Nur eine klare Mehrheit ist effizient

Weitere Argumente für die Dringlichkeit eines Mehrheitsfördernden Wahlrechts

„Alle großen Fortschritte hat Österreich unter Alleinregierungen gemacht.“

 Christian Kern hat die Diskussion über ein Mehrheitsförderndes Wahlrecht angestoßen, obwohl sein Modell die FPÖ im Moment zur alleinregierenden Partei machen würde. Ich halte dieses Modell (nicht deshalb) wie die meisten Kollegen für ungeeignet, aber es wäre eine Katastrophe, wenn die Diskussion schon wieder versiegte.

Denn die Unzufriedenheit mit der ewigen rot-schwarzen Koalition war noch nie so groß. Eva Linsinger hat ihr Grundproblem bereits präzise formuliert: SPÖ und ÖVP vertreten in wesentlichen Politikfeldern diametrale Positionen – sie können dort nur Kompromisse erzielen. Oft im Wege absurder Tauschgeschäfte: mehr Ganztagsschulen für geringere Sozialversicherungsbeiträge der Bauern. Und nicht selten zu hohen Kosten: So stand etwa der VP-Forderung nach „voller Privatisierung“ der AUA unüberwindbar die SP-Forderung nach einer „österreichischen Sperrminorität“ entgegen; am Ende musste die Fluggesellschaft mit 500 Millionen Verlust verschenkt werden, statt dass sie für ein paar Hundert Millionen verkauft worden wäre.

Ähnlich schwer lassen sich funktionierende Kompromisse zwischen „möglichst viel Föderalismus“ und „mehr zentraler Entscheidung“ oder „differenziertem Schulsystem“ und „Gesamtschule“ finden. Nicht einmal der Abtausch verringerter Lohnsteuern gegen erhöhte Vermögenssteuern war möglich. Denn um ihre Kernwähler bei der Stange zu halten, müssen beide Parteien ihre diametralen Positionen auch noch schärfen: „Mit uns keine neuen Steuern“, „Mit uns kein Ausverkauf des Tafelsilbers“.

Statt dass die Regierung ein einheitliches Konzept vertritt und die Opposition es infrage stellt, vertritt die Große Koalition einen undurchsichtigen, vielfach unvereinbaren Mischmasch, und ihre Partner sind einander die heftigste Opposition.

Das macht effizientes Regieren so schwierig wie möglich.

Dass die Große Koalition dennoch so lange einen so guten Ruf besaß, lag an ihrer Bewährung in Ausnahmesituationen, in denen äußere Anlässe gleichgerichtetes Handeln erzwangen: Als beide Parteien nach 1945 Österreichs Interessen gegen die Besatzer vertreten mussten; als sie 1994 den Beitritt zur EWG erreichen wollten; und meines Erachtens auch, als sie 2009/10/11 die Weltwirtschaftskrise überwanden.

Alle anderen großen Fortschritte hat Österreich unter Alleinregierungen gemacht: Die VP-Alleinregierung Josef Klaus’ hat die mit der SPÖ undurchführbare Privatisierung der Verstaatlichen Industrie eingeleitet; der SP-Alleinregierung Bruno Kreiskys danken wir eine mit der ÖVP undurchführbare Strafrechts- und Familienrechtsreform und einen beispiellosen wirtschaftlichen Überholprozess. Wenn es in Deutschland trotz eines mehrheitsfreundlicheren Wahlrechts für keine Alleinregierung reicht, hat die CDU/CSU in der FDP und die SPD in den Grünen und der Linken gleichgesinnte Partner, um relativ homogene Koalitionen zu bilden.

In Österreich sind ÖVP wie SPÖ auf die FPÖ angewiesen, um eine regierungsfähige Mehrheit zu erlangen. Und die hat sich – das ist das Drama – als so unfähig wie korrupt erwiesen. Deshalb sind sowohl Fred Sinowatz wie Wolfgang Schüssel in dieser Konstellation gescheitert. Deshalb gibt es seit 2005 prompt wieder die inhomogene schwarz-rote Koalition.

Man kann in Wahlen deren Zusammensetzung etwas verändern – abwählen kann man sie ohne das Risiko einer inhomogenen Beteiligung unfähiger Blauer nicht.

Dieser Zustand widerspricht dem Sinn von Wahlen.

Karl Popper („Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“) fasste diese Kritik kurz vor seinem Tod in einem Artikel für den „Economist“ zusammen: So wie es für die Wissenschaft entscheidend sei, Thesen zu falsifizieren, sei es für die Politik entscheidend, Regierungen, die sich nicht bewähren, abwählen zu können. Das jeweilige Programm einer Partei sei so etwas wie ihre aktuelle gesellschaftliche These, deren Anwendung die jeweilige Regierung über eine Legislaturperiode hinweg erprobe. Die Wahl diene dazu, Programme (Thesen), die sich nicht bewährt haben, zu verwerfen (zu falsifizieren).

Das funktioniert nur, wenn eine Partei ihr Programm auch verwirklichen kann und eindeutig verantwortet. Und das kann sie nur, wenn das Wahlrecht sie im Normalfall allein regieren lässt.

Dass sie dann trotzdem nicht alles auf den Kopf stellen kann, verhindern etwa in Großbritannien massiv gestärkte Rechte der Opposition und die Verfassung, die in den wesentlichsten Bereichen – aber nur in diesen – die übliche Zweidrittelmehrheit vorsieht.

Grüne oder NEOS opponieren vermutlich dennoch – und gegen Kerns Modell aus ihrer Sicht zu Recht: Es drängte sie völlig aus dem Spiel. Im Gegensatz zum mehrheitsfördernden französischen Wahlrecht, das ihnen sehr wohl Lebensraum, Einfluss und Chancen beließe: Sie könnten in jedem Wahlkreis Kandidaten zur Wahl stellen. Die könnten, wie Daniel Cohn-Bendit, die absolute Mehrheit erringen oder bei der Stichwahl durch ihre Empfehlung über den Sieger entscheiden.

Nicht, dass das schon der Stein der Weisen sein muss – aber es ist ein brauchbarer Ausgangspunkt für eine dringende Diskussion.

 

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Mein Gott, Schelling

Er vertritt auch die wirtschaftlich widersinnigste These der ÖVP mit der größten Vehemenz.

