Österreich hat einen „Marxist“ als Kanzlerkandidat

Dass Andreas Babler es für nützlich hält, die Welt durch eine marxistische Brille zu betrachten, habe ich noch verstanden, auch wenn mir lieber gewesen wäre, er hätte die Worte „gelegentlich auch“ vor der „Brille“ eingefügt – Karl Marx war auch für mich ein scharfer Beobachter des Wirtschaftsgeschehens.

Aber schon als Andreas Babler erklärte, „Marxist“ zu sein, war er für mich nicht mehr wählbar. Marxens zentrale Thesen sind ja nicht nur falsifiziert, sondern Karl Popper hat in „Die offene Gesellschaft und Ihre Feinde“ auch eingehend begründet, wieso sie als Kommunismus in absolut allen Ländern, von Russland bis China, von Kuba bis Venezuela zu Diktaturen führten, die neben Millionen Verhungerter auch Millionen Ermordeter verantworten. Ein politisch gebildeter Mensch kann heute kein Marxist/Kommunist mehr sein, auch wenn er Marx als Ökonomen respektiert.

Allerdings habe ich unter den Linken, die gelegentlich Marxens Vokabular gebrauchen, mit Ausnahme des verstorbenen Politwissenschaftlers Norbert Leser noch keinen getroffen, der auch Marx` Schriften gelesen hat – und Leser war Antimarxist. Insofern braucht man die Kommunisten Elke Kahr in Graz und Kai Michael Dankl in Salzburg nicht zu fürchten: Sie haben, wie vermutlich auch Babler, kaum eine Ahnung, wozu sie sich in der Theorie bekennen- was sie in der Praxis fordern, ist auch nicht kommunistisch und Diktaturen lehnen sie glaubwürdig ab. Ich wundere mich nur, dass jemand so Intelligenter wie Dankl seine Partei nicht lieber „Linke plus“ nennt.

Seit es das Video gibt, in dem der47 jährige – nicht der 17 jährige – Babler der EU nachsagt, ein „neoliberalistisches, protektionistisches, amerikanisches Konstrukt der übelsten Art und Weise“ und „das aggressivste außenpolitische militärische Bündnis“ zu sein, „das es je gegeben hat“, sehe ich in ihm allerdings doch eine echte Gefahr: Merkt denn ein Peter Menasse nicht, wie nahe Bablers EU-Bild dem Herbert Kickls ist? Hat er je überlegt, wie ein Kanzler Babler zur Bewaffnung der Ukraine durch die EU  stünde?

Ich habe etwas Neues über Österreichs „linke Intellektuelle“ gelernt: links zu sein, reicht ihnen völlig.  Für sie ist „Links“ ist eine Sache des Glaubens, nicht des Nachdenkens.   

Doskozil sagte jedenfalls sofort, was er anstrebt: Rot-Grün Pink. Seine wirtschaftlichen Forderungen unterscheiden sich wenig von denen Bablers und beraten wird er offenbar von Christian Kern, dem ich hier schon immer die größte ökonomische Kompetenz bescheinigt habe.

Biden stärkt Trump.

 Joe Biden hat sich wie erwartet im letzten Moment mit den Republikanern geeinigt, die Staatsschuldengrenze anzuheben. Denn zumindest ihrem Sprecher, Kevin McCarthy war klar, dass „Zahlungsunfähigkeit“ neben einer Weltwirtschaftskrise (die seine Radikalen kalt gelassen hätte) auch die größte Wirtschaftskrise der USA seit 1929 ausgelöst hätte – das hat er verhindert. Wohl aber gelang es den Republikanern, Joe Biden neuerlich zu schwächen: Er musste seine schon vielfach gekürzten Investitionen neuerlich erheblich kürzen. Da die Zinserhöhung der FED die Inflation gleichzeitig weniger als die Wirtschaft bremst, wird Biden 2024 bei der Wahl kaum mit Wirtschaftsdaten punkten können, die die Ära Trump in den Schatten stellen. Und Trump, nicht Floridas Gouverneur Ron DeSantis, wird Bidens Gegner sein. Denn nicht nur geriet DeSantis Wahlkampf-Auftakt bei Twitter zum Fiasko, sondern er wird dem Show Profi Trump in den kommenden Vorwahl-Konfrontationen genauso klar unterliegen, wie 2016 Floridas Gouverneur Jeff Bush.

Dass der um Jahrzehnte älter wirkende Biden Trump 2024 abermals schlägt, obwohl Stagflation herrschen dürfte, ist daher alles eher als gewiss. Wenn ihn die Strafjustiz nicht doch rechtzeitig aufhält, gibt es meines Erachtens ein 49 prozentiges Risiko, dass die freie Welt 2025 neuerlich mit Trump als US-Präsident konfrontiert ist. Nur dass er, der schon in seiner ersten Amtszeit am Sinn des transatlantischen Bündnisses zweifelte, ihm in seiner zweiten Amtszeit noch kritischer gegenüberstehen wird. Jedenfalls käme es einem Wunder gleich, wenn Trump die Verteidigung Europas gegen Putins Russland garantierte. Als Ukrainer, aber auch als Este, Lette, Georgier oder Moldawier sähe ich seiner Amtszeit jedenfalls mit panischer Angst entgegen. Und selbst wenn man die Chance, dass Trump die Wahl gewinnt, geringer als ich einschätzt, ist das Risiko, sich dabei zu irren, doch so groß, dass ich nicht verstehe, wie wenig sich die EU auf einen solchen GAU vorbereitet.

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So schaffen Notenbanken sinnlos Risiken  

Der Jammer des Monetarismus: Erhöhte Zinsen können Öl nicht verbilligen – aber Geld von Unternehmen zu Banken umverteilen und eine Rezession herbeiführen.

In den USA müssen weitere Banken davor bewahrt werden, auf Grund der Zinsanhebung der FED Pleite zu gehen. Denn Unternehmen, die plötzlich dank der erhöhten Zinsen mit verdoppelten Kreditkosten belastet sind, haben weiter Probleme, ihre Bank-Kredite zu bedienen. Haben die Banken kein perfektes Risikomanagement betrieben, so sind sie gleichzeitig damit konfrontiert, dass die hohen Zinsen den Kurs ihrer  sichersten und wichtigsten Aktiva, der Staatsanleihen, massiv verringern. Das ist der von der Silicon Valley -Bank vorgezeichnete Weg in die Pleite und ihn geht mittlerweile die vierte Bank.

Zwar erklärten Präsident Joe Biden, Finanzministerin Janet Yellen und FED -Präsident Jerome Powell unisono, wie „robust und widerstandsfähig“ das US-Bankensystem sei und schufen auch einen entsprechenden Schutzschirm, aber dass sie das mussten, weckt den Verdacht, dass doch nicht alles so perfekt ist. Jerome Powell befindet sich jedenfalls in einer denkbar heiklen Lage: Erhöht er die Zinsen wie versprochen weiter, riskiert er noch mehr Bankenpleiten – erhöht er sie nicht, verstärkt er den Verdacht, dass es schlecht ums Bankensystem bestellt ist und gefährdet es damit erst recht.

