Ein Exportweltmeister und viele Verlierer

Deutschland exportiert dank eines relativ niedrigen Lohnniveaus mehr als je zuvor. Und führt wegen des gleichen niedrigen Lohnniveaus relativ immer weniger ein. Das irritiert nicht nur Donald Trump – es könnte auch die Eurozone sprengen.

Mit 253 Milliarden Euro verzeichnete Deutschland soeben den größten Leistungsbilanz Überschuss aller Zeiten: um diesen gigantischen Betrag überstiegen seine Exporte 2016 seine Importe.

Regierung, Ökonomen und Bevölkerung feiern die deutsche Tüchtigkeit. Sie führen den Exporterfolg darauf zurück, dass deutsche Produkte so viel besser als alle andern sind, weil deutsche Ingenieure soviel erfindungsreicher und deutsche Arbeitskräfte soviel präziser sind.

Teilweise stimmt das auch und insofern ist der Exportüberschuss teilweise berechtigt.

Aber er hat einen zweiten mindestens so wichtigen Grund: Seit der Regierung Gerhard Schröder erhöht Deutschland seine Löhne nicht mehr im Ausmaß seiner Produktivität. Sie liegen mittlerweile zweistellig unter seinem Produktivitätsniveau. Durch dieses Lohn-Dumping hat Deutschland etwa ab 2000 seinen Konkurrenten sukzessive Marktanteile abgejagt obwohl beispielsweise Frankreich oder Holland auch hervorragende Produkte herstellen. Aber sie können in Deutschland sukzessive relativ weniger davon absetzen, weil die bis vor kurzem niedrigen Löhne Deutschlands Kaufkraft nicht ausreichend steigen ließen.

Die kritische Auseinandersetzung mit Trump´s USA

Derzeit steht dieser Tatbestand im Zentrum der Auseinandersetzung mit US Präsidenten Donald Trump, der deutsche Autos mit 35 Prozent Strafsteuer belegen will. „Sollen die Amerikaner doch bessere Autos bauen“ meint Außenminister und Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Und Leser schreiben mir: Gerade die deutsche Autoindustrie zahlt doch sehr hohe Löhne.

Aber erstens stimmt das nur für die angestellte Belegschaft – tausende Leiharbeiter sind niedrig entlohnt. Zweitens stammen immer mehr Teile jedes Autos von Zulieferern, die vielfach auch keine hohen Löhne zahlen.

Vor allem aber importiert Deutschland auf Grund der niedrig gehaltenen Löhne längst nicht entsprechend viele unzweifelhaft gute amerikanische Produkte – etwa Unterhaltungselektronik.

Die kritische Situation der Eurozone

Fast alle Industrieländer Europas sind gegenüber Deutschland in einer ähnlichen Position wie die USA: Frankreich z.B. erzeugt auch hervorragende Autos, wenn auch in einer niedrigeren Klasse. Nicht zufällig will Mercedes für Kleinwagen Renault-Motoren verwenden und nicht zufällig haben Renault-Motoren die Formel1 dominiert, solange sich die Firma voll im Motorsport engagierte. Aber Frankreich hat die Löhne entsprechend seiner gestiegenen Produktivität erhöht. (Gemäß der alten Benya-Formel: Lohnerhöhung = Produktivitätszuwachs + Inflation) Auch Renault kann daher bei kleineren Autos durchaus vergleichbarer Qualität mit den Deutschen preislich immer schwerer mithalten. Noch weniger kann Frankreich oder Italien oder Holland dank des niedrigen deutschen Lohnniveaus denn Export französischer (italienischer, holländischer) Waren in Deutschland ausreichend steigern.

Die Sprengkraft des Euro

Vor dem Euro hätte es nie eine derart große Kluft ergeben: Die D-Mark hätte gegenüber dem Franc aufgewertet und deutsche Waren wären im Export entsprechend teurer, französische entsprechend billiger geworden.

Aber der gemeinsame Euro hat diesen Ausgleich versperrt. Für deutsche Waren ist er – etwa auch gegenüber dem Dollar – viel zu niedrig bewertet – für französische, italienische oder holländische Waren zu hoch.

Das ist einer der Gründe, der angelsächsische Ökonomen und selbst den ökonomisch nicht rasend gebildeten Donald Trump am Bestand der Eurozone zweifeln lässt. Ich zweifle mit ihnen, wenn Deutschland seine Politik nicht sehr bald drastisch ändert.

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Mein Gott, Schelling

Er vertritt auch die wirtschaftlich widersinnigste These der ÖVP mit der größten Vehemenz.

Manchmal muss man einen Kommentar schon wenige Tage, nachdem man ihn geschrieben hat, korrigieren. Im Zusammenhang mit meiner Analyse der Verweigerung von Vermögenssteuern durch die ÖVP wollte ich freundlich zu Finanzminister Hans Jörg Schelling sein und ihn nicht, wie so gut wie alle schwarzen Medien, den roten EU-Mandatar Eugen Freund, (der das Durchschnittsgehalt eines österreichischen Arbeiters um ein Drittel zu hoch eingeschätzt hatte) durch Sonne und Mond schießen, weil er behauptet hatte, dass die Verwaltung einer Erbschaftssteuer mehr koste als sie einbringt. Obwohl es hundertmal so falsch ist – es kostet maximal ein Prozent. Schelling, so schrieb ich, “wusste, wie sehr die ÖVP diese Steuer ablehnt. Er wagte nicht ein schwarzes Dogma in Frage zu stellen.”

