Vorteil ist evident. Entscheidend war vielmehr zweifellos, dass sich in Europa zum errechneten Preis nicht genügend Abnehmer für den Wüsten-Strom fanden.

Tillinger und mein Kollege Erwin Iwaniewicz nannten mir dafür gute Gründe: Es sei nicht mehr richtig, dass Großkraftwerke sich am besten eigneten, grüne Energie zu liefern, denn es entstünden zu große Verluste bei ihrem Transport an die Stelle, wo sie gebraucht wird. Zugleich wären Solarpanele so effizient und preiswert, dass es günstiger sei, sie vor Ort zu installieren. Zudem wären dezentrale grüne Stromquellen sicher vor militärischen Angriffen.

In Summe hätte mich das um ein Haar überzeugt, dass Wüstenstrom tatsächlich von gestern ist, wenn Professor Brasseur nicht behauptete: „Grüne Energie sollte dort hergestellt werden, wo sie gut geerntet werden kann. Die gleichen Solarzellen erzeugen in Nordafrika bei gleichem Ressourceneinsatz zwei bis dreimal soviel Energie wie in Mitteleuropa.“

Davon geht der Brite Simon Morish aus, dessen Firma Xlinks derzeit in Marokko auf 15.000 km2 einen Solarpark errichtet, der grünen Strom nicht mehr wie Siemens mit Parabolspiegeln, sondern mit Solarpanelen erzeugt und ab 2028 an Großbritannien liefern soll. Marokko hat Xlinks die dafür benötigte Fläche verpachtet, obwohl kein Strom nach Marokko fließt, denn es hat genügend eigene Solarparks und freut sich über die von Morish geschaffenen Jobs. Die Megawattstunde Strom soll nicht einmal ein Zehntel des für Desertec errechneten Betrages kosten und über ein neuartiges Hochspannungs-Gleichstromkabel mit minimalen Verlusten acht Prozent des britischen  Bedarfs decken.

Das diesbezüglich führende Frauenhofer Institut für Solare Energiesysteme hält das Projekt für erfolgversprechend, statt es dem vergangenen Jahrhundert zuzuordnen. Für das aktuelle Jahrhundert erhoffe ich daher ein gleichermaßen von weltpolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen geformtes, maximal ergiebiges Nebeneinander von Wüsten-Solarparks, Windparks im Meer, Kernkraft und lokalen Solarpanelen und Windrädern. Die jeweils verwirklichte Lösung wird immer eine technische sein – aber es bedarf vermutlich eines systemischen Wandels, sie sachlich zu diskutieren.

 

 

 

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