Die EU beteuert, dass ihre Banken sicherer als die der USA sind: sie mussten mehr Risikokapital bilden und strengere Stresstest überstehen. Dennoch sehen ihre Probleme nur quantitativ anders aus. EZB wie FED haben sich mit der so schnellen, so starken Zinserhöhung in meinen Augen gleichermaßen überflüssig erhöhten Risiken ausgesetzt. Denn eine gefährliche Inflation, bei der überhöhte Löhne in einer selbsttätigen Spirale zu immer höheren Preisen führen, gibt es weder in den USA noch in der EU. Es gibt die von Russland und OPEC herbeigeführte, langsam abklingende Verteuerung von Öl/Gas, die man nur durch vermehrtes Fracking und, weit besser, durch die raschere Erschließung alternativer Energie erfolgreich bekämpfen kann. Nur gefährliche Inflation bekämpft man lehrbuchmäßig mittels höherer Zinsen, weil sie weitere Lohnerhöhungen erschweren, indem sie die Arbeitslosigkeit erhöhen. Wendet man dieses Rezept an, obwohl gar keine gefährliche Inflation sondern bloße Teuerung vorliegt, dann riskiert man hohe Arbeitslosigkeit samt Rezession.

Es prallen diesbezüglich zwei ökonomische Denkschulen aufeinander: hier die „Monetaristen“, die wie Notenbankgouverneur Robert Holzmann, die Notenbanker Deutschlands, der deutsche Starökonom Hans Werner Sinn oder Franz Schellhorn(Agenda Austria) glauben, dass eine erhöhte umlaufende Geldmenge zwingend Inflation erzeugt – dort die Mehrzahl angelsächsischer Ökonomen (leider nicht Jerome Powell) die den Monetarismus, wie der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck oder der Österreicher Stephan Schulmeister für falsifiziert halten: Japans Notenbank „flutet“ die Wirtschaft seit 33 Jahren mit billigem Geld  – dennoch hat Japan nie auch nur die Zielinflation von 2 Prozent erreicht und hat selbst jetzt mit 3,2 Prozent ein der niedrigsten weltweit, weil es über viel Kernenergie verfügt. Hans Werner Sinns These, dass sie sich in diesem Zeitraum angestaut hätte und jetzt „hereinpflatscht“ ist blanker Unsinn.

Die ökonomischen Irrtümer des Monetarismus waren so lange harmlos, als sie keine praktischen Folgen nach sich zogen, weil die Notenbanken sich nicht danach richteten. Doch als die Teuerung die Zehnprozent-Grenze überschritt, fraß die Angst den Verstand auf. Die Monetaristen sahen ihre Stunde gekommen und drängten die Notenbanken die Geldpolitik „endlich“ zu straffen obwohl niemand erklären kann, warum hohe Zinsen Öl verbilligen oder der Wirtschaft besonders gut tun sollen. Paul Schulmeister nennt „Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhung“ unter den gegebenen Umständen daher im Standard folgerichtig  „Irrsinn mit System“: „Eine Erhöhung von (Zins-)Kosten samt Umverteilung von Unternehmern und Haushalten zu  Banken bekämpft nicht die Teuerung, sondern die Realwirtschaft. Es bedeutet, dass Unternehmen und Haushalte eine Verdoppelung ihrer Kreditkosten aushalten müssen.“

In Österreich sind Unternehmen mit etwa 400 Milliarden Euro, Haushalte mit 200 Milliarden Euro verschuldet. Die Zinszahlungen dafür lagen vor der Zinserhöhung bei circa zehn (sechs plus vier) Milliarden Euro – jetzt sind daraus 20 Milliarden geworden. Unter den Unternehmen belasten die zusätzlichen Kosten die am meisten, die am meisten investieren, bei den Haushalten belasten sie am meisten jungen Familien, die eine Wohnung brauchen. Denn natürlich haben die höheren Kreditkosten als erstes dazu geführt, dass weniger gebaut wird. „Und wer“ so fragt Schulmeister, „kassiert  die zehn Milliarden Euro zusätzlicher Zinszahlungen? Nicht die Sparer, sondern die Banken“. Dafür gibt es einen  Grund, der zum Anfang dieses Textes führt: Da die erhöhten Zinsen mit „Staatsanleihen“ die sichersten Aktiva der Banken entwerten, kompensieren sie dieses erhöhte Risiko, indem sie weiter niedrige Sparzinsen zahlen.

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Es braucht Doskozil plus Babler

Es braucht Doskozil plus Babler

Wenn man Blau- Schwarz unter der Führung von Herbert Kickl für das Schlimmste hält, was Österreich zustoßen kann, dann ist die Aufgabe der Delegierten zum kommenden Parteitag der SPÖ klar: Sie müssen eine Führung etablieren, mit der die SPÖ genug Wähler dazu gewinnt, um eine rot-grün-pinke Mehrheit sicherzustellen, denn nur die schließt Blau-Schwarz mit Sicherheit aus. Gemessen an den aktuellen Umfragen sind das ziemlich viele Wähler, aber noch vor wenigen Monaten gab es eine klare Mehrheit der SPÖ in den Umfragen aller Institute, und in der Umfrage, die Hans Peter Doskozil vor einem Monat in Auftrag gab, schnitt sie mit ihm an der Spitze jedenfalls deutlich besser als derzeit ab. Dieses Resultat bestätigte sich auch in gleichartigen Umfragen unabhängiger Institute. Doskozil ist mit Sicherheit der beste Kanzler-Kandidat, wenn es gilt, Wähler von der FPÖ zurückzugewinnen oder sogar hin und wieder der ÖVP zu entreißen, und auch bei Unentschlossenen scheint Doskozil anzukommen: Das gute Management der Flüchtlingsflut von 2015 wird ihm auch in der Mitte gutgeschrieben. Dass Rendi- Wagners Wähler eine Doskozil-SPÖ nicht wählten, weil er sie schlecht behandelt hat, halte ich für unwahrscheinlich: Wer der SPÖ unter ihr treu blieb, ist rot geeicht. Selbst ORF-Ex-General Gerhard Zeiler, der aus der SPÖ austreten will, wenn Doskozil sie übernimmt, wählt sie vermutlich weiter, wenn es Blau-Schwarz abzuwehren gilt, denn grün oder Pink zu wählen wäre ein Nullsummenspiel, das ihr schadete, wenn es um die Beauftragung durch den Bundespräsidenten geht.