Manchmal muss man einen Kommentar schon wenige Tage, nachdem man ihn geschrieben hat, korrigieren. Im Zusammenhang mit meiner Analyse der Verweigerung von Vermögenssteuern durch die ÖVP wollte ich freundlich zu Finanzminister Hans Jörg Schelling sein und ihn nicht, wie so gut wie alle schwarzen Medien, den roten EU-Mandatar Eugen Freund, (der das Durchschnittsgehalt eines österreichischen Arbeiters um ein Drittel zu hoch eingeschätzt hatte) durch Sonne und Mond schießen, weil er behauptet hatte, dass die Verwaltung einer Erbschaftssteuer mehr koste als sie einbringt. Obwohl es hundertmal so falsch ist – es kostet maximal ein Prozent. Schelling, so schrieb ich, „wusste, wie sehr die ÖVP diese Steuer ablehnt. Er wagte nicht ein schwarzes Dogma in Frage zu stellen.“

Ich hätte schreiben müssen: Er hat keine Ahnung von Basisdaten seines Ressorts. Und er vertritt auch die wirtschaftlich widersinnigste These der ÖVP mit der größten Vehemenz.

Denn unmittelbar nachdem ich meinen Text geschrieben habe, verkündete er in einer eigens einberufenen Pressekonferenz als „Pakt für Österreich“: „Es wird mit mir als Finanzminister keine neuen Steuern geben. Keine Vermögenssteuer, keine Erbschaftssteuer und auch keine Wertschöpfungsabgabe.“

Das alles sagt er, wie immer mit dem Gewicht seiner imposanten Person und der Autorität eines Mannes, der es zum Millionär gebracht hat und in den Augen der Bevölkerung daher besonders viel von Wirtschaft versteht. Tut er auch: Er versteht viel von Betriebswirtschaft und für Leute, die es, wie er, mit ihrem Betrieb zum Millionär gebracht haben ist es zweifellos von Vorteil, wenn es „keine Vermögenssteuern, keine Erbschaftssteuer und auch keine Wertschöpfungsabgabe“ gibt.

Die Frage ist nur, ob das auch für eine Volkswirtschaft und die Mehrheit der Bevölkerung zutrifft – auch wenn es in Österreich mit 135 Millionären auf tausend Einwohner die größte Millionärsdichte der Welt gibt?

Es geht ausschließlich um die Frage, wie die Steuerlast verteilt wird

Kein mit Volkswirtschaft Befasster wird derzeit die Ansicht vertreten, Österreich möge die Steuerlast, die derzeit auf seiner Bevölkerung – egal ob Unternehmern oder Rentnern – ruht, insgesamt erhöhen. Denn sie ist schon relativ hoch – obwohl das, wie Schweden vorführt, keineswegs ein Nachteil sein muss. Dennoch tritt selbst Christian Kern derzeit für eine Senkung der Steuerquote ein. Es geht also keineswegs darum, dass die SPÖ die Steuerlast erhöhen wollte, wie die ÖVP und Schelling das suggerieren, sondern es geht ausschließlich um die Frage, wie sie verteilt wird: Ob die Millionäre davon wirklich immer weniger tragen sollen, während die breite Bevölkerung immer mehr davon trägt.

Der Vorschlag von Kern lautet, die Vermögenssteuern in dem Ausmaß anzuheben, in dem die Lohnsteuern bzw. Abgaben von allen wenig Verdienenden ermäßigt werden.

Schelling beweist leider beängstigende volkswirtschaftliche Unkenntnis – oder extremen Zynismus

Das ist unternehmerfreundlich, denn es vermindert die Lohnkosten, weil die Lohnsteuern ja letztlich von den Unternehmen aufgebracht werden müssen. Und es ist konsumentenfreundlich, weil vor allem die wenig Verdienenden das Geld, das ihnen mehr in der Tasche bleibt, sofort für Einkäufe ausgeben, was derzeit besonders wichtig ist, weil die Wirtschaftskrise auf einem Mangel an Nachfrage beruht. Dass Schelling das teilweise begriffen hat, zeigt sein Vorschlag, wenigstens die wahnwitzige kalte Progression, die die Massen zusätzlich geschröpft hat, automatisch zu kompensieren. Es ist anzunehmen, dass die SPÖ sich dem anschließt, denn es verbessert die Situation. Aber ungleich mehr verbesserte es sie, die Lohnsteuern grundsätzlich zu senken, indem man die vermögensbezogenen Steuern erhöht.

Schelling beweist leider beängstigende volkswirtschaftliche Unkenntnis – oder extremen Zynismus – indem er genau das ausschließt. Denn es gibt keinen Steuer-Experten, der nicht weiß, dass insbesondere Erbschafts- und Schenkungssteuern die Wirtschaft mit Abstand weniger als alle anderen Steuern, voran Lohnsteuern, belasten.

Ich wiederhole mich: Die Wirtschaft leidet nullkommanull darunter, dass die Erben der Herren Dichand, Wlaschek, Piech, Flick oder Schelling etwa so viel Erbschaftssteuer wie in der Schweiz, den Niederlanden oder fast jedem anderen Land der Welt bezahlen. Und die Erben können ausschließlich in die Slowakei, nach Tschechien, Estland oder Mexiko auswandern, wenn sie noch etwas weniger bezahlen wollen.

Es gibt kein vernünftiges wirtschaftliches Argument, den Tausch erhöhter Vermögens- gegen ermäßigte Lohnsteuern abzulehnen.

P.S. Auf ein von der ÖVP besonders gern gestreutes Argument möchte ich kurz eingehen, weil es mir aus Leserzuschriften besonders häufig entgegenschlägt: Wieso soll Geld, das sowieso schon einkommensversteuert wurde, beim Erben noch einmal versteuert werden? Antwort: Wenn jemand mit seinem sauer verdienten, einkommensversteuerten Geld eine Ware einkauft, zahlt er „noch einmal“ 20 Prozent Mehrwertsteuer und im Preis sind außerdem die vom erzeugenden und verkaufenden Unternehmen bezahlten Steuern enthalten – wenn er es von seinen Eltern erbt oder geschenkt bekommt, bleibt es in Österreich in noch so großer Höhe steuerfrei. Idealerweise kauft der Millionen-Erbe damit Aktien und bliebt weiterhin steuerlich relativ ungeschoren – denn von allen anderen Waren hat er ja im Allgemeinen zur Genüge.
Es ist das einer der vielen Wege, die Ungleichheit zu erhöhen, ohne dass es das Geringste mit „Leistung“ zu tun hätte.

