Kann Kernenergie grün sein? Können E-Autos das CO2 -Problems verschärfen? Kann Technik den Klimawandel am besten bekämpfen? Die Schwierigkeit, es sachlich zu diskutieren.
Wenn man Österreichs Krieg gegen Kernkraft für verfehlt hält, weiß man, dass man auf heftigsten sachlichen wie emotionalen Widerstand trifft. „Die Enttäuschung, dass der anlassgebende Beitrag redaktionell freigegeben wurde ist groß“, schrieb Falter-Leserin Christa Wieland an Florian Klenk. Ich muss hoffen, dass man auch in der Vielfalt redaktioneller Information einen Wert sehen kann: Texte, wonach Kernkraft gefährlich und unwirtschaftlich sei, sind so zahlreich, dass es erlaubt sein sollte, einmal auch die Argumente vorzubringen, die Hannes Androsch, Science Buster Werner Gruber, die EU- Kommission oder mich die Kernkraft nicht abschreiben lassen, seit gesichert ist, dass man ihren strahlenden Müll zu tragbaren Kosten endlagern kann, indem man ihn mit Neutronen beschießt.
Zu meinem Erstaunen bin ich auf vergleichbar emotionalen Widerstand gestoßen, als ich argumentierte, dass Technik den Klimawandel erfolgreicher bekämpfe, als „systemische Veränderung“. Solarparks auf einem Hundertstel der Fläche der Sahara, so schrieb ich, könnten mehr CO2 vermeiden, als Energiesparappelle.
„Alle paar Wochen“, entgegnet Falter -Leser Jürgen Gehbert, „öffnet uns P.M. Lingens ein Schaufenster ins letzte Jahrtausend, als man gemeinhin noch dachte, Technologien könnten die Klimamisere ohne Notwendigkeit für systemische Veränderung lösen…Bei den meisten Menschen in der Energiebranche verursacht das höchstens Kopfschütteln… Trotz des Glaubens an neue Technologien bezweifelt er… dass ein E-Auto seinen CO2-Ausstoß senken könnte. Na ja, was will man da noch sagen?“
Statt etwas zu sagen zitiere ich Georg Brasseur, emeritierter Professor für elektrische Messtechnik der TU Graz: „Woher sollen wir genug Strom nehmen, um E-Autos sinnvoll zu betreiben? Es ist unverantwortlich von der Politik ein System durchsetzen zu wollen, von dem klar ist, dass es bei Vollausbau nicht funktionieren kann, da mehr Stromverbraucher ans Netz kommen, als grüne Kraftwerke gebaut werden“.
Bei der zentralen Frage, ob Technik mehr bringe, als systemischer Wandel vertiefte Falter-Leser Alexander Tillinger Gehberts Kritik an meiner Sicht so „Merken Sie denn nicht, dass Sie technisch und ökologisch in einem vergangenen Jahrhundert leben? Woran erkennt man Verbohrtheit? Daran, dass der Betroffene es selbst nicht merkt. Tragisch.“
Mittlerweile führen Tillinger und ich eine gewinnbringende sachliche Auseinandersetzung zu dieser Frage. So wusste ich, als ich meinen Text schrieb, nicht, dass es das Sahara-Projekt, das ich vorschlug bereits gibt und dass es unter dem Namen „Desertec“ beinahe verwirklicht worden wäre. Siemens -Ingenieure hatten nicht anders als ich errechnet, dass ein Solarpark auf einem Hundertstel der Fläche der Sahara genügend Energie für den ganzen Erdball liefern könnte. Die Anlage sollte in Tunesien errichtet werden und über ein Kabel durchs Mittelmeer Strom an Europa liefern.
Tillinger kannte das Projekt und wusste, warum es aufgegeben wurde. Den letzten Stoß versetzte ihm ein tunesischer Polit-Aktivist, der erklärte, dass es „kolonialer Ausbeutung“ diene – Tunesien solle Europa Strom liefern und nichts davon haben – doch Siemens bestreitet das glaubwürdig, denn der gemeinsame Vorteil ist evident. Entscheidend war vielmehr zweifellos, dass sich in Europa zum errechneten Preis nicht genügend Abnehmer für den Wüsten-Strom fanden.
Tillinger und mein Kollege Erwin Iwaniewicz nannten mir dafür gute Gründe: Es sei nicht mehr richtig, dass Großkraftwerke sich am besten eigneten, grüne Energie zu liefern, denn es entstünden zu große Verluste bei ihrem Transport an die Stelle, wo sie gebraucht wird. Zugleich wären Solarpanele so effizient und preiswert, dass es günstiger sei, sie vor Ort zu installieren. Zudem wären dezentrale grüne Stromquellen sicher vor militärischen Angriffen.
In Summe hätte mich das um ein Haar überzeugt, dass Wüstenstrom tatsächlich von gestern ist, wenn Professor Brasseur nicht behauptete: „Grüne Energie sollte dort hergestellt werden, wo sie gut geerntet werden kann. Die gleichen Solarzellen erzeugen in Nordafrika bei gleichem Ressourceneinsatz zwei bis dreimal soviel Energie wie in Mitteleuropa.“
Davon geht der Brite Simon Morish aus, dessen Firma Xlinks derzeit in Marokko auf 15.000 km2 einen Solarpark errichtet, der grünen Strom nicht mehr wie Siemens mit Parabolspiegeln, sondern mit Solarpanelen erzeugt und ab 2028 an Großbritannien liefern soll. Marokko hat Xlinks die dafür benötigte Fläche verpachtet, obwohl kein Strom nach Marokko fließt, denn es hat genügend eigene Solarparks und freut sich über die von Morish geschaffenen Jobs. Die Megawattstunde Strom soll nicht einmal ein Zehntel des für Desertec errechneten Betrages kosten und über ein neuartiges Hochspannungs-Gleichstromkabel mit minimalen Verlusten acht Prozent des britischen Bedarfs decken.
Das diesbezüglich führende Frauenhofer Institut für Solare Energiesysteme hält das Projekt für erfolgversprechend, statt es dem vergangenen Jahrhundert zuzuordnen. Für das aktuelle Jahrhundert erhoffe ich daher ein gleichermaßen von weltpolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen geformtes, maximal ergiebiges Nebeneinander von Wüsten-Solarparks, Windparks im Meer, Kernkraft und lokalen Solarpanelen und Windrädern. Die jeweils verwirklichte Lösung wird immer eine technische sein – aber es bedarf vermutlich eines systemischen Wandels, sie sachlich zu diskutieren.