Ich hätte schreiben müssen: Er hat keine Ahnung von Basisdaten seines Ressorts. Und er vertritt auch die wirtschaftlich widersinnigste These der ÖVP mit der größten Vehemenz.

Denn unmittelbar nachdem ich meinen Text geschrieben habe, verkündete er in einer eigens einberufenen Pressekonferenz als “Pakt für Österreich”: “Es wird mit mir als Finanzminister keine neuen Steuern geben. Keine Vermögenssteuer, keine Erbschaftssteuer und auch keine Wertschöpfungsabgabe.”

Das alles sagt er, wie immer mit dem Gewicht seiner imposanten Person und der Autorität eines Mannes, der es zum Millionär gebracht hat und in den Augen der Bevölkerung daher besonders viel von Wirtschaft versteht. Tut er auch: Er versteht viel von Betriebswirtschaft und für Leute, die es, wie er, mit ihrem Betrieb zum Millionär gebracht haben ist es zweifellos von Vorteil, wenn es “keine Vermögenssteuern, keine Erbschaftssteuer und auch keine Wertschöpfungsabgabe” gibt.

Die Frage ist nur, ob das auch für eine Volkswirtschaft und die Mehrheit der Bevölkerung zutrifft – auch wenn es in Österreich mit 135 Millionären auf tausend Einwohner die größte Millionärsdichte der Welt gibt?

Es geht ausschließlich um die Frage, wie die Steuerlast verteilt wird

Kein mit Volkswirtschaft Befasster wird derzeit die Ansicht vertreten, Österreich möge die Steuerlast, die derzeit auf seiner Bevölkerung – egal ob Unternehmern oder Rentnern – ruht, insgesamt erhöhen. Denn sie ist schon relativ hoch – obwohl das, wie Schweden vorführt, keineswegs ein Nachteil sein muss. Dennoch tritt selbst Christian Kern derzeit für eine Senkung der Steuerquote ein. Es geht also keineswegs darum, dass die SPÖ die Steuerlast erhöhen wollte, wie die ÖVP und Schelling das suggerieren, sondern es geht ausschließlich um die Frage, wie sie verteilt wird: Ob die Millionäre davon wirklich immer weniger tragen sollen, während die breite Bevölkerung immer mehr davon trägt.

Der Vorschlag von Kern lautet, die Vermögenssteuern in dem Ausmaß anzuheben, in dem die Lohnsteuern bzw. Abgaben von allen wenig Verdienenden ermäßigt werden.

Schelling beweist leider beängstigende volkswirtschaftliche Unkenntnis – oder extremen Zynismus

Das ist unternehmerfreundlich, denn es vermindert die Lohnkosten, weil die Lohnsteuern ja letztlich von den Unternehmen aufgebracht werden müssen. Und es ist konsumentenfreundlich, weil vor allem die wenig Verdienenden das Geld, das ihnen mehr in der Tasche bleibt, sofort für Einkäufe ausgeben, was derzeit besonders wichtig ist, weil die Wirtschaftskrise auf einem Mangel an Nachfrage beruht. Dass Schelling das teilweise begriffen hat, zeigt sein Vorschlag, wenigstens die wahnwitzige kalte Progression, die die Massen zusätzlich geschröpft hat, automatisch zu kompensieren. Es ist anzunehmen, dass die SPÖ sich dem anschließt, denn es verbessert die Situation. Aber ungleich mehr verbesserte es sie, die Lohnsteuern grundsätzlich zu senken, indem man die vermögensbezogenen Steuern erhöht.

Schelling beweist leider beängstigende volkswirtschaftliche Unkenntnis – oder extremen Zynismus – indem er genau das ausschließt. Denn es gibt keinen Steuer-Experten, der nicht weiß, dass insbesondere Erbschafts- und Schenkungssteuern die Wirtschaft mit Abstand weniger als alle anderen Steuern, voran Lohnsteuern, belasten.

Ich wiederhole mich: Die Wirtschaft leidet nullkommanull darunter, dass die Erben der Herren Dichand, Wlaschek, Piech, Flick oder Schelling etwa so viel Erbschaftssteuer wie in der Schweiz, den Niederlanden oder fast jedem anderen Land der Welt bezahlen. Und die Erben können ausschließlich in die Slowakei, nach Tschechien, Estland oder Mexiko auswandern, wenn sie noch etwas weniger bezahlen wollen.

Es gibt kein vernünftiges wirtschaftliches Argument, den Tausch erhöhter Vermögens- gegen ermäßigte Lohnsteuern abzulehnen.

P.S. Auf ein von der ÖVP besonders gern gestreutes Argument möchte ich kurz eingehen, weil es mir aus Leserzuschriften besonders häufig entgegenschlägt: Wieso soll Geld, das sowieso schon einkommensversteuert wurde, beim Erben noch einmal versteuert werden? Antwort: Wenn jemand mit seinem sauer verdienten, einkommensversteuerten Geld eine Ware einkauft, zahlt er “noch einmal” 20 Prozent Mehrwertsteuer und im Preis sind außerdem die vom erzeugenden und verkaufenden Unternehmen bezahlten Steuern enthalten – wenn er es von seinen Eltern erbt oder geschenkt bekommt, bleibt es in Österreich in noch so großer Höhe steuerfrei. Idealerweise kauft der Millionen-Erbe damit Aktien und bliebt weiterhin steuerlich relativ ungeschoren – denn von allen anderen Waren hat er ja im Allgemeinen zur Genüge.
Es ist das einer der vielen Wege, die Ungleichheit zu erhöhen, ohne dass es das Geringste mit “Leistung” zu tun hätte.

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