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Das Kreuz mit den Dogmen der ÖVP

Die ÖVP beharrt auf der Ablehnung von Vermögenssteuern. Gegen alle wirtschaftliche Vernunft. Gegen jedes Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit.

Als „linkes“ Anliegen findet sich im Plan A Christian Kerns einmal mehr die Forderung nach Vermögenssteuern.
Österreich gehört, die Golfstaaten, Singapur oder Luxemburg mitgezählt zu den zwanzig reichsten Ländern der Welt. Und nirgends ist der Reichtum so konzentriert: mit 135 Millionären auf 1.000 Einwohner schlägt Österreich sogar Bahrain (123) Katar (116) oder Singapur (107).

Dennoch hat Österreich die beinahe niedrigsten vermögensbezogenen Steuern der entwickelten Welt: Unter 36 Ländern der OECD sind sie nur in Tschechien, der Slowakei, Estland und Mexiko knapp niedriger. Während sie im Schnitt der EU bei 2 Prozent liegen, liegen sie in Österreich bei 0,6 Prozent. In der Schweiz sind sie 4 mal, in den USA 6 mal so hoch.
Höhere Vermögenssteuern, meint Kern- meint die OECD, der IWF oder das WIFO – wären für Österreich daher höchst angemessen.
Doch noch bei ihrer Klausur in Pöllauberg hat Reinhold Mitterlehener für die ÖVP wiederholt: Nicht mit uns.

Erfundene Gegenargumente

Ich versuche seit Jahren vergeblich, das zu verstehen.
Hans Jörg Schelling hat erklärt, dass die Verwaltung der Erbschaftsteuer, die neben Grundssteuern die wichtigste vermögensbezogene Steuer darstellt, mehr koste als sie einbringe. Tatsächlich kostet sie in Deutschland ein Prozent des eingenommen Betrages – und die Grundsteuer auch nur 3 Prozent.

Der rote EU-Mandatar Eugen Freund ist für einen viel kleineren Irrtum durch Sonne und Mond geschossen worden. Aber ich will freundlich sein und festhalten dass diese Behauptung aus Schellings ersten Amtstagen stammt. Und dass er vor allem wusste, wie sehr die ÖVP diese Steuer ablehnt. Er wagte nicht ein schwarzes Dogma in Frage zu stellen.
Andere VP- Funktionäre haben es mit der Behauptung verteidigt, dass Vermögenssteuern selbst dort nichts Nennenswertes einbrächten, wo es sie gibt. Dazu die jüngsten Daten aus der Schweiz, deren Vermögensbezogene Steuern mit 2,4 Prozent des BIP nicht weit vom EU-Schnitt liegen: Sie hat im Vorjahr 6,5 Milliarden eingenommen – ziemlich genau den Betrag zur Gegenfinanzierung unserer Steuerreform.

Obwohl die Schweiz neben Frankreich das einzige Land ist, dass noch die rigide klassische Vermögensteuer kennt – alles, Geld, Aktien, Schmuck, selbst Briefmarkensammlungen- unterliegt ihr- hat sie kein Volksbegehren zu ihrer Abschaffung provoziert. Denn die Freigrenze liegt bei 200.000 Franken und die Schweizer sind sich ihrer niedrigen sonstigen Steuern bewusst.
Das erfolgreichste Argument der ÖVP gegen Vermögenssteuern lautet denn auch: Österreich leidet schon jetzt unter einer der höchsten Steuerbelastungen der Welt. Tatsächlich hat Österreich zwar keineswegs eine besonders hohe Steuer – wohl aber einschließlich Sozialversicherung und Gebühren hinter Dänemark gemeinsam mit Schweden die höchste Abgabenquote. Nur dass voran Schweden zeigt, wie wenig das hervorragendes Wirtschaften behindert. Die Staatsquote ist vielmehr, wie die nicht gerade linken Wirtschaftsuniversität Sankt Gallen ermittelte, in einer Langfrist-Studie ohne Einfluss auf die wirtschaftliche Performance haben: Einfluss hat nur, wie effizient der Staat mit dem ihm überlassenen Geld umgeht. Schweden offenbar sehr gut– und Österreich, wenn man seine Daten unvoreingenommen prüft, kaum schlechter.

Die wirtschaftsverträglichste aller Steuern

Aber ich merke das nur der Ordnung halber an. Bei meiner weiteren Argumentation gehe ich wie die ÖVP davon aus, dass hohe Steuer- bzw. Abgabenquoten ein schweres Übel darstellten.
Dann sind vermögensbezogene Steuern (neben ökologischen) immer noch die vernünftigsten weit und breit.
Denn unter allen Steuern sind sie – voran die Erbschafts-, Schenkungs- und Grundsteuern- die Steuern, die die Wirtschaft am wenigsten belasten. Das meine nicht nur ich, sondern auch die OECD, der IWF oder das IFO und alle denkenden Steuerexperten. Denn dass es die Wirtschaft weniger belastet, wenn die Familien Dichand, Wlaschek oder Flick für ihr Erbe oder ihre Immobilien höhere Steuern bezahlen als wenn Betriebe durch hohe Lohnsteuern (Lohnkosten) oder die Nachfrage durch hohe Konsumsteuern belastet ist, ist selbst für wirtschaftlich restlose Unkundige einsichtig.
Aus diesem rein wirtschaftlichen Grund – so argumentiert seit Jahren die OECD – müsste insbesondere eine Wirtschaftspartei dafür plädieren, dass Österreich seine Vermögens-bezogenen Steuern erhöht, um andere Steuern– am besten die Lohnsteuern- im gleichen Ausmaß zu senken. Zumal die Senkung der Lohnsteuer nicht nur die Unternehmen entlastete, sondern auch die Nachfrage und damit die gesamte Wirtschaft belebte.