Aber auch Andreas Babler kann Wähler für die SPÖ hinzugewinnen. Mit Sicherheit ist er der Beste, wenn es darum geht, Erstwähler anzuziehen, denn er wirkt deutlich jünger als Doskozil.. Pamela Rendi-Wagners Wähler wählen ihn sicher, aber vor allem bei der großen Gruppe der Nichtwählern könnte er punkten: Dass die „KPÖ plus“ in Graz und Salzburg so erfolgreich war, zeigt, dass ein explizit linkes Programm und vor allem linkes Auftreten erstaunlich viel Resonanz erzielt. Einziges Problem: Ich glaube, dass Babler die Doskozil-Wähler und die Wähler, die die SPÖ rechts der Mitte gewinnen muss, eher abschreckt.

Mein Schluss aus dieser Analyse: Ich glaube, dass die SPÖ mit Doskozil als Kanzlerkandidat die besseren Chancen hat, dass es aber optimal wäre, wenn sie Babler in die Führung einbinden kann. Jedenfalls als Obmann-Stellvertreter, notfalls aber sogar, indem man eine Doppelspitze bestellt, Doskozil aber klar zum Kanzlerkandidaten macht. Hinter beiden stehen übrigens Männer. die wirklich etwas von Wirtschaft verstehen: Hinter Babler der Ökonom Nikolaus Kowall von der „Sektion 8“, hinter Doskozil Ex-Kanzler Christian Kern. Gemeinsam könnten die beiden ein optimales Aktionsprogramm für eine“ SPÖ plus“  entwerfen.

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Die Gründe für unsere hohe Teuerungsrate

Hauptgrund unserer überdurchschnittlichen Teuerung ist unsere überdurchschnittliche Abhängigkeit von russischem Gas. Erst danach kommen die Versäumnisse der Regierung.

Dass Österreich mit 9,8 Prozent eine höhere Teuerungsrate als der Durchschnitt der EU mit 8,3 Prozent aufweist, liegt vielleicht auch an Managementfehlern der Regierung – der Hauptgrund ist aber zweifellos, dass Österreich auf Grund der Energiepolitik früherer Regierungen weit mehr als der Durchschnitt der EU von russischem Gas abhängt. Gemessen daran, dass unsere Abhängigkeit doppelt so groß wie die Deutschlands ist, ist der so heftig diskutierte Unterschied zur 7,2 prozentigen deutschen Teuerung sogar relativ klein. Zwar mag es sein, dass die Regierungen Japans oder der Schweiz, die mit 3,2 und 2,9 Prozent die weltweit geringste Teuerung aufweisen, sie besser gemanagt haben, aber der Hauptgrund ist ihre viel billigere Energie: Japan hat Atomenergie, die Schweiz dazu Wasserkraft.

Fast überall trat zur Verteuerung der Energie hinzu, dass Unternehmen die Verunsicherung der Kunden zu höheren Gewinnmargen nutzten. Null Einfluss hatte dagegen die viel kritisierte lockere Geldpolitik der Notenbanken: Japans Notenbank flutet seine Wirtschaft seit 33 Jahren durchgehend mit billigem Geld und die Schweizer Notenbank hat dafür im Verhältnis zum BIP noch mehr Geld aufgewendet. Deshalb ist so unwahrscheinlich, dass die jetzt massiv gestraffte Geldpolitik die Teuerung vermindert: sie kann den Öl/Gaspreis als ihre zentrale Ursache nicht senken – es sei denn, sie bewirkt eine so schwere Rezession, dass weit weniger Öl und Gas als bisher gebraucht wird.

Während der Hauptgrund für Österreichs hohe Teuerungsrate also auf der Hand liegt, ist nicht so klar, wieso sie im letzten Quartal noch einmal um 0,6 Prozent gestiegen ist. Dass die Lebensmittelpreise daran die Hauptschuld tragen, ist insofern wahrscheinlich, als nur drei Handelsketten das Land beherrschen, was seit jeher für hohe Preise sorgte. Denkbar ist, dass Restaurants ihre Preise den verteuerten Nahrungsmitteln nicht sofort, sondern erst im letzten Quartal angepasst haben. Viele waren aber auch erst verspätet mit ihrer so viel höheren Stromrechnung konfrontiert und auch das wäre eine Erklärung, dass die Preise erst jetzt gestiegen sind.

Die Opposition und die meisten Österreicher sind freilich voran daran interessiert, was die Regierung falsch gemacht hat und da spielen die jüngsten 0,6 Prozent eine untergeordnete Rolle: Sie hat mangelnden Wettbewerb nie unterbunden; sie hat die sinnvolle Strompreisbremse zu spät verwirklicht und keine gleichartige Gaspreisbremse installiert; sie gilt innerhalb der Unternehmen einer VP-Klientel wie Hotels Verluste ab, die mangels Konkurrenz kaum eintreten werden; ihre Hilfen waren selten treffsicher. Damit werden die Erfolge der Regierung bei der Abfederung der Teuerung – und das ist mein Hauptvorwurf – in einem schlechten Verhältnis zu aufgewendeten Summen stehen. Beseitigen – und das gilt es zu begreifen – lässt sich eine durch den erhöhten Öl/Gas- Preis bedingte Teuerung durch keine Regierung der Welt.

Die schwarz-grüne Überlegung, dass es nur gelingen kann, Bedürftigen dabei zu helfen sie zu überstehen, während sozial Starke sie stemmen müssen, ist grundsätzlich richtig. Sie wurde nur eben nicht konsequent verwirklicht und das Haupthindernis – das sollte eine Lehre für die Zukunft sein – ist das Fehlen von Finanzdaten, aus denen nicht nur hervorgeht, wer was verdient, sondern auch, wer welches Vermögen hat. Die Regierung hat immer nur geschätzt, wer wie bedürftig ist, und dabei haben politische Intentionen der ÖVP stets mitgespielt. So hat sie zwar richtig – und für die Zukunft denkbar wichtig – diverse Beihilfen an die Inflation gekoppelt, nicht aber Notstandshilfe und Arbeitslosengeld. Dort wartet sie auf eine Generalreform, die nach den bisherigen Äußerungen von Arbeitsminister Martin Kocher leider Harz 4 zum Vorbild hat.

Massiv verfehlt war es, die Erhöhung der Mietpreise nicht zu Lasten der Haus- und Wohnungseigentümer zu begrenzen, denn die gehören im Allgemeinen der finanziell stärksten Schicht an. Anders herum verfehlt scheint mir, Abgaben und Gebühren der Gemeinden zu deckeln, denn das sind Entgelte für Leistungen, die sich stark verteuert haben und die Gemeinden sind finanziell nicht stark. Dass die Regierung die Übergewinne von Energieerzeugern in Zukunft vermehrt abschöpfen will, ist sinnvoll, sofern das Gesetz sie zwingt, so schnell wie möglich so viel wie möglich in alternative Energie zu investieren. Es wird den Strompreis zwar nicht rasch senken, aber es vermindert die Teuerung an ihrer Wurzel.

