Was macht den Kommunismus salonfähig?

Die historische Belastung des realen Kommunismus mit Blut und Elend wiegt erstaunlich wenig. Traditionelle linke Politik angeblicher Kommunisten beeindruckt zu Recht.

Es gibt eine kurze Antwort auf die im Titel gestellte Frage: Die Schere zwischen hyperreich und relativ arm war lange nicht so groß, und Ahnungslose meinen, dass das im Kommunismus anders war. Gemäß einer Gallup Umfrage können sich daher 24 Prozent der Österreicher vorstellen die Kommunistische Partei (KPÖ) zu wählen. Am ehesten mit 29 Prozent Sympathisanten der SPÖ, aber mit 27 Prozent auch Grün-Affine. Am meisten verblüfft, dass sich selbst 25 Prozent Neos-Affiner vorstellen können, kommunistisch zu wählen, während es unter ÖVP-Affinen nur 13 Prozent sind. Weniger verblüffend: Dass die Bereitschaft bei unter 30-Jährigen mit 33 Prozent am höchsten ist – dies entspricht der Qualität unseres Geschichtsunterrichts – und dass sie bei Freiheitlichen mit 16 Prozent ähnlich niedrig wie bei VP-Affinen ist; Neo-Faschismus liegt ihnen vermutlich näher als Neo-Kommunismus.

Am Rande erklären diese Zahlen, warum eine “linke” SPÖ unter Andreas Babler laut Umfragen mehr Stimmen als eine “rechte” unter Hans Peter Doskozil erhielte: Sie nähme Grünen und Neos am ehesten Stimmen weg. Dadurch wird aber die von Babler erhoffte rot-grün-pinke Koalition um nichts wahrscheinlicher.

Obwohl das der realpolitisch bedeutsamste Schluss ist, den man aus der überraschenden Kommunismus-Akzeptanz der Österreicher ziehen muss, beeindruckt mich einmal mehr, wie wenig die historische Belastung einer Weltanschauung wiegt. Immerhin sind in der kommunistischen Sowjetunion allein aufgrund der “Zwangskollektivierung” (Enteignung der Bauern zugunsten staatlicher Agrar-Kombinate) schätzungsweise  sieben Millionen Menschen verhungert und wurden bis zu Stalins Tod im Jahr 1953 mindestens 18 Millionen Menschen als angebliche “Konterrevolutionäre” verhaftet, von denen 2,5 Millionen im “Archipel Gulag” starben und weiter 700.000 hingerichtet wurden. Gleichzeitig entstand die ungerechteste Gesellschaft, die man sich vorstellen kann: Parteifunktionäre besaßen zwar nichts, verfügten aber über absolut alles – prachtvollen Datschen bis zur eigenen Autobahn. Gleichzeitig war die Bevölkerung nicht nur relativ, sondern absolut arm. Kommunismus war und ist in jedem Land, in dem er herrschte – von Kuba über Kambodscha bis China -, mit Elend und Folter verbunden: Auch geflohene Kubaner haben Folternarben; dass es der Masse der Chinesen trotz Folter ökonomisch immer besser geht, liegt daran, dass ihre Wirtschaft immer weniger mit Kommunismus zu tun hat. Auch die Forderung der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) oder des Salzburger KPÖ-Shootingstars Kay-Michael Dankl haben nichts mitKommunismus zu tun.

Die historische Belastung des realen Kommunismus mit

Blut und Elend wiegt erstaunlich wenig. Traditionelle

linke Politik angeblicher Kommunisten beeindruckt zu recht

Beide fordern nur glaubwürdiger als andere normle linke Politik ein, die natürlich sinnvolle staatliche Eingriffe umfasst. Dass sie sich Kommunisten nennen, ist ihr privates Steckenpferd, auch wenn es zweifellos am meisten zur öffentlichen Akzeptanz der KPÖ beträgt

Der historische Kommunismus ist etwas anderes und lässt sich nicht vom Marxismus trennen, zu dem sich der neue SPÖ Chef Andreas Babler aus Privatvergnügen – sicher nicht aus Kenntnis – bekennt. Bablers Unterstützer wandten ein, dass selbst Karl Popper, Auto von “Die offene Gesellschaft und ihre Feinde”, einst Kommunist war – aber im Jahr 1922 mit 20 Jahren, nicht wie Babler 2023 mit 50 Jahren.

1922 wusste man noch nicht vom Elend und den Verbrechen, die der Kommunismus hervorgebracht hatte. Der Journalist Arthur Köstler hatte Folter und Schauprozesse in Russland noch nicht beschrieben. Marxismus war 1922, als Karl Popper sich ihm hingab noch nicht blutbefleckt, sondern eine faszinierende ökonomische Theorie, die die überragende Bedeutung von Eigentum und Profit erstmals in den Mittelpunkt stellte. Für Popper Generation galt das Bonmot: Wer mit 20 kein Marxist war, war nicht anständig – wer es mit 50 noch immer ist, ist nicht intelligent.

Aus seiner Kenntnis des Marxismus heraus hat Popper dessen kardinale Schwächen aufgezeigt: Marx, der viele große Risiken des Kapitalismus richtig sah, vermeinte fälschlich, aus ihnen ein “ehernes Gesetz” ableiten zu können, wonach sie zwingend zum Zusammenbruch des Kapitalismus führen müssen, der wiederum mit dem Sieg des Sozialismus enden muss. Wenn dem so ist, bräuchte es keine Gewerkschaften, um den Kapitalismus zu zähmen. Marx lehnte Gewerkschaften ab und warf ihnen vor, durch “Scheinerfolge” den Zusammenbruch des Kapitalismus und den Sieg des Sozialismus hinauszuzögern. Folgerichtig gab es in kommunistischen Staaten keine Gewerkschaften, die den Kapitalismus in allen anderen Staaten in gewisse Schranken wiesen (die Gewerkschaft Solidarność entstand in Polen 1980gegen den Willen des damaligen KP-Regimes). Gleichzeitig war die Überzeugung, dass der Sozialismus siegen müsse, eine willkommene Rechtfertigung, dafür, diesem Zweifel durch Folter nachzuhelfen.

Die zweite Schwäche der Marx´schen Theorie bestand darin, dass sie zwar lehrte, der siegreiche Sozialismus bestehe in der “Vergesellschaftung der Produktionsmittel”, nicht aber, worin “Vergesellschaftung” bestehe, denn das bescherte der Kommunistischen Partei die maximale Macht. Allerdings lehrte Otto Bauer diese Auslegung. Durch “Verstaatlichung”, so spottete er, hätten statt versierter Kaufleute ahnungslose Beamte das Sagen in Unternehmen. Es ist sicher nicht Kenntnis”, die SPÖ und Babler “Verstaatlichung” dennoch für “sozialistisch” halten lässt.

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Österreich hat einen „Marxist“ als Kanzlerkandidat

Dass Andreas Babler es für nützlich hält, die Welt durch eine marxistische Brille zu betrachten, habe ich noch verstanden, auch wenn mir lieber gewesen wäre, er hätte die Worte „gelegentlich auch“ vor der „Brille“ eingefügt – Karl Marx war auch für mich ein scharfer Beobachter des Wirtschaftsgeschehens.

Aber schon als Andreas Babler erklärte, „Marxist“ zu sein, war er für mich nicht mehr wählbar. Marxens zentrale Thesen sind ja nicht nur falsifiziert, sondern Karl Popper hat in „Die offene Gesellschaft und Ihre Feinde“ auch eingehend begründet, wieso sie als Kommunismus in absolut allen Ländern, von Russland bis China, von Kuba bis Venezuela zu Diktaturen führten, die neben Millionen Verhungerter auch Millionen Ermordeter verantworten. Ein politisch gebildeter Mensch kann heute kein Marxist/Kommunist mehr sein, auch wenn er Marx als Ökonomen respektiert.

Allerdings habe ich unter den Linken, die gelegentlich Marxens Vokabular gebrauchen, mit Ausnahme des verstorbenen Politwissenschaftlers Norbert Leser noch keinen getroffen, der auch Marx` Schriften gelesen hat – und Leser war Antimarxist. Insofern braucht man die Kommunisten Elke Kahr in Graz und Kai Michael Dankl in Salzburg nicht zu fürchten: Sie haben, wie vermutlich auch Babler, kaum eine Ahnung, wozu sie sich in der Theorie bekennen- was sie in der Praxis fordern, ist auch nicht kommunistisch und Diktaturen lehnen sie glaubwürdig ab. Ich wundere mich nur, dass jemand so Intelligenter wie Dankl seine Partei nicht lieber „Linke plus“ nennt.

Seit es das Video gibt, in dem der47 jährige – nicht der 17 jährige – Babler der EU nachsagt, ein „neoliberalistisches, protektionistisches, amerikanisches Konstrukt der übelsten Art und Weise“ und „das aggressivste außenpolitische militärische Bündnis“ zu sein, „das es je gegeben hat“, sehe ich in ihm allerdings doch eine echte Gefahr: Merkt denn ein Peter Menasse nicht, wie nahe Bablers EU-Bild dem Herbert Kickls ist? Hat er je überlegt, wie ein Kanzler Babler zur Bewaffnung der Ukraine durch die EU  stünde?

Ich habe etwas Neues über Österreichs „linke Intellektuelle“ gelernt: links zu sein, reicht ihnen völlig.  Für sie ist „Links“ ist eine Sache des Glaubens, nicht des Nachdenkens.   

Doskozil sagte jedenfalls sofort, was er anstrebt: Rot-Grün Pink. Seine wirtschaftlichen Forderungen unterscheiden sich wenig von denen Bablers und beraten wird er offenbar von Christian Kern, dem ich hier schon immer die größte ökonomische Kompetenz bescheinigt habe.

Biden stärkt Trump.

 Joe Biden hat sich wie erwartet im letzten Moment mit den Republikanern geeinigt, die Staatsschuldengrenze anzuheben. Denn zumindest ihrem Sprecher, Kevin McCarthy war klar, dass „Zahlungsunfähigkeit“ neben einer Weltwirtschaftskrise (die seine Radikalen kalt gelassen hätte) auch die größte Wirtschaftskrise der USA seit 1929 ausgelöst hätte – das hat er verhindert. Wohl aber gelang es den Republikanern, Joe Biden neuerlich zu schwächen: Er musste seine schon vielfach gekürzten Investitionen neuerlich erheblich kürzen. Da die Zinserhöhung der FED die Inflation gleichzeitig weniger als die Wirtschaft bremst, wird Biden 2024 bei der Wahl kaum mit Wirtschaftsdaten punkten können, die die Ära Trump in den Schatten stellen. Und Trump, nicht Floridas Gouverneur Ron DeSantis, wird Bidens Gegner sein. Denn nicht nur geriet DeSantis Wahlkampf-Auftakt bei Twitter zum Fiasko, sondern er wird dem Show Profi Trump in den kommenden Vorwahl-Konfrontationen genauso klar unterliegen, wie 2016 Floridas Gouverneur Jeff Bush.

Dass der um Jahrzehnte älter wirkende Biden Trump 2024 abermals schlägt, obwohl Stagflation herrschen dürfte, ist daher alles eher als gewiss. Wenn ihn die Strafjustiz nicht doch rechtzeitig aufhält, gibt es meines Erachtens ein 49 prozentiges Risiko, dass die freie Welt 2025 neuerlich mit Trump als US-Präsident konfrontiert ist. Nur dass er, der schon in seiner ersten Amtszeit am Sinn des transatlantischen Bündnisses zweifelte, ihm in seiner zweiten Amtszeit noch kritischer gegenüberstehen wird. Jedenfalls käme es einem Wunder gleich, wenn Trump die Verteidigung Europas gegen Putins Russland garantierte. Als Ukrainer, aber auch als Este, Lette, Georgier oder Moldawier sähe ich seiner Amtszeit jedenfalls mit panischer Angst entgegen. Und selbst wenn man die Chance, dass Trump die Wahl gewinnt, geringer als ich einschätzt, ist das Risiko, sich dabei zu irren, doch so groß, dass ich nicht verstehe, wie wenig sich die EU auf einen solchen GAU vorbereitet.

