Auf Überholspur

Wirtschaftsdaten, die der Berichterstattung wichtiger sein sollten als das ins Bild gereckte Kinn Wolfgang Sobotkas.

Wolfgang Sobotka meint, er sei bei der SPÖ so unbeliebt, weil er so klar sage, „was Sache ist“. Wenn das doch nur so wäre.

Das Problem mit Sobotka ist auch für den unvoreingenommensten Beobachter seine maßlose Eitelkeit: Ein Tag, an dem er sein Kinn nicht ins Fernsehbild recken kann, scheint für ihn ein verlorener Tag. Seine jüngste Leistung in der „Sache“ hat darin bestanden, die schwarz-rote Einigung über ein Gesetz, das es erlaubt, türkische Wahlkampfveranstaltungen in Österreich zu unterbinden, eine Woche lang aufzuhalten, ehe es am Ende genau so kam, wie die SPÖ es von Anfang an akzeptiert hatte.

(Zwar halte ich es, wie Armin Wolf, für ein überflüssiges, schwammig formuliertes Gesetz – aber eine Lex Erdoğan lässt sich nun einmal nicht präzise formulieren, und ich bin sicher, dass unsere Behörden es im Gegensatz zu türkischen nicht missbrauchen werden.)

Alles was Sobotka in der Sache erreicht hat, war der öffentliche Eindruck, dass die Koalition „schon wieder streitet“. Wobei dieser Eindruck nicht zuletzt dadurch vertieft wird, dass die Moderatoren des ORF ihre Berichterstattung über noch so belanglose Auseinandersetzungen innerhalb der Regierung stets begeistert mit diesem Hinweis einleiten. Ihm folgt dann mit ebenso großer Regelmäßigkeit die Spekulation, wann diese Koalition über ihre Streitigkeiten zerbreche, sodass es Neuwahlen geben müsse. Wenn man das oft genug sagt, trägt man massiv dazu bei, dass es eintrifft, und kann sich nachher richtiger Vorhersagen rühmen.

Nach Jahren des Rückgangs nimmt sogar die Vollzeitbeschäftigung von Inländern wieder deutlich zu.

Ich will mich weiterhin nicht an diesen Spekulationen beteiligen, sondern einmal mehr auf den unpopulären Hinweis beschränken, dass diese Regierung, wie schon ihre Vorgängerin, weit besser als ihr Ruf ist. Ich hoffe deshalb nach wie vor, dass Christian Kern und Reinhold Mitterlehner in Ruhe weiterarbeiten und dass Mitterlehner die Führung der ÖVP Anfang 2018, nach dem Muster Sigmar Gabriels in Deutschland, in aller Ruhe an den schwarzen „Kanzlerkandidaten“ Sebastian Kurz übergibt, der ihr den in Umfragen zu recht vermuteten Aufschwung beschert. Ich halte für möglich, ja wahrscheinlich, dass die ÖVP auf diese Weise als Sieger aus termingerechten Wahlen hervorgeht, ohne dass Monate hindurch nicht mehr gearbeitet werden würde. Meines Erachtens wüssten die Wähler eine solche Vorgangsweise zu schätzen und schrieben sie Kern wie vor allem Mitterlehner gut. Kurz halte ich jedenfalls für intelligent genug, sich lange zu überlegen, ob er mit der FPÖ als Koalitionspartner wirklich besser fährt als mit der SPÖ. Denn die große Herausforderung der kommenden Jahre wird unverändert die wirtschaftliche Entwicklung sein. Und es wird einmal mehr der viel gescholtenen Zusammenarbeit der Sozialpartner bedürfen, ihr erfolgreich zu begegnen.

Ich wiederhole, dass das von diesen angeblich verknöcherten Sozialpartnern 2009 geschnürte Maßnahmenpaket Österreich die schwerste Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren besser – mit weniger Verlust an Wachstum und geringerer Zunahme an Verschuldung – überwinden ließ als fast alle anderen Länder der EU. Dass sich Österreichs Wirtschaft im Gegensatz zum Gesudere von Kammerpräsident Christoph-„Abgesandelt“-Leitl auch in der Folge so gut entwickelt hat, wie der „Sparpakt“ und eine verspätete Steuerreform – der einzige grobe ökonomische Fehler dieser Regierung – es zuließen: Der Abstand in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (gemessen als BIP pro Kopf) zur Nummer drei der EU, Holland, hat sich verringert.

Die jüngsten Zahlen zeigen das Land weiter auf einem guten Weg:

– Im Jahresdurchschnitt 2016 stieg der Produktionsindex um zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr und damit, wie schon 2015, doppelt so stark wie in Deutschland.

– Hintergrund ist, neben der Exportstärke der vielen weltmarktführenden Klein- und Mittelbetriebe, die wachsende Inlandsnachfrage, für die die Steuerreform, spät aber doch, den Weg geebnet hat. Schnell lernend, hat Finanzminister Hans Jörg Schelling gefordert, die „kalte Progression“ in Zukunft automatisch auszuschalten. Wieder einmal ist die schwarz-rote Einigung darüber wirtschaftspolitisch ungleich bedeutender als die Auseinandersetzung darüber, wie dieser Mechanismus im Detail beschaffen sein soll. (Ich persönlich glaube, dass es zielführender ist, wenn die Entlastung, wie von der SPÖ gefordert, bei den Geringverdienern stärker ausfällt – denn sie stecken jeden zusätzlichen Cent in den Konsum –, aber sie ist auch bei den Besserverdienern mehr als gerechtfertigt.)

– Die gute Konjunktur spiegelt sich auch auf dem Arbeitsmarkt: Die Zahl der Beschäftigten wächst um etwa 60.000 (+1,5 Prozent). Nach Jahren des Rückgangs nimmt dabei sogar die Vollzeitbeschäftigung von Inländern wieder deutlich zu. Obwohl das Angebot an Arbeitskräften durch die Zuwanderung weiterhin kräftig wächst, geht seit November 2016 sogar die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vorjahr leicht zurück.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich die Berichterstattung irgendwann wieder mehr mit diesen Zahlen als mit Sobotkas Kinn auseinandersetzt.

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