Zu Recht gewehrt hat sich die Regierung meines Erachtens immer gegen die Forderung, Steuern auszusetzen: Dass die deutsche Regierung Steuern auf Treibstoff ausgesetzt hat, hat den deutschen Fiskus drei Milliarden Euro gekostet und den deutschen Benzinpreis kaum gesenkt – nur der Treibstoffhandel hat gewonnen. Dieses Risiko besteht auch für die so vehement geforderte Mehrwertsteuersenkung bei Grundnahrungsmitteln: Es bleibt möglich, dass auch sie den Staat nur Einnahmen kostet und die Gewinne von Rewe und Co erhöht. Der Vergleich mit der niedrigen Inflation Frankreichs von 5,7 Prozent und Spaniens von 4,3 Prozent, wo diese Steuer gesenkt wurde hinkt: Beide haben eine riesige Agrarindustrie mit vielen konkurrierenden Handelsketten. Auch sonst sind beide Länder kein Maßstab: Frankreich hat den meisten Atomstrom, Spanien hat Atom-und Solarenergie, muss wenig heizen und kauft Gas seit jeher in Marokko und Algerien.

 

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Die Rückseiten des Beschäftigungswunders

Österreich verzeichnet die höchste Beschäftigung aller Zeiten. Zugleich Reallohnverluste und die aktuell höchste Armutsgefährdung. Die Arbeitslosigkeit ist ausgelagert.

Man soll alles immer von zwei Seiten betrachten. Als ich mir Herbert Kickls Bierzelt- Rede auf YouTube angehört habe, dachte ich zuerst: Hoffentlich hören das möglichst viele Leute, denn nirgends kann man klarer sehen, wohin er Österreich führt. Aber gleich darauf hat sich diese Hoffnung in die Furcht verkehrt, dass die Mehrheit der Österreicher so beschaffen sein könnte, dass Kickls Rede sie begeistert.

Die SPÖ hat jedenfalls nur anderthalb Jahre Zeit, um stark genug zu werden, uns in einer Koalition mit Grünen und NEOS davor zu bewahren, einer faschistoiden Zukunft entgegenzusehen. Ursprünglich hatte ich nach der Rede Karl Nehammers im KZ Mauthausen gedacht, dass auch die ÖVP keine Koalition mit Kickls FPÖ einginge, aber Niederösterreich und Salzburg haben mich gelehrt: Österreich könnte 2024 tatsächlich neben Ungarn, aber vor Polen und Italien, zum EU-Land mit der rechtsextremsten aller Regierung werden – der einzigen, die die „Panzerkolonnen der NATO“ mit Kickl heftiger ablehnt als Wladimir Putins Aggression.

Gemessen daran wirken alle anderen Sorgen, die diese erste Mai-Woche aufwirft, unerheblich: Statt zu fallen stieg die Inflation angeblich wegen verteuerter Nahrungsmittel – genau weiß es niemand- um 0,6 Punkte auf 9,8 Prozent. Voran der Abstand von 2,6 Prozent zu Deutschland macht dabei Sorgen, könnte er doch den Wettbewerb erschweren. Nachträglich lässt sich jedenfalls sagen: Die Strompreisbremse wurde zwar rechtzeitig erdacht, aber zu spät verwirklicht, auf eine gleichartige Gaspreisbremse und eine Mietpreisbremse wurde ebenso verzichtet wie auf Preiskontrollen. Zugleich hat das Fehlen von Vermögensdaten allen Hilfsmaßnahmen die Treffsicherheit genommen, so dass der finanzielle Aufwand in keinem Verhältnis zum Erfolg steht. Dennoch wird die Inflation langsam abklingen, denn der Ölpreis ist nun einmal gegenüber seinem Höchststand deutlich gefallen.

Auch Österreichs Arbeitslosigkeit ist minimal gestiegen. Wahrscheinlich vor allem, weil die Statistik jetzt auch geflohene Ukrainerinnen umfasst – aber vielleicht auch, weil Österreich sich schon in einer Rezession befindet: Das Wirtschaftswachstum ist den zweiten Monat, wenn auch minimal, rückläufig. Die Zinserhöhungen der EZB haben voran die Bauwirtschaft eingebremst und meines Erachtens werden sie die gesamte Wirtschaft schneller als die Inflation bremsen – aber ich hoffe, dass ich mich irre.

Doch zwischen solchen negativen Nachrichten vermochte Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher eine höchst positive zu verkünden: Mit 77,5 Prozent sind derzeit mehr Österreicher denn je erwerbstätig. Zu verdanken ist das der gestiegenen Erwerbstätigkeit von Frauen, die 71,6 Prozent erreicht hat. Man könnte hinzufügen, dass das gegen eine ÖVP erreicht wurde, die der linken Forderung nach mehr Kindergartenplätzen und Gesamtschulen erst ganz zuletzt nachgegeben hat.

Aber auch abseits der erhöhten Beschäftigung von Frauen ist die Beschäftigungslage hervorragend: Die Arbeitslosigkeit liegt nach internationaler Definition bei nur 4,8 Prozent. Besser liegen unter den starken Ländern des „Nordens“ nur Deutschland und Holland mit einer Arbeitslosigkeit von 2 und 3,1 Prozent. Beide Länder sind, wie Österreich, voran wegen des Mangels qualifizierte Arbeitskräfte, kaum mehr in der Lage, die Auftragsflut zu bewältigen, der sie gegenüberstehen.

Scheinbar die perfekte Wirtschaftslage. Nur dass die Reallöhne großer Teile der Bevölkerung aller drei Länder gefallen sind und ihre Armutsgefährdung in jüngerer Zeit nie höher war. „Seit dem Jahr 2000“, sagt ein Bericht der OECD, „haben in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen OECD Land. Hinsichtlich der Primärverteilung lässt sich sowohl ein rapider Rückgang des Anteils der Löhne am gesamten Volkseinkommen feststellen als auch eine zunehmende Ungleichverteilung innerhalb der Lohneinkommen“. Ähnliches gilt für Holland und Österreich: Der Anteil der Löhne am BIP ist in dem Ausmaß gesunken, in dem der Anteil der die Gewinne gestiegen ist, und nicht anders hat der Abstand zwischen niedrigen und hohen Einkommen zugenommen. Alle drei Volkswirtschaften haben nicht deshalb so viele Aufträge, weil sich ihre Bevölkerung immer mehr kaufen kann – sie kann im Gegenteil immer weniger kaufen, weil ihre Löhne seit 23 Jahren nicht mehr wie davor um Produktivitätszuwachs plus Inflation gestiegen sind.

Aber genau dadurch sind ihre Waren unschlagbar preiswert und haben den Volkswirtschaften, die keine „Lohnzurückhaltung“ – kein Lohndumping- geübt haben, durch 23 Jahre Marktanteile weggenommen und all die Aufträge hinzugewonnen, die deren Unternehmen verlieren mussten.