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Es braucht Doskozil plus Babler

Es braucht Doskozil plus Babler

Wenn man Blau- Schwarz unter der Führung von Herbert Kickl für das Schlimmste hält, was Österreich zustoßen kann, dann ist die Aufgabe der Delegierten zum kommenden Parteitag der SPÖ klar: Sie müssen eine Führung etablieren, mit der die SPÖ genug Wähler dazu gewinnt, um eine rot-grün-pinke Mehrheit sicherzustellen, denn nur die schließt Blau-Schwarz mit Sicherheit aus. Gemessen an den aktuellen Umfragen sind das ziemlich viele Wähler, aber noch vor wenigen Monaten gab es eine klare Mehrheit der SPÖ in den Umfragen aller Institute, und in der Umfrage, die Hans Peter Doskozil vor einem Monat in Auftrag gab, schnitt sie mit ihm an der Spitze jedenfalls deutlich besser als derzeit ab. Dieses Resultat bestätigte sich auch in gleichartigen Umfragen unabhängiger Institute. Doskozil ist mit Sicherheit der beste Kanzler-Kandidat, wenn es gilt, Wähler von der FPÖ zurückzugewinnen oder sogar hin und wieder der ÖVP zu entreißen, und auch bei Unentschlossenen scheint Doskozil anzukommen: Das gute Management der Flüchtlingsflut von 2015 wird ihm auch in der Mitte gutgeschrieben. Dass Rendi- Wagners Wähler eine Doskozil-SPÖ nicht wählten, weil er sie schlecht behandelt hat, halte ich für unwahrscheinlich: Wer der SPÖ unter ihr treu blieb, ist rot geeicht. Selbst ORF-Ex-General Gerhard Zeiler, der aus der SPÖ austreten will, wenn Doskozil sie übernimmt, wählt sie vermutlich weiter, wenn es Blau-Schwarz abzuwehren gilt, denn grün oder Pink zu wählen wäre ein Nullsummenspiel, das ihr schadete, wenn es um die Beauftragung durch den Bundespräsidenten geht.

Aber auch Andreas Babler kann Wähler für die SPÖ hinzugewinnen. Mit Sicherheit ist er der Beste, wenn es darum geht, Erstwähler anzuziehen, denn er wirkt deutlich jünger als Doskozil.. Pamela Rendi-Wagners Wähler wählen ihn sicher, aber vor allem bei der großen Gruppe der Nichtwählern könnte er punkten: Dass die „KPÖ plus“ in Graz und Salzburg so erfolgreich war, zeigt, dass ein explizit linkes Programm und vor allem linkes Auftreten erstaunlich viel Resonanz erzielt. Einziges Problem: Ich glaube, dass Babler die Doskozil-Wähler und die Wähler, die die SPÖ rechts der Mitte gewinnen muss, eher abschreckt.

Mein Schluss aus dieser Analyse: Ich glaube, dass die SPÖ mit Doskozil als Kanzlerkandidat die besseren Chancen hat, dass es aber optimal wäre, wenn sie Babler in die Führung einbinden kann. Jedenfalls als Obmann-Stellvertreter, notfalls aber sogar, indem man eine Doppelspitze bestellt, Doskozil aber klar zum Kanzlerkandidaten macht. Hinter beiden stehen übrigens Männer. die wirklich etwas von Wirtschaft verstehen: Hinter Babler der Ökonom Nikolaus Kowall von der „Sektion 8“, hinter Doskozil Ex-Kanzler Christian Kern. Gemeinsam könnten die beiden ein optimales Aktionsprogramm für eine“ SPÖ plus“  entwerfen.

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Die Gründe für unsere hohe Teuerungsrate

Hauptgrund unserer überdurchschnittlichen Teuerung ist unsere überdurchschnittliche Abhängigkeit von russischem Gas. Erst danach kommen die Versäumnisse der Regierung.

Dass Österreich mit 9,8 Prozent eine höhere Teuerungsrate als der Durchschnitt der EU mit 8,3 Prozent aufweist, liegt vielleicht auch an Managementfehlern der Regierung – der Hauptgrund ist aber zweifellos, dass Österreich auf Grund der Energiepolitik früherer Regierungen weit mehr als der Durchschnitt der EU von russischem Gas abhängt. Gemessen daran, dass unsere Abhängigkeit doppelt so groß wie die Deutschlands ist, ist der so heftig diskutierte Unterschied zur 7,2 prozentigen deutschen Teuerung sogar relativ klein. Zwar mag es sein, dass die Regierungen Japans oder der Schweiz, die mit 3,2 und 2,9 Prozent die weltweit geringste Teuerung aufweisen, sie besser gemanagt haben, aber der Hauptgrund ist ihre viel billigere Energie: Japan hat Atomenergie, die Schweiz dazu Wasserkraft.

Fast überall trat zur Verteuerung der Energie hinzu, dass Unternehmen die Verunsicherung der Kunden zu höheren Gewinnmargen nutzten. Null Einfluss hatte dagegen die viel kritisierte lockere Geldpolitik der Notenbanken: Japans Notenbank flutet seine Wirtschaft seit 33 Jahren durchgehend mit billigem Geld und die Schweizer Notenbank hat dafür im Verhältnis zum BIP noch mehr Geld aufgewendet. Deshalb ist so unwahrscheinlich, dass die jetzt massiv gestraffte Geldpolitik die Teuerung vermindert: sie kann den Öl/Gaspreis als ihre zentrale Ursache nicht senken – es sei denn, sie bewirkt eine so schwere Rezession, dass weit weniger Öl und Gas als bisher gebraucht wird.

Während der Hauptgrund für Österreichs hohe Teuerungsrate also auf der Hand liegt, ist nicht so klar, wieso sie im letzten Quartal noch einmal um 0,6 Prozent gestiegen ist. Dass die Lebensmittelpreise daran die Hauptschuld tragen, ist insofern wahrscheinlich, als nur drei Handelsketten das Land beherrschen, was seit jeher für hohe Preise sorgte. Denkbar ist, dass Restaurants ihre Preise den verteuerten Nahrungsmitteln nicht sofort, sondern erst im letzten Quartal angepasst haben. Viele waren aber auch erst verspätet mit ihrer so viel höheren Stromrechnung konfrontiert und auch das wäre eine Erklärung, dass die Preise erst jetzt gestiegen sind.

Die Opposition und die meisten Österreicher sind freilich voran daran interessiert, was die Regierung falsch gemacht hat und da spielen die jüngsten 0,6 Prozent eine untergeordnete Rolle: Sie hat mangelnden Wettbewerb nie unterbunden; sie hat die sinnvolle Strompreisbremse zu spät verwirklicht und keine gleichartige Gaspreisbremse installiert; sie gilt innerhalb der Unternehmen einer VP-Klientel wie Hotels Verluste ab, die mangels Konkurrenz kaum eintreten werden; ihre Hilfen waren selten treffsicher. Damit werden die Erfolge der Regierung bei der Abfederung der Teuerung – und das ist mein Hauptvorwurf – in einem schlechten Verhältnis zu aufgewendeten Summen stehen. Beseitigen – und das gilt es zu begreifen – lässt sich eine durch den erhöhten Öl/Gas- Preis bedingte Teuerung durch keine Regierung der Welt.

Die schwarz-grüne Überlegung, dass es nur gelingen kann, Bedürftigen dabei zu helfen sie zu überstehen, während sozial Starke sie stemmen müssen, ist grundsätzlich richtig. Sie wurde nur eben nicht konsequent verwirklicht und das Haupthindernis – das sollte eine Lehre für die Zukunft sein – ist das Fehlen von Finanzdaten, aus denen nicht nur hervorgeht, wer was verdient, sondern auch, wer welches Vermögen hat. Die Regierung hat immer nur geschätzt, wer wie bedürftig ist, und dabei haben politische Intentionen der ÖVP stets mitgespielt. So hat sie zwar richtig – und für die Zukunft denkbar wichtig – diverse Beihilfen an die Inflation gekoppelt, nicht aber Notstandshilfe und Arbeitslosengeld. Dort wartet sie auf eine Generalreform, die nach den bisherigen Äußerungen von Arbeitsminister Martin Kocher leider Harz 4 zum Vorbild hat.

Massiv verfehlt war es, die Erhöhung der Mietpreise nicht zu Lasten der Haus- und Wohnungseigentümer zu begrenzen, denn die gehören im Allgemeinen der finanziell stärksten Schicht an. Anders herum verfehlt scheint mir, Abgaben und Gebühren der Gemeinden zu deckeln, denn das sind Entgelte für Leistungen, die sich stark verteuert haben und die Gemeinden sind finanziell nicht stark. Dass die Regierung die Übergewinne von Energieerzeugern in Zukunft vermehrt abschöpfen will, ist sinnvoll, sofern das Gesetz sie zwingt, so schnell wie möglich so viel wie möglich in alternative Energie zu investieren. Es wird den Strompreis zwar nicht rasch senken, aber es vermindert die Teuerung an ihrer Wurzel.

Zu Recht gewehrt hat sich die Regierung meines Erachtens immer gegen die Forderung, Steuern auszusetzen: Dass die deutsche Regierung Steuern auf Treibstoff ausgesetzt hat, hat den deutschen Fiskus drei Milliarden Euro gekostet und den deutschen Benzinpreis kaum gesenkt – nur der Treibstoffhandel hat gewonnen. Dieses Risiko besteht auch für die so vehement geforderte Mehrwertsteuersenkung bei Grundnahrungsmitteln: Es bleibt möglich, dass auch sie den Staat nur Einnahmen kostet und die Gewinne von Rewe und Co erhöht. Der Vergleich mit der niedrigen Inflation Frankreichs von 5,7 Prozent und Spaniens von 4,3 Prozent, wo diese Steuer gesenkt wurde hinkt: Beide haben eine riesige Agrarindustrie mit vielen konkurrierenden Handelsketten. Auch sonst sind beide Länder kein Maßstab: Frankreich hat den meisten Atomstrom, Spanien hat Atom-und Solarenergie, muss wenig heizen und kauft Gas seit jeher in Marokko und Algerien.

 

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Die Rückseiten des Beschäftigungswunders

Österreich verzeichnet die höchste Beschäftigung aller Zeiten. Zugleich Reallohnverluste und die aktuell höchste Armutsgefährdung. Die Arbeitslosigkeit ist ausgelagert.

Man soll alles immer von zwei Seiten betrachten. Als ich mir Herbert Kickls Bierzelt- Rede auf YouTube angehört habe, dachte ich zuerst: Hoffentlich hören das möglichst viele Leute, denn nirgends kann man klarer sehen, wohin er Österreich führt. Aber gleich darauf hat sich diese Hoffnung in die Furcht verkehrt, dass die Mehrheit der Österreicher so beschaffen sein könnte, dass Kickls Rede sie begeistert.

Die SPÖ hat jedenfalls nur anderthalb Jahre Zeit, um stark genug zu werden, uns in einer Koalition mit Grünen und NEOS davor zu bewahren, einer faschistoiden Zukunft entgegenzusehen. Ursprünglich hatte ich nach der Rede Karl Nehammers im KZ Mauthausen gedacht, dass auch die ÖVP keine Koalition mit Kickls FPÖ einginge, aber Niederösterreich und Salzburg haben mich gelehrt: Österreich könnte 2024 tatsächlich neben Ungarn, aber vor Polen und Italien, zum EU-Land mit der rechtsextremsten aller Regierung werden – der einzigen, die die “Panzerkolonnen der NATO” mit Kickl heftiger ablehnt als Wladimir Putins Aggression.

Gemessen daran wirken alle anderen Sorgen, die diese erste Mai-Woche aufwirft, unerheblich: Statt zu fallen stieg die Inflation angeblich wegen verteuerter Nahrungsmittel – genau weiß es niemand- um 0,6 Punkte auf 9,8 Prozent. Voran der Abstand von 2,6 Prozent zu Deutschland macht dabei Sorgen, könnte er doch den Wettbewerb erschweren. Nachträglich lässt sich jedenfalls sagen: Die Strompreisbremse wurde zwar rechtzeitig erdacht, aber zu spät verwirklicht, auf eine gleichartige Gaspreisbremse und eine Mietpreisbremse wurde ebenso verzichtet wie auf Preiskontrollen. Zugleich hat das Fehlen von Vermögensdaten allen Hilfsmaßnahmen die Treffsicherheit genommen, so dass der finanzielle Aufwand in keinem Verhältnis zum Erfolg steht. Dennoch wird die Inflation langsam abklingen, denn der Ölpreis ist nun einmal gegenüber seinem Höchststand deutlich gefallen.

Auch Österreichs Arbeitslosigkeit ist minimal gestiegen. Wahrscheinlich vor allem, weil die Statistik jetzt auch geflohene Ukrainerinnen umfasst – aber vielleicht auch, weil Österreich sich schon in einer Rezession befindet: Das Wirtschaftswachstum ist den zweiten Monat, wenn auch minimal, rückläufig. Die Zinserhöhungen der EZB haben voran die Bauwirtschaft eingebremst und meines Erachtens werden sie die gesamte Wirtschaft schneller als die Inflation bremsen – aber ich hoffe, dass ich mich irre.

