Der doppelte Schäuble

Mit Wolfgang Schäuble verliert Deutschland einen Politiker der sich durch eine Reihe wichtiger Tugenden ausgezeichnet hat: Anstand, Handschlagqualität, Loyalität, Patriotismus und ein dennoch klares Bekenntnis zu einem vereinten Europa.

Leider schlägt sich die Tätigkeit in seiner mit Abstand wichtigsten Funktion als Finanzminister Angela Merkls und damit als Taktgeber der Fiskalpolitik der EU messbar in folgenden Zahlen nieder: Der Abstand zwischen dem realen Bruttoinlandsprodukt der EU, zu dem der USA, der 2008 nach der Finanzkrise 15 Prozent betragen hat, beträgt heute 31 Prozent und der noch aussagekräftigere Unterschied im realen  BIP pro Kopf hat sich von 9.000 auf 27.000 Dollar verdreifacht. Alle Krisen, von der Finanz- über zur Corona- Krise bis zur Ukraine-Krise wurden (werden) von der EU ungleich langsamer und ungleich unvollständiger als von den USA bewältigt.  Doch nichts konnte Schäuble eines Besseren belehren. Schon gar nicht eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds IWF, die zu dem Schluss kam, dass die Staatsschuldenbremse den beteiligten Staaten mehr geschadet als genutzt hat.

(Sie belehrte bekanntlich auch Sebastian Kurz  und seine Finanzminister oder Österreichs Öffentlichkeit nicht- auch hier wurde ein schwachsinniges Null-Defizit als Jahrhundertereignis gefeiert und wäre die Schuldenbremse beinahe in der Verfassung verankert worden)

Das Tragischste ist freilich, dass sich Deutschlands aktueller Finanzminister Christian Lindner voll zur Politik Wolfgang Schäubles bekennt, obwohl sie im Moment auch den Deutschen selbst auf den Kopf fällt, während sie ihn in der Vergangenheit  aus des Schlinge ziehen konnten, indem sie anderen Staaten durch Lohnzurückhaltung Marktanteile weggenommen haben, Derzeit bezahlen sie die Lohnzurückhaltung mit dem Wachstum der AfD und die Schuldenbremse mit einer kaputtgesparten Bundeswehr, einer nicht elektrifizierten Eisenbahn, vernachlässigten Schulen und Universitäten und desolaten Verkehrswegen. Aber Ökonomisch Umdenken ist für Deutsche offenbar unmöglich – sie sind fehlerfrei.

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Schuldengebremst tiefer in die Rezession

Die Regierung Scholz hält die Schuldenbremse nicht ein. 2024 beharrt Friedrich Merz (CDU) auf ihr. Deutschland fehlen Milliarden. Trotz Rezession ist reine Vernunft chancenlos.

Einen “Tsunami” nennen deutsche Politiker das Urteil, mit dem ihr Verfassungsgerichtshof den Nachtragshaushalt 2021 der Regierung Olav Scholz` als verfassungswidrige Umgehung der Schuldenbremse brandmarkte. Bekanntlich hat Finanzminister Christian Lindner einen 60 Milliarden-Kredit, den der Bundestag bewilligte, weil die “Corona”-Notlage das Aussetzen der Schuldenbremse erlaubte, dazu verwendet, in “Klimaschutz” zu investieren. Geld darf nur ausgegeben werden, wofür es bewilligt wurde, klärte der VfGH. So offenkundig das juridisch ist, so wenig hatte Lindner es gesehen: Indem er die 60 Milliarden für den Kampf gegen den Klimawandel verwendete, half er ein Wahlversprechen der Grünen einzuhalten, weil nicht nur sie in Glashauseffekt die größte Gefahr für den Erdball sehen.

Entsprechend kritisch sind die Konsequenzen des Urteils: Der Regierung, die Teile der 60 Milliarden schon ausgegeben hat, fehlt dafür die gesetzliche Deckung und das gilt wohl auch für 200 Milliarden eines gleichgelagerten “Wirtschaftsstabilisierungsfonds”. Der grüne Klimaschutzministers Robert Habeck beschrieb die entstandene Lage so: “Ich soll einen Boxkampf mit am Rücken gefesselten Händen gewinnen”. Denn natürlich respektiert Scholz das Urteil nicht bloß, weil Friedrich Merz (CDU) es fordert. Nur wäre es unter vernünftigen Menschen Anlass, die “Staatsschuldenbremse” zu diskutieren: Auch wenn man sie nicht, wie ich, für unsinnig hält, könnte man sie so reformieren, dass dringende Investitionen zulässig sind, auch wenn sie die Schuldengrenze überschreiten.

Jetzt belässt Scholz zwar die Investitionen in den Klimaschutz wie geplant, aber Lindner hat eine Haushaltsperre verhängt, der bisher Strom- und Gaspreisbremse zum Opfer fielen. Für das Budget 2023 wird er die Schuldenbremse neuerlich aussetzen und das mit Ukrainekrieg, Inflation und Überflutung in Nordrhein Westfahlen begründen, obwohl das nicht so leicht ist, denn Krieg und Inflation gibt es schon lange. Wahrer Grund der aktuellen Notlage ist das Urteil des VfGH – nur dass er das wohl kaum gelten ließe. Die Regierung Scholz´ wird Lindners Budget trotz des Risikos neuerlicher Aufhebung beschließen, denn die CDU dürfte diesmal nicht klagen, hat aber angekündigt, es zu tun, falls die Schuldenbremse 2024 neuerlich ausgesetzt werden sollte. Damit muss die Regierung ab sofort drastisch sparen – für Merz am besten, indem sie geplante Milliardeninvestitionen in den Sozialstaat unterlässt. Dass unterlassene Investitionen aus saldenmechanischen Gründen zwingend die aktuelle Rezession vertiefen, werden Deutsche damit erstmals vor der eigenen Haustür erleben.

Trotzdem wollen sie sich weiter nicht rational mit der Schuldenbremse auseinandersetzen, haben Angela Merkel, Olaf Scholz oder Christian Lindner sie doch wie eine Monstranz vor sich hergetragen und Wirtschaftsforscher, Wirtschaftsweise oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihr täglich gehuldigt: 60 Prozent der Deutschen hält die Schuldenbremse für die unverzichtbare Basis ihres Wohlstands, auch wenn alle Zahlen- vom Wirtschaftswachstum bis zur Arbeitslosigkeit- zeigen, um wie viel besser als die EU die USA ohne Schuldenbremse fahren.

Stifter des Spar-Glaubens war der Ökonom Kenneth Rogoff, der aus den Daten von 200 Volkswirtschaften ermittelt haben will, dass Staatschuldenquoten über 100 Prozent zunehmend Wachstum kosten. Ihm wurde nicht nur nachgewiesen, dass er Volkswirtschaften, die dieser These widersprechen, nicht berücksichtigt hat, sondern auch, dass ihm ein simpler Rechenfahler unterlaufen ist. Dennoch hat die EU sich seine These mit den Maastricht-Kriterien zu Eigen gemacht und dort sogar 60 Prozent Schuldenquote als Grenze festgelegt. Dass jemand, der 5000 Euro monatlich verdient, unter dieser Voraussetzung keinen ausreichenden Kredit für einen Wohnungskauf aufnehmen könnte, irritiert zuständige Ökonomen so wenig wie die empirische Erfahrung, dass Japan mit 260 Prozent oder die USA mit 123 Prozent Schuldenquote ausreichendes Wirtschaftswachstum verzeichnen, während Bulgarien mit der Traumquote von 21 Prozent eher kein Traumstaat ist. Nur das faktische wirtschaftliche Funktionieren ist von Bedeutung – die Quote gibt allenfalls dann Anlass zur Sorge, wenn sie wie 2011in Griechenland, drastisch ansteigt und das mit offenkundigem Nichtfunktionieren gepaart ist. Dennoch wäre es zu keiner Krise gekommen, wenn Spekulanten nicht angenommen hätten, dass die EZB nicht mehr hinter Griechenland steht. Als Mario Draghi dieser Annahme den Boden entzog, waren Euro und Griechenland gerettet – nur das von Merkel verordnete drastische Sparprogramm hat es fast noch ruiniert. Aber auch das beeindruckte deutsche Ökonomen so wenig wie eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds, wonach Merkels Spar- Pakt der EU “mehr schlecht als gut” getan hat.

Gegen die deutsche Verwechslung von Schulden mit Schuld, von Sparen mit Sparsamkeit und Volkswirtschaft mit Hauswirtschaft (wo “Sparen” eine Tugend ist) haben Mathematik und empirische Erfahrung keine Chance: Die Weltwirtschaftskrise (und Adolf Hitler) wurden überwunden, indem die USA etwas aus der aktuellen Sicht deutscher Ökonomen Ruinöses taten: Obwohl sie durch den “New Deal” bereits hoch verschuldet waren, druckten sie weiter Geld, um aufzurüsten und bescherten ihrer Wirtschaft damit zweistellige Wachstumsraten. Aber was ist schon Empirie gegen den Glauben deutscher Ökonomen.

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Deutschlands selbstgemachte Rezession

Was die EZB unter dem Druck deutscher Ökonomen der Eurozone antut, trifft auf ein Deutschland, dessen Exportmodell lahmt, und dem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geplante Investitionen verbot.

Wie sehr die Eurozone ökonomisch schwächelt sagen folgende Zahlen: war ihr Wirtschaftsleistung 2008 real um 15 Prozent geringer als die der USA, so ist sie jetzt 31 Prozent geringer. Der zentrale Grund: Sie hat sich wirtschaftlich an Deutschland orientiert und ihren Mitgliedern die durch Angela Merkels Austerity-Pakt verschärfte “Staatsschuldenbremse”  vorgeschrieben, so dass die Unternehmen in dem Ausmaß weniger verkaufen, in dem der Staat weniger einkauft. Deutschland (Österreich) ging es nur deshalb vergleichsweise gut, weil sie durch ihre “Lohnzurückhaltung”, (die ich “Dumping” nenne), anderen EU-Mitgliedern Marktanteile wegnehmen konnten. Jetzt aber kränkelt auch Deutschlands Wirtschaft: zum dritten Mal sinken Bruttoinlandsprodukt und  aussagekräftige Einzelhandelsumsätze; es gibt die meisten Insolvenzen seit Ende der Pandemie; entscheidend ist aber wohl der Rückgang der Exporte um 7,5 Prozent: permanent geschwächte EU- Mitglieder können nicht mehr als bisher aus Deutschland importieren; die Wirtschaft Chinas, das für sie in die Bresche sprang, schwächelt ebenso; die USA bevorzugen neuerdings per Gesetz eigene Produkte; und Exporte nach Russland fielen dem Ukrainekrieg zum Opfer.