Beschäftigungs- und leistungsfreundlich

Neben ihrer Wirtschaftsverträglichkeit sprechen noch folgende rein wirtschaftliche Argumente für Vermögenssteuern:
O Sie beeinträchtigen die Beschäftigung nicht. Niemand verliert seinen Job, weil Erben höhere Steuern zahlen oder Grundstücke höher besteuert werden.
O Sie sind ein Anreiz, Vermögen produktiver einzusetzen: Grundstücke, für die man kaum Steuern zahlt, hortet man. Wenn sie mit Ernst zu nehmenden Steuern belegt sind, verbaut man sie bzw. vermietet Immobilien so schnell wie möglich. Es stimmt deshalb auch nicht, dass höhere Grundsteuern automatisch höhere Mieten nach sich ziehen, weil sie auf die Mieter überwälzt werden.
O und sie fördern die von der ÖVP so dringend geforderte „Leistung“: Die Möglichkeit, sich auf ererbtem Vermögen auszuruhen, wird vermindert. Man soll durch „Leistung“, nicht dank „Geburt“ nach oben kommen.

Sofern Anständigkeit eine Rolle spielt

Nur ganz zum Schluss will ich nach all diesen wirtschaftlichen Argumenten ein „moralisches“ vorbringen: Vermögenssteuern mehren die soziale Gerechtigkeit.
Gleich ob unter den G20, in der OECD oder im IWF- nirgends zweifelt man daran, dass die immer ungleichere Verteilung der Vermögen, wie sie in Österreich exemplarisch vorliegt, das zentrale Problem der Gegenwart darstellt. Die angeführten Gremien meinen – wie ich meine mit Recht- dass sie auch das weltweite Wirtschaftswachstum gefährdet.
Aber mit Sicherheit sind die der Hintergrund des boomenden Populismus, dem nicht mehr viel zu einer Revolte fehlt.
Höhere Vermögenssteuern sind das augenfälligste Signal dafür, dass die Gesellschaft gewillt ist, dieses Verteilungsproblem zu lindern.

1) Studie der Boston Consulting Goup 2016.
2) Es gibt dazu 2011 präzise Untersuchungen von Arnold et al. im Rahmen der OECD und 2012 von Acosta Ormaechea im Rahmen des IWF.
3) Eine Studie in Baden Würtenberg ergab das Gegenteil.

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Das Behagen in der Unkultur

Die tieferen Schichten des Phänomens Trump.

Keine bisher an Donald Trump geübte Kritik hat so ins Mark getroffen wie die wenigen tränenerstickten Sätze Meryl Streeps bei der Verleihung der Golden Globes: „Es hat mir fast das Herz gebrochen, als ein Mann, der sich um das meistgeachtete Amt des Landes bewirbt, in einer Wahlkampfrede die Bewegungen eines körperbehinderten Reporters der ‚New York Times‘ nachäffte. Dieser Instinkt, zu demütigen, wird unser aller Leben durchdringen.“

Trump reagierte trump: Er nannte Streep „eine der meistüberschätzten Schauspielerinnen Hollywoods“ und bestritt, je Behinderte verspottet zu haben, obwohl das zugehörige Video ein YouTube-Bestseller ist.

Das Video der Streep-Rede wurde bis Redaktionsschluss über sieben Millionen Mal abgerufen. Aber es wird Trump so wenig schaden wie die 37 „dicken Lügen“ in einer Woche, deren die „New York Times“ ihn öffentlich zieh. Denn Schauspieler, Journalisten oder gar Intellektuelle zählen für seine Wähler einerseits zum fahrenden Volk, andererseits zu jenem Establishment, das in ihren Augen und seinen Worten dafür verantwortlich ist, „that America is going to hell“. Dass sie ihn kritisieren, nutzt Trump, statt ihm zu schaden.

Die „Zeit“ hat 18 Phänomene aufgelistet, die vielleicht verständlicher machen, dass ein Mann seines Zuschnitts Millionen hinter sich vereint. Denn die auch von mir vorrangig angeführte wirtschaftliche Erklärung stimmt zwar – die „Abgehängten“ sind der harte Kern seiner Gefolgschaft –, aber sie greift zu kurz. Ich hebe die Phänomene hervor, die mich an Österreich erinnern.

Gesichert ist, dass ältere, weiße, evangelikale, autoritär gesinnte Männer die große Mehrheit seiner Wähler bilden. (Gemäß einer eingehenden Studie wählten 60 Prozent aller autoritär Gesinnten Trump.) Ihre Schulbildung und ihr Einkommen ist wie bei der FPÖ relativ geringer, aber wie unter den Freiheitlichen gibt es auch unter ihnen bestens Ausgebildete und Wohlhabende. Nur fürchten sie nicht weniger als der Mittelstand, dass dieser Wohlstand akut bedroht ist. Zu 70 Prozent sind sie der Meinung, dass sich Kultur und Lebensart überwiegend zum Negativen verändert haben. Zu 83 Prozent sind sie der Überzeugung, das Land müsse besser vor äußeren Einflüssen geschützt werden und die Politik sei dazu nicht mehr in der Lage. Das ist nur Donald Trump.

So wie sich das Gefühl der Bedrohung hierzulande auf den Flüchtlingsstrom aus Afrika konzentriert, konzentriert es sich in den USA auf Mexikaner. In Rudeln organisierten Lebewesen – und das sind wir – sträuben sich die Haare, wenn Rudelfremde in ihr Revier eindringen. In der Steinzeit richtete sich unsere Aggression gegen jeden, der nicht in derselben Höhle lebte. Es dauerte Jahrtausende, bis unser Wir-Gefühl zuerst die Sippe, dann den Stamm und schließlich das uns durch Sprache, Religion und Kultur verbundene Volk umfasste. Fremde Völker als gleichberechtigt zu erachten, ist historisch gesehen ein Experiment der letzten Sekunde.

Bei jedem Menschen – auch bei mir, der in Bezug auf Flüchtlinge zu den „Gutmenschen“ zählt, denn ich habe zeitlebens Flüchtlinge in meine Wohnung aufgenommen – gibt es den Moment, in dem man „nicht noch mehr Ausländer“ in der nächtlichen U-Bahn sehen will. Bei Menschen, die fürchten müssen, dass „Fremde“ ihnen Wohnraum und Jobs streitig machen, ist diese Grenze entsprechend früher erreicht.