Doch zwischen solchen negativen Nachrichten vermochte Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher eine höchst positive zu verkünden: Mit 77,5 Prozent sind derzeit mehr Österreicher denn je erwerbstätig. Zu verdanken ist das der gestiegenen Erwerbstätigkeit von Frauen, die 71,6 Prozent erreicht hat. Man könnte hinzufügen, dass das gegen eine ÖVP erreicht wurde, die der linken Forderung nach mehr Kindergartenplätzen und Gesamtschulen erst ganz zuletzt nachgegeben hat.

Aber auch abseits der erhöhten Beschäftigung von Frauen ist die Beschäftigungslage hervorragend: Die Arbeitslosigkeit liegt nach internationaler Definition bei nur 4,8 Prozent. Besser liegen unter den starken Ländern des “Nordens” nur Deutschland und Holland mit einer Arbeitslosigkeit von 2 und 3,1 Prozent. Beide Länder sind, wie Österreich, voran wegen des Mangels qualifizierte Arbeitskräfte, kaum mehr in der Lage, die Auftragsflut zu bewältigen, der sie gegenüberstehen.

Scheinbar die perfekte Wirtschaftslage. Nur dass die Reallöhne großer Teile der Bevölkerung aller drei Länder gefallen sind und ihre Armutsgefährdung in jüngerer Zeit nie höher war. “Seit dem Jahr 2000”, sagt ein Bericht der OECD, “haben in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen OECD Land. Hinsichtlich der Primärverteilung lässt sich sowohl ein rapider Rückgang des Anteils der Löhne am gesamten Volkseinkommen feststellen als auch eine zunehmende Ungleichverteilung innerhalb der Lohneinkommen”. Ähnliches gilt für Holland und Österreich: Der Anteil der Löhne am BIP ist in dem Ausmaß gesunken, in dem der Anteil der die Gewinne gestiegen ist, und nicht anders hat der Abstand zwischen niedrigen und hohen Einkommen zugenommen. Alle drei Volkswirtschaften haben nicht deshalb so viele Aufträge, weil sich ihre Bevölkerung immer mehr kaufen kann – sie kann im Gegenteil immer weniger kaufen, weil ihre Löhne seit 23 Jahren nicht mehr wie davor um Produktivitätszuwachs plus Inflation gestiegen sind.

Aber genau dadurch sind ihre Waren unschlagbar preiswert und haben den Volkswirtschaften, die keine “Lohnzurückhaltung” – kein Lohndumping- geübt haben, durch 23 Jahre Marktanteile weggenommen und all die Aufträge hinzugewonnen, die deren Unternehmen verlieren mussten.

Entsprechend groß ist dort die Arbeitslosigkeit: in Frankreich liegt sie offiziell bei 7,3 Prozent, nur dass viele Menschen die Arbeitsuche schon aufgegeben haben, während die Arbeitslosigkeit der 15 bis 24 jährigen 17 Prozent erreicht. In Italien gibt es 8 Prozent Arbeitslose und 22 Prozent sind unter 24. Und in Spanien mir der größten Zahl qualifizierter Arbeitskräfte der EU liegt die allgemeine Arbeitslosigkeit bei 12,8 Prozent und erreich unter 15 bis 24jährigen gespenstischen 29 Prozent – gegenüber 5,7 Prozent in Deutschland.

Man kann, wie voran in Deutschland, die eigene Lohnpolitik für optimal halten – oder in ihr wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stieglitz eines der zentralen Probleme der Wirtschaft sehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die globalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, laut Stiglitz “nicht zuletzt auf die Wirkungen zunehmender Einkommensungleichheit in den einzelnen Ländern zurückführen”. Folgt man dieser Analyse, bedarf es – insbesondere auch in Deutschland – einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung, um die latente Nachfrageschwäche und damit die gesamtwirtschaftliche Krisenanfälligkeit zu überwinden.

Diese Schlussfolgerung steht im Widerspruch zu gängigen wirtschaftspolitischen Empfehlungen in Deutschland. Diese bleiben bisher weitgehend einer Prä-Krisenstrategie mit Forderungen nach Lohnzurückhaltung und größerer Lohnspreizung verhaftet, d

Der im internationalen Vergleich außergewöhnlich star-ke Anstieg der ökonomischen Ungleichheit in Deutsch-land während des letzten Jahrzehnts ist mittlerweileausführlich dokumentiert. War Deutschland (Österreich) in der Vergangenheit traditionell
in geringerem Ausmaß von Einkommensungleichheit und -armut betroffen als der Durchschnitt der OECD-Länder,so ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer
drastischen Verschärfung der Ungleichheit gekom-
men: „

 

 

deutschen Banken standen nach den vielfältigen
Deregulierungsmaßnahmen im letzten Jahrzehnt un-
ter erheblichem Renditedruck und wandten sich bei
schwacher Kreditnachfrage im Inland zunehmend der
Spekulation mit riskanten Produkten im Ausland zu. Im
Ergebnis wurden die deutschen Banken – ebenso wie
die deutsche Exportindustrie – stark von der amerikani-
schen Immobilienkrise erschüttert.
Schlussfolgerungen
Die Weltwirtschaftskrise erzeugt für die Zukunft eine
Reihe von schwierigen gesamtwirtschaftlichen Her-
ausforderungen, die zwar von einigen Autoren seit lan-
gem erkannt wurden, 62 aber erst mit der globalen Wirt-
schaftskrise ins allgemeine Bewusstsein gerückt sind.
Es geht um nichts weniger als die Suche nach globaler
wirtschaftlicher Stabilität durch internationale Koopera-
tion.
Wie von Fitoussi und Stiglitz 63 ausgeführt, lassen sich
die globalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewich-
te nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Wirkungen
zunehmender Einkommensungleichheit in den einzel-
nen Ländern zurückführen. Folgt man dieser Analyse,
bedarf es – insbesondere auch in Deutschland – einer
gleichmäßigeren Einkommensverteilung, um die latente
Nachfrageschwäche und damit die gesamtwirtschaftli-
che Krisenanfälligkeit zu überwinden.
Diese Schlussfolgerung steht im Widerspruch zu gän-
gigen wirtschaftspolitischen Empfehlungen in Deutsch-
land. Diese bleiben bisher weitgehend einer Prä-Kri-
senstrategie mit Forderungen nach Lohnzurückhaltung
und größerer Lohnspreizung verhaftet, die keines der
derzeitigen Probleme lösen, dafür aber die Gefahr wei-
terer Instabilitäten hervorrufen. Sie beruhen zudem auf
empirisch fragwürdigen und teilweise widersprüchli-
chen Argumentationen. Statt eines „Weiter so“ bzw. ei-
ner „Erhöhung der Dosis“ sollte es zu einem – möglichst
international koordinierten – Richtungswechsel in der
Lohn- und Verteilungspolitik kommen. Dies ist eine we-
sentliche Voraussetzung für die künftige Stabilität der
globalen Wirtschaft.

63 J. P. Fitoussi, J. Stiglitz, a.a.O.
scheidend mit befördert hat. 55 Anders als in den USA ist
es in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit nicht
zu einem nennenswerten Anstieg der Verschuldung
der Privathaushalte relativ zu ihren Einkommen gekom-
men. 56 Vielmehr hat ein Großteil der Bevölkerung auf
fallende Reallöhne und die sozialpolitischen Einschnitte
der vergangenen Jahre mit Konsumverzicht reagiert. 57
Neben der offenbar ausgeprägten sozialen Norm der
vorsichtigen persönlichen Finanzplanung, die auf die
Kreditnachfrage wirkt, sind auch die Kreditvergabe-
praktiken deutscher Banken traditionell eher konserva-
tiv. 58 Im Ergebnis ist für Deutschland, im Unterschied
zu den USA, kaum ein signifikanter Vermögenseffekt
auf den privaten Konsum zu beobachten; die Haushalte
finanzieren ihren Konsum ganz überwiegend aus den
laufenden Einkommen.
Selbst während des letzten Aufschwungs sind aber die
real verfügbaren Einkommen bzw. die Nettolohnsumme
nicht mehr gestiegen. Die Reallöhne sind sogar wäh-
rend des Aufschwungs gefallen, eine in der Geschich-
te der Bundesrepublik einmalige Entwicklung. 59 Der
private Verbrauch ist dieser stagnativen Einkommens-
entwicklung bestenfalls passiv gefolgt. Zwar wurden
durch die schwache Lohnstückkostenentwicklung die
internationale Wettbewerbsfähigkeit und somit die Ex-
porte befördert. Zugleich folgte aber aus der Einkom-
mensumverteilung gleichsam mechanisch ein Anstieg
der privaten Sparquote, da die oberen Einkommens-
gruppen einen deutlich größeren Teil ihres Einkom-
mens auf die Ersparnis verwenden als die unteren
Einkommensgruppen. 60 Dies schwächte die Entwick-
lung der Binnenwirtschaft. Nicht nur dürfte der Netto-
effekt von Exportsteigerungen und Konsumstagnation
auf das Wachstum in einer großen Volkswirtschaft wie
Deutschland negativ ausgefallen sein. 61 Auch beding-
te diese Entwicklung hohe Kapitalexporte und somit
eine starke Auslandsorientierung des Bankensystems.

 

im Februar 2023 verzeichnet Spanien mit rund 12,8 Prozent die höchste Arbeitslosenquote innerhalb der Europäischen Union (EU-27). Im Durchschnitt sind 6 Prozent der EU-Bürgerinnen im Februar 2023 als arbeitslos registriert, während die durchschnittliche Arbeitslosenquote in den Ländern der Eurozone² mit rund 6,6 Prozent, signifikant höher liegt. In Deutschland, Polen und Tschechien herrscht mit Arbeitslosenquoten zwischen 2,4 bis 2,9 Prozent nahezu Vollbeschäftigung.

 

Jugendarbeitslosigkeit 29%   Arbeitslosigkeit 26% im Jahr 2013 aber nur 8,3 % 2007

 

Der Ausfuhrüberschuss im Handel mit Spanien belief sich im Jahr 2021 auf rund 9,75 Milliarden Euro. Der Gesamtwert der deutschen Exporte nach Spanien lag damit um 9,75 Milliarden Euro höher, als die spanischen Importe nach Deutschland.

 

 

Im Jahr 2022 hat die Arbeitslosenquote in Italien geschätzt rund 8,09 Prozent betragen. Für das Jahr 2023 wird die Arbeitslosenquote in Italien auf rund 8,30 Prozent prognostiziert Jugendarbeitlosigkeit zwischen 15 und 24 Jahren…..22,3%

 

2023 Laut den Daten des italienischen Statistikamts Istat exportierte Italien Waren im Wert von 77,5 Milliarden Euro nach Deutschland (ein Plus von 15,8 Prozent). Der Import aus der Bundesrepublik wuchs sogar um rund 20 Prozent – und steigt damit auf 91 Milliarden Euro.

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Als linker Wähler restlos ratlos

Die Wahl 2024 entscheidet, ob uns die Kickl-FPÖ regiert – und die SPÖ hat keinen überzeugenden Spitzenkandidaten. Vielleicht ist eine Ämterteilung ein gangbarer Ausweg.

  Wenn man die FPÖ Herbert Kickls wie ich für faschistoid hält, muss man die Wahlen von 2024 als wichtigste der 2. Republik ansehen. Denn die Österreicher sind ein Volk, das diese FPÖ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur stärksten Partei macht, so dass die reale Gefahr besteht, dass sie uns künftig regiert.

Die Gefahr bestünde nicht, wenn Karl Nehammer wie Pamela Rendi-Wagner, Werner Kogler und Beate Meinl-Reisinger erklärte, dass verbindliche Zusammenarbeit mit der FPÖ im Bund für ihn nicht in Frage kommt – aber das wird er nicht. Darüber verärgerte Linke sollten sich freilich erinnern, dass es der große Bruno Kreisky war, der 1970 den Cordon sanitaire durchbrach, der eine solche Zusammenarbeit ausschloss. Die von ihm arrangierte rot-blaue Koalition unter Fred Sinowatz`, nicht die schwarz-blaue unter Wolfgang Schüssel war der endgültige Tabubruch.