Entsprechend groß ist dort die Arbeitslosigkeit: in Frankreich liegt sie offiziell bei 7,3 Prozent, nur dass viele Menschen die Arbeitsuche schon aufgegeben haben, während die Arbeitslosigkeit der 15 bis 24 jährigen 17 Prozent erreicht. In Italien gibt es 8 Prozent Arbeitslose und 22 Prozent sind unter 24. Und in Spanien mir der größten Zahl qualifizierter Arbeitskräfte der EU liegt die allgemeine Arbeitslosigkeit bei 12,8 Prozent und erreich unter 15 bis 24jährigen gespenstischen 29 Prozent – gegenüber 5,7 Prozent in Deutschland.

Man kann, wie voran in Deutschland, die eigene Lohnpolitik für optimal halten – oder in ihr wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stieglitz eines der zentralen Probleme der Wirtschaft sehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die globalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, laut Stiglitz „nicht zuletzt auf die Wirkungen zunehmender Einkommensungleichheit in den einzelnen Ländern zurückführen“. Folgt man dieser Analyse, bedarf es – insbesondere auch in Deutschland – einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung, um die latente Nachfrageschwäche und damit die gesamtwirtschaftliche Krisenanfälligkeit zu überwinden.

Diese Schlussfolgerung steht im Widerspruch zu gängigen wirtschaftspolitischen Empfehlungen in Deutschland. Diese bleiben bisher weitgehend einer Prä-Krisenstrategie mit Forderungen nach Lohnzurückhaltung und größerer Lohnspreizung verhaftet, d

Der im internationalen Vergleich außergewöhnlich star-ke Anstieg der ökonomischen Ungleichheit in Deutsch-land während des letzten Jahrzehnts ist mittlerweileausführlich dokumentiert. War Deutschland (Österreich) in der Vergangenheit traditionell
in geringerem Ausmaß von Einkommensungleichheit und -armut betroffen als der Durchschnitt der OECD-Länder,so ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer
drastischen Verschärfung der Ungleichheit gekom-
men: „

 

 

deutschen Banken standen nach den vielfältigen
Deregulierungsmaßnahmen im letzten Jahrzehnt un-
ter erheblichem Renditedruck und wandten sich bei
schwacher Kreditnachfrage im Inland zunehmend der
Spekulation mit riskanten Produkten im Ausland zu. Im
Ergebnis wurden die deutschen Banken – ebenso wie
die deutsche Exportindustrie – stark von der amerikani-
schen Immobilienkrise erschüttert.
Schlussfolgerungen
Die Weltwirtschaftskrise erzeugt für die Zukunft eine
Reihe von schwierigen gesamtwirtschaftlichen Her-
ausforderungen, die zwar von einigen Autoren seit lan-
gem erkannt wurden, 62 aber erst mit der globalen Wirt-
schaftskrise ins allgemeine Bewusstsein gerückt sind.
Es geht um nichts weniger als die Suche nach globaler
wirtschaftlicher Stabilität durch internationale Koopera-
tion.
Wie von Fitoussi und Stiglitz 63 ausgeführt, lassen sich
die globalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewich-
te nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Wirkungen
zunehmender Einkommensungleichheit in den einzel-
nen Ländern zurückführen. Folgt man dieser Analyse,
bedarf es – insbesondere auch in Deutschland – einer
gleichmäßigeren Einkommensverteilung, um die latente
Nachfrageschwäche und damit die gesamtwirtschaftli-
che Krisenanfälligkeit zu überwinden.
Diese Schlussfolgerung steht im Widerspruch zu gän-
gigen wirtschaftspolitischen Empfehlungen in Deutsch-
land. Diese bleiben bisher weitgehend einer Prä-Kri-
senstrategie mit Forderungen nach Lohnzurückhaltung
und größerer Lohnspreizung verhaftet, die keines der
derzeitigen Probleme lösen, dafür aber die Gefahr wei-
terer Instabilitäten hervorrufen. Sie beruhen zudem auf
empirisch fragwürdigen und teilweise widersprüchli-
chen Argumentationen. Statt eines „Weiter so“ bzw. ei-
ner „Erhöhung der Dosis“ sollte es zu einem – möglichst
international koordinierten – Richtungswechsel in der
Lohn- und Verteilungspolitik kommen. Dies ist eine we-
sentliche Voraussetzung für die künftige Stabilität der
globalen Wirtschaft.

63 J. P. Fitoussi, J. Stiglitz, a.a.O.
scheidend mit befördert hat. 55 Anders als in den USA ist
es in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit nicht
zu einem nennenswerten Anstieg der Verschuldung
der Privathaushalte relativ zu ihren Einkommen gekom-
men. 56 Vielmehr hat ein Großteil der Bevölkerung auf
fallende Reallöhne und die sozialpolitischen Einschnitte
der vergangenen Jahre mit Konsumverzicht reagiert. 57
Neben der offenbar ausgeprägten sozialen Norm der
vorsichtigen persönlichen Finanzplanung, die auf die
Kreditnachfrage wirkt, sind auch die Kreditvergabe-
praktiken deutscher Banken traditionell eher konserva-
tiv. 58 Im Ergebnis ist für Deutschland, im Unterschied
zu den USA, kaum ein signifikanter Vermögenseffekt
auf den privaten Konsum zu beobachten; die Haushalte
finanzieren ihren Konsum ganz überwiegend aus den
laufenden Einkommen.
Selbst während des letzten Aufschwungs sind aber die
real verfügbaren Einkommen bzw. die Nettolohnsumme
nicht mehr gestiegen. Die Reallöhne sind sogar wäh-
rend des Aufschwungs gefallen, eine in der Geschich-
te der Bundesrepublik einmalige Entwicklung. 59 Der
private Verbrauch ist dieser stagnativen Einkommens-
entwicklung bestenfalls passiv gefolgt. Zwar wurden
durch die schwache Lohnstückkostenentwicklung die
internationale Wettbewerbsfähigkeit und somit die Ex-
porte befördert. Zugleich folgte aber aus der Einkom-
mensumverteilung gleichsam mechanisch ein Anstieg
der privaten Sparquote, da die oberen Einkommens-
gruppen einen deutlich größeren Teil ihres Einkom-
mens auf die Ersparnis verwenden als die unteren
Einkommensgruppen. 60 Dies schwächte die Entwick-
lung der Binnenwirtschaft. Nicht nur dürfte der Netto-
effekt von Exportsteigerungen und Konsumstagnation
auf das Wachstum in einer großen Volkswirtschaft wie
Deutschland negativ ausgefallen sein. 61 Auch beding-
te diese Entwicklung hohe Kapitalexporte und somit
eine starke Auslandsorientierung des Bankensystems.