Sie sehen in Donald Trump „endlich einen, der sich traut, die Wahrheit zu sagen“, wenn er Mexikaner als Dealer und Kriminelle verteufelt, obwohl sie in der Kriminalitätsstatistik so unauffällig sind wie bei uns asylberechtigte Syrer.

Sie glauben, dass nur er sie wirksam schützen kann, indem er eine Betonmauer gegen Mexikaner und eine Zollmauer gegen Chinesen errichtet.

Das trauen sie ihm nicht zuletzt zu, weil er so „ganz anders als alle“ ist – von der grellen Frisur über den grellen Reichtum bis zum grellen Aufstand gegen die „political correctness“, mit dem er ihnen aus der Seele spricht: Natürlich irritiert sie, dass Feministen das Patriarchat infrage stellen; dass ihre „Ehe“ nicht mehr als die Verbindung zweier „Schwuchteln“ wert sein soll; dass „Neger“ Präsidenten statt Butler werden oder dass manche Leute kaum Unterschiede zwischen Christentum und fremden Religionen sehen. Das überfordert – wie in Österreich – vor allem Teile der Landbevölkerung: Es ist ihnen zu viel „Öffnung“ in zu kurzer Zeit.

Meryl Streep sieht es wahrscheinlich noch ein Stück tiefer, wenn sie sagt, Trumps Nachäffen eines Behinderten hätte voll und ganz seinen Zweck erfüllt: Die Leute hätten „gelacht und die Zähne gezeigt“.

Primaten – und das sind wir – möchten Behinderte wenigstens gelegentlich „nachäffen“. Möchten wie Trump beliebig viele Frauen aufs Kreuz legen. Möchten wie er möglichst viel an sich raffen und als Alpha-Tier sich gegen die Brust trommeln. Ohne sich schuldig zu fühlen.

Sigmund Freud hat im Zusammenhang mit den ethischen Beschränkungen, die uns die Zivilisation auferlegt, vom Unbehagen in der Kultur gesprochen. Donald Trump hat seinen Wählern das Behagen in der Unkultur entdeckt.

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„Postfaktische“ Neuwahlen

Van der Bellen führt sie nicht herbei, der SPÖ nutzen sie nicht, die ÖVP muss sie fürchten „Kurz hat das Zeug dazu, der FPÖ fünf bis zehn Prozent Wähler zu Gunsten der ÖVP abzunehmen.“

Das neue Jahr steht medial unter neuen Vorzeichen: Die Zahl der Journalisten, die die Regierung jeden zweiten Tag auseinander brechen sehen, wird sich stark verringern. Ich persönlich halte baldige Neuwahlen für nahezu ausgeschlossen.

  • Im Gegensatz zu Norbert Hofer wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen sie der FPÖ sicher nicht bescheren.
  • Der SPÖ nützten sie nur, wenn sie ihr die Möglichkeit einer regierungsfähigen rot-grün-pinken Koalition eröffneten– das geht sich nach allen Umfragen um Längen nicht aus.
  • Restlos kontraindiziert sind baldige Neuwahlen für die ÖVP. Sie liegt derzeit um die 20 Prozent und könnte bei einem von ihr provozierten vorzeitigen Wahlgang noch darunter zu liegen kommen. Dann reichten ihre Mandate womöglich nicht einmal mehr aus, einer FPÖ-geführten Regierung die Mehrheit zu sichern. Ganz abgesehen davon, dass nie ausgeschlossen wäre, dass FPÖ und SPÖ zusammenfinden.

Die ÖVP kann gar nichts anderes wollen, als möglichst viel Zeit, um stärker zu werden.

Reinhold Mitterlehner hat richtig geschlossen, dass sie am ehesten stärker werden kann indem sie zur FPÖ abgewanderte Wähler zurückgewinnt: „Die FPÖ ist unser Hauptgegner“. Mehr noch: „Wir müssen Strache als Kanzler verhindern.“

Diese Aussage ist – erstmals- ein Bekenntnis zu schwarz-roter Zusammenarbeit auch nach den Wahlen. Christian Kern denkt trotz seines freundlicheren Umgangs mit Strache sicher nicht anders. Beide Parteien müssen daher unverändert alles tun, um die Österreicher davon zu überzeugen, dass ihre Zusammenarbeit besser funktioniert, als die meisten Medien sie darstellen. Ich behaupte, dass eine seriöse Wertung der Wirtschaftsdaten sehr wohl eine gute Regierungsleistung ergibt und ärgere mich über Kollegen, denen es offenkundig Lust bereitet, möglichst häufig das Wort „Versagen“ zu gebrauchen. Leider liefern ihnen VP-Funktionäre dazu oft besser Aufhänger als Strache – von Christoph Leitl, der Österreich unbegründet „absandeln“ lässt (um es derzeit auf Grund ebenso lächerlicher „Rankings“ wieder hochleben zu lassen) bis zu Reinhold Lopatka oder Wolfgang Sobotka, die statt der blauen Opposition fast durchwegs den roten Koalitionspartner attackieren.

Dabei hat die Wahl Alexander Van der Bellens eines sehr wohl gezeigt: Die gewollte Zukunft ist längst nicht schwarz-blau. Straches Behauptung, dass sich die Mehrheit der Österreicher einen Wechsel zu einer FP-dominierten Regierung wünscht, widerspricht der Wahrheit. Die Wähler der Grünen und der Neos wollen diesen Wechsel sicher nicht. Die Wähler der SPÖ wollen die FPÖ ausschließlich als Juniorpartner. Die Wähler der ÖVP sind gespalten: Die ca. 53 Prozent, die Van der Bellen statt Hofer gewählt haben, wollen Strache sicher auch nicht als Kanzler.

Die Wahrheit lautet: Es gibt eine klare Mehrheit, die ausdrücklich nicht von Straches FPÖ regiert werden will.

Das Problem besteht darin, sie wieder vorrangig hinter SPÖ und ÖVP zu vereinen. Das ist nur durch funktionierende Zusammenarbeit in den nächsten Monaten zu erreichen- und danach durch den geordneten Wechsel von Reinhold Mitterlehner zu Sebastian Kurz.