Diesmal wird die FPÖ anders als damals noch dazu die eindeutig stärkste Partei sein und das macht die aktuelle Situation so dramatisch: Eine FP-dominierte Regierung bleibt uns nur erspart, wenn SPÖ, Grüne und NEOS gemeinsam mehr Mandate als ÖVP und FPÖ erreichen. In jedem anderen Fall wird die ÖVP mit der FPÖ koalieren, weil Mitregieren ihrem Wirtschaftsflügel unverzichtbar scheint und man sich der erfolgreichen Zusammenarbeit unter Sebastian Kurz erinnert, auch wenn nun Kickl Kanzler sein wird.

Damit ist, um das zu verhindern, unerlässlich, dass Rot-Grün-Pink bis 2024 eine Mehrheit gegenüber Blau-Schwarz erringt und das ist deshalb so schwierig, weil sie in einem ähnlichen Wählerreservoir fischen und es nichts bringt, wenn sie einander Wähler wegnehmen. Es kann nur gelingen, wenn der SP-Kanzler-Kandidat Wähler aus der FPÖ und der ÖVP hinzugewinnt oder Nichtwähler zu SP-Wählern macht.

Dafür scheint primär Hans Peter Dokozil am besten geeignet. Nicht nur seine eigenen Umfragen, sondern auch Umfragen unabhängiger Institute sagen, dass die SPÖ mit ihm an der Spitze besser abschnitte. Nur sind Umfragen unter theoretischen Annahmen höchst ungenau – dass der ehemalige rote ORF- Intendant Gerhard Zeiler erklärte, eine Doskozil-SPÖ auf keinen Fall wählen, hat kaum weniger Gewicht als eine solche Umfrage. Erhebliches Gewicht hat allerdings auch der Umstand, dass Ex-Kanzler Christian Kern offenkundig dem Team Doskozils angehört und ihn in Zukunft beraten wird, denn Wirtschaftskompetenz wird für den Erfolg wesentlich sein. Derzeit fordert Doskozil mit dem Mindestlohn etwas jedenfalls Vernünftiges und hat ihn, wenn auch an suboptimaler Stelle, nämlich bei den eigenen Landesbediensteten, auch verwirklicht. Auch die Anstellung Pflegender beim Land ist nichts Optimales, aber dafür Reales. Und ein landeseigenes Busunternehmen war eine ziemlich gute, grüne Idee.

Was am meisten gegen Doskozil spricht, ist sein Verhalten gegenüber Pamela Rendi-Wagner: Sie durch Monate schlecht zu machen, ohne selbst zu kandidieren, war  parteischädigend. Deshalb ist leider nicht sicher, dass Doskozil unter Rechten und Nichtwählern so viele Wähler hinzugewinnt, wie er innerhalb der SPÖ zu Nichtwählern macht.

Die von ihm kritisierte Pamela Rendi-Wagner hat in meinen Augen freilich bewiesen, dass sie Kanzlerkandidatin nicht kann. Ihr Ehrgeiz ist beeindruckend, sie sagt auch nichts grundlegend falsches, aber es ist charakteristisch, dass kaum jemand weiß, was sie sagt. Dass die SPÖ in einer für sie optimalen politischen Situation so schlecht abschneidet, liegt jedenfalls nicht nur dran, dass Doskozil ihre Stellung ständig geschwächt hat und Herbert Kickl ein so perfekter Demagoge ist – Rendi-Wagner ist (anders als Gesundheitsministerin) einfach nicht überzeugend. Und dass sie erst jetzt einen anderen Parteisekretär neben (statt anstelle von) Christian Deutsch sucht, zeigt, dass sie einfach zu wenig vom politischen Handwerk versteht.

Das kann man dem dritten SP-Kandidaten Andreas Babler nicht nachsagen: In Traiskirchen mit dem größten Flüchtlingslager des Landes eine satte politische Mehrheit zu erzielen, ist ein eindrucksvolle Leistung. Ihr steht freilich eine eindrucksvolle politische Fehlleistung gegenüber: Sich mit dreißig für den Öxit auszusprechen, ist mehr als eine Jugendsünde, so sehr ich die neoliberalen Versäumnisse der EU geißle. Und dass sich mit der SJ-Frontfrau Julia Herr eine Abgeordnete für Babler engagiert, die in der Nato die Hauptschuldige des Ukrainekrieges sieht, spricht auch nicht rasend für ihn. Sein wirtschaftliches Programm ist sympathisch links, aber denkbar einfach gestrickt – ich zweifle, dass er wirtschaftliche Probleme auch nur entfernt wie Christian Kern durchschaut. Trotzdem kann ich mir von Babler am ehesten vorstellen, dass er Nichtwähler zu SP-Wählern macht, denn dieses Reservoir ist, wie Kay Michael Dankl mit der “KP plus” in Salzburg gezeigt hat, erstaunlich groß.

Damit komme ich zu folgendem wenig befriedigendem Schluss: Nur Babler und Doskozil haben eine vage Chance, die blau-schwarze Mehrheit zu verhindern, aber vermutlich wird dank der Unterstützung fast aller Parteigranden am ehesten Pamela Rendi- Wagner die SPÖ anführen. Den einzigen realistischen Ausweg halte ich daher für weit schwieriger als Christian Kern: Rendi- Wagner bleibt Parteichefin, Babler wird einer ihrer Stellvertreter und neuer Parteisekretär, Doskozil geht als Spitzenkandidat ins Rennen und alle Beteiligen sind aus Liebe zu Österreich zu diesem Kompromiss bereit.

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Wie Putin und OPEC das Klima retten

Der Beschluss der OPEC plus Russland sorgt mehr als das Aus für Verbrenner für weniger CO2 in der Atmosphäre. Aber es gibt es einen besseren Weg zu diesem Ziel.

Dass OPEC plus Russland beschlossen haben, die Öl/Gas -Förderung neuerlich zu drosseln, stabilisiert den Öl-Preis und  lässt die ärgerliche Teuerung länger anhalten. Gleichzeitig gibt es allerdings keine Maßnahme, die den Klimawandel ähnlich wirksam bekämpfte. Denn wenn man vom Methan aus Rindermägen absieht, hängt die Erwärmung der Atmosphäre so gut wie ausschließlich davon ab, wie viel Öl/Gas wir verbrennen. Der aktuelle Beschluss der OPEC +  bedeutet, dass täglich eine Million Barrels, (159 Millionen Liter) weniger Öl gefördert und verbrannt werden. Das bremst die Erwärmung stärker als die E-Autos, die täglich mehr auf die Straße kommen. Regierte Vernunft die Politik, so würde eine solche stete Verteuerung des Öls, in sozialverträglich abgefederter Form, einvernehmlich beschlossen.

Die EU hat soeben immerhin beschlossen, den Europäischen Emissionshandel über die Industrie hinaus auch auf die Bereiche Gebäude und Verkehr auszuweiten. Zirka  85 Prozent aller europäischen CO2-Emissionen sind damit zukünftig an Emissionsrechte gebunden. Die Menge dieser Emissionszertifikate soll kontinuierlich sinken, so dass sie sich sukzessive verteuern und der entsprechende Kostendruck sollte dazu zwingen, in allen Bereichen das jeweils Kostengünstigste zu unternehmen, um diesen Ausstoß zu verringern. Die EU ist zuversichtlich, auf  diese Weise ihre Klimaziele bis 2030 und weiter bis 2050 zu erreichen. Ich glaube zwar auch, dass sie damit große, den CO2-Ausstoß vermindernde technologische Verbesserungen erreichen wird, aber auch wenn das natürlich sinnvoll ist,  zweifle ich, dass es reicht, den Klimawandel zu verhindern.

Ich teile diesbezüglich die Einwände des deutschen Ökonom Heiner Flassbeck, der  in seiner Argumentation vom eingangs beschrieben Tatbestand ausgeht: Die Erwärmung  der Atmosphäre kann nur in dem Ausmaß vermindert werden, in dem weniger Öl/Gas gefördert und damit verbrannt wird. Global ist das trotz des Pariser Klimaabkommens in keiner Weise gelungen: Die CO2 Emissionen sind vielmehr weiter gestiegen, obwohl zumindest die EU seit zwanzig Jahren Gegenmaßnahmen ergriffen hat und es den Emissionshandel der Industrie längst gibt. Dieser Misserfolg liegt daran, dass die Erwärmung eben nicht in erster Linie davon abhängt, ob in der EU weniger CO2 aus Schloten und Auspuffen kommt -wobei nicht einmal das gelungen ist, aber vielleicht in Zukunft gelingen könnte – sondern ob weltweit weniger CO2 emittiert wird. Und diesbezüglich, so meint Flassbeck, unterliege man in der EU einem Denkfehler: Dass in der EU weniger Öl verbrannt wird, bedeute nämlich in keiner Weise, dass auch weltweit weniger Öl verbrannt würde. Vielmehr würde jeder Liter Öl, den die EU nicht kauft und verbrennt, sofort von Indien, China oder irgendeinem Entwicklungsland gekauft und verbrannt, um sich unserem Lebensstandard anzunähern. Das sei ökonomisch unvermeidlich und bedeute: Was immer wir weniger verbrennen, verbrennen andere mehr. “Nur wenn man sich das eingesteht”, meint Flassbeck, “kann es gelingen, ganz andere internationale Vereinbarungen zu treffen, bei denen die Produzenten fossiler Energieträger von Anfang an mit an Bord sind und eine kontinuierliche Reduktion der Förderung festgeschrieben wird. Nur ein solches globales Abkommen kann den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich alle erfolgreich anpassen können.”

Ich halte diese Einbindung der OPEC-Produzenten, voran Saudi Arabiens und der Golfstaaten nicht nur für notwendig, sondern auch für möglich. Durch Jahrzehnte haben sie sich nämlich der Forderung der USA nach einem niedrigeren Ölpreis gebeugt, um sich deren Waffenhilfe zu sichern    umso mehr sollten sie eine Vereinbarung akzeptieren, die ihnen zugesteht, den Ölpreis in einem festgesetzten Rhythmus und Ausmaß kontinuierlich zu erhöhen und damit  länger von ihrem Öl zu profitieren. Zwar unternimmt Joe Bidens  derzeit leider das Gegenteil: Aus Angst, dass die Teuerung ihn 2024 die Wahlen kostet, versuchte er – erfolglos – die  Saudis zur Rücknahme ihres Beschlusses zur Förderkürzung zu bewegen. Aber statt dass die EU sich von ähnlichen Ängsten leiten lässt, sollte sie die Führungsrolle übernehmen und Biden überzeugen, dass die zitierte Einigung mit der OPEC der bessere Weg ist, weil er zu messbaren Erfolgen im Kampf gegen den Klimawandel führen wird, mit denen alle Beteiligten bei den Wählern punkten können. Das Richtige – die kontinuierliche Verteuerung des Öls durch kontinuierliche Reduktion der Förderung  – kann nur geschehen, wenn alle Beteiligten begreifen, dass sie zu ihrem Vorteil ist, indem sie den Planeten schützt. Am Schwersten ist dieses Begreifen für die breite Bevölkerung: Sie wird die Verteuerung des Öls nur akzeptieren, wen sie sozialverträglich erfolgt. Dazu müssen die Regierungen über einen neoliberalen Schatten springen: Sie müssen die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß senken, in dem sie die Steuern auf Vermögen erhöhen. Man wird um den Abbau der gewaltigen Differenz zwischen Arm und Reich nicht herumkommen, wenn man die Zukunft lebenswert gestalten will.

Gleichzeitig könnte die EU, wenn sie begreift, dass ihr Bemühen, weniger Öl zu verbrennen, nicht linear dazu führt, dass weltweit weniger Öl verbrannt wird, zu einer weniger hektischen Anpassung unseres Öl/Gas -Verbrauchs kommen. Denn Menschen, die damit finanziell massiv überfordert sind,  sind sonst auch im Begreifen der notwendigen Verteuerung überfordert.

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So sind wir-zu einem leider großen Teil

Herbert Kickl tritt mit seinem Verhalten gegenüber der Ukraine und seinem politischen Erfolg den Beweis an, dass wir doch weitgehend so sind wie “Ibiza” uns zeigt.