 

im Februar 2023 verzeichnet Spanien mit rund 12,8 Prozent die höchste Arbeitslosenquote innerhalb der Europäischen Union (EU-27). Im Durchschnitt sind 6 Prozent der EU-Bürgerinnen im Februar 2023 als arbeitslos registriert, während die durchschnittliche Arbeitslosenquote in den Ländern der Eurozone² mit rund 6,6 Prozent, signifikant höher liegt. In Deutschland, Polen und Tschechien herrscht mit Arbeitslosenquoten zwischen 2,4 bis 2,9 Prozent nahezu Vollbeschäftigung.

 

Jugendarbeitslosigkeit 29%   Arbeitslosigkeit 26% im Jahr 2013 aber nur 8,3 % 2007

 

Der Ausfuhrüberschuss im Handel mit Spanien belief sich im Jahr 2021 auf rund 9,75 Milliarden Euro. Der Gesamtwert der deutschen Exporte nach Spanien lag damit um 9,75 Milliarden Euro höher, als die spanischen Importe nach Deutschland.

 

 

Im Jahr 2022 hat die Arbeitslosenquote in Italien geschätzt rund 8,09 Prozent betragen. Für das Jahr 2023 wird die Arbeitslosenquote in Italien auf rund 8,30 Prozent prognostiziert Jugendarbeitlosigkeit zwischen 15 und 24 Jahren…..22,3%

 

2023 Laut den Daten des italienischen Statistikamts Istat exportierte Italien Waren im Wert von 77,5 Milliarden Euro nach Deutschland (ein Plus von 15,8 Prozent). Der Import aus der Bundesrepublik wuchs sogar um rund 20 Prozent – und steigt damit auf 91 Milliarden Euro.

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Als linker Wähler restlos ratlos

Die Wahl 2024 entscheidet, ob uns die Kickl-FPÖ regiert – und die SPÖ hat keinen überzeugenden Spitzenkandidaten. Vielleicht ist eine Ämterteilung ein gangbarer Ausweg.

  Wenn man die FPÖ Herbert Kickls wie ich für faschistoid hält, muss man die Wahlen von 2024 als wichtigste der 2. Republik ansehen. Denn die Österreicher sind ein Volk, das diese FPÖ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur stärksten Partei macht, so dass die reale Gefahr besteht, dass sie uns künftig regiert.

Die Gefahr bestünde nicht, wenn Karl Nehammer wie Pamela Rendi-Wagner, Werner Kogler und Beate Meinl-Reisinger erklärte, dass verbindliche Zusammenarbeit mit der FPÖ im Bund für ihn nicht in Frage kommt – aber das wird er nicht. Darüber verärgerte Linke sollten sich freilich erinnern, dass es der große Bruno Kreisky war, der 1970 den Cordon sanitaire durchbrach, der eine solche Zusammenarbeit ausschloss. Die von ihm arrangierte rot-blaue Koalition unter Fred Sinowatz`, nicht die schwarz-blaue unter Wolfgang Schüssel war der endgültige Tabubruch.

Diesmal wird die FPÖ anders als damals noch dazu die eindeutig stärkste Partei sein und das macht die aktuelle Situation so dramatisch: Eine FP-dominierte Regierung bleibt uns nur erspart, wenn SPÖ, Grüne und NEOS gemeinsam mehr Mandate als ÖVP und FPÖ erreichen. In jedem anderen Fall wird die ÖVP mit der FPÖ koalieren, weil Mitregieren ihrem Wirtschaftsflügel unverzichtbar scheint und man sich der erfolgreichen Zusammenarbeit unter Sebastian Kurz erinnert, auch wenn nun Kickl Kanzler sein wird.

Damit ist, um das zu verhindern, unerlässlich, dass Rot-Grün-Pink bis 2024 eine Mehrheit gegenüber Blau-Schwarz erringt und das ist deshalb so schwierig, weil sie in einem ähnlichen Wählerreservoir fischen und es nichts bringt, wenn sie einander Wähler wegnehmen. Es kann nur gelingen, wenn der SP-Kanzler-Kandidat Wähler aus der FPÖ und der ÖVP hinzugewinnt oder Nichtwähler zu SP-Wählern macht.

Dafür scheint primär Hans Peter Dokozil am besten geeignet. Nicht nur seine eigenen Umfragen, sondern auch Umfragen unabhängiger Institute sagen, dass die SPÖ mit ihm an der Spitze besser abschnitte. Nur sind Umfragen unter theoretischen Annahmen höchst ungenau – dass der ehemalige rote ORF- Intendant Gerhard Zeiler erklärte, eine Doskozil-SPÖ auf keinen Fall wählen, hat kaum weniger Gewicht als eine solche Umfrage. Erhebliches Gewicht hat allerdings auch der Umstand, dass Ex-Kanzler Christian Kern offenkundig dem Team Doskozils angehört und ihn in Zukunft beraten wird, denn Wirtschaftskompetenz wird für den Erfolg wesentlich sein. Derzeit fordert Doskozil mit dem Mindestlohn etwas jedenfalls Vernünftiges und hat ihn, wenn auch an suboptimaler Stelle, nämlich bei den eigenen Landesbediensteten, auch verwirklicht. Auch die Anstellung Pflegender beim Land ist nichts Optimales, aber dafür Reales. Und ein landeseigenes Busunternehmen war eine ziemlich gute, grüne Idee.

Was am meisten gegen Doskozil spricht, ist sein Verhalten gegenüber Pamela Rendi-Wagner: Sie durch Monate schlecht zu machen, ohne selbst zu kandidieren, war  parteischädigend. Deshalb ist leider nicht sicher, dass Doskozil unter Rechten und Nichtwählern so viele Wähler hinzugewinnt, wie er innerhalb der SPÖ zu Nichtwählern macht.

Die von ihm kritisierte Pamela Rendi-Wagner hat in meinen Augen freilich bewiesen, dass sie Kanzlerkandidatin nicht kann. Ihr Ehrgeiz ist beeindruckend, sie sagt auch nichts grundlegend falsches, aber es ist charakteristisch, dass kaum jemand weiß, was sie sagt. Dass die SPÖ in einer für sie optimalen politischen Situation so schlecht abschneidet, liegt jedenfalls nicht nur dran, dass Doskozil ihre Stellung ständig geschwächt hat und Herbert Kickl ein so perfekter Demagoge ist – Rendi-Wagner ist (anders als Gesundheitsministerin) einfach nicht überzeugend. Und dass sie erst jetzt einen anderen Parteisekretär neben (statt anstelle von) Christian Deutsch sucht, zeigt, dass sie einfach zu wenig vom politischen Handwerk versteht.