Dennoch ist nicht er, und die schon wieder sinkende Verteuerung der Energie die zentrale Ursache der aktuellen Rezession, sondern die Geldpolitik der EZB, die, voran unter dem Druck ihres deutschen (österreichischen) Mitgliedes eine Inflation bekämpft, die es in der üblichen ökonomischen Bedeutung dieses Begriffes – nämlich als sich selbst verstärkende Lohn-Preis-Spirale in der EU nicht gibt. Was es gibt ist die logische Verteuerung der Waren  durch die kurzfristig massive Verteuerung von Öl und Gas, die zustande kam, weil OPEC und Putin vereinbarten, die Förderung zu drosseln. Diese Teuerung flaute von sich aus ab, nachdem die primäre Panik sich gelegte hatte und man sie außerdem sinnvoll bekämpfte, indem Norwegen und die USA mehr Öl und Gas förderten und alternative Energiequellen erschlossen wurden.

Die EZB aber akzeptierte zunehmend die Behauptung ihres deutschen (und österreichischen) Mitgliedes und diverser lautstarker deutscher Ökonomen, voran des “Starökonomen” Hans Werner Sinn, dass ihre “lockere Geldpolitik” die zentrale Ursache der Teuerung sei. Verunsichert begann EZB-Chefin Christine Lagarde, die Jus, nicht Geldpolitik studiert hat, die Teuerung so wie echte Inflation zu bekämpfen, an der im Allgemeinen hohe Löhne wesentlichen Anteil haben: sie hob die Zinsen in kurzen Abständen drastisch an. Das hat laut Lehrbuch den Zweck, einen wirtschaftlichen Boom zu dämpfen und die Arbeitslosigkeit soweit  zu erhöhen, dass es Arbeitnehmern schwer fällt, Lohnerhöhungen durchzusetzen. Sie nahm sich dabei ein Beispiel an der Notenbank der USA, die damit möglicherweise -keineswegs sicher- Recht hat, weil es in den USA tatsächlich einen Boom und starke Lohnerhöhungen gab. Tut eine Notenbank dergleichen aber in einem Wirtschaftsraum, in dessen “Süden” es das Gegenteil eines Booms gibt und in dessen “Norden” anstelle hoher Löhne “Lohnzurückhaltung” herrscht, so dämpft sie die Inflation zwar auch, aber in erster Linie erzeugt sie “Rezession”. Wie sehr Lagarde sich dabei über ökonomische Erfahrungen hinwegsetzen muss, kann man daran ermessen, dass “lockere Geldpolitik” durch zehn Jahre nicht nur keine Inflation sondern fast Deflation erzeugt hat. Es bauchte, um die Inflation so zu bekämpfen, wie die EZB das getan hat, die Vorstellung von Hans Werner Sinn, dass sich die Inflation in zehn Jahren wie Catchup in einer Plastikflasche gestaut hätte, um dann plötzlich aus dem Flaschenhals zu pflatschen. Ökonomisch Abstruseres fällt mir nicht ein. Obwohl ich primär kein Freund extrem billigen Geldes bin, weil es die richtige Allokation der Mittel erschwert und bei Aktien oder City-Baugrund zu Blasen führt, deren letztere soeben platzt. Doch auch die extrem lockere Geldpolitik, die der Geld-Experte Mario Draghi der EZB verordnete, war nur die Reaktion auf deutsches ökonomisches Versagen: Die von Deutschland durchgesetzte Staatsschuldenbremse reduzierte alle staatlichen Investitionen derart, dass die EU-Konjunktur ohne extrem billiges Geld eingebrochen wäre.

Sollte die EZB ihre aktuelle Politik teuren Geldes fortführen, könnte das das jetzt passieren, denn jetzt reduziert Deutschland plante Investitionen  neuerlich: Das deutsche Bundesverfassungsgericht erklärte soeben für verfassungswidrig, dass Finanzminister Christian Lindner einen 60 Milliarden- Kredit, den sein Vorgänger Olaf Scholz erfolgreich beantragt hatte, weil die durch “Corona” geschaffene Notlage es erlaubte, die “Staatsschuldenbremse” außer Kraft zu setzen, dazu verwendet hat, in den Klimaschutz zu investieren. Die CDU-CSU klagte gegen diesen “Taschenspielertrick” die “Ausgabenbremse” zu umgehen, und hat, wie hier befürchtet, Recht bekommen. Sie sieht darin ein triumphales Ergebnis, obwohl es nicht nur die Regierung Scholz´, sondern ganz Deutschland inmitten der Rezession in eine wirtschaftlich höchst angespannte Lage versetzt. Nach Ansicht der CDU CSU soll Lindner die nunmehr verbotenen 60 Milliarden bei den Sozialleistungen einsparen, um die Klimawende nicht zu gefährden –  aber dann werden sie der Wirtschaft eben bei Spitälern oder Schulen schmerzlich fehlen und die Rezession weiter vertiefen; Österreich wird mitleiden.r

 

 

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Die heikle Einigung der Metaller

Eine späte Einigung kostet Geld – eine falsche kostet Jobs. 11,6 Prozent mehr Lohn verteuert Waren. Erhöht die EZB deshalb die Zinsen, vertieft sie die Rezession.

 Nach einer Woche Streik haben die Arbeitgeber der metalltechnischen Industrie und die Gewerkschaft vergangenen Montag ihre Verhandlungen wieder aufgenommen. Meines Erachtens wäre es keine Niederlage für die Gewerkschaft, wenn die Einigung in etwa zwischen ihrer Forderung nach 11,6 Prozent mehr Lohn und dem bisher letzten Angebot der Arbeitgeber über 6 Prozent plus 1.200 Euro Einmalzahlung läge, die sie mittlerweile offenbar als Lohnerhöhung über 8,2 Prozent auszuzahlen bereit ist. Weil das im Widerspruch zu Überlegungen steht, die ich hier mehrfach geäußert habe, will ich es ausführlich begründen.

Der erste Grund ist banal und illustriert die Argumentation des Verhandlungsführers der Arbeitgeber Stefan Ehrlich-Adám am “Runden Tisch” des ORF: Österreichs metallverarbeitende Industrie muss im Export, der 80 Prozent ihres Geschäfts ausmacht, mit der metallverarbeitenden Industrie anderer Länder, voran Deutschlands, konkurrieren. Dort fordert die Gewerkschaft soeben eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent, die sie, wenn auch nicht allzu energisch, mit der Forderung nach 32 statt 35 wöchentlichen Arbeitsstunden verknüpft. Die Arbeitgeber setzen dem ein Angebot von 3,1 Prozent mehr Lohn mit einer Laufzeit von 15 Monaten und eine Einmalzahlung entgegen und lehnen eine Arbeitszeitverkürzung angesichts des Fachkräftemangels kategorisch ab. Wenn ich den Kompromiss abschätze, den man in Deutschland finden dürfte, so wird er kaum viel anders aussehen als die eingangs von mir empfohlene Einigung in Österreich. Deutlich höhere Löhne als Deutschland können wir uns nämlich kaum leisten, denn in der metallverarbeitenden Industrie sind sie für 30 bis 40 Prozent der Kosten einer Ware verantwortlich.

In beiden Ländern kämpft die exportorientierte Industrie, für die der Abschluss der Metaller noch dazu Vorbild ist, zudem mit einer Rezession: Die Auftragseingänge sind massiv zurückgegangen. Natürlich muss es die Chefökonomin des ÖGB Helene Schuberth empören, dass Unternehmen, die im zurückliegenden sehr guten Jahr, in dem sie die Inflation nicht selten zur Ausweitung ihrer Gewinnmargen nutzten, hohe Dividenden zahlten, nun erklären, die geforderte Lohnerhöhung nicht zu verkraften. Aber dann waren die vergangenen Lohnforderungen der Gewerkschaft leider nicht energisch genug – für das gegenwertige Konkurrenz- Problem ist das irrelevant: Wenn die Lohnstückkosten bei uns deutlich höher als in Deutschland oder der Schweiz ausfallen, wird das Problem der Betriebe unweigerlich zum Problem entlassener Arbeitnehmer.

Anders bei den Bäckern, die nur im Inland mit inländischen Bäckern konkurrieren

Es gibt aber einen zweiten Grund, warum die von mir sonst so geschätzte Benya-Formel in der aktuellen Situation nicht ausschließliche Basis der Lohnforderung sein kann. Sie lautet bekanntlich, dass eine Lohnerhöhung das Ausmaß der durchschnittlichen Inflation des zurückliegenden Jahres zuzüglich des erzielten Produktivitätszuwachses haben soll und das hat folgenden ökonomischen Sinn: Die Bevölkerung erzielt auf diese Weise einen Lohn- und Kaufkraftzuwachs, der sie theoretisch in die Lage versetzte, alle Waren, die ihre Volkswirtschaft auf Grund des Produktivitätszuwachses in Summe mehr erzeugt hat, auch zu kaufen, obwohl sie sich im Ausmaß der Lohnerhöhungen des abgelaufenen Jahres verteuert haben. Praktisch kauft sie natürlich auch Waren fremder Volkswirtschaften, aber wenn alle Volkswirtschaften gemäß der Benya-Formel agieren, gleicht sich das aus. Dass Österreich, Deutschland, Holland und die Schweiz seit 2000 nicht mehr so agieren, habe ich hier als eines der existentiellen ökonomischen Probleme der EU gebrandmarkt und insofern machten hohe Lohnabschlüsse in Österreich und Deutschland durchaus Sinn.

Dass es dennoch problematisch ist, ihre Höhe nach der Benya-Formel zu berechnen, indem man zu 2 Prozent Produktivitätszuwachs 9,6 Prozent Teuerung des abgelaufenen Jahres addiert, liegt daran, dass diese Teuerung nicht wie in der Vergangenheit aus Lohnerhöhungen resultiert und damit im Idealfall bei rund zwei Prozent lag, sondern aus der außergewöhnlichen Verteuerung der Energie durch Wladimir Putin. Nur ist diese Teuerung, nicht zuletzt weil es sich um ein so untypisches, fast einmaliges Ereignis gehandelt hat, Gott sei Dank mittlerweile EU-weit schon wieder auf 2,9 Prozent, in Österreich auf 5,4 Prozent gesunken. (Letzteres liegt an Österreichs extremer Abhängigkeit von russischem Gas – allenfalls am Rande an mangelnder Inflationsbekämpfung durch die schwarz-grüne Regierung.)

Daher macht es mehr Sinn als sonst, den Verlust, den die Metall-Arbeitnehmer im abgelaufenen Jahr durch die extreme Teuerung erlitten haben, durch eine beträchtliche Einmalzahlung der Arbeitgeber abzufedern, die sich zu den Zahlungen der Regierung (abgeschaffte kalte Progression, erhöhte Absetzbeträge, Einmalzahlungen) addiert. Dagegen stellt es ein Problem dar, die Löhne um 11,6 Prozent zu erhöhen, weil es die Inflation doch neuerlich befeuerte, auch wenn sie die Waren derzeit nur mehr um höchstens 5,4 Prozent, wahrscheinlich aber weit weniger, verteuert.

Das aber nähme die ökonomisch leider verwirrte EZB mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Anlass, die Zinsen, die derzeit Gott sei Dank pausieren, doch wieder anzuheben. Damit aber vertiefte sie die Rezession, in die sie uns bereits gestürzt hat, dramatisch.

 

 

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Ein Fiasko für Deutschlands Regierung

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (BVerfGE) hat es für verfassungswidrig erklärt, dass Finanzminister Christian Lindner einen 60 Milliarden Euro Kredit, den sein Vorgänger Olaf Scholz erfolgreich beantragt hatte, weil die durch “Corona” geschaffene Notlage es erlaubt, die in Deutschland in der Verfassung verankerte “Staatsschuldenbremse” außer Kraft zu setzen, dazu verwendet hat, in den Klimaschutz zu investieren um damit ein Wahlversprechen der Grünen zu erfüllen.

Die CDU-CSU hatte gegen diesen “Taschenspielertrick” die “Ausgabenbremse” im aktuellen Budget zu umgehen geklagt und recht bekommen und sieht darin ein triumphales Ergebnis, obwohl es nicht nur die Regierung Scholz´, sondern ganz Deutschland inmitten einer harschen Rezession in eine wirtschaftlich denkbar kritische Lage versetzt: Die 60 nunmehr verbotenen Milliarden, die die Regierung nach Ansicht der CDU CSU bei den Sozialleistungen einsparen soll, um die Klimawende nicht zu gefährden, werden der Wirtschaft schmerzlich fehlen und die Rezession vertiefen.

Natürlich beeinträchtigt alles, was die Konjunktur Deutschlands beeinträchtigt, auch die Konjunktur Österreichs.

Einigermaßen kundige Ökonomen, die in Deutschland allerdings besonders dünn gesät sind, äußern daher lauter als bisher die Meinung, dass die Staatsschuldenbremse, zu der die EU dank ihrer Deutschland-Hörigkeit auch Österreich verpflichtet, nur dass sie bei uns nicht in der Verfassung verankert, nur von Sebastian Kurz gepredigt wurde, endlich zumindest massiv reformiert werden müsse.

So erklärt der Präsident des führenden Deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts DIW Marcel Fratzscher: “Die Versuche der Bundesregierung, in den vergangenen zwölf Jahren die Schuldenbremse zu umgehen, haben immer absurdere Züge angenommen. Die Schuldenbremse ist nicht mehr zeitgemäß, weil sie der Politik notwendigen Spielraum nimmt, um Krisen zu bekämpfen und Zukunftsinvestitionen zu tätigen, wie sie heute dringender denn je sind.”

Obwohl sich der Präsident eines Arbeitgeber-nahen Forschungsinstituts in Köln, Michael Hüther, schon vor dem aktuellen Urteil des BVerfGE noch viel kritischer zur Schuldenbremse geäußert hat, ist fraglich, wie weit er und Fratzscher gehört werden, denn in der wirtschaftlich ahnungslosen Bevölkerung ist die Staatsschuldenbremse so populär wie in Österreich und normalerweise vertritt der ahnungslose Finanzminister der FDP, Christian Lindner, sie sogar besonders energisch und behauptet, der einzige zu sein, der ihre künftige Einhaltung gewährleistet.

Jetzt hat er nur die Wahl, sie massiv zu missachten und ein gewaltiges Budgetdefizit zu verantworten oder zu behaupten, dass auch der Ukrainekrieg es erlaubt, die Staatsschuldenbremse außer Kraft zu setzen, wogegen die CDU-CSU beim BVerfGE klagen würde und vermutlich recht bekäme, weil der Krieg schon vor zwei Jahren begonnen hat. Man kann auch an der eigenen wirtschaftlichen Ahnungslosigkeit ersticken.

 

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Etwas “Sahra Wagenknecht” nutzte auch uns

Die Ikone der “Linken” will nicht auf Putins Gas verzichten, weniger Zuwanderung, mehr Umverteilung und Wettbewerb. Vieles davon schadete der FPÖ nicht anders als der AfD.

Umfragen prophezeien der Partei, die in Berlin mit dem “Bündnis Sahra Wagenknecht” aus der Taufe gehoben wurde, aus dem Stand 12 Prozent Stimmen, die sie voran der AfD wegnehmen würde. Ich teile diese Annahme und meine, dass es der SPÖ leichter fiele, der FPÖ Stimmen wegzunehmen, wenn sie ihre Forderungen ähnlich wie Sahra Wagenknecht formulierte.

Wagenknechts größter Vorteil ist freilich ortsgebunden: Ihr Bekanntheitsgrad reicht weit über ihre Ex-Partei, “Die Linke”, hinaus. Ständiger Stargast politischer Talkshows, vertritt sie politische Thesen nicht nur eloquent, sondern macht dabei in jedem Sinne dieser Formulierung auch blendende Figur. Das einzige Mal, dass sie – freilich nicht bei AfD-Sympathisanten – schlecht abschnitt, war eine Talkshow, in der es um Deutschlands Verhalten gegenüber Wladimir Putin ging: Sie blieb bei ihrer aus dem Manifest mit Alice Schwarzer bekannten Ansicht, dass man auf Verhandlungen drängen, statt der Ukraine Waffen liefern sollte. Ich halte diese Alternative bekanntlich für grob falsch – nur indem man der Ukraine Waffen liefert, kann man auf Verhandlungen hoffen – und auch für die Partei Wagenknechts wird ihre Russland-Position die größte Schwachstelle sein: Man wird sie zur “Putin-Versteherin” stempeln, auch wenn sie das nicht wirklich ist – sie hält sein Regime sehr wohl für autoritär und seinen Krieg für einen Überfall – nur glaubt sie an die Mitschuld der NATO und übersieht seine Großmachtallüren.

Zugleich ist Wagenknecht wie AfD und FPÖ der Meinung, dass es falsch ist, auf russisches Gas zu verzichten und das meine ich auch. Es stimmt zwar nicht, wie Herbert Kickl behauptet, dass Russland Öl und Gas  als Reaktion auf die Sanktionen der EU verteuert hat, sondern Putin und OPEC haben die Drosselung der Förderung ein gutes Jahr davor beschlossen, aber Deutschland wie Österreich schaden sich selbst mehr als Russland, wenn sie hektisch auf russisches Gas verzichten, ehe alternative Energie vergleichbar preiswert ist.

Im wichtigsten Punkt ihres Parteiprogramms gebe ich Wagenknecht uneingeschränkt recht: Es gilt, der neoliberalen Struktur der Wirtschaft den Kampf anzusagen. Die Umverteilung von unten nach oben muss einer Umverteilung von oben nach unten weichen und dazu sind höhere Unternehmens- und Vermögenssteuern unverzichtbar. Natürlich setzt auch Wagenknecht die Grenze für eine Erbschaftssteuer wie die SPÖ weit über dem Wert eines Eigenheims an, ist aber als Nationalökonomin sehr viel besser als bisherige SP-Granden in der Lage, ihre Forderung gegen Einwände zu verteidigen. Gleichzeitig tritt sie für die Zerschlagung von Oligopolen ein und weiß das als Unterstützung des Mittelstandes zu verkaufen und auch das funktionierte in Österreich: Natürlich hängen Greissler-Sterben und hohe Teuerungsraten gleichermaßen mit unserem Nahrungsmittel- Oligopol zusammen.

Mit den Grünen liegt Wagenknecht im Clinch, indem sie fordert, “von einem blinden, planlosen Öko-Aktivismus wegzukommen, der das Leben der Menschen zusätzlich verteuert, die Reichen bevorzugt und dem Klima überhaupt nicht nützt“. Ich halte “überhaupt nicht” zwar für eine fahrlässige Übertreibung, aber tatsächlich gilt bei jeder Aktivität zu bedenken, dass jeder Liter Öl, den nicht wir selbst verbrennen, sofort anderswo erworben und verbrannt wird und was das für unsere Wirtschaft bedeutet. Zugleich hat die teure Förderung der E-Mobilität derzeit tatsächlich voran die Zahl der Tesla-Limousinen in Nobelbezirken erhöht. Geringverdiener hingegen erfüllt der Preis eines E-Autos oder einer Wärmepumpe unverändert mit Schrecken, und auch bei Menschen meiner Generation, die von der Nachkriegsarmut geprägt und auf Sparsamkeit programmiert sind, erzeugte die plötzliche Forderung nach so hohen Ausgaben emotionale Abwehr, die sich hier in dem Satz “Ich werde mein Auto sicher nicht gleich gegen ein E-Auto tauschen” niederschlug und nicht ganz ohne rationale Begründung ist: Auch die vorzeitige Nachschaffung längst nicht kaputter Geräte erzeugt CO2. Auch aus diesem Grund halte ich bekanntlich für weise, dass Leonore Gewessler den Zeitdruck vermindert und die Förderungen erhöht. Im Zuge der Begutachtung des Erneuerbare Wärme Gesetzes sollte freilich berücksichtigt werden, wie weit Haus- und Wohnungseigentümer gezwungen werden können, dem Wunsch einer Mehrheit nach grüner Beheizung stattzugeben.