“So sind wir nicht”, sagte Alexander Van der Bellen im Juni 2019, als “Ibiza” die Nachrichten beherrschte. Es war das eine der wenigen Halbwahrheiten aus dem Mund des Bundespräsidenten: Ein erheblicher Teil der Österreicher ist so. Seit einer Woche können wir für uns in Anspruch nehmen, das einzige westliche Land zu sein, in dem, wenn Sonntag gewählt würde, eine Partei die mit Abstand meisten Stimmen erhielte, deren Mandatare geschlossen den Saal verlassen haben, als der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj dem Parlament per Videoschaltung für Österreichs humanitäre Hilfe dankte. “Vertreter der Ukraine haben hier genau so wenig verloren, wie der Vertreter Russlands oder einer anderen kriegsführenden Partei”, begründete Herbert Kickl die Vorgangsweise seiner Partei und brachte es mit diesem Satz fertig, das Vorgehen des neben Saddam Hussein größten Kriegsverbrechers seit Adolf Hitler in einem Atemzug mit dem Kampf der Ukrainer für das Überleben ihrer überfallenen Heimat zu erwähnen. Auch die SPÖ schien mit Selenskyjs Auftritt nicht ganz klar zu kommen: Die Hälfte ihrer Mandatare blieb, wenn auch nicht demonstrativ, der Selenskyj Rede fern, denn auch in der SPÖ sind viele Abgeordnete nicht sicher, dass diese Rede mit der Neutralität vereinbar ist.

Das kommt davon, dass dieser Staat, seine Bevölkerung und seine Parteien zur Neutralität durchwegs ein schlampiges Verhältnis unterhalten: Sie ist ein Bestandteil jeder außenpolitischen Rede und wahrscheinlich inzwischen tatsächlich der österreichischen Identität, den man in Wahrheit nur akzeptieren kann, wenn man – ich wiederhole mich – gewillt ist, untätig zuzusehen, wenn jemandem mit Füssen gegen den Kopf getreten wird. Die grundsätzliche Diskussion um den humanen Wert oder Unwert der Neutralität zu unterlassen, ist ein zentrales österreichisches Problem, das einzig die NEOS als solches begreifen.

Schweden, Finnland oder Norwegen waren nie wie Österreich “dauernd” (“immerwährend”) neutral – das ist nur die Schweiz. Aber sie war es von Beginn an aus eigenem Willen, während wir uns einer Forderung Nikita Chruschtschows beugten, ohne deren Erfüllung wir den Staatsvertrag nicht erhalten hätten: Unsere angebliche Freiwilligkeit war erzwungen. Wenn man diese erzwungene “dauernde” Neutralität ohne politische Notwendigkeit weiterhin ernst nimmt, dann hat Herbert Kickls Ablehnung einer Rede Wolodymyr Selenskyjs im Parlament eine Menge für sich: Die Professoren für Völkerrecht, Stephan Verosta und Alfred Verdross, die den Staatsvertrag rechtlich begleiteten, waren der damals unstrittigen Rechtsansicht, dass zwar der einzelne Bürger des dauernd neutralen Staates nicht verpflichtet ist, sich eines moralischen Urteils über die kriegsführenden Parteien zu enthalten (er ist kein Subjekt des Völkerrechts), “wohl aber wird es der dauernd neutrale Staat vermeiden, in Konflikten dritter Staaten Partei zu ergreifen.” (Verosta). Im zweiten Weltkrieg warf Deutschland der Schweiz Bruch der Neutralität vor, weil sie nicht verhinderte, dass ihre Zeitungen Hitlers Vorgehen kritisierten und die Schweizer Regierung erwog ernsthaft Zensurmaßnahmen. Die Behauptung, die österreichische Neutralität sei ausschließlich militärisch zu verstehen, steht völkerrechtlich auf halb so sicheren Beinen. Allerdings hätte Österreich durch seinen Beitritt zur EU (den die Schweiz vermied) viel schwerwiegender  gegen die Forderung nach “dauernder” Neutralität verstoßen als durch Selenskyjs Rede im Parlament, und auch Österreichs lächerliche Wehrkraft war ein ungleich massiverer Verstoß dagegen.

Gleichzeitig ist das Völkerrecht freilich einem steten gewohnheitsrechtlichen Wandel unterworfen: Die Rechtsansicht, dass der dauernd neutrale Staat sehr wohl moralisch Partei ergreifen darf, ist heute längst nicht mehr so umstritten wie 1956. Vor allem gibt es auf der Welt nur mehr zwei Staaten, die dieses Gewohnheitsrecht formen: Österreich und die Schweiz. Natürlich konnte Selenskyjs Rede daher völkerrechtlich genauso gut stattfinden, wie man sie völkerrechtlich begründet vermeiden konnte. Kickl kennzeichnet, dass es sie nicht hören will –  dazu steht ihm Wladimir Putin politisch zu nahe.

Wenn in Österreich irgendwann irgendetwas ernsthaft durchdacht und diskutiert würde, verabschiedete es sich aus Gründen des politischen Anstands wie der rechtlichen Sauberkeit von der “dauernden” Neutralität – oder handelte wie die Schweiz ein anderes Abkommen mit der EU aus und steckte um die zwanzig Milliarden Euro in ein der Schweiz ebenbürtiges Heer. Letzteres kommt natürlich für keine Partei des Landes, auch nicht die FPÖ, in Frage. So wie wir das Trittbrettfahren lieben, lieben wir die schlampigen Rechtsverhältnisse – wir sind so.

Auch Herbert Kickl bekämpft die Parteinahme Österreichs ja nicht aus ernsthafter Sorge um ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht. Mir ist nicht bekannt, dass er aufgeschrien hätte, als die FPÖ in ihrer Koalition mit der ÖVP Wolfgang Schüssels sehr ernsthaft den Beitritt zur NATO erwog. Vielmehr vermochte Kickl vielen Österreichern glaubhaft zu machen (und glaubt es wahrscheinlich auch selbst), dass ihnen die Teuerung erspart bliebe, wenn Russland nicht sanktioniert und Putin nicht kritisiert würde. Und sobald viele Österreicher meinen, dass es ihnen mit “Heraushalten” wirtschaftlich besser ginge, ist ihnen Moral völlig egal. Denn so sind wir – leider zu einem verdammt großen Teil.

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Das demagogische Phänomen Herbert Kickl

 Der FPÖ-Chef ist Joseph Goebbels zwar sicher nicht als Verbrecher aber als Demagoge ebenbürtig. Die von ihm bei Corona erreichte Schuld-Umkehr ist einzigartig.

 Dass Juristen meinen, die Rückzahlung rechtswidriger Corona-Strafen seitens der NÖ-Landesregierung sei nicht möglich, weil der Bund für diese Strafen zuständig ist, sollte dazu führen, die Idee Udo Landbauers mit einem Bundesgesetz umzusetzen: jede Fehlleistung, die Österreich im Rahmen der Pandemie zum Schaden gereichte, muss abgegolten werden. Am besten indem die schuldigen politischen Funktionäre mit ihrem Vermögen haften. Die Finanzprokuratur könnte diese Haftung wahrnehmen und sofort ein Verfahren gegen Herbert Kickl & Co anstrengen, hat deren Agitation doch entscheidend dazu beigetragen, dass Österreichs Covid-19 Impfquote weit hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben ist und gereicht uns das derzeit doch massiv zum Schaden: Im März 2023 verzeichnete Österreich mit wöchentlich 389 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner die weltweit höchste Infektionsrate – in “Die Zeit”, die solche Daten jeweils graphisch wiedergibt, sind wir das einzige dunkelrot eingezeichnete Land des Erdballs. Zum Vergleich: Die nächsthöhere Wocheninzidenz verzeichnet Deutschland mit 44 Infektionen, wobei das auch dort einer dürftigen Impfquote entspricht, während dass massiv geimpfte Spanien nur 15,2 Neuinfektionen beklagt. Neben der niedrigen Impfquote hat an unserer hohen Inzidenz natürlich auch Anteil, dass selbst Gesundheitsminister Johannes Rauch die Pandemie so ausdrücklich als beendet erklärt hat, so dass niemand mehr Masken trägt, während Spanier sie vielfach weiterhin tragen und man ohne sie nicht im Autobus fahren darf. Aber auch dieser abrupte demonstrative Schlussstrich ist der Agitation Kickls zu danken. Zwar ist Infektionsrate 389 pro Woche nicht mit Spitalsaufenthalt und Fernbleiben von der Arbeit gleichzusetzen, aber die entsprechenden Prozentsätze lassen sich leicht ermitteln und damit auch der finanzielle Schaden, der Österreichs Spitälern und Unternehmen täglich erwächst. Die Prokuratur könnte ihn bei Kickl schon in wenigen Monaten geltend machen.

Am besten wäre das nicht nur Spaß sondern es gäbe Gesetze, die massiv gesundheitsgefährdende Agitation erschweren. Das Phantastische an der österreichischen Wirklichkeit des Jahres 2023 besteht darin, dass es Kickl gelungen ist, eine Stimmung zu schaffen, in der sich Gesundheitsminister und Sachverständige für ihr “Versagen” entschuldigen sollen, damit die FPÖ zur Versöhnung bereit ist – ich glaube wirklich, dass Ähnliches allenfalls Joseph Goebbels gelungen wäre.

Kickl hat immer die Slogans erdacht, mit denen H.C. Strache und Jörg Haider Furore gemacht haben und nun weiß man, dass er sie auch genau so gut vorträgt:”Pummerin statt Muezin” und jetzt “Die Regierung treibt die Corona Apartheit auf die Spitze” verkürzen und verdichten auf brillante Weise die Animosität, mit der Teile der Bevölkerung auf eine für sie neue Herausforderung reagieren, brachte die Pandemie doch besonders viel Unangenehmes mit sich – da ist es besonders angenehm, “denen da oben” die Schuld dafür zu geben. Ein Problem besteht darin, dass es auf Seiten der SPÖ, ÖVP, NEOS und Grünen niemanden gibt, der Richtiges ähnlich brillant zu formulieren vermag.

Ein zweites Problem ist die außergewöhnliche Wissenschaftsfeindlichkeit von Österreichern wie Deutschen, über deren gemeinsame Wurzel man unter alternativen Grünen nachdenken sollte, denn es haben bekanntlich erstaunlich viele von Ihnen an den Corona-Protesten teilgenommen, zu denen FPÖ und AfD aufgerufen haben. Beiden Parteien kam dabei zugute, dass Krankheit und Impfung mit besonders viel Emotion verbunden sind. Zur nationalen Rechten zählt man sich einer überlegenden Rasse zu, deren mythische Helden wie Siegfried fast unverletzlich waren. Dazu passt die Argumentation, dass die natürlichen Abwehrkräfte völlig reichten, das Virus in Schach zu halten. Aber erstaunlich viele alternative Grüne glauben sich dem Rest der Bevölkerung ebenso überlegen, indem sie “wissen”, dass es abseits „scheinrationaler“ wissenschaftlicher Erkenntnisse, „spirituelle Kraftfelder” gibt – in Wien wurden an einen Esoteriker bekanntlich 95.000 Euro bezahlt, damit er das Klinikum Nord mit einem “Energie-Schutzring” umgibt. Esoterik hat nationalsozialistische Tradition: Der „Völkische Beobachter” war eine Zeitung, die der „Esoterik“ huldigte, ehe ihr „völkisches” Fühlen zum wichtigsten Inhalt wurde. Esoteriker, die das „Natürliche“ allem „Künstlichem”, von Menschen Geschaffenem vorziehen, idealisieren die Natur, die in ihren Augen nur Gutes schafft – entsprechend schwer fällt ihnen, das von ihr auch geschaffene Virus zu bekämpfen, befürwortet doch ein Reihe von ihnen „natürliche Erkrankungen“ sogar als Erweiterung des Bewusstseins.

Dass die Impfstoffe von Moderna und Pfizer/Biontech „gentechnisch” hergestellt werden, musste zur extremen Rechten wie zur grün-alternativen Linken besonders irritieren, legt man dort doch den größten Wert auf „Gentechnikfreiheit“ – bei keinem Nahrungsmittel darf dieser Hinweis fehlen. In Wirklichkeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pflanze oder ein Virus in der Natur auf eine für Menschen gefährliche Weise mutiert, ungleich größer, als dass das bei einer gentechnischen Unternehmung geschieht, denn mit der “Genschere” können Biologen ungleich genauer ins Genom eingreifen, als das “natürlich” durch Sonneneinstrahlung oder Blitzschlag geschieht. Aber ich warte schon auf die entsprechenden empörten Leserbriefe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Das Risiko militärischer Impotenz

Mit kaputtgesparter Wehrkraft verlässt sich die EU militärisch voll auf die USA. Aber alle künftigen US-Präsidenten werden das Engagement der USA in Europa vermindern.

Obwohl seine Berater ihn gewarnt haben, dass er sich damit schaden könnte, scheint Donald Trump seinen Wahlkampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner mit der Forderung nach dem Austritt der USA aus der Nato zu bestreiten. Er erhob diese Forderungen sowohl in einem eben erschienen Buch wie kürzlich auf einer Tagung rechter Republikaner, bei der er versprach, Geld statt für die Verteidigung der Ukraine lieber für den Bau seiner Mauer gegen Mexiko zu verwenden. Sein Kalkül: Die Amerikaner sind in ihrer Mehrheit isolationistisch, und nie war ihre Kriegsmüdigkeit größer als nach der Niederlage in Afghanistan.

Obwohl die Zuhörer begeistert “we want Trump” skandierten, zweifle ich, dass die Republikaner ihn tatsächlich nominieren- der Gouverneur von Florida Ron De Santis hat die zweifellos besseren Chancen- aber ausschließen kann man weder, dass sie Trump doch nominieren noch dass er 2024 doch wieder Präsident wird. Bei den Wettbüros wird sein Sieg jedenfalls für nur halb so wahrscheinlich wie der Joe Bidens gehalten. Wie man als Spitzenpolitiker der EU angesichts eines Risikos dieser Größenordnung darauf verzichten kann, eine ernstzunehmende Streitmacht der EU wenigstens als rasch zu verwirklichende Möglichkeit zu planen, ist mir rätselhaft.

An sich stehen in den nationalen Armeen der EU kaum weniger Männer als in Russland unter Waffen und ihr gemeinsames Budget ist größer. Was fehlt, ist eine gemeinsame Befehlsstruktur und eine Einigung darüber, wann diese Streitmacht eingesetzt wird. Etwa: dass eine Mehrheit, die mindestens drei Viertel der EU-Bevölkerung vertritt, über den Einsatz bestimmt und dass opponierende Mitglieder sich daran nicht beteiligen müssen. Eine vorsorgliche solche Planung hieße ja keineswegs, die viel bessere Zugehörigkeit zur NATO aufzugeben – er vermiede nur fast völlige militärische Impotenz, wenn der Trump-GAU doch eintritt.

Und egal, ob der nächste US-Präsident Trump, De Santis, Joe Biden oder sonst wie heißt, wird er das Engagement der USA in Europa vermindern, weil es, wie einzelne Abgeordnete laut sagen, nicht im Zentrum des nationalen Interesses liegt. Es gibt keine vernünftige Begründung dafür, dass die Amerikaner die Hauptlast für Frieden in Europa tragen. Es ist weder finanziell gerechtfertigt – die EU ist ein sogar noch größerer Wirtschaftsraum und könnte bei besserer Wirtschaftspolitik auch genau so reich sein – noch ist es in Hinblick auf den menschlichen Einsatz gerechtfertigt: Wenn Putins Truppen die baltischen Staaten angriffen, ist es naheliegender, dass sich ihnen mehr deutsche und polnische als amerikanische Truppen entgegenstellen. Die EU kann nicht auf die Dauer militärisch impotent sein. Emotional gilt es einen Denkfehler der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Berta von Suttner (oder jetzt Sarah Wagenknechts und Alice Schwarzers) zu vermeiden, die da meinen, “die Waffen nieder” garantierte am ehesten Frieden, denn das Gegenteil ist wahr: Nichts lädt potentielle Aggressoren so sehr zur kriegerischen Eroberung ein wie ein militärisch schwacher Gegner. Mindestens gleiche militärische Stärke schützt weit eher vor Krieg, und wenn der potentielle Aggressor, wie im Falle von Putins Russland, ein Unrechtsstaat ist, dann ist es nicht “Kriegs-hetzerisch”, sondern “Friedens-erhaltend”, wenn die rechtsstaatlichen Demokratien sich bemühen, die militärisch klar stärkeren zu sein.

Leider hat die deutsche EU-Politik bisher das Gegenteil bewirkt: Es wurde ja nicht nur die Bundeswehr kaputtgespart, sondern fast alle Armeen der EU haben gespart. Dass die EU der Ukraine derzeit weder genug Panzer noch genug Munition liefern kann, liegt ja nicht nur am Zögern Olaf Scholz`, sondern daran, dass es von beiden nicht genug gibt – auch die Rüstungsindustrie der EU wurde krank gespart. Die “Zeitenwende” dürfte zwar dazu führen, dass die meisten Staaten in Zukunft 2 Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben werden, aber es bedarf einmal mehr der Grundeinsicht, dass Investitionen des Staates die Wirtschaft beleben, nicht aber bremsen, sonst werden der höheren Rüstungsausgaben wegen womöglich die Investitionen in den Klimaschutz verringert. In Wirklichkeit geht das – zum Vorteil der Wirtschaft – sehr wohl nebeneinander. Dass Deutschland derzeit ein 100 Milliarden Sondervermögen in sein Heer und zugleich 60 Milliarden in den Klimaschutz investiert, wird ihm wirtschaftlich nicht schaden, sondern es vor Rezession bewahren.

Leider fordert derzeit nur Emmanuel Macron eine eigene europäische Streitmacht und damit auch eine potente Rüstungsindustrie (und in Österreich sieht ausschließlich Beate Meinl- Reisinger diese Notwendigkeit.) Ursprünglich war an eine EU-Eingreiftruppe von immerhin 50.000 Mann gedacht – die nunmehr geplante 5000 Mann starke Truppe ist geradezu lächerlich klein. Aber selbst sie ist zumindest ein Ausgangspunkt und kann so Gott will als Kristallisationspunkt dienen. So haben die Spitzen der EU diese Woche immerhin beraten, wie der Rüstungsindustrie auf die Beine geholfen werden kann: sie muss erstens dauerhaft mit Aufträgen einer gewissen Größenordnung rechnen können und es sollte zweitens auch schon jetzt eine Einigung über die benötigten Waffensysteme geben. Vielleicht ergibt sich aus dieser Diskussion ein Nachdenken über die gemeinsame Streitmacht. Oder die EU ist doch so beschaffen, dass es den GAU braucht.

 

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Der billige Mythos Neutralität

Neutralität hat noch kein Land vor Krieg bewahrt – nicht einmal die Schweiz. Trotzdem gibt sie das x-fache Österreichs für ihre Armee aus. Trittbrettfahren ist billiger

Dass Beate Meinl Reisinger Kanzler Karl Nehammer vorwarf, den Kopf in den Sand zu stecken, indem er jede Debatte über Österreichs Sicherheit mit dem Hinweis auf die Neutralität abwürgt, kann die NEOS nur Stimmen kosten. Denn die Neutralität ist eine heilige Kuh, die Nehammer auch sogleich fütterte: „Die Neutralität war und ist hilfreich für die Republik Österreich und sie bleibt hilfreich!“

1997 sah das selbst die ÖVP anders, obwohl Russland damals niemanden überfallen hatte: „Es

habe sich gezeigt“, beschloss ihr Bundesparteivorstand „dass die europäische Sicherheit… vor allem in der neuen NATO entwickelt wird“…. Deshalb solle Österreich „der neuen NATO beitreten“.

Diese klare Formulierung schwächte Wolfgang Schüssel als Chef einer schwarz-blauen Koalition erst in der Regierungserklärung zum Konjunktiv ab, nachdem er Meinungsumfragen gelesen hatte. Obwohl der NATO-Beitritt damals auch Ziel der FPÖ war, deren Obmann Herbert Kickl sich heute entrüstet, dass die Regierung die Neutralität durch ihre Kritik an Russland gefährdet.

Nicht einmal die SPÖ war ihrer Ablehnung der NATO immer so konsequent wie ihr Klubobmann Heinz Fischer. 1993 konnte sich Kanzler Franz Vranitzky vorstellen, dass sich die Neutralität „als überflüssig und überholt erweisen könnte, wenn ein kollektives Europäisches Sicherheitssystem zustande kommen sollte“, und 1997 antwortete SP-Kanzler Viktor Klima im Standard auf die Frage, ob er sich eine NATO -Mitgliedschaft vorstellen könne: „Wenn wir ein europäisches Sicherheitssystem haben… warum sollten wir das dann nicht tun?“

Wolfgang Schüssel musste sich also nicht so völlig isoliert fühlen, wenn er eine NATO-Mitgliedschaft anstrebte.

Aber so einig alle Unterhändler des Staatsvertrags, von Leopold Figl über Bruno Kreisky bis zu Julius Raab darin waren, dass die Neutralität eine massive Einschränkung der Souveränität darstellt, so eindeutig sieht der heutige Souverän darin etwas, das uns auszeichnet. Zum einen, weil jedes Land sich besonders und ausgezeichnet sehen will, was umso leichter fiel, als die Neutralität  uns unter so beneidenswerte Länder wie die Schweiz und Schweden reihte, zum anderen, weil mit  Staatsvertrag und Neutralität Österreichs unglaublicher wirtschaftlicher Aufstieg einsetzte und man meint, dass auch sie daran Teil gehabt hätte, obwohl sie ihn etwas bremste:  Sehr vorsichtige Investoren  investierten lieber in NATO-Ländern.

Dafür erfüllte Bruno Kreisky die Neutralität mit Glanz: Er sah uns = ihn durch sie zum Schiedsrichter berufen: Währende Schwedens Olof Palme die USA kritisierte, kritisierte er ebenso neutralitätswidrig die UdSSR.

Der Frage, ob Neutralität tatsächlich vor Krieg schützt, trat neben soviel Glanz in den Hintergrund: Hitlers Wehrmacht hat mit Luxemburg, Belgien Holland, Dänemark und Norwegen einen neutralen Staat nach dem anderen überfallen, ohne dass dessen Neutralität das geringste Hindernis gewesen wäre, und Russland überfiel das neutrale Finnland. Dass die Schweiz verschont blieb lag ausschließlich daran, dass Hitler den Plan General Guderians, über die angeblich nicht panzergängigen belgischen Ardennnen statt über die Schweiz nach Frankreich vorzustoßen, für den besten hielt.

Schweden wiederum war militärisch ungemein stark: In Deutschland wusste man, dass seine Armee immer locker imstand sein würde, am Ende auch die eigene Stahlerzeugung zu zerstören. Ein Angriff auf Schweden hätte bedeutet, dass es keinen Stahl mehr geliefert hätte – darauf konnte Deutschland es nicht ankommen lassen. Mit seiner Neutralität hatte Schwedens Schonung so wenig wie die der Schweiz zu tun.   

Falsch ist aber auch die Behauptung, dass Österreich in der Vergangenheit durch seine Neutralität geschützt war. In kritischen Situationen, etwa im „Prager Frühling“ versicherte sich die Regierung immer in den USA, dass die Nato Österreich, anders als heute die Ukraine, verteidigen würde und das wusste man im Kreml. Dennoch gab es unter russischen Militärs gelegentlich Planspiele, die sich erstaunlich intensiv mit Österreich befassten. Das wichtigste davon war die Aktion „Polarka“, die davon ausging, dass die UdSSR das abtrünnige Jugoslawien Titos zur Ordnung ruft und dass Österreich bei dieser Gelegenheit „seine Neutralität missachtet“, was der UdSSR „zwingt“, einen gravierenden Fehler Nikita Chruschtschows wieder gut zu machen. Nach glaubwürdigen Aussagen hat Marschall Gregori Schukow dieses Planspiel sehr ernst genommen, aber Chruschtschow sei der Stärkere gewesen.

Was wurde aus den vielen hier angeführten Neutralen? Alle sind heute NATO–Mitglieder oder wollen es wie Schweden und Finnland werden. Alle begründen das mit ihrer Erfahrung.

Österreich müsste also starke Gründe haben, warum es der NATO fernbleibt. Der wirksamste ist der Umstand, dass der Beitritt Geld in Form massiver Aufrüstung kostete. Vor allem aber können sich die Österreicher nach wie vor relativ sicher fühlen, sind sie doch von der waffenstarrenden Schweiz und lauter NATO- Staaten umgeben. Trittbrettfahren ist also ungleich billiger. Stellt sich die Frage, warum es nicht alle Staaten wie Österreich machen? Die rationale Antwort lautet: Weil das System dann implodierte und Putin demnächst Europa beherrschte. Die moralische Antwort wollen wir nicht hören: „neutral“ ist ein Mann, der sieht, wie jemand einen anderen mit Füßen gegen den Kopf tritt und vorbeigeht, weil er sich entschlossen hat, sich nie einzumengen.

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Der Wahnsinn, den ORF krank zu sparen

Der Öffentliche Rundfunk ist der einzige ernstzunehmende Gegenspieler der asozialen Medien bei der sich selbst verstärkenden Verbreitung falscher Informationen.