Das kann man dem dritten SP-Kandidaten Andreas Babler nicht nachsagen: In Traiskirchen mit dem größten Flüchtlingslager des Landes eine satte politische Mehrheit zu erzielen, ist ein eindrucksvolle Leistung. Ihr steht freilich eine eindrucksvolle politische Fehlleistung gegenüber: Sich mit dreißig für den Öxit auszusprechen, ist mehr als eine Jugendsünde, so sehr ich die neoliberalen Versäumnisse der EU geißle. Und dass sich mit der SJ-Frontfrau Julia Herr eine Abgeordnete für Babler engagiert, die in der Nato die Hauptschuldige des Ukrainekrieges sieht, spricht auch nicht rasend für ihn. Sein wirtschaftliches Programm ist sympathisch links, aber denkbar einfach gestrickt – ich zweifle, dass er wirtschaftliche Probleme auch nur entfernt wie Christian Kern durchschaut. Trotzdem kann ich mir von Babler am ehesten vorstellen, dass er Nichtwähler zu SP-Wählern macht, denn dieses Reservoir ist, wie Kay Michael Dankl mit der „KP plus“ in Salzburg gezeigt hat, erstaunlich groß.

Damit komme ich zu folgendem wenig befriedigendem Schluss: Nur Babler und Doskozil haben eine vage Chance, die blau-schwarze Mehrheit zu verhindern, aber vermutlich wird dank der Unterstützung fast aller Parteigranden am ehesten Pamela Rendi- Wagner die SPÖ anführen. Den einzigen realistischen Ausweg halte ich daher für weit schwieriger als Christian Kern: Rendi- Wagner bleibt Parteichefin, Babler wird einer ihrer Stellvertreter und neuer Parteisekretär, Doskozil geht als Spitzenkandidat ins Rennen und alle Beteiligen sind aus Liebe zu Österreich zu diesem Kompromiss bereit.

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Wie Putin und OPEC das Klima retten

Der Beschluss der OPEC plus Russland sorgt mehr als das Aus für Verbrenner für weniger CO2 in der Atmosphäre. Aber es gibt es einen besseren Weg zu diesem Ziel.

Dass OPEC plus Russland beschlossen haben, die Öl/Gas -Förderung neuerlich zu drosseln, stabilisiert den Öl-Preis und  lässt die ärgerliche Teuerung länger anhalten. Gleichzeitig gibt es allerdings keine Maßnahme, die den Klimawandel ähnlich wirksam bekämpfte. Denn wenn man vom Methan aus Rindermägen absieht, hängt die Erwärmung der Atmosphäre so gut wie ausschließlich davon ab, wie viel Öl/Gas wir verbrennen. Der aktuelle Beschluss der OPEC +  bedeutet, dass täglich eine Million Barrels, (159 Millionen Liter) weniger Öl gefördert und verbrannt werden. Das bremst die Erwärmung stärker als die E-Autos, die täglich mehr auf die Straße kommen. Regierte Vernunft die Politik, so würde eine solche stete Verteuerung des Öls, in sozialverträglich abgefederter Form, einvernehmlich beschlossen.

Die EU hat soeben immerhin beschlossen, den Europäischen Emissionshandel über die Industrie hinaus auch auf die Bereiche Gebäude und Verkehr auszuweiten. Zirka  85 Prozent aller europäischen CO2-Emissionen sind damit zukünftig an Emissionsrechte gebunden. Die Menge dieser Emissionszertifikate soll kontinuierlich sinken, so dass sie sich sukzessive verteuern und der entsprechende Kostendruck sollte dazu zwingen, in allen Bereichen das jeweils Kostengünstigste zu unternehmen, um diesen Ausstoß zu verringern. Die EU ist zuversichtlich, auf  diese Weise ihre Klimaziele bis 2030 und weiter bis 2050 zu erreichen. Ich glaube zwar auch, dass sie damit große, den CO2-Ausstoß vermindernde technologische Verbesserungen erreichen wird, aber auch wenn das natürlich sinnvoll ist,  zweifle ich, dass es reicht, den Klimawandel zu verhindern.

Ich teile diesbezüglich die Einwände des deutschen Ökonom Heiner Flassbeck, der  in seiner Argumentation vom eingangs beschrieben Tatbestand ausgeht: Die Erwärmung  der Atmosphäre kann nur in dem Ausmaß vermindert werden, in dem weniger Öl/Gas gefördert und damit verbrannt wird. Global ist das trotz des Pariser Klimaabkommens in keiner Weise gelungen: Die CO2 Emissionen sind vielmehr weiter gestiegen, obwohl zumindest die EU seit zwanzig Jahren Gegenmaßnahmen ergriffen hat und es den Emissionshandel der Industrie längst gibt. Dieser Misserfolg liegt daran, dass die Erwärmung eben nicht in erster Linie davon abhängt, ob in der EU weniger CO2 aus Schloten und Auspuffen kommt -wobei nicht einmal das gelungen ist, aber vielleicht in Zukunft gelingen könnte – sondern ob weltweit weniger CO2 emittiert wird. Und diesbezüglich, so meint Flassbeck, unterliege man in der EU einem Denkfehler: Dass in der EU weniger Öl verbrannt wird, bedeute nämlich in keiner Weise, dass auch weltweit weniger Öl verbrannt würde. Vielmehr würde jeder Liter Öl, den die EU nicht kauft und verbrennt, sofort von Indien, China oder irgendeinem Entwicklungsland gekauft und verbrannt, um sich unserem Lebensstandard anzunähern. Das sei ökonomisch unvermeidlich und bedeute: Was immer wir weniger verbrennen, verbrennen andere mehr. „Nur wenn man sich das eingesteht“, meint Flassbeck, „kann es gelingen, ganz andere internationale Vereinbarungen zu treffen, bei denen die Produzenten fossiler Energieträger von Anfang an mit an Bord sind und eine kontinuierliche Reduktion der Förderung festgeschrieben wird. Nur ein solches globales Abkommen kann den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich alle erfolgreich anpassen können.“

Ich halte diese Einbindung der OPEC-Produzenten, voran Saudi Arabiens und der Golfstaaten nicht nur für notwendig, sondern auch für möglich. Durch Jahrzehnte haben sie sich nämlich der Forderung der USA nach einem niedrigeren Ölpreis gebeugt, um sich deren Waffenhilfe zu sichern    umso mehr sollten sie eine Vereinbarung akzeptieren, die ihnen zugesteht, den Ölpreis in einem festgesetzten Rhythmus und Ausmaß kontinuierlich zu erhöhen und damit  länger von ihrem Öl zu profitieren. Zwar unternimmt Joe Bidens  derzeit leider das Gegenteil: Aus Angst, dass die Teuerung ihn 2024 die Wahlen kostet, versuchte er – erfolglos – die  Saudis zur Rücknahme ihres Beschlusses zur Förderkürzung zu bewegen. Aber statt dass die EU sich von ähnlichen Ängsten leiten lässt, sollte sie die Führungsrolle übernehmen und Biden überzeugen, dass die zitierte Einigung mit der OPEC der bessere Weg ist, weil er zu messbaren Erfolgen im Kampf gegen den Klimawandel führen wird, mit denen alle Beteiligten bei den Wählern punkten können. Das Richtige – die kontinuierliche Verteuerung des Öls durch kontinuierliche Reduktion der Förderung  – kann nur geschehen, wenn alle Beteiligten begreifen, dass sie zu ihrem Vorteil ist, indem sie den Planeten schützt. Am Schwersten ist dieses Begreifen für die breite Bevölkerung: Sie wird die Verteuerung des Öls nur akzeptieren, wen sie sozialverträglich erfolgt. Dazu müssen die Regierungen über einen neoliberalen Schatten springen: Sie müssen die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß senken, in dem sie die Steuern auf Vermögen erhöhen. Man wird um den Abbau der gewaltigen Differenz zwischen Arm und Reich nicht herumkommen, wenn man die Zukunft lebenswert gestalten will.