Die größte Differenz zu den Grünen – und die größte Übereinstimmung mit AfD und FPÖ – ergibt sich dort, wo Wagenknecht fordert, die Zuwanderung auf Personen zu beschränken, die Anspruch auf Asyl haben. “Entwicklungshilfe statt Bürgergeld” formuliert sie diese Forderung denkbar geschickt. Ich teile sie in der Theorie und es ist schwer mir Fremdenfeindlichkeit vorzuwerfen, habe ich doch zeitlebens Flüchtlinge in meine Wohnung aufgenommen. Aber wir können unmöglich auch die aufnehmen, die als Wirtschaftsflüchtlinge auf ein besseres Leben hoffen. Das sollte man so unmissverständlich wie Wagenknecht klarstellen. Nur besteht das eigentliche Problem natürlich in der Praxis: Man darf “subsidiär Schutzberechtigte” so wenig wie “Geduldete”  abschieben und kein Land nimmt Flüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl zurück. Dass man diese Gruppen in  die Kriminalität drängte, so sobald man ihnen im Sinne der AfD jede finanzielle Unterstützung versagte, weiß Wagenknecht vermutlich, spricht es aber nicht aus.

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In eigener Sache

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Polen: ein Sieg der Frauen für die Frauen

Wie schon die Nachwahlbefragung vermuten ließ, kann die liberalkonservative Opposition unter dem ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk in einem Bündnis mit einer christlichen Partei und einer Linkspartei Polens nächste Regierung bilden und die bisher regierende klerikal-konservative PIS ablösen.

Entscheidend für diese Rückkehr Polens zur liberalen Demokratie waren die Stimmen der Frauen: So wie Frauen in den USA bei den Midterm-Wahlen einen Triumph der Republikaner verhinderten, weil sie die lebensgefährliche Verschärfung der Abtreibungsgesetze unter republikanischer Führung nicht zu akzeptieren bereit waren, verhinderten Frauen auch einen neuerlichen Triumph der PIS, weil sie die lebensgefährliche Verschärfung der Abtreibungsgesetze unter deren Führung nicht zu akzeptieren bereit sind. Die höchste bisher verzeichnete Wahlbeteiligung kam zweifellos zustande, weil selbst Frauen, die in der Vergangenheit unter die Nichtwähler zählten, diesmal zur Wahl gingen und für die Opposition stimmten. Wahlhelfer Tusks hatten diese Chance richtig erkannt: Sie produzierten ein millionenfach angeklicktes Video, bei dem die zahllosen Frauen-verachtenden Äußerungen von PIS-Funktionären jeweils mit dem Bild einer Frau unterlegt waren, die ein Finger vor dem Mund zum Schweigen verdammte.

Die PIS bleibt zwar mit Sicherheit stärkste Partei, hätte aber selbst dann nicht genug Mandate, um zu regieren, wenn sie eine Koalition mit der rechtsextremen Kleinpartei Konfederacja einginge.

Wie sich Polen verändern wird

Tusk hat Polen schon einmal, 2007 bis 2014 als Regierungschef angeführt und insbesondere die Finanzkrise von 2008 sehr erfolgreich bewältigt. Er hat sich die Sympathien der Wähler allerdings verscherzt, indem er – ökonomisch richtig – das Pensionsalter angehoben hat. (Was angesichts der ständig steigenden Lebenserwartung auch für Österreich richtig wäre.)

Sich dessen erinnernd hat die PIS diesmal kurz vor den Wahlen neben der Kinderbeihilfe vor allem die Pensionen erhöht und behauptet, dass Tusk beides rückgängig machte, wenn er an die Regierung käme. Das hat er zwar zweifellos nicht vor – dennoch muss er aufpassen, nicht in den Fehler so vieler Liberaler zu verfallen, den Sozialstaat zu vernachlässigen, um die Staatsausgaben zu verringern, denn der erfolgreiche Ausbau des Sozialstaates war das Atout der PIS.

Zentrales Problem der PIS ist ihre Einstellung zum Rechtsstaat und zur Gleichberechtigung von Frauen und ihrem Recht zu entscheiden, ob sie ein Kind haben wollen.

Unter Tusk wird sich Polen vor allem in seiner Gesetzgebung entscheidend verändern: Er wird das Gesetzesvorhaben unterbinden, mit dem die PIS die Unabhängigkeit von Richtern beschneiden wollte, und die diesbezügliche Auseinandersetzung mit  der EU damit beenden. Und er wird Polen trotz seines christlichen Bündnispartners wieder ein humanes Abtreibungsgesetz bescheren.

Gleichzeitig wird Tusk bei Polens Hilfe für die Ukraine anders als die PIS nicht mehr auf den Widerstand der bäuerlichen Wählerschaft Rücksicht nehmen müssen, die sich vor ukrainischen Agrarimporten fürchtet.  Polen wird die EU wieder stärken, statt sie im Einvernehmen mit Viktor Orbans Ungar zu schwächen.

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Ist die Energiewende schon geschafft?

Der Welt führende Energieexperte behauptet, dass die Erzeug grüner Energie alle Erwartungen übertrifft und noch in diesem Jahrzehnt zum Ende der fossilen Ära führt.

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: „Die Welt steht am Anfang vom Ende der Ära der fossilen Brennstoffe. Das scheinbar unaufhaltsame Nachfragewachstum nach Kohle, Öl und Gas wird noch in diesem Jahrzehnt zu Ende gehen“, erklärte der Exekutivdirektor der „Internationalen Energie Agentur“ (IEA) Fatih Birol vergangene Woche der Financial Times. Und Birol ist nicht irgendwer: Time zählt ihn zu den hundert einflussreichsten Menschen weltweit und was „Energie“ betrifft, ist er zweifellos der weltweit führende Experte. In Istanbul studierte er Volkswirtschaft und Kraftwerksingenieurwesen, an der Technischen Universität Wien promovierte er zu „Energiewirtschaft“, um danach sechs Jahre lang im Sekretariat der OPEC zu erleben, wie Fördermengen und Preise fossiler Energie zustande kommen. Es folgten 20 Jahre als Chefökonom der Energieagentur der OECD, ehe er 2015 Direktor der IEA wurde und dort jedes Jahr den denkbar einflussreichen „Weltenergiebericht“ („world energy outlook“) verantwortet.

Dass dessen jüngste Prognose derart positiv ausfällt, begründet er mit den in jüngster Zeit ungeahnten Fortschritten bei der Herstellung grüner Energie, voran durch Photovoltaik, durch Wind- und in China forcierte Atomkraft. Gleichzeitig hätte sich die Struktur der Wirtschaft nicht nur in der EU und den USA, sondern auch in China dahin verändert, nicht mehr auf fossile Brennstoffe, sondern voran auf „grüne Energie“ zu setzen. Es sei zwar, so Birol, schon öfter von einem „Peak Oil“ gesprochen worden und das hätte sich immer wieder als falsch hausgestellt – im abgelaufenen Jahr sind mehr fossile Brennstoffe denn je zum Einsatz gekommen – aber jetzt deute alles darauf hin, dass diese Entwicklung innerhalb des kommenden Jahrzehnts ihren Höhepunkt und damit einen „historischen Wendepunkt“ erreicht: Danach würde der Verbrauch fossiler Energie kontinuierlich sinken und das würde zwangsläufig gewaltige Rückwirkungen auf den Klimawandel haben. Wenn zutrifft, was Birol der Financial Times sagt, wäre er Kampf gegen die Klimakatastrophe im Prinzip gewonnen.

Natürlich gibt es gegenteilige Ansichten: Ohne sie zu kennen, übte der Ex-Chef des deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts  Hans Werner Sinn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, (die kurz darauf die Birol-Prognose der Financial Times zitierte) heftige Kritik an einer Klimapolitik, die, wie die deutsche, die internationale Entwicklung außer Acht lasse, denn diese sei dadurch gekennzeichnet, dass die OPEC ihre Förderkapazitäten erhöhen wolle. Schon zuvor habe ich hier den deutschen Ökonomen Heiner Flassbeck zitiert, der ebenfalls die Ansicht vertrat, dass nur eine internationale Vereinbarung über die kontinuierliche Drosselung der Ölförderung den Klimawandel abwenden würde – andernfalls würde alles Öl/Gas, das die EU oder USA weniger verbrauchen, sofort und ökonomisch unvermeidlich von China, Indien & Co aufgekauft und eben dort verbrannt, womit der Welt- CO2- Ausstoß vorerst unverändert bliebe.

Ich habe diese Befürchtung geteilt und muss sie revidieren, wenn Birols Behauptungen zutreffen. Ebenso revidieren müsste ich meine Befürchtung, dass die Erzeugung grünen Stroms zum Laden der Batterien von E-Autos nicht mit dem durch sie verursachten steigenden Bedarf an grünem Strom Schritt hält, so dass er mit Kohle-Strom gedeckt würde. Batterieelektrisch betriebene Autos wären, wenn Birol Recht hat, dank des optimalen Wirkungsgrades von E-Motoren Verbrenner-Autos zwingend überlegen. (Vorausgesetzt, dass auch die Gewinnung der Materialien zur Herstellung von Batterien nicht mit mehr CO2-Ausstoß belastet ist, als bisher auf Grund dürftigen Zahlenmaterials aus China oder dem Kongo angenommen wird.)

Anders als Flassbeck oder Sinn vermuten, hätte sich die Wirtschaft laut Birol dank der Einsicht in die extreme Verbesserung und Verbilligung grüner Technologie in die ökologisch richtige Richtung entwickelt. In Europa hat freilich auch Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine und die damit verbundene drastische Erhöhung des Öl und Gaspreises wesentlich zur besseren Einsicht und dem von Birol diagnostizierten rasanten Fortschritt bei der Verbreitung der Photovoltaik  beigetragen – der mörderische Krieg könnte tatsächlich ein ungewollter „Segen für den Planeten“ gewesen sein.

Natürlich störte es mich nicht im geringsten, mich in meiner pessimistischen Annahme hinsichtlich der E-Mobilität geirrt zu haben, sondern ich wäre auch darüber denkbar glücklich. Nur bin ich nach sechzig Jahren journalistischer Beobachtung des Weltgeschehens vorsichtig und warte ab, ob sich Birols Annahmen in den nächsten Jahren auch bestätigen. Noch fällt es mir nämlich schwer mir vorzustellen, dass Inder, Südamerikaner oder gar Afrikaner nicht noch lange viel mehr zusätzliche Mengen fossiler Energie brauchen als Amerikaner, Europäer oder Chinesen dank besserer Einsicht einsparen. Aber ich will es mit größerem Optimismus als bisher für möglich halten, zumal wir durch technologische Unterstützung unterentwickelter Volkswirtschaften erheblich dazu beitragen können.

PS: Die neuerliche Zinsanhebung der EZB wird die durch sie ausgelöste Rezession vertiefen. Die Teuerung (Inflation passt als Bezeichnung schlechter), die schon bisher zurückgegangen ist, wird das weiter um so mehr tun, je mehr Photovoltaik und Windkraft russisches Gas ersetzen.

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Nur Staatsausgaben stoppen Rezessionen

Die Teuerung ist auch ohne erhöhte EZB- Zinsen zurückgegangen, aber sie haben der EU eine überflüssige Rezession beschert, die dringend höhere Staatsausgaben erfordert.

Mittlerweile ist klar, dass die Wirtschaft der EU, Österreichs und voran Deutschlands weiter schrumpfen wird. Die Europäische Zentralbank (EZB) geht dennoch, wie die US-Notenbank FED von weiteren Zinsanhebungen aus. Sollte die EZB sie tatsächlich durchführen, wird es die durch sie schon bisher bewirkte Rezession weiter verschärfen.

Es war nämlich immer verfehlt, die wirtschaftliche Situation der EU mit der der USA gleichzusetzen, denn dort können die massiven Lohnerhöhungen unter Trump wie Biden tatsächlich zu echter Inflation – einer sich selbst verstärkenden Abfolge von Lohn- und Preiserhöhungen -beigetragen haben. In der größtenteils “lohnzurückhaltenden” EU ist das ausgeschlossen. Es gibt in der EU keine echte, sich selbst verstärkende Inflation, sondern nur eine voran durch die Drosselung der Gasförderung seitens der OPEC und Russland bedingte temporäre Teuerung. Die aber flacht sukzessive ab, weil Russland nicht so wenig Gas lieferte, Norwegen mehr davon fördert, der Winter warm war und die EU die Photovoltaik stark ausbaute. Obwohl EZB-Chefin Christin Lagarde selbst erklärte, dass ihre Zinserhöhungen die Inflation frühestens in einem Jahr  dämpfen würden, sanken die Erzeugerpreise in Spanien oder Italien schon seit Monaten und im Juli betrugt das Minus auch in Deutschland sechs Prozent. Damit trifft exakt zu, wovon die Ökonomen Paul Schulmeister oder Heiner Flassbeck immer ausgegangen sind: Es war Unsinn anzunehmen, dass die lockere Geldpolitik der EZB, die durch zehn Jahre fast von Deflation begleitet war, plötzlich Inflation bewirkt hätte. Auch wenn es ökonomisch verfehlt ist, wenn Geld nichts kostet, weil das zu Blasen bei Aktien und Immobilien führt, muss man dieses Problem anders lösen, indem man seinen Ursprung erkennt: EZB-Chef Mario Draghi hat die nach der Finanzkrise lehrbuchmäßige massive Verbilligung des Geldes nur deshalb fortgesetzt, weil Europas Staaten, voran Deutschland, wegen der Maastricht- Kriterien ihre Staatsausgaben gedrosselt und das Wirtschaftswachstum damit gefährlich gebremst haben. Die EU wird die aktuelle Rezession daher nur dann in absehbarer Zeit überwinden, wenn sie die Staatsausgaben deutlich erhöht – nur dann werden die erhöhten EZB -Zinsen nicht jedes Wirtschaftswachstum ersticken. Leider plant Deutschlands Finanzminister Christian Lindner im Gegenteil ein Sparbudget.

Grüner Strom

Als ich im Dezember 2022 schrieb, die Erzeugung grünen Stroms in der Wüste könnte wesentlich zur Lösung des CO2-Problems beitragen, wussten ein Leser und ein Kollege ganz sicher, dass das verfehlt ist, weil die Übertragungsverluste durch tausende Kilometer lange Leitungen viel zu groß wären. Mittlerweile wurden die Arbeiten an einer Leitung von Wüstenstrom aus Australien nach Singapur begonnen und wird in China eine Leitung demnächst fertiggestellt, die Strom über 2000 Kilometer nach Shanghai transportiert. “Hochspannungsgleichstromübertragung” (HGÜ) ist laut Asea Brown Boveri, das diesbezüglich führendend ist, ein technologisch gelöstes Problem.

Derzeit wissen einige Leser ganz sicher, dass jeder Zweifel an der Überlegenheit der E-Mobilität verfehlt ist und der Falter hat ihrer Kritik zu Recht viel Platz eingeräumt. Ich kann unmöglich auf alle vorgebrachten Argumente eingehen, obwohl ich mich eingehend mit ihnen befasst habe, möchte meine Haltung zur E- Mobilität aber ein letztes Mal präzisieren, um offenkundige Missverständnisse abzubauen: Ich bin nicht gegen E- Autos. Ich habe nie daran gezweifelt, dass E -Motoren einen optimalen Wirkungsgrad besitzen und dass E-Autos dann einen großen Beitrag zur CO2-Minderung leisten, wenn ihre Batterien mit weitgehend “grünem” Strom” geladen werden. Meine Zweifel beziehen sich ausschließlich darauf, ob das möglich ist. Denn dieser Strom (und der Strom für immer mehr Wärmepumpen) muss über den laufenden Bedarf hinaus erzeugt werden, und solange wir keinen Wüstenstrom haben, halte ich die Gefahr, dass das mittels Kohlekraftwerken geschieht, für relativ groß. Denn schon jetzt wird der Bedarf bei wetterbedingt verringerter Stromerzeugung durch Sonne, Wind und Wasser selbst in Österreich mittels kalorischer Kraftwerke gedeckt.

Österreich hat dank vieler Wasserkraft die vergleichsweise besten Chancen, seine Photovoltaik so rasch auszubauen, dass sie mit der Zunahme der E-Autos Schritt hält, zumal die sich stark verlangsamt hat. Dennoch bewundere ich jeden, der dessen so sicher wie Leonore Gewessler ist. Viele Länder verfügen aber über viel weniger Wasserkraft als Österreich, daher bin ich in seltener Übereinstimmung mit dem Ex-Chef des deutschen IFO – Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn,  nicht so sicher, dass die CO2- Gesamtbilanz der E- Mobilität eine so perfekte sein wird. Das wieder ist der Grund dafür, dass ich in ebenso seltener Übereinstimmung mit Karl Nehammer für Technik-Offenheit plädiere: Sollte es möglich sein, einen Verbrenner-Motor zu bauen, der nur ein Liter E-Fuel auf 100 Kilometer verbraucht, so böte der E-Motoren Paroli. Noch gibt es diesen Motor nicht und vielleicht wird es ihn auch nie geben- aber ihn zu verbieten wäre mir als leninistische Planwirtschaft erschienen. Im Gegensatz zur herrschenden Meinung zweifle ich auch am Sinn der Fördermilliarden für E-Autos: Mit diesem Geld in der Wüste Spaniens grüne Energie für Europa zu erzeugen, erschiene mir effizienter.

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Deutschland als Europas “kranker Mann”

Der britische “Economist” diagnostiziert ein deutsches “Formtief”. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” stimmt zu und ignoriert die eigene Mitschuld.

Im Juli schrieb ich hier die EU kranke an Deutschlands Wirtschaftspolitik – jetzt schreibt der britische “Economist” Deutschland selbst sei zum “kranken Mann” Europas geworden. Die Wirtschaft stagniere, die Inflation sei weiter hoch, laut Prognose des Internationalen Währungsfonds sei Deutschland das einzige Land der G-7-Gruppe, dessen Wirtschaft heuer schrumpfe. Sie litte unter hohen Energiepreisen, Fachkräftemangel, mangelnden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in Zukunftstechnologien wie die Digitalisierung, habe sich bei der verkorksten Energiewende mit dem Atomausstieg ein Eigentor geschossen und sehe einer sich rapide verschlechternden Demographie entgegen: Zwei Millionen Arbeitskräfte gehen in den nächsten fünf Jahren in Pension. Bezüglich jener Länder, die wirtschaftlich besonders eng mit Deutschland verflochten sind – voran die Schweiz und Österreich – hegt der Economist (wie ich) wenig Zweifel, dass die rezessive deutsche Entwicklung demnächst auf sie durchschlägt.

Erstaunlicherweise schloss sich die auf Wirtschaft spezialisierte “Frankfurter Allgemeine Zeitung” (FAZ) dieser Economist-Diagnose in einem großen Kommentar weitgehend an. In der Schweiz, so führte sie aus, sei man “beunruhigt über Deutschlands Formtief”- schließlich seien die Deutschland-Exporte der Schweizer Tech-Industrie im zweiten Quartal um 5,5 Prozent gesunken. Noch größere Sorge müsse das deutsche Formtief Österreich bereiten. Schließlich machten deutsche Urlauber die mit Abstand größte Gruppe seiner Touristen aus und sei es der größte Zulieferer der deutschen Autoindustrie. Allerdings, so vermerkt die FAZ Deutschlandkritisch, kopple es sich ab: Seit Ende 2017 ist die Industrieproduktion in Deutschland um 11 Prozent zurückgegangen, in Österreich aber um 8 Prozent gestiegen. Dennoch gehen 30 Prozent aller österreichischen Exporte Österreichs nach Deutschland und so lange man sich auch über dieses bessere Wachstum freute, sei es damit mit Vorliegen der Daten fürs 2. Quartal vorbei:„Der deutsche Abstieg sollte ein Weckruf für Österreich sein.“

Schadenfreude wecke das deutsche Formtief auch bei Österreichs Nachbarn nicht, ist die deutsche Autoindustrie doch auch in Ungarn und vor allem Tschechien der größte Arbeitgeber und hat die einstige deutsche Paradeindustrie doch die größten Probleme: Hat sie schon die Hybridtechnik verschlafen, so begriff sie auch erst mit Verspätung, welche Konkurrenz Mercedes, BMW oder Audi in Tesla erwachsen ist. VW, das bisher in China einen Absatzrekord nach dem anderen erzielte, wurde heuer vom chinesischen Autobauer Byd bei Verbrennern wie E- Autos überholt und das bedeutet vor allem für die Zukunft nichts Gutes: China  baut mit Byd oder Nio exzellente preiswerte E-Autos, die den deutschen E-Autos demnächst weltweit massive Konkurrenz machen werden. Die Summe dieser Entwicklungen sei zweifellos geeignet, die Rezession in Deutschland zu vertiefen und das müsse zwangsläufig massiv auf Österreich abfärben.

Zwar ist der so Deutschland kritische Artikel der FAZ  wohl davon beeinflusst, dass Deutschland nicht mehr von einer CDU-Kanzlerin, sondern einem SPD-Kanzler regiert wird, aber es bleibt doch keinem Leser verborgen, dass das “Formtief” nicht erst mit ihm begonnen hat. Noch mehr erstaunt mich freilich, dass die FAZ so völlig zu ignorieren vermag, worin  frühere Texte des Economist die zentrale Ursache des deutschen und europäischen Formtiefs sehen: In Angela Merkels “Austerity-Politik”, die als Staatsschuldenbremse im deutschen Grundgesetz verankert ist und via Spar -Pakt der gesamten EU verordnet wurde. Zwar erwähnt die FAZ die rechte italienische Zeitung Verità, die diese Sparpolitik einen “deutschen Selbstmord” nennt- “die ordoliberale (Spar)-Doktrin von Walter Eucken ist Vergangenheit, der Traum vom friedlichen Außenhandel mit aller Welt ist ausgeträumt”- aber sie tut diesen Hinweis als Ausrede für mangelnde italienische Fiskaldisziplin ab, statt sich mit ihm auseinanderzusetzen. In Wirklichkeit trifft genau das zu, was Verità behauptet: Mangelnde Staatsausgaben verhinderten nicht nur, dass sich die Wirtschaft der EU nach der Finanz- und der Corona- Krise  so vollständig wie die  Wirtschaft der USA erholte, sondern sie veranlassten die EZB auch dazu, das zurückbleibende Wirtschaftswachstum mittels billigen Geldes zu befördern. (So sehr EZB-Chef Mario Draghi darin immer einen Notbehelf zum Ausgleich der Austerity- gebremsten Fiskalpolitik gesehen hat – von ihm vergeblich geforderte vermehrte Staatsausgaben wären ihm weit lieber gewesen). Zu Recht vermutet Verità auch, dass die Behauptung, die lockere Geldpolitik der EZB hätte die aktuelle Inflation ausgelöst, jetzt  dazu geführt hat, dass die EZB die Zinsen drastisch erhöht und damit die aktuelle Rezession ausgelöst hat.

Die FAZ hat alle Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik entscheidend befördert: Sie vertrat und vertritt die Staatsschuldenbremse wie kein anderes Medium und sie feiert bis heute die Agenda 2010, die die deutsche “Lohnzurückhaltung” sicherstellte. Mit nunmehr auch in Deutschland ersichtlichen Folgen: Die damit zurückgehaltene Kaufkraft erschwert es mehr von den deutschen Waren, die sich nicht mehr so leicht im wirtschaftlich schwächelnden  China absetzen lassen, in Deutschland selbst abzusetzen; und die gewachsene Gruppe der Geringverdiener hat die AfD zur zweitstärksten Kraft des Landes gemacht.

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Neue Zweifel am Nutzen der E-Mobilität

Aktuelle Vergleichstests bescheinigen dem E-Auto eine schlechtere CO2- Bilanz als dem Verbrenner, sofern man vom real verfügbaren Ladestrom ausgeht.

Das “Zweite Deutsche Fernsehen”, wie der ORF gesetzlich zu unparteiischer Berichterstattung verpflichtet, überraschte vergangene Woche mit einer Sendung, die die angestrebte Elektromobilität ziemlich unverhohlen als “Mogelpackung” bezeichnete. Im Wesentlichen kommt sie zu den gleichen Schlüssen wie der Blogger Kai Ruhsert, der sie auf der Wirtschaftsplattform “Makroskop” schon 2020 einen “Schwindel” nannte. Sein zentrales Argument, das ich hier 2022 wiedergegeben habe: Zwar stoße ein E-Motor kein CO2 aus, aber seine CO2 -Bilanz sei nur dann besser als die eines Verbrenners, wenn seine Akkus mit “grünem” (CO2-frei erzeugtem) Strom geladen würden. Das aber sei in der Realität nie der Fall: Der Strom für E-Autos müsse im Gegenteil über den aktuellen Strombedarf hinaus bereitgestellt werden und das geschähe voran mittels Kohlekraftwerken, in Deutschland auch mittels Braunkohle. Gehe man davon aus, so verkehrten sich die Resultate aller Studien, die dem E-Auto CO2-Verminderung bescheinigen, ins Gegenteil: der elektrische Renault Zoe erzeuge dann mehr CO2 als ein Renault Clio-Diesel, die CO2-Bilanz eines Tesla mit seiner starken, aber schweren Batterie sei miserabel.

Als einzige Rechtfertigung für meine Wiedergabe von Ruhserts Argumentation im Falter konnte ich damals auf die Aussage des emeritierten Professors für elektrische Messtechnik der TU Graz, Georg Brasseur verweisen: „Woher sollen wir genug Strom nehmen, um E-Autos sinnvoll zu betreiben? Es ist unverantwortlich von der Politik ein System durchsetzen zu wollen, von dem klar ist, dass es bei Vollausbau nicht funktionieren kann, da mehr Stromverbraucher ans Netz kommen, als grüne Kraftwerke gebaut werden“.

Jetzt kommt die angeführte Sendung des ZDF zum exakt gleichen Schluss wie Ruhsert: Im Vergleich eines Golf Diesel mit dem elektrischen ID4 von VW bescheinigt sie dem Verbrenner die deutlich günstigere CO2 Bilanz. Zumal mittlerweile zumindest für Deutschland klar ist, dass der aktuell zusätzlich gebrauchte Strom tatsächlich voran aus Kohlekraftwerken kommt.

Zum gleichen Resultat kam, wenn man Österreichs realen Strom-Mix zugrunde legt, schon im Mai auch die Zeitschrift Alles Auto beim Vergleich des Hyundai-Benziners “Bayon” mit Hyundais E-Auto “Kona”: Der Kona produziere pro Kilometer um 149,8 Gramm mehr CO2 als der Bayon. Auch in Österreich braucht man für zusätzliche E-Autos und Wärmepumpen zusätzlichen Strom. Dass der schwerlich in ausreichendem Ausmaß “grün” erzeugt werden kann, begründet Alles Auto-Autor Stefan Pabeschitz so: Insgesamt legen Österreichs Autos pro Jahr 77 Milliarden Kilometer zurück. Je 100 km braucht ein E- Auto 20 Kilowattstunden, für 77 Milliarden Kilometer also 15,4 Terrawattstunden Strom. Rechnet man die Verluste des Leitungsnetzes und beim Entladen und Speichern hinzu, so ergibt sich ein jährlicher Bedarf von 20 Terrawattstunden (TWh) für Österreichs PKW- Verkehr, wenn er komplett elektrisch ablaufen soll. Aktuell liefern 1.374 Windräder 9 TWh pro Jahr. Es braucht also weitere 3.050 Windräder, um die Akkus der E-Autos “grün” zu laden. Derzeit werden pro Jahr 60 neue Windräder gebaut- steigert man sich auf 70, so hätte man 2067 genug grünen Strom. (Baute man statt Windrädern Photovoltaik- Anlagen, so brauchte man dafür rund 140 Quadratkilometer.) Auch wenn man vermutlich sowohl Photovoltaik wie Windräder ausbaut, hielte die Herstellung von grünem Strom also mit dem Bedarf nicht Schritt – und nur wenn das der Fall wäre, wäre E-Mobilität ein zweifelsfreier Fortschritt im Kampf gegen den Klimawandel. So hingegen sei zu fürchten, dass undifferenzierte E- Mobilität CO2 eher vermehrt als vermindert.

Kanzler Karl Nehammer hat bekanntlich furchtbare Schläge dafür kassiert, dass er sich im Wettstreit zwischen E-Auto und “Verbrenner” für “Technikoffenheit” einsetzte – das sei ein klassisches Beispiel seiner klimapolitischen und wirtschaftlichen Ahnungslosigkeit. Ich hielte seine Ablehnung vermögensbezogener Steuern für das sehr viel bessere Beispiel -Technikoffenheit scheint mir hingegen ein grundsätzliches Erfordernis im Umgang mit dem Klimawandel: So hält etwa der anerkannte Motorentechniker Fritz Indra für möglich, Motoren zu bauen, die nur mehr einen Liter “E-Fuel” (künstlichen “grünen” Treibstoff) auf hundert Kilometern verbrennen und damit sauberer als jedes E-Auto fahren. Umgekehrt sind freilich auch bei Batterien gewaltige Fortschritte möglich: Derzeit brauchen sie zu ihrer Herstellung seltene, teure Materialien wie Kobalt und Silizium – in Zukunft kann man sie statt mit Silizium vielleicht viel billiger mit Salzkristellen herstellen und damit einen der größten Nachteile des E-Autos – seine hohen Anschaffungskosten- beseitigen. Ich verstehe nicht genug von Technik, um zu wissen wie der Wettstreit zwischen E-Auto und Verbrenner letztlich ausgeht – es kann durchaus sein, dass E-Mobilität die Vorteile erzielt, die der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer behauptet und die EU sich von ihr erhofft. Aber nur wenn wir technologieoffen agieren, können wir es wissen: Die Autos, mit denen zu fahren wegen der CO2-Steuer unbezahlbar wird, werden vom Markt verschwinden.

Hingegen verstehe ich genug von Wirtschaft, um die massive Förderung schwerer Tesla-Limousinen mit jedenfalls dürftiger CO2 -Bilanz für nicht nur wettbewerbsverzerrend sondern absurd zu halten. “Tempo 100” bremste den Klimawandel billiger und um Vieles wahrscheinlicher.

 

 

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Industrielle gegen Staatsschuldenbremse

Der wichtigste Industrie-finanzierte arbeitgebernahe deutsche Thinktank kritisiert die Staatsschuldenbremse. Doch das deutsche Budget 2024 sichert fortgesetzte Rezession.

 Noch werden Österreichs schrumpfender Wirtschaft fürs nächstes Jahr bessere Zahlen als der deutschen vorhergesagt. Aber das kann sich umkehren, weil sie im Allgemeinen phasenverzögert der Entwicklung unseres größten Handelspartners folgt und Deutschlands Rezession sich weiter vertiefen dürfte. Denn FDP-Finanzminister Christian Lindner verschärft die Bremsung, die durch die erhöhten Zinsen der EZB eingeleitet wurde, durch ein “Sparbudget”. Politischer Hintergrund sind die schlechten Umfragewerte der FDP, die ihn veranlassen sein Profil – “ich garantiere die Einhaltung der Schuldenbremse” – zu schärfen. Weil eine Reihe von Ministern nicht sogleich sparen wollte, vergatterte er sie werbewirksam in persönlichen Briefen, das vorgegebene Sparziel einzuhalten: Im Budget 2024 sind für die nächsten Jahre nur Ausgaben von nur 445,7 Milliarden Euro vorgesehen – gegenüber 476,3 Milliarden Euro im Jahr 2023.

Nur das deutsche Militärbudget steigt dank der 100 Sondermilliarden, um die kaputtgesparte Bundeswehr notdürftig zu sanieren- sonstige Investitionen sinken. Am meisten das Sozialbudget: Bei der Gesundheitspolitik wird nach Corona mit einer gewissen Berechtigung gespart, aber Familienministerin Lisa Paus muss die geplante Kindergrundsicherung erheblich reduzieren, obwohl jedes fünfte deutsche Kind (wie jedes fünfte österreichische Kind) armutsgefährdet ist. SPD- Kanzler Olaf Scholz setzt dem keinen Widerstand entgegen, sondern unterstützt Lindner, hat er doch schon als Finanzminister Angela Merkls nicht verstanden, dass Sparen zwar eine private Tugend, aber laut Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson volkswirtschaftlicher Unsinn ist. (Jedenfalls solange der Staat durch seine Ausgaben nicht Bürgern und Unternehmen Geld und Ressourcen streitig macht, was derzeit weit und breit nicht der Fall ist.) Letztlich wird Scholz` Regierung ihr Sparen mit einer denkwürdigen Wahlschlappe bezahlen und denkwürdige Wahltriumpfe der AfD erleben. Denn natürlich ist deren Aufstieg voran wirtschaftlich bedingt: In Zeiten gestiegener Inflation muss sich die “Lohnzurückhaltung” bei Geringverdienern, zu der die Mehrheit ihrer Wähler zählt, besonders schmerzlich auswirken, und der Rückgang des allgemeinen Wohlstandes durch verminderte Aufträge und verminderte Leistungen des sparenden Staates muss sie abermals am meisten treffen.

Aber der ökonomische Schwachsinn ist selbst in Deutschland nicht allgegenwärtig: Erstmals hat mit Michael Hüther der Direktor des Industrie- finanzierten, arbeitgebernahen “Institut der deutschen Wirtschaft Köln” (IW) massive Kritik an der Staatsschuldenbremse geübt: “Die traditionalistische Auffassung, wonach staatliche Schulden grundsätzlich die Inflation befördern und immer schlechte Schulden sind, ist ökonomisches Denken der Neunzigerjahre“, kritisiert er. (Denn bis etwa in die Neunzigerjahre verschuldeten sich die Unternehmen in ausreichendem Maße, während sie jetzt Nettosparer sind.) Vielmehr brauche es, so Hüther “eine Investitionsoffensive in Straßen, Brücken, Kommunikations- und Energienetze und in die Klimawende in der Industrie.“ Gleichzeitig widersprach Hüther auch der so unsinnigen wie populären Behauptung von Lindner & Co, dass Staatsschulden zu Lasten der kommenden Generationen gingen: Das Gegenteil stimme, “es liegt im Interesse der nächsten Generation, dass wir ihnen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, eine moderne Infrastruktur und einen lebenswerten Kontinent hinterlassen.” Wenn Deutschland viel zu wenig Geld in seine Schulen, Verkehrsverbindungen oder die Digitalisierung stecke, wären es die nächsten Generationen, die am meisten darunter litten, während sie von getätigten Investitionen am meisten profitierten.

Alles von A bis Z richtig, nur hätte Hüther es seit Jahren sagen müssen – aber da wurde die Politik der schwäbischen Hausfrau in Deutschland von keinem führenden Wirtschaftsforschungsinstitut in Frage gestellt. Einzig der “Wirtschaftsweise” Peter Bofinger teilte Paul Samuelsons Meinung, dass Sparen (nicht Sparsamkeit) des Staates volkswirtschaftlicher Unfug ist. Aber erst jetzt, da dieser Unfug, (der im Vergleich mit den USA stets messbar war,) schmerzhaft spürbar wird, wagen Ökonomen ihn entsprechend zu benennen.

In Summe wird sich Lindners Sparbudget in Zeiten erhöhter Zinsen in einem deutlichen Minus des deutschen Wirtschaftsoutputs niederschlagen und das wird Österreich entsprechend spüren. Wie sehr, wird von unserem Budget abhängen. Erfreulicher Weise hat Karl Nehammer erklärt, dass er Sparbudgets in Zeiten nicht ausgestandener Krisen für verfehlt hält – aber Finanzminister Magnus Brunner hat bisher wie Lindner stets die rasche Rückkehr zum Sparen gefordert. Auch Österreichs Industrielle hinken ihren deutschen Kollegen hinterher: Sie halten die “Agenda Austria” für einen Thinktank, der ihre Interessen optimal vertritt. In Wirklichkeit ist die von der “Agenda Austria” vehement vertretene Staatsschuldenbremse für die Industrie exakt so hinderlich wie Hüther es beschreibt: Der Staat ist einer ihrer größten Auftraggeber – wenn er ihr, um zu sparen, weniger Aufträge gibt, muss es ihr schaden.

PS: Der “Vater der Atombombe”, Leó Szilárd, ist nicht, wie ich vorige Woche schrieb, an Krebs gestorben. Den vermochte er dank selbst ersonnener Kobaltbestrahlung zu besiegen, doch erlag kurz darauf einem Herzinfarkt.

 

 

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Die EZB hat die Rezession geschafft

Die raschen, massiven Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank verringern die Teuerung weit weniger als sie die Rezession befördert haben.

Die von mir ob der Zinspolitik der EZB prophezeite Rezession hat nach Deutschland auch Österreich erreicht. Ausgangspunkt des Übels waren die Maastricht-Kriterien, die den Ausgaben des Staates und damit auch seinen Investitionen in die Wirtschaft wachstumsfeindliche Grenzen setzen. Um dieses Manko zu lindern, fuhr die EZB eine Politik billigen Geldes und verstärkte sie in der Finanz- und der Corona-Krise mit Erfolg durch “Quantitative Easing” (QE): Strafzinsen zwangen Banken, rasch günstige Kredite zu gewähren. “Inflation” erzeugte QE durch zehn Jahre nie, weil es den von Milton Friedman behaupteten Zusammenhang zwischen ihr und erhöhter Geldmenge in dieser Form nicht gibt. Die Eurozone erholte sich von beiden Krisen solange kräftig, bis der “Maastricht” verschärfende Spar-Pakt die Erholung kräftig bremste. Als Russland Geld für den geplanten Ukraine-Krieg brauchte und sich 2020 mit der OPEC auf eine massive Drosselung der Ölförderung einigte, kam es jedoch zu der Verteuerung aller Güter mit der wir bis heute kämpfen. Eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds (IWF) weist nach, dass Unternehmen die Preise darüber hinaus zusätzlich erhöhten, um ihre Gewinnmargen zu wahren, oft auch kräftig auszuweiten.

EZB -Chefin Christin Lagarde fuhr die lockere Geldpolitik angesichts ihrer relativen Problemlosigkeit (dass sie die Preise von Gold, Aktien und City-Baugrund hochtrieb war ein tragbarer Nachteil) ursprünglich nur sehr vorsichtig zurück – noch 2021 warnte sie vor “Inflationspanik”. Doch Mitglieder des Direktoriums, voran aus Deutschland, und entsprechender medialer Druck verunsicherten sie derart, dass sie schließlich die Sicht ihrer Kritiker übernahm und sich von der geldpolitischen Taube zum Falken wandelte: sie hob die Zinsen rasch und deutlich an, obwohl rätselhaft ist, warum eine Geldpolitik, die durch zehn Jahre fast mit Deflation verbunden war, Inflation verursacht haben soll.

Doch die Kritik an Lagarde strapaziert mit Erfolg ein unbrauchbares Beispiel: Die US-Notenbank FED, die drei Jahre vor der EZB mit QE begann, fuhr diese Geldpolitik schon 2017 in kleinen Schritten zurück, denen 2020 große folgten. Nur dass man USA und Eurozone nicht vergleichen kann: im Gegensatz zur Eurozone haben die USA die Wirtschaftseinbrüche durch Finanz- und Corona-Krise restlos verdaut, ihre Wirtschaft boomte und vor allem die Löhne waren unter Donald Trump und Joe Biden massiv gestiegen – das mag tatsächlich Mit-Ursache der US- Inflation sein und wird laut Lehrbuch mit erhöhten Zinsen bekämpft, weil sie die Arbeitslosigkeit steigern und damit Lohnforderungen erschweren. In der Eurozone hingegen sind die Löhne dank deutscher “Lohnzurückhaltung” mehrheitlich zurückgeblieben und konnten daher unmöglich Motor einer Inflation sein. Dass die EZB die Zinsen sowohl unter einer falschen theoretischen Annahme, wie unter Voraussetzungen die sich von denen der USA total unterschieden, kräftig anhob, musste zu Rezession führen.

Unter dem Titel ” Die EZB fährt die Wirtschaft an die Wand”, beschreibt der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck Deutschlands aktuelle Lage so: “Es gibt Indikatoren, die der deutschen Industrie ein ähnlich verheerendes Szenario wie zu Zeiten der Finanzkrise oder des Corona-Schocks vorhersagen. Der Bericht der EZB über die Kreditvergabe der Banken zeigt, wie rasant die Vergabe an Unternehmen sinkt. Doch die Verantwortlichen in Regierung und Zentralbank wollen nicht wahrhaben, wie fundamental sie mit ihren Prognosen daneben lagen.” In Österreich, das Deutschland zum größten Handelspartner hat, sieht die Industriellenvereinigung die wirtschaftliche Lage nicht anders. Gleichzeitig kritisiert nur Stephan Schulmeister die verfehlte Politik der EZB; wie Deutschlands Finanzminister Christian Lindner will Magnus Brunner nicht von der “Schuldenbremse” steigen; und hier wie dort träumen Wirtschaftsforscher grundlos von einer Erholung 2024: die USA werden mit erhöhten Zinsen keine Konjunkturlokomotive sein; China kämpft mit den Folgen der Corona-Politik Xi Jinpings; und in der EU wurde der Spar-Pakt nur insofern gelockert, als die Mitglieder ihr Sparziel nicht so schnell erreichen müssen. Nach Mega-Investitionen, wie Joe Biden sie zumindest teilweise durchsetzte, sieht das nicht aus.

Im ihrem neuen Irrglauben, nicht Russland- bedingte “Teuerung”, sondern echte Inflation, wie überhöhte Löhne sie verselbständigen, zu bekämpfen, erklärte Christine Lagarde im März, dass die von den Arbeitnehmern geforderten Lohnerhöhungen den Inflationsdruck erhöhten und sie zwingen könnten, die Zinsen weiter anzuheben – was sie soeben getan hat. Die gleiche Position vertrat der IWF, auch wenn der wusste, dass nur erhöhte Gewinne die EU-Teuerung verstärkten. Unter diesen Vorzeichen stehen die aktuellen Lohnverhandlungen. Unsere Gewerkschaften vermochten durch zwei Jahrzehnte keine adäquaten Löhne durchzusetzen, weil das lohnzurückhaltende Deutschland unser größter Handelspartner ist. Das ist es auch weiterhin, sodass WIFO -Chef Gabriel Felbermayr nicht Unrecht hat, wenn er meint, dass Deutschlands Lohnerhöhungen den unseren Grenzen setzen. Sie fallen dort derzeit im Verhältnis zur Vergangenheit relativ kräftig aus und vermeiden ein allfälliges Risiko Inflationsdruck zu erzeugen mittels zusätzlicher hoher Einmalzahlungen. Bei uns kann das kaum anders sein.

ein

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Immerwährend gentechnikfrei?

Die EU will mit moderner Gentechnik hergestellte Nahrungsmittel nicht mehr diskriminieren. Österreich ist dagegen. Die Folgen können kostspielig sein.

Die EU-Kommission schlägt vor Agrarprodukte, die mit der Genschere CRISPR/Cas9 hergestellt
werden, in Zukunft nicht mehr anders als konventionell hergestellte zu behandeln. Sie begründet das
damit, dass es mit der Genschere ein neues gentechnisches Instrument von nie dagewesener Präzision
gibt, das es ermöglicht, die Gene von Nutzpflanzen so zu verändern, dass sie allen gewünschten
Anforderungen genügen und sich nicht von natürlich gezüchteten unterscheiden. Diese Möglichkeit sei
angesichts des Klimawandels von überragender Bedeutung, um die wachsende Weltbevölkerung zu
ernähren. In Österreich, wo jedes Nahrungsmittel als “gentechnikfrei” beworben wird, musste das auf massiven Widerstand stoßen. Umwelt-Ministerin Leonore Gewessler sieht keine Möglichkeit, der Kommission zuzustimmen und nennt deren Argumente “vorgeschoben” – ich halte sie mit Deutschlands Forschungsministerin Bettina Schwarz Watzinger (FDP) für zutreffend.
Normalerweise warnen die Grünen zu Recht eindringlich vor der Veränderung der landwirtschaftlichen Bedingungen durch den Klimawandel: Die Böden werden trockener, die Schädlinge nehmen zu. Dass das negativen Einfluss auf Ernteerträge hat, scheint mir kein gewagter  Fehlschluss. Eine aktuelle Studie im Fachblatt “Nature Food” kommt zu dem Ergebnis, dass Dürren und veränderte Regenmuster schon in den nächsten 20 Jahren zu Ertragseinbrüchen bei Grundnahrungsmitteln wie Mais oder Reis führen werden. Ich bin seit den Vorhersagen des Club of Rome, was Zeiträume betrifft vorsichtiger, aber dass das grundsätzlich zutrifft, bezweifle ich nicht.
Die Menschen haben aber auch schon vor dem industriebedingten Klimawandel zu Recht versucht,
den Ertrag ihrer Nutzpflanzen zu steigern. Durch Jahrhunderte gelang das nur sehr langsam und mühsam: Man musste nach Pflanzen suchen, die durch zufällige Mutationen, wie sie in der Natur ständig vorkommen, vorteilhafte Eigenschaften, etwa besonders viele Körner in der Ähre eines Getreides aufwiesen, um sie miteinander zu kreuzen. In der Neuzeit ging es um Einiges schneller, indem man durch radioaktive Bestrahlung Mutationen beförderte und dann die Pflanzen zur Kreuzung auswählte, die eine der gesuchten Eigenschaften zeigten. Jetzt erledigt die Genschere dergleichen viel schneller und präziser, indem man das gewünschte Gen einfügt. Man kann Pflanzen sowohl ertragreicher wie widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder höhere Temperaturen machen. Gleichzeitig gibt es keinen logischen Grund, exakt gezielte Eingriffe in die Genetik für gefährlicher zu halten als Mutationen, wie sie in der Natur ständig und durch natürliche Radioaktivität oder aktive radioaktive Bestrahlung gehäuft, stattfinden. Das Horrorszenario der Gentechnik-Gegner – eine ungenießbare gentechnisch veränderte Pflanze, die alle anderen Pflanzen verdrängt, wird schwerlich mit der Genschere entstehen, von der man genau weiß, wo sie ansetzt – viel eher kann eine eine zufällige natürliche Mutationen eine solche Pflanze hervorbringen.
“Es ist längst machbar, Mais, Soja oder Reispflanzen so herzustellen, dass sie weniger Pestizide zu ihrem Schutz brauchen und gleichzeitig ertragreicher und gehaltvoller sind”, urteilt die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten -Scheid vom Gregor-Mendel-Institut der österreichischen Akademie der Wissenschaften exakt wie die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie spricht von einer
regelrechten Revolution der Biologie: “Die Liste der Kulturpflanzen, die dank CRISPR verbesserte
Eigenschaften aufweisen, wird jeden Monat länger.” Es gibt bereits Reispflanzen, die immun gegen
Schädlinge sind, aber man versucht auch sehr Spezielles: Japanische Forscher arbeiten an Tomaten, die gesundheitsfördernde Antioxydanten produzieren. “CRISPR wird zudem ein demokratisierendesWerkzeug sein”, sagt die Molekularbiologin Jennifer Doudna, die gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier für die Entdeckung der Genschere den Nobelpreis erhielt: "Wir entwickeln Möglichkeiten, CRISPR auch bei Pflanzen einzusetzen, die in kleinen Betrieben oder nur in bestimmten Teilen der Welt angebaut werden. So lassen sich auch lokal Probleme angehen."
All dem stehen in der EU restriktive rechtliche Regelungen entgegen. Nach einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs aus 2018 unterliegen Pflanzen, die mit Hilfe von CRISPR gezüchtet wurden, auch wenn sie keine artfremden Gene enthalten, strengsten Anbau – Auflagen. Die genetische
Veränderung einer Pflanze mittels Röntgenbestrahlung wurde hingegen als unbedenklich eingestuft, obwohl sie weit weniger präzise ist: Radioaktiv genetisch veränderte Nahrungsmittel werden in
Österreich daher seit Jahren problemlos verkauft. “Diese Unterscheidung ist wissenschaftlich nicht
haltbar”, kritisiert Mittelsten -Scheid. “Wir sollten uns nicht mehr fragen, was die Folgen der Nutzung
von CRISPR sein könnten, sondern was passiert, wenn wir dieses Werkzeug nicht nutzen.”
Sollte Gewessler mit ihrem Widerstand EU-weit Erfolg haben, droht Europas Agrarindustrie in
absehbarer Zeit mangelnde Konkurrenzfähigkeit. Sollte sie nur erreichen, dass Österreich weiterhin
darauf bestehen kann, dass gentechnisch hergestellte Nutzpflanzen hierzulande nicht angebaut werden
dürfen und dass Nahrungsmittel, die sie enthalten, gekennzeichnet werden müssen, so werden sie nur
etwas teurer als bisher sein.

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