Kurz ist der derzeit glaubwürdigste Politiker Europas, wenn es um die Bewältigung des Flüchtlingsproblems geht: Ausschließlich seiner Initiative ist die Schließung der Balkan-Route zu danken, die Österreich geordnete Grenz – Verhältnisse beschert und Angela Merkel vor dem Rücktritt bewahrt hat. Auch alles, was er der EU für ihr weiteres Vorgehen anrät -die Verlagerung der Asyl-Auslese nach Ägypten, Marokko, Tunesien und Libyen- mag in den Ohren mancher Menschen „unmenschlich“; klingen, ist es aber nicht: Nur so lässt sich vermeiden, dass Afrika den initiativsten, am besten ausgebildeten Teil seiner Bevölkerung durch Abwanderung verliert, und dass Europa in rechtsradikales Chaos versinkt.

Kurz denkt Probleme einen Schritt weiter als viele andere Politiker – und er weiß seine Gedanken in klare Worte zu fassen.

Ob er auch bezüglich der Türkei Recht behält muss sich erst zeigen – es gibt gute Gründe die Beitrittsverhandlungen nicht einzufrieren und gute Gründe es sehr wohl zu tun. Dass Teile der österreichischen Bevölkerung die Türkei auch dann nicht in der EU haben wollten, wenn sie ein demokratischer Rechtsstaat wäre, ist ein anderes bedauerliches- Kapitel. Dass Kurz´ Haltung gegenüber der Türkei formal mit der der FPÖ übereinstimmt ist im konkreten Fall von Vorteil; es ist ein weiterer Grund von ihr zu ihm überzulaufen.

Zusammengefasst: Kurz hat das Zeug dazu, der FPÖ fünf bis zehn Prozent Wähler zu Gunsten der ÖVP abzunehmen. Das reicht, um ÖVP und SPÖ gemeinsam wieder über 50 Prozent kommen zu lassen.

Sofern er vermeiden kann, sich mit Kern im Stil Lopatkas um Platz Eins zu streiten (statt fair zu duellieren) ergibt das für SPÖ und ÖVP eine seriöse Chance, Österreichs Politik wieder zu dominieren.

 

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Sprachlos – das Lesedesaster

Es wird mindestens ein Jahrzehnt dauern, bis Österreichs Kinder wieder lesen können.

Nach dem jüngsten PISA-Schock meinte Josef Votzi im Kurier, PISA sei zum Test für den Fortbestand der rot-schwarzen Koalition geworden. Die Öffentlichkeit erwartet baldige PISA-Besserung- aber diese Erwartungshaltung ist unrealistisch. Bildungs-Rückstände lassen sich nur im Verlauf vieler Jahre aufholen. Vor allem, wenn sie so massiv sind wie bei der Lesekompetenz österreichischer Schüler. (Die zwangläufig auf alle anderen Gegenstände rückwirkt: Wie soll man Mathematik-Aufgaben lösen, wenn man sie nicht lesen kann?

Was PISA in Ziffern ausweist, möchte ich aus persönlicher Erfahrung hautnäher illustrieren: Vor dreißig Jahren habe ich (ursprünglich, um künftige profil-Leser heranzuziehen) die Jugendzeitschrift TOPIC gegründet, die sich damals an Acht- bis Zwölfjährige gewendet hat. Um zu prüfen, ob sie die Texte auch verstehen, habe ich sie einem Dutzend Achtjähriger zu lesen gegeben und erst zum Druck befördert, als sie damit keinerlei Probleme hatten.

Man hat der Erosion der Sprachkompetenz durch gute dreißig Jahre tatenlos zugesehen.

Heute wendet sich TOPIC an Schüler zwischen zwölf und vierzehn, von denen es etwa die Hälfte jedes Jahrganges erreicht. Doch ich gebrauche den gleichen Wortschatz wie seinerzeit für die Achtjährigen – und dennoch sagen mir Lehrer, dass ein Viertel der Schüler die Texte nicht versteht. In Wien selbst in AHS-Klassen.

Man hat der Erosion der Sprachkompetenz durch gute dreißig Jahre tatenlos zugesehen.

Stattdessen diskutierten SPÖ und ÖVP Sinn oder Unsinn der Gesamtschule. An den Kriterien Karl Poppers für „Wissenschaft“ gemessen kam dabei Folgendes heraus: Die schwarze Behauptung, dass Gymnasien unverzichtbar sind, wird durch Finnlands PISA-Erfolg Jahr für Jahr falsifiziert. Aber kaum minder falsifiziert das gute Abschneiden Bayerns oder der Schweiz die rote Behauptung, dass nur die Gesamtschule funktioniert. Es kommt offenkundig weniger auf den beschrittenen Weg als auf dessen jeweilige Ausgestaltung an. (Bayern z.B. bildet Lehrkräfte noch länger als selbst Finnland aus.)

Deshalb halte ich es für einen solchen Fortschritt, dass Sonja Hammerschmid unter die ideologische Auseinandersetzung links liegen lässt und praktischen Verbesserungen Vorrang einräumt.

Erst hinter der Verbesserung der Volksschule rangieren Maßnahmen in den NMS, AHS usw.

Lesen hat man zu meiner Zeit nicht in der AHS, NMS oder Hauptschule gelernt, (die jetzt im Zentrum der Kritik stehen, weil dort die schlechten PISA-Ergebnisse eingefahren werden), sondern in der Volksschule. Dorthin, in die Volksschule, gehören daher bestens geschulte und deshalb auch bestens bezahlte LehrerInnen. Die künftig längere und intensivere Ausbildung aller LehrerInnen trägt dem Rechnung- aber sie wird erst in Jahren PISA-Früchte tragen.

Erst hinter der Verbesserung der Volksschule rangieren Maßnahmen in den NMS, AHS usw. Dort braucht es Stützlehrer, die sich sprachschwacher Kinder individuell annehmen. Ihre Stundenzahl ist seit 2012 Spar-Pakt- bedingt zurückgefahren worden, was ich leider nur schwachsinnig nennen kann.

Es wird am Finanzminister liegen, die Zahl dieser Stunden wieder zu erhöhen.