Gleichzeitig könnte die EU, wenn sie begreift, dass ihr Bemühen, weniger Öl zu verbrennen, nicht linear dazu führt, dass weltweit weniger Öl verbrannt wird, zu einer weniger hektischen Anpassung unseres Öl/Gas -Verbrauchs kommen. Denn Menschen, die damit finanziell massiv überfordert sind,  sind sonst auch im Begreifen der notwendigen Verteuerung überfordert.

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Emmanuel Macrons unlösbare Aufgabe

Die Wut gegen Frankreichs Präsidenten entlädt sich aus einem absurden Grund. Frankreichs eigentliches wirtschaftliches Problem kann er beim besten Willen nicht lösen.

Dass man das Pensionsantrittsalter etwas erhöhen muss, wenn die Lebenserwartung dramatisch steigt, scheint relativ einsichtig. Dass die Anhebung von 62 auf 64 Jahre in Frankreich seit Monaten zu Straßenschlachten führt, hat einen simplen Grund: Nach Frankreichs Rechter, die sich Marine Le Pen als Präsidentin wünscht, wollen auch Frankreichs Sozialisten, aus deren Reihen er kommt, nichts mehr von Emmanuel Macron  wissen. Selbst dass er Frankreichs Größe (Grandeur) im Gespräch hält – bei seinem jüngsten Chinabesuch erklärte er, dass die Franzosen nicht daran dächten, die Taiwan – Politik der USA wie Vasallen zu kopieren- stieß zu Hause auf kleinliche Kritik: Es sei vielleicht ganz gut, dass die USA Taiwan schützen wollten.

Dennoch ist die Weltpolitik den Männern und Frauen auf der Straße reichlich egal. Sie demonstrieren gegen zwei Jahre weniger Pension, weil sie das Gefühl haben, dass ihr ohnehin geringer Wohlstand einmal mehr beschnitten wird. Die Überlegung, dass die massiv gestiegene Lebenserwartung rechnerisch nichts anderes zulässt, ist diesem Gefühl nicht gewachsen. Die Franzosen wollen, dass es ihnen besser, statt schlechter geht und sie können den wirtschaftlichen Zustand ihres Landes nicht nur aus Zahlen ablesen, sondern erleben ihn täglich: Die Arbeitslosigkeit liegt noch immer bei 7,1 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit verharrt bei 17,4 Prozent – in Deutschland gibt es ganz drei Prozent Arbeitslose.

Es war die Hoffnung, dass Macron diesen wirtschaftlichen Zustand grundlegend verändern würde, die seiner inhomogenen „Bewegung“ 2017 als Partei „En Marche“ eine satte parlamentarische Mehrheit bescherte. Er setzte zwar durch, dass die Abfertigung Gekündigter nicht mehr so hoch ist, dass sie in Wirklichkeit Anstellungen verhindert und dass Eisenbahner nicht mehr mit 54 in Pension gehen dürfen, aber besser geht es den Franzosen nicht. Zuletzt war die zerstrittene Regierung nicht einmal mehr in der Lage, auch nur den Beschluss zur dringenden Anhebung des Pensionsalters zu fassen. Für diesen Fall kennt das französische Präsidialsystem die Möglichkeit des Präsidenten, sein Anliegen mit einer Art Notverordnung durchzusetzen und wie viele Präsidenten vor ihm machte Macron davon Gebrauch – was die Stimmung freilich noch mehr anheizte. Die Opposition focht die Verordnung an, aber die neun Verfassungsrichter, durchwegs ranghohe Ex- Politiker, beurteilten die Anhebung als verfassungskonform. Macron hat scheinbar einen klaren Sieg errungen.

Aber der Schein trügt. Die Unruhen dauern an; die Gewerkschaften haben Macron den totalen Krieg erklärt; er hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Niemand weiß, wie er bis 2027 etwas weiterbringen soll. In deutschen Zeitungen kann man zutreffend lesen, woran Frankreich krankt: An der Weigerung so vieler Franzosen, strukturelle Reformen zu akzeptieren; an den zu starken Gewerkschaften; am zu großen Anteil der Landwirtschaft am BIP; an der zu geringen Bereitschaft einer abgehobenen Elite, sich mit den Problemen des kleinen Mannes zu befassen und Schonung der Elite vor Strafverfahren wegen Korruption.

Aber trotz all dieser traditionellen Schwächen wies Frankreich noch 2005 ein reales, kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf aus, das mit 36.703 USD nur um 1.198 USD unter dem deutschen von 37. 901 USD lag. Denn Frankreich besitzt gute, große Unternehmen, seine Klein- und Mittelbetriebe sind zwar schwächer als die deutschen, aber dafür hat es eine große konjunkturunabhängige Luxusindustrie und sind seine Banken weit stärker als deutsche Geldinstitute. Es hat gute Patente, sehr gute Schulen und sehr gute Universitäten. Aber während Deutschland sein BIP/Kopf bis 2017 auf 45.229 USD steigerte, legte das Frankreichs nur mehr auf 38.605 USD zu. Aus einem Abstand von rund 1.200 USD zu Gunsten Deutschlands im Jahr 2005 war 2017 einer von 6.000 USD geworden, der heute auf 7.400 USD weiter gestiegen ist.

Der so dramatisch vergrößerte Abstand hat zwar mehrere Gründe, aber  einen zweifelsfreien Hauptgrund, über den Deutschlands Medien kein Wort verlieren: Während Frankreich seine Löhne wie durch Jahrzehnte üblich, jedes Jahr um den Produktivitätszuwachs plus Inflation erhöhte und damit die in der EU vereinbarte Ziel-Inflation von 1,9 Prozent einhielt, übt Deutschland seit 2000 „Lohnzurückhaltung“. Daher die Reallohn Verluste vieler deutscher Arbeitnehmer – daher der gewaltige Konkurrenz-Vorteil der mit immer weniger Lohnkosten belasteten deutschen Waren, der sich gegenüber Frankreich zu einem Lohnstückkