Das Wunder von Kottingbrunn

Mit Standing Ovations feierte – bedauerte- das Publikum Sonntag Abend die letzte Vorstellung von “Wie im Himmel” im Theater der “Kulturszene Kottingbrunn”: Eine brillante Inszenierung (Anselm Lipgens) der Theaterfassung des berühmten schwedischen Films von Kay Pollak; erstklassige Profi-Schauspieler (Alexander Rossi, Georg Kusztrich, Franziska Hetzel,) und kaum schwächere Laien; ein perfektes Bühnenbild in einem der wahrscheinlich schönsten Theater Österreichs.

Das hat insofern mit Wirtschaft und Politik zu tun, als es zeigt, was “Privatinitiative”, “kluges wirtschaftliches Agieren” zu bewirken vermag, wenn es auf Verständnis der zuständigen Politiker trifft.

Es baucht “Gründer”

Gegründet wurde die Kulturszene 1987 nicht von einem Künstler, sondern einem Unternehmer mit Liebe zur Kunst- dem Techniker Joachim Künzel. Der verliebte sich in das prachtvolle Wasserschloss des Ortes und kämpfte und spendete für seine Restaurierung. Als die Gemeinde der von ihm begründeten “Kulturinitiative” einen verfallenen Stall und die zugehörige Tränke- überließ, organisierte er, dass sie in tausenden freiwilligen Arbeitsstunden zu einem Theater für 250 Zuschauer samt perfekter Eingangshalle umgebaut (in Wahrheit nahezu alles neu gebaut) wurden. Und dass das mit ungeheurem Geschmack geschah: Teile der alten Mauern wurden sichtbar erhalten, die alte hölzerne Dachkonstruktion wurde durch eine ähnlich schöne, statisch perfekte, ersetzt- ich kenne in Österreich allenfalls ehemalige Schlosstheater, die sich mit diesem an Schönheit, nicht aber Funktionalität vergleichen lassen.
Schon wenig später zeigte man mit dem “Mann von La Mancha” die erste Eigenproduktion, in der Profi- Schauspieler durch Amateure perfekt – und preisgünstig unterstützt wurden. Seither gibt es diese Eigenproduktion jedes Jahr – zuletzt eben “Wie im Himmel”. Ich habe am Burgtheater ungleich weniger professionelle Aufführungen gesehen, deren Bühnenbilder das Hundertfache gekostet haben und weit wenige überzeugten. Wie Anselm Lipgens auch seine Laiendarsteller führt, erreicht in seiner Qualität Peter Grubers Nestroy-Spiele

Politik, die den wirtschaftlichen Wert von “Kultur” begreift

Irene Künzel, die den Verein “Kulturszene” seit dem Krebstod ihres Mannes im Jahr 2012 als Obfrau führt, ist wie ein perfekter Kulturmanager: Sie weiß, wie sie leichte Unterhaltung, Musik, Cabaret Kleinkunst mit großen Stücken mischen muss, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Bereits 1996 gab es 30 Spieltage – jetzt sind es 150.
Die Marktgemeinde und das Land Niederösterreich begriffen, welche Chance die “Kulturinitiative” darstellt: Landesfürst Erwin Pröll war zu Subventionen bereit – man muss ihm zugestehen, wie kein anderer den wirtschaftlichen (und politischen) Wert von Investitionen in “Kultur” begriffen zu haben.
Mittlerweile wird aus Gemeinde und Landesmitteln der gesamte ehemalige Wirtschaftshof des Schlosses restauriert und es entsteht eine kulturelle “Begegnungszone” von einer Schönheit, die ihresgleichen sucht.

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Mozart muss weiterhin leiden

Auch auf der Basis einer sehr guten Einstiegs-Idee ist aus Emanuel Schikaneders miserabler Zauberflöte kein gutes Schauspiel zu machen. Leider wird man in Salzburg nicht durch eine große musikalische Leistung entschädigt. Nur Kinder kommen auf ihre Rechnung.

Keine Oper ist so schwer zu inszenieren wie die Zauberflöte. Denn kein Intendant wagt zu sagen, dass Emanuel Schikaneders Vorlage ein solcher Mist ist, dass man sie nur austauschen kann. Die Texte sind öd, die Handlung ist selbst als Märchen unglaubwürdig: Ein Herrscher des Lichts, in dessen Hallen man die Rache nicht kennt, nimmt einer Mutter nicht die Tochter weg und setzt sie der Vergewaltigung aus.
Dennoch nennt der ORF Schikaneders Mega-Schmarren in seiner Ansage der Übertragung aus den Salzburger-Festspielen in einem Atemzug mit Mozarts Musik “genial”. Mozart kann sich seit zweihundertfünfzig Jahren nicht wehren und wird wohl auf alle Zeiten weiter unter Schikaneder leiden müssen.

Klaus Maria Brandauer zündet

Die Amerikanerin Lydia Steier versucht das Beste aus dieser in Wahrheit für jeden Regisseur verzweifelten Lage zu machen: Sie bemüht sich, das Märchen noch intensiver als solches zu kennzeichnen und es zu aktualisieren – es soll wenigstens Kinder interessieren. Das gelingt ihr, indem sie die Figur eines erzählenden Großvaters einführt, der noch dazu mit Klaus Maria Brandauer ideal besetzt ist. Zumindest das erste Bild, in dem er die zauberhaften “drei Knaben” in seinen Bann zieht, Tamino wie ein Zinnsoldat aussieht und das Ungeheuer, von drei tüchtigen Polizistinnen mit der Maschinenpistole erschossen wird, ist in sich stimmig und lässt auf eine geglückte Fortsetzung hoffen.
Aber schon der Auftritt der Königin der Nacht in einem weißen Kleid, mit einem absurden weißen Gebilde auf dem Kopf ist nur mehr komisch. Steier lässt sich die Chance entgehen, die einzige funktionierende Märchenfigur Schikaneders wie in konventionellen Inszenierungen als “Fürstin der Finsternis” zu präsentieren”. Statt dass es einem bei ihrer Koloratur kalt über den Rücken rieselt, ist man befremdet. Genauso wie vom beinahe hässlichen Aussehen Paminas, die auf keinen Fall wie eine liebliche Prinzessin aussehen durfte.

Die Welt des Lichtes bleibt dunkel

Und je länger die Aufführung dauert, desto mehr zeigt sich, dass sich aus Schikaneders Stück beim besten Willen und mit noch soviel Aufwand kein gutes Schauspiel machen lässt. Der Bruch, der mit dem Eintreten Taminos in Sarastros Welt noch in keiner Inszenierung überbrückt werden konnte, wird nicht geringer, sondern allenfalls größer, indem man Sarastro in einen düster blickenden Zauberer verwandelt.
Zumindest diesen Teil der Zauberflöte haben die beiden Freimaurer Schikaneder und Mozart ernst gemeint. Sie wollten eine edle Welt des Lichtes auf die Bühne stellen.
Bei Steier ist es eine Welt, in der soviel geschieht, geturnt, gestelzt und balanciert wird, dass Kinder wahrscheinlich einigermaßen gebannt hinschauen – als Erwachsener ist man vor allem extrem von der Musik abgelenkt.

Die Musik hat keine Chance

Das wiederum ist, anders bei Welser -Mösts Salome, nicht ganz so schade. Einige der Sänger sind erstaunlich schwach bei Stimme – Sarastro in tiefen Lagen kaum zu hören- und den Wiener Philharmonikern scheint die Aufführung entscheiden zu lange zu dauern – sie hudeln immer verwaschener dahin.
Mozart wird leider weiter unter Schikaneders Zauberflöte leiden müssen – auch wenn diese Kindern vermutlich am bisher besten gefallen haben dürfte.

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Salome zwangssterilisiert

Als Vater eines Schauspielers habe ich meiner Familie eigentlich versprochen, nie einen Regisseur zu kritisieren. Daran habe ich mich auch seit Bestehen dieses Blogs gehalten. Aber nachdem ich gestern auf ORF 2 die “Salome” der Salzburger Festspiele gesehen habe, möchte ich den 11 Minuten und 43 Sekunden langen Applaus und eine erste jauchzende Kritik der “Kleinen Zeitung” zumindest relativieren.

Im ersten Moment war der Applaus nämlich höchst verhalten. Erst als einige besonders heftig Applaudierende das Publikum überzeugt hatten, dass es einer “bedeutenden” Inszenierung beigewohnt hatte, schloss es sich diesem Urteil, wie in Österreich fast immer, lautstark an.

Musikalisch war es tatsächlich ein grandioser Abend. Besser differenzierter und zugleich impulsiver (erotischer) als Franz Welser – Möst und die Wiener Philharmoniker kann man die herrliche Musik Richard Strauss´ wahrscheinlich nicht interpretieren, besser als Asmik Grigorian die Titelpartie wahrscheinlich nicht singen. Auch alle anderen Sängerinnen und Sänger waren hervorragend – allenfalls John Daszak als Herodes hat gelegentlich gepresst.

Aber Oper ist eben auch Schauspiel.

Die provinzielle Abneigung gegen alles was provinziell wirken könnte

Regisseur Romeo Castellucci will ich als Bühnenbildner und Kostümbildner großes bildnerisches Talent, ansonsten aber vor allem Mut bescheinigen. Die durchscheinend grau verhängte Felsenreitschule war ein guter Hintergrund für die wenigen sich umso klarer abhebenden Figuren. Ihre fast durchwegs zur Hälfte rot geschminkten Gesichter wirkten gefährlich und interessant. Die aus dem Boden wachsende dunkle Scheibe, in der der Prophet Jochanaan langsam sichtbar wird, wirkte mystisch. Und die nackte auf einem Sockel zur Bondage verschnürte Salome ergab ein beinahe schönes, spannendes Bild.

Nun aber zum Mut. Es gibt bei manchen Salzburger Inszenierungen etwas, was ich die zutiefst provinzielle Abneigung gegen alles nennen möchte, was dem Publikum als provinziell – weil gewohnt oder gar konservativ- erscheinen könnte. Dem entspringt der krampfhafte Wunsch, ein Stück oder eine Oper jedenfalls ganz anders als erwartet und ganz anders als bisher zu inszenieren.

Ziemlich große Regisseure wie Ingmar Bergmann hatten diesen Wunsch beispielsweise nie. Andere, wie Peter Sellars bei seiner Salzburger “Clemencia di Tito” transponierten Stoffe unter Beibehaltung ihrer inneren Substanz auf brillante Weise in die Gegenwart. Castellucci hingegen inszeniert – zumindest in diesem Fall- das Gegenteil dessen, was “Salome” ausmacht: Er hat es fertig gebracht, eine zutiefst erotische Handlung völlig der Erotik zu entkleiden. Das ist tatsächlich eine Kunst.

Salome, die in sich die intensive Sexualität ihrer Mutter aufkeimen spürt, bei deren Anblick die Männer den Verstand verlieren und sich umbringen, wenn sie nicht erhört werden, nach der ihr Stiefvater Herodes voll verbotener Begierde lechzt, ist in dieser Inszenierung ein ungelenkes Mädchen mit Bubikopf, das sich verschnüren lässt, statt Herodes mit einem Schleiertanz derart zu verführen, dass er ihr verspricht, ihr Jochanaans Kopf auf einem Silbertablett zu servieren.

Selbst die Verschnürung wirkt nicht sadomasochistisch, sondern asexuell.

Sinnlichkeit war nur mit geschlossenen Augen spürbar

Dass Salome Jochanaan, gerade deshalb so heftig begehrt, weil er die Triebhaftigkeit ihrer Mutter (die auch die ihre ist) so heftig als verwerflich und hurös anprangert, kommt nie heraus – daher auch nicht ihre Wut, von ihm abgewiesen zu werden.

Nur einmal, als sie am Boden hockt und wie ein kleines Kinde trotzig zum dritten Mal widerholt, dass sie seinen Kopf haben will, gibt es eine Übereinstimmung ihrer Darstellung mit der Vorlage.

Dieses mangelnde Verständnis für eine Hauptfigur setzt sich bei Herodes fort: Der war laut Vorlage ein orientalischer Despot – es ist undenkbar, dass er genau so gekleidet war, wie seine Untertanen, dass er sein Gesicht in der gleichen Form hinter roter Schminke verbarg und auf einer Ebene mit ihnen agierte.

Wenn Castellucci, wie er sagt, vor allem Machtverhältnisse aufzeigen wollte, ist ihm das gründlich misslungen. Und zwangsläufig entbehrt HerodesBeziehung zu Salome jeder erotischen Spannung.

Nur wenn man die Augen schloss, konnte man die Sinnlichkeit dieser Oper genießen.

 

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Nestroy zwischen Linz und Niedersachsen

Nach den grauenvollen Nestroy-Inszenierungen der Ära Hartmann begeistert sich Ronald Pohl im “Standard”, (wie “Die Presse”, der “Kurier” und die “Kleine Zeitung”) für Georg Schmiedleitners Inszenierung von Nestroys “Liebesgeschichten und Heiratssachen” am Burgtheater. Renate Wagner widmet ihr im “Merker” einen Totalverriss. Mir scheint die Wahrheit irgendwo dazwischen, aber näher bei Wagner zu liegen. 

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