Keine Lösung ist m.E. die „Neue Mittelschule“ in ihrer derzeitigen Form: Zwei Lehrer in der gleichen Unterrichtstunde bringen allenfalls dann etwas, wenn sie für diese Art des Unterrichtens speziell geschult sind. Nach meinen Erfahrungen mit internationalen Schulen – ich hatte das Glück, zwei meiner sechs Kinder dort unterzubringen- ist es ungleich Erfolg-versprechender, die Kinder in Leistungsgruppen aufzuteilen, in denen maximal 15 Schüler auf einen Lehrer kommen.

Was es dazu braucht sind Primär-Investitionen in Schulgebäude, die diese Aufteilung und insbesondere einen verschränkten Ganztagsunterricht zulassen. Denn auch der ist in fast allen guten Privat-Schulen die Regel, weil er sich seit Jahrzehnten bewährt hat. Es ist unverantwortlich, ihn aus ideologischen Gründen abzulehnen: Den wenigen Kindern, die nachmittags zu Hause vielleicht besser unterrichtet würden, stehen Tausende gegenüber, die am Nachmittag ohne elterliche Hilfe erfolglos büffeln oder Unsummen für Nachhilfe bezahlen.

Entscheidend für das Lesevermögen von Österreichs Kindern ist die Durchsetzung möglichst vieler verpflichtender Kindergarten-Jahre.

Sonja Hammerschmid hat daher uneingeschränkt Recht, wenn sie den verschränkten Ganztags-Unterricht forciert.
Österreich gibt pro Schüler kaum weniger aus als beste internationale Privat-Schulen mich gekostet haben – man soll mir also nicht erzählen, dass dergleichen wirtschaftlich nicht möglich ist.

Angesichts der gestiegenen Zahl von Volksschülern nicht- deutscher Muttersprache – Österreichweit 20 Prozent, in Wien 48 Prozent – können aber auch die besten Volksschul-, NMS- oder StützlehrerInnen nur dann Erfolg haben, wenn der Sprachunterricht schon vor dem Eintritt in die Schule beginnt. Und zwar nicht ab dem fünften, sondern ab dem vierten, noch besser dem dritten Lebensjahr. Denn schon zu diesem Zeitpunkt saugen Kinder Sprache wie Schwämme auf.

Entscheidend für das Lesevermögen von Österreichs Kindern ist die Durchsetzung möglichst vieler verpflichtender Kindergarten-Jahre. Sich dem aus ideologischen Gründen zu widersetzen ist einmal mehr unverantwortlich: Es gibt sicher die Fälle in denen ein Kind bei seiner nicht berufstätigen Mutter noch besser als im Kindergarten aufgehoben ist – aber sie sind vernachlässigbar selten gegenüber den Fällen, in denen Kinder erst im Kindergarten richtig sprechen lernen.

Weil der Kindergarten so entscheidend ist, muss man nicht nur ausreichend Plätze schaffen, sondern auch die KindergärtnerInnen bestens ausbilden – und daher auch besser bezahlen.
In diesem Bereich zu sparen ist einmal mehr schwachsinnig – ein anderes Wort fällt mir dafür leider nicht ein.
Aber selbst wenn man diesen finanziellen Einsatz hoffentlich tätigt, wird es mindestens zehn Jahre brauchen, bis er sich in besseren Pisa Ergebnissen niederschlägt.

Eine gravierende Reform stellt die geplante Zusammenfassung mehrerer kleinerer Schulen zu Schul-Clustern dar.

Sonja Hammerschmid hofft, dass ein Gesetz zu deutlich gestärkter Schul-Autonomie, das sich derzeit in der Begutachtung befindet, diesen Prozess beschleunigt.

So sollen Direktoren das Recht haben, Lehrer anzufordern, von denen sie im Gespräch den Eindruck hatten, dass sie gut ins Team passen. (Dass sie sie wieder loswerden können, wenn sie nicht passen, konnte ich in den Unterlagen nicht entdecken.)
Gleichzeitig soll der Direktor selbst gemäß einem klaren Anforderungs-Profíl und einer unabhängigeren Zusammensetzung des entscheidenden Gremiums nicht mehr in erster Linie nach parteipolitischen Gesichtspunkten bestellt werden. Das werde ich glauben, wenn nicht mehr fast alle Wiener Direktoren rot und fast alle Tiroler Direktoren schwarz sind.

Eine gravierende Reform stellt die geplante Zusammenfassung mehrerer kleinerer Schulen zu Schul-Clustern dar. Ihr Vorteil: Sie könnten von einer gemeinsamen Direktion mit entsprechendem Sekretariat professionell und kostengünstig verwaltet werden. Und rare Fachlehrer ließen sich gemeinsam nutzen.

Ein Problem sehe ich darin, dass diese Schulen doch nicht so nahe zusammenliegen, dass dem Fachlehrer wirklich die Anfahrt zu verschiedenen Standorten zugemutet werden kann. Und in der Steiermark hat sich gezeigt, dass Gemeindezusammenlegungen, die sich ähnlich vernünftig anhören, auf erstaunlichen emotionalen Widerstand stoßen.
Nicht zuletzt besteht ein gewisser Widerspruch darin, den Schulen einerseits mehr Autonomie zuzusprechen und sie andererseits gleichzeitig einem gemeinsamen Direktor zu unterstellen.

Wahrscheinlich ist es sinnvoll, solche Cluster vorerst nur dort zu schaffen, wo die beteiligten Schulen sich freiwillig darauf einigen, weil sie den unbestreitbaren Verwaltungsvorteil sehen.
Uneingeschränkt begrüßen werden alle Schulen zweifellos den autonomeren Umgang mit der Schulzeit, der ihnen erlaubt, den Unterricht jeweils nach ihren Vorstellungen Projekt-bezogen, Fächer-übergreifend in großen oder in kleinen Arbeitsgruppen zu gestalten.
Und natürlich soll die Weiterbildung der Pädagogen deutlich intensiviert werden.

In Summe sind das – auch ohne die Einführung der „Gesamtschule“ – durchaus Reformen, die Österreichs PISA -Ergebnisse langsam, aber sicher verbessern werden.
Entscheidend wird dennoch die Einführung zusätzlicher verpflichtender Kindergartenjahre sein, die sicher erst lange nach den Wahlen von 2018 Früchte tragen. kann.

Ich halte die Österreicher aber für weitsichtig genug, den langfristigen Wert der rundum eingeleiteten Reformen zu erkennen und einzuschätzen.

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Nie war der ORF so wertvoll

Eine größere Unabhängigkeit von Rot-Schwarz sicherte ihn auch vor einer künftigen Abhängigkeit von einer regierenden FPÖ.
Der ORF muss die Gebühren erhöhen, um sie nach fünf Jahren den gestiegenen Kosten anzupassen. Der „Stiftungsrat“ muss dem zustimmen – eine perfekte Gelegenheit, um zwischendurch politischen Einfluss zu nehmen.

Bisher wussten SPÖ wie ÖVP diese Möglichkeit zu schätzen. Aber das kann sich ändern: Trotz des Etappensieges von Alexander Van der Bellen bleibt es höchst wahrscheinlich, dass die FPÖ die Wahlen von 2018 gewinnt und die folgende Regierung dominiert. Dann wird sie es den ORF spüren lassen.

Das lässt Christian Kern und Reinhold Mitterlehner vielleicht darüber nachdenken, ob man nicht doch einen von der Regierung unabhängigeren ORF sicherstellen sollte.

Die NEOS haben darüber nachgedacht und seine Finanzierung durch Steuern statt Gebühren vorgeschlagen. Das ist – selbst im ORF – auf Ablehnung gestoßen. Allerdings mit dem falschen Argument, dass er der Regierung dann noch mehr ausgeliefert wäre, weil sie diese Steuer ja jeweils beschlösse. Das ließe sich indessen einfach abwenden, wenn das betreffende Gesetz die Bindung des Betrages an die Inflation vorsieht.

Wenn ich Gebühren trotzdem vorziehe, dann weil sie die größere Bindung an die Hörer und Seher schaffen.

Die Konsumenten sehen, was der ORF sie kostet – der ORF muss sich bemühen, ihnen die Gebühr als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. (Deshalb ist es so unfair, sie um Beträge zu erhöhen, die dem ORF gar nicht zugutekommen.)

Der Vergleich mit dem elenden spanischen Rundfunk – ich habe ihn durch Jahre erlitten –, der ebenfalls gegen die Steuerfinanzierung ins Treffen geführt wird, geht doppelt daneben: Nicht nur gibt es dort keine Bindung an die Inflation, sondern vor allem hat sich das Parlament vorbehalten, mit seiner Mehrheit den Generaldirektor zu bestellen. Die regierende Partido Popular bestellte erwartungsgemäß einen geeichten Parteifreund.

Daran – an der grundsätzlich politischen Bestellung des obersten Rundfunkmanagers – krankt das spanische Modell. Und das ist keineswegs ganz so weit vom österreichischen Modell entfernt.

Auch ÖVP wie SPÖ waren nie bereit, das entscheidende Gremium, das den ORF-General bestellt – derzeit den „Stiftungsrat“ –, so zu gestalten, dass die jeweils dominierende Regierungspartei darin nicht die Mehrheit besaß. (Auch der „liberale“ Bruno Kreisky gestaltete es bei der ersten Gelegenheit so um, dass die „bürgerliche“ Mehrheit einer sozialdemokratischen wich. Dass Gerd Bacher einmal gegen seinen Willen bestellt wurde, bedurfte eines „Verrats“.)

Vielleicht sind SPÖ und ÖVP angesichts einer drohenden FPÖ-Regierung bereit, das von Grund auf zu ändern: einen von ihnen ernsthaft unabhängigen Stiftungsrat zuzulassen

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass zwei intelligente Männer wie Christian Kern und Reinhold Mitterlehner selbst ohne die Gefahr eines in Zukunft blauen Rundfunks begreifen, dass unabhängige, qualifizierte Berichterstattung ein Wert an sich ist. In einer Zeit, in der die Menschen einem Tsunami unkontrolliert manipulierter Internet-Information ausgesetzt sind (die sie absurderweise für „wahr“ halten, obwohl diverse Staaten und Lobbys Legionen geheimer Mitarbeiter beschäftigen, sie in ihrem Sinn zu steuern), kommt dem ORF überragende Bedeutung zu. Als einziges Medium ist er durch seine überwiegende Gebührenfinanzierung weitgehend unabhängig von Wirtschafts-Lobbys. Als einziges Medium ist er durch Gesetz zu objektiver Information verpflichtet.

Und so sehr man wissenschaftstheoretisch darüber diskutieren kann, ob es objektive Berichterstattung überhaupt geben kann – in der Praxis besteht die größtmögliche Annäherung daran doch unzweifelhaft in der Einhaltung gewisser journalistischer Grundregeln. Und nur im ORF unterliegt diese Einhaltung zwingend der Prüfung durch unabhängige Richter. Diese gesetzliche Absicherung objektiver Berichterstattung ist eine entscheidende Qualität, die Europas staatliche Rundfunkanstalten noch so qualifizierten privaten Sendeanstalten voraushaben. Ich halte die Forderung mancher Print-Kollegen, sich mit privaten Sendern zu begnügen, deshalb für verantwortungslos.

Die Forderung jedes an wahrhaftiger Berichterstattung Interessierten kann doch nur lauten, den ORF dahin zu reformieren, dass ein weitestgehend parteiunabhängiger Stiftungsrat einen weitestgehend parteiunabhängigen, qualifizierten Generaldirektor zu bestellen vermag. Das lässt sich in etwa erreichen,

indem die ORF-Mitarbeiter (nicht ihre Gewerkschaft) wesentlich mehr Stiftungsräte stellen;
indem vergleichsweise parteiunabhängige Institutionen – PEN-Club, Presseclub Concordia, Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof, Burgtheater und Oper – Stiftungsräte nominieren;
indem anerkannt unabhängige Persönlichkeiten (Hugo Portisch, Michael Haneke) mit dem Recht ausgestattet werden, ihr Mandat im Stiftungsrat nach Art des Iffland-Ringes zu vererben.

Der ORF böte Kern und Mitterlehner jede Gelegenheit, ihn auf eine Weise zu reformieren, die sie als wesentlich freiheitlicher als die freiheitliche Partei ausweist.

peter.lingens@profil.at
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