Zu fordern, dass der ORF 300 Millionen Euro einspart, ist medienpolitischer und demokratiepolitischer Wahnsinn. Schon jetzt erhält der ORF mit 645 Millionen hinter der (allerdings mehrsprachigen) Schweiz mit 1,24 Milliarden und Deutschland mit 8,42 Milliarden den mit Abstand geringsten öffentlichen Zuschuss der Sendeanstalten des deutschen Sprachraums. Es ist zwar noch unklar, wie hoch die neue Haushaltsabgabe, die die GIS -Gebühr ersetzen soll genau ausfällt, aber dass sie um 2 Euro niedriger als die aktuelle Gebühr ausfallen müsse, ist angesichts dieser Gegenüberstellung absurd. Wobei jeder, der von Medien die geringste Ahnung hat, weiß, dass der Sender eines kleinen Landes zur Herstellung eines ansprechenden Programms nicht weniger Mitarbeiter braucht als ein Sender im großen Deutschland.

Die Kosten sind weit voran Personalkosten. In den letzten 15 Jahren hat der ORF bereits 900 Mitarbeiter abgebaut – er kann nur die Qualität seines Angebots vermindern, wenn er 300 Millionen einsparen soll.

Dass die sparsame Schweiz mit ihrer einsamen demokratischen Tradition ihren Rundfunk öffentlich so viel besser finanziert, sollte bei Karl Nehammer und Werner Kogler die Alarmglocken schrillen lassen: Ein starker öffentlicher Rundfunk ist eine der wichtigsten Voraussetzungen funktionierender Demokratie und er ist es derzeit mehr den je: Nur er kann mit seinem Marktanteil von 85 Prozent den  dem Informationschaos Paroli bieten, in das uns die „Sozialen Medien“  mit dem etwa gleichen  Marktanteil  gestürzt haben.

Bei einer israelischen Firma kann man bekanntlich für ein paar Millionen die Möglichkeit kaufen, im Wege der sozialen Medien eine Person, eine Firma oder eine Regierung fertig zu machen. Cambridge analytics hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Briten für den Brexit stimmten, russische Troll-Fabriken trugen entscheidend dazu bei, dass nachteilige Informationen über Hillary Clinton sie die Wahl gegen Donald Trump verlieren ließ. Und der hätte via Twitter um ein Haar nicht nur den Sturm aufs Kapitol ausgelöst, sondern die Demokratie der USA ausgelöscht.

Verfügungsgewalt über Information verleiht mehr Macht als Verfügungsgewalt über Geld und ist allenfalls militärischer Macht vergleichbar. Korrekte Information ist der vielleicht größte demokratische Wert, den es derzeit zu schützen gilt und ein starker öffentlicher Rundfunk ist dazu am ehesten geeignet.

Denn das Geschäftsmodell der „Sozialen Medien“ sorgt für das Gegenteil korrekter Information: Facebook erhält umso mehr Werbegeld, je mehr „Klicks“ es verzeichnet und es verzeichnet umso mehr Klicks, je mehr seine Informationen polarisieren. Wenn jemand Herbert Kickls Information anklickt, dass Impfungen „Diktatur“ sind, sorgen Algorithmen dafür, dass er auch gleich auf die Fehlinformation von Dagmar Belakowitsch stößt, wonach auf den Intensivstationen mehr Impfungsgeschädigte als Covid-Patienten liegen. Die sozialen Medien verdienen daran, persönliche Vorurteil maximal zu verstärken, deshalb eigen sie sich so ideal zur Manipulation von Wahlen: Wer eine EU kritische Information anklickt, erhält sofort drei weitere dazu.

Das ist das exakte Gegenteil dessen, was das Gesetz der Nachrichten- Redaktion des ORF vorschreibt: Sie ist nicht nur verpflichtet, jede Information eingehend zu prüfen, ehe sie sie weitergibt, sondern wenn möglich auch Gegenstimmen Betroffener einzuholen. Man kann den ORF wegen verfehlter Informationen verklagen. Er muss sie widerrufen und wird bestraft. Bei sozialen Medien ist das Einklagen ungleich schwieriger, der Widerruf dauert länger, die Strafen sind lächerlich im Verhältnis zu den Profiten.

Intelligente Politiker in der EU oder den USA sehen es daher als eine der dringlichsten Aufgaben an, die Macht der sozialen Medien der nötigsten Kontrolle zu unterwerfen, sie in manchen Fällen sogar so zu zerschlagen wie es Antitrustgesetze bei marktbeherrschenden Produktionsunternehmen erlauben. Da ist es so anachronistisch wie absurd, wenn Österreichs Regierung dabei ist, den ORF als einzig ernstzunehmenden Gegenspieler der sozialen Medien am Informationsmarkt durch Sparmaßnahmen zu schwächen.

Nebenher ist das Sparen verfehlt: Alles Geld, das der ORF erhält, bleibt ja im Wirtschaftskreislauf und wird dabei mehr:  vom ihm mitproduzierte Filme befördern die Filmindustrie, das ORF-Symphonie Orchester ermöglicht musikalische Events und beide sind Teil des BIP. Den Spartenkanal Sport plus einzustellen, bedeutet nur, Randsportarten um ihre Sponsoren zu bringen.

Wenn es am ORF etwas zu verändern gilt, dann seine Abhängigkeit von der Parteipolitik. Es braucht endlich einen Stiftungsrat, in dem Richter, Ordinarien für Publizistik, Vertreter der Filmakademie und natürlich der Nachrichtenredaktion die Mehrheit bilden, um dann dennoch grundsätzlich geheim abzustimmen, wenn der Generaldirektor und die Direktoren des ORF gewählt werden. Auch das Mitspracherecht der Landeshauptleute bei den Landesdirektoren gehört beseitigt. Zugleich muss die Verfassung normieren, dass der einmal festgelegte öffentliche Zuschuss mit der Inflation steigt, so dass die Möglichkeit wegfällt, seine Anhebung von der Erfüllung politischer Wünsche abhängig zu machen.

Nehammer und Kogler müssten einen unabhängigen, starken ORF um der Demokratie willen wirklich wollen -zu verwirklichen ist er einfach.

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Was Sanktionen können- und was nicht

Die Teuerung wurde nicht, wie die FPÖ behauptet, durch die „Sanktionen“ ausgelöst– aber es werden falsche Hoffnungen an sie geknüpft. Ein Gas – Embargo wäre ein Eigentor

Dass die FPÖ bei den NÖ- Wahlen erstmals vor der SPÖ landet, war zu erwarten – dass alle Umfragen sie bundesweit vorne sehen ist eine sozialdemokratische Leistung: Indem Pamela Rendi-Wagner die Regierung mit den gleichen Worten wie Herbert Kickl kritisiert, bestärkt sie Ahnungslose in der Meinung, dass er rundum Recht hätte.

Die FPÖ kann noch so oft versagen – sie kommt zurück und wächst. H.C. Strache konnte einer angeblichen Oligarchin eben erst versprechen, ihr die Staatsaufträge zuzuschanzen, die er politischen Gegnern entzieht – die Wähler haben es vergessen. Es gibt keine Partei, die im Verhältnis zu ihrer Regierungsbeteiligung mehr Korruption verantwortet – die Vorgänge in der Grazer FPÖ sind symptomatisch – dennoch nehmen Wähler ihr ab, dass sie die Korruption beendet. Es gibt kein anderes Land, in dem eine faschistoide Grundhaltung ähnlich verbreitet wäre: die Überzeugung, dass „die da oben“ – die Politiker – unfähig wären, dass ein „starker Mann“ alles besser machte, und dass „wir“ – die Österreicher – ungleich besser als alle „anderen“ – Migranten und Ausländer – wären. Herbert Kickl wird H.C. Strache an Erfolg noch übertreffen, denn er hat die aktuell optimale Strategie entdeckt: Er behauptet, dass „die da oben“ – die Regierung – schuld an der aktuellen Teuerung wäre, indem sie sich an den „Sanktionen“ beteiligt hat, die nur „anderen“ – den Ukrainern – nützen. Wie Kickls meisten Behauptungen ist auch diese im Kern falsch: Die massive Drosselung der Öl-Förderung, die der hohen Inflation zu Grunde liegt, wurde von der OPEC und Putin schon 2018/19 in Vorbereitung seines Krieges beschlossen. Und Putin benützte die Abhängigkeit der EU von seinem Erdgas auch dann als Waffe, wenn ihm keine Sanktionen angedroht worden wären, weil es seine mit Abstand stärkste Waffe gegen die Unterstützung der Ukraine ist. Eigentlich müsste Kickl zugestehen, dass er gegen diese Unterstützung ist, und Alexander Van der Bellen hat zu Recht erklärt, dass er so jemanden nicht mit der Regierungsbildung betraute. Aber Kickl muss dieses Eingeständnis nicht machen: Die Gleichzeitigkeit von Sanktionen und Teuerung genügt FP-Wählern, das eine für die Ursache des anderen zu halten.

Dennoch gibt es in Kickls Argumentation auch ein Korn Wahrheit, auf das ich eingehen möchte. Es gibt nur zwei gegen Wladimir Putin gerichtete Sanktionen, die große Wirkung entfalten und uns mit Sicherheit null Probleme bereiten: Russland jeden Zugang zu Hochtechnologie zu sperren, denn das wirft seine industrielle Produktion auf Jahrzehnte hinaus zurück und erschwert zugleich unmittelbar seine Waffenproduktion. Und die Vermögen Russlands und aller Unterstützer Putins einzufrieren und sie bei der Reise in die EU dem Risiko der Verhaftung auszusetzen. Beides wird zwar nach menschlichem Ermessen weder Putin stürzen noch den Ukrainekrieg beenden, aber es kann dazu beitragen, ihn doch nach einem Kompromissfrieden suchen zu lassen.

Dagegen mindert ein Öl-Embargo der EU zwar Putins Einnahmen, aber es gibt genug Abnehmer außerhalb der EU, um diese Minderung nicht dramatisch ausfallen zu lassen. Für die Wirtschaft der EU ist weniger russisches Öl zwar auch nicht lebensgefährlich, aber doch mit Problemen verbunden. Dass der „Westen“ sich im Rahmen der Sanktionen auf einen Maximalpreis für russisches Öl zu einigen vermochte, beantworten Russland und OPEC seit 2022, indem sie die Förderung weiter zu drosseln suchen, so dass der Ölpreis nur in Grenzen fällt, obwohl die USA ihr Fracking ausweiten. Allerdings befördert weiterhin eher teures Öl wie nichts anderes die Erschließung alternativer Energien, die uns alleine befähigt, eine Klimakatastrophe abzuwehren.

Weit kritischer wäre ein Erdgas- Höchstpreis, den die EU denn auch nicht beschlossen hat: Zwar könnte Russland sein Gas mangels Leitungen nicht so leicht teuer an andere Abnehmer verkaufen, aber Europa, Deutschland und allen voran Österreich litten dramatisch unter einem Lieferstopp: LNG aus den USA, das die Lücke vor allem füllen müsste, kostet das Doppelte von russischem Gas. Für Deutschland vermochten deutsche Ökonomen für den Fall des Lieferstopps in ihrer Modellrechnung überhaupt keine tragfähige Zahl für das zu erwartende BIP-Minus zu ermitteln – für Österreich sähe es noch schlimmer aus.

Gleichzeitig strotzt die These, dass der russische Staat durch Embargos pleite gehen könnte, wie Ratingagenturen glauben machten, nachdem sie die russische Währung auf Ramschniveau heruntergestuft hatten, von ökonomischer Ahnungslosigkeit: Staaten, die über eine eigene Notenbank verfügen, können immer für genug Geld sorgen – sie können Geld nur schwer am Kapitalmarkt aufnehmen oder ihre Währung gegen Devisen tauschen. (Im Übrigen hat Russland trotz Beschlagnahmen auch noch ausreichend Devisen.) Genauso falsch ist die Vorstellung, dass Putin dank Embargos zu wenig Geld für Waffen und Munition für seinen Krieg haben könnte. Russische Waffen kauft er mit russischen Rubeln, die ihm seine Notenbank beliebig liefern kann – ausländische Waffen braucht er nicht. Waffenimporte machen nur gerade 0,7 Prozent der gigantischen russischen Waffenexporte aus, die die zweitgrößten hinter der USA sind.

Man kann (soll) Putin durch größere Waffenlieferungen an die Ukraine am Schlachtfeld zum Einlenken in seinem Krieg zwingen – durch Rohstoff- Embargos kann man es nicht.

 

 

 

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Die Leiden der Technik unter der Emotion

Kann Kernenergie grün sein? Können E-Autos das CO2 -Problems verschärfen? Kann Technik den Klimawandel am besten bekämpfen? Die Schwierigkeit, es sachlich zu diskutieren.

Wenn man Österreichs Krieg gegen Kernkraft für verfehlt hält, weiß man, dass man auf heftigsten sachlichen wie emotionalen Widerstand trifft. „Die Enttäuschung, dass der anlassgebende Beitrag redaktionell freigegeben wurde ist groß“, schrieb Falter-Leserin Christa Wieland an Florian Klenk. Ich muss hoffen, dass man auch in der Vielfalt redaktioneller Information einen Wert sehen kann: Texte, wonach Kernkraft gefährlich und unwirtschaftlich sei, sind so zahlreich, dass es erlaubt sein sollte, einmal auch die Argumente vorzubringen, die Hannes Androsch, Science Buster Werner Gruber, die EU- Kommission oder mich die Kernkraft nicht abschreiben lassen, seit gesichert ist, dass man ihren strahlenden Müll zu tragbaren Kosten endlagern kann, indem man ihn mit Neutronen beschießt.

Zu meinem Erstaunen bin ich auf vergleichbar emotionalen Widerstand gestoßen, als ich argumentierte, dass Technik den Klimawandel erfolgreicher bekämpfe, als „systemische Veränderung“.  Solarparks auf einem Hundertstel der Fläche der Sahara, so schrieb ich, könnten mehr CO2 vermeiden, als Energiesparappelle.

„Alle paar Wochen“, entgegnet Falter -Leser Jürgen Gehbert, „öffnet uns P.M. Lingens ein Schaufenster ins letzte Jahrtausend, als man gemeinhin noch dachte, Technologien könnten die Klimamisere ohne Notwendigkeit für systemische Veränderung lösen…Bei den meisten Menschen in der Energiebranche verursacht das höchstens Kopfschütteln… Trotz des Glaubens an neue Technologien bezweifelt er… dass ein E-Auto seinen CO2-Ausstoß senken könnte. Na ja, was will man da noch sagen?“

Statt etwas zu sagen zitiere ich Georg Brasseur, emeritierter Professor für elektrische Messtechnik der TU Graz: „Woher sollen wir genug Strom nehmen, um E-Autos sinnvoll zu betreiben? Es ist unverantwortlich von der Politik ein System durchsetzen zu wollen, von dem klar ist, dass es bei Vollausbau nicht funktionieren kann, da mehr Stromverbraucher ans Netz kommen, als grüne Kraftwerke gebaut werden“.

Bei der zentralen Frage, ob Technik mehr bringe, als systemischer Wandel vertiefte Falter-Leser Alexander Tillinger Gehberts Kritik an meiner Sicht so „Merken Sie denn nicht, dass Sie technisch und ökologisch in einem vergangenen Jahrhundert leben? Woran erkennt man Verbohrtheit? Daran, dass der Betroffene es selbst nicht merkt. Tragisch.“

Mittlerweile führen Tillinger und ich eine gewinnbringende sachliche Auseinandersetzung zu dieser Frage. So wusste ich, als ich meinen Text schrieb, nicht, dass es das Sahara-Projekt, das ich vorschlug bereits gibt und dass es unter dem Namen „Desertec“ beinahe verwirklicht worden wäre. Siemens -Ingenieure hatten nicht anders als ich errechnet, dass ein Solarpark auf einem Hundertstel der Fläche der Sahara genügend Energie für den ganzen Erdball liefern könnte. Die Anlage sollte in Tunesien errichtet werden und über ein Kabel durchs Mittelmeer Strom an Europa liefern.

Tillinger kannte das Projekt und wusste, warum es aufgegeben wurde. Den letzten Stoß versetzte ihm ein tunesischer Polit-Aktivist, der erklärte, dass es „kolonialer Ausbeutung“ diene – Tunesien solle Europa Strom liefern und nichts davon haben – doch Siemens bestreitet das glaubwürdig, denn der gemeinsame Vorteil ist evident. Entscheidend war vielmehr zweifellos, dass sich in Europa zum errechneten Preis nicht genügend Abnehmer für den Wüsten-Strom fanden.

Tillinger und mein Kollege Erwin Iwaniewicz nannten mir dafür gute Gründe: Es sei nicht mehr richtig, dass Großkraftwerke sich am besten eigneten, grüne Energie zu liefern, denn es entstünden zu große Verluste bei ihrem Transport an die Stelle, wo sie gebraucht wird. Zugleich wären Solarpanele so effizient und preiswert, dass es günstiger sei, sie vor Ort zu installieren. Zudem wären dezentrale grüne Stromquellen sicher vor militärischen Angriffen.

In Summe hätte mich das um ein Haar überzeugt, dass Wüstenstrom tatsächlich von gestern ist, wenn Professor Brasseur nicht behauptete: „Grüne Energie sollte dort hergestellt werden, wo sie gut geerntet werden kann. Die gleichen Solarzellen erzeugen in Nordafrika bei gleichem Ressourceneinsatz zwei bis dreimal soviel Energie wie in Mitteleuropa.“

Davon geht der Brite Simon Morish aus, dessen Firma Xlinks derzeit in Marokko auf 15.000 km2 einen Solarpark errichtet, der grünen Strom nicht mehr wie Siemens mit Parabolspiegeln, sondern mit Solarpanelen erzeugt und ab 2028 an Großbritannien liefern soll. Marokko hat Xlinks die dafür benötigte Fläche verpachtet, obwohl kein Strom nach Marokko fließt, denn es hat genügend eigene Solarparks und freut sich über die von Morish geschaffenen Jobs. Die Megawattstunde Strom soll nicht einmal ein Zehntel des für Desertec errechneten Betrages kosten und über ein neuartiges Hochspannungs-Gleichstromkabel mit minimalen Verlusten acht Prozent des britischen  Bedarfs decken.

Das diesbezüglich führende Frauenhofer Institut für Solare Energiesysteme hält das Projekt für erfolgversprechend, statt es dem vergangenen Jahrhundert zuzuordnen. Für das aktuelle Jahrhundert erhoffe ich daher ein gleichermaßen von weltpolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen geformtes, maximal ergiebiges Nebeneinander von Wüsten-Solarparks, Windparks im Meer, Kernkraft und lokalen Solarpanelen und Windrädern. Die jeweils verwirklichte Lösung wird immer eine technische sein – aber es bedarf vermutlich eines systemischen Wandels, sie sachlich zu diskutieren.

 

 

 

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Teure Geschenke für die ÖVP- Klientel

Die Regierung unterstützt Unternehmen, die weder durch die hohen Energiekosten noch durch Konkurrenz gefährdet sind. Das vermindert Investitionen gegen den Klimawandel

Die Aktionen der „letzten Generation“ sind mir denkbar unsympathisch: Wenn Gemälde angeschüttet oder Konzerte gestört werden, wird das Beste entwertet, was die Menschheit geschaffen hat: Kunst. Gleichzeitig habe ich für diese Aktionen größtes Verständnis: Zehn Minuten Unterbrechung des Neujahrskonzerts wären keine Katastrophe gewesen – die Klimakatastrophe kostete Millionen Menschen das Leben. Sie zu verhindern ist die mit Abstand wichtigste Aufgabe unserer Generation und wir sind damit dramatisch im Rückstand: Ohne Lockdowns hätte sich der CO2-Ausstoß der EU um nichts verringert – in Österreichs ist er sogar gestiegen.

Meines Erachtens bestünde die wirksamste Gegenmaßnahme darin, die Chinesen bei der Errichtung eines Mega-Solarparks in der Wüste Gobi zu unterstützen, mit dessen grünem Wasserstoff sie den CO2-Ausstoß ihrer gigantischen Stahlproduktion verringern könnten. Dass die von der EU mit dem Programm „Fit for 55“ ergriffenen Maßnahmen ihren CO2-Ausstoß ausreichend verringern, bezweifle ich: Die Investitionen in grüne Energie sind weiterhin zu niedrig, die CO2-Steuern nicht hoch genug. Auch der Erfolge der aktuell prominentesten Maßnahme, die sündteure Förderung der E- Mobilität scheint mir unverändert problematisch: Mit dem Professor der TU Graz Georg Brasseur fürchte ich, dass der für Millionen E- Autos zusätzlich benötigte Strom in den meisten Ländern noch lange mittels Kohle hergestellt werden muss. Denn zusätzlichen grüner Strom verbrauchten künftig ja auch Millionen Wärmepumpen, die großen Stahlschmelzen, vor allem aber alle Produktionsanlagen die bisher mit fossiler Energie betrieben wurden und „grün“ werden sollen. Zwar hat Österreichs Regierung die Förderung betrieblich genutzter E-Fahrzeuge heuer etwas reduziert, aber das reduziert einen meines Erachtens grundsätzlichen Fehler nur marginal.

Dennoch musste ich der Regierung einen bisher vernünftigen Umgang mit verteuerter Energie bescheinigen: Sie hat begriffen, dass der Staat nicht Jedem finanziell beistehen, sondern nur die Schwachen unterstützen kann. Mindestens die Hälfte der Österreicher kann die höheren Benzin- Gas- Strom- oder Nahrungsmittelpreise, wenn auch verärgert, stemmen. Sie mit Steuergeld zu unterstützen, hieße, Ihnen Geld zu geben, das ihnen als Steuerzahler gleich wieder abgenommen werden müsste. Als besonders dumm hat sich die „Deckelung“ durch Abschaffen einer Steuer erwiesen. Dass Deutschlands Finanzminister die Mehrwertsteuer auf Treibstoff senkte hat den Staat rund drei Milliarden Euro Steuereinnahmen gekostet und den Preis von Treibstoff kaum gesenkt – nur die Gewinne der Unternehmen erhöht, die damit handeln. Das gilt im Prinzip auch für die von der SPÖ unverdrossen geforderte Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Der mögliche Steuerausfall wäre aber so gering, dass man diese Maßnahme, um ihrer Popularität willen, riskieren kann: vielleicht reagiert der Lebensmittelhandel nicht ganz wie der Treibstoffhandel. Normalerweise ist es immer kostengünstiger, die Beihilfen für die wirklich sozial Schwachen deutlich zu erhöhen, wie das die Regierung getan hat, und der Gesamtbevölkerung nur gewisse Mindestkontingente an Energie verbilligt zur Verfügung zu stellen. Die Treffsicherheit war damit nicht optimal – aber das war sie nirgends.

Jetzt aber geht es um die noch viel schwierigere Unterstützung der Industrie. Anders als bei den Bürgern muss ihre Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden. Deutschland hat zu diesem Zweck große Beträge lockergemacht, obwohl das nicht automatisch einleuchtet: Die Verteuerung der Energie hat ja selbst die USA oder China nicht viel anders als die EU getroffen, so dass sich an den Konkurrenzverhältnissen nicht so viel geändert haben sollte – schon gar nicht innerhalb der EU oder innerhalb Österreichs. Aber wenn Deutschland „wummst“, müssen wir als wichtigster Handelspartner nachziehen. Freilich nur bei den Unternehmen, die mit deutschen Unternehmen in Konkurrenz stehen und denen die hohen Energiepreise auch ernsthaft schaden. Bisher hat man diesbezüglich unterschieden- jetzt hat die ÖVP durchgesetzt, dass es kaum mehr Unterscheidungen gibt: Auch Unternehmen ohne jede deutsche Konkurrenz und ohne übermäßige Energiekosten- etwa Hotels- erhalten gewaltige Unterstützung. Dürften einem Unternehmen im deutschen Modell heuer 14 Prozent der Energiekosten ersetzt werden, so dürften es im österreichischen Modell 45 Prozent sein.

Zwar hat Österreich gemäß EU-Vorgabe wie Deutschland fünf Förderstufen, in denen mit der Höhe der Förderung und deren Länge auch immer strengere Bedingungen erfüllt sein müssen, aber in Österreichs unterster Förderstufe ist sind Unternehmen nicht gezwungen, eine gewisse Mindest- Energie-Intensität nachzuweisen. Damit steigt die für Unternehmensförderung vorgesehene Summe von 1,5 auf fünf bis zu neun Milliarden.

Gleichzeitig wird die Körperschaftssteuer von 25 Prozent auf 23 Prozent im Jahr 2024 gesenkt, weil das angeblich die Investitionen fördert. Die Realität: in den letzten Jahrzehnten wurden die ursprünglich auf Unternehmensgewinne entfallenden Steuern halbiert und die Investitionen sind so gering wie nie zuvor, weil sie von ganz anderen Kriterien abhängen. In Summe erfüllt die grün-schwarze Regierung damit unnötig Forderungen schwarzer Klientel – das kostet den Staat Geld für nötige Investitionen in grüne Energie.

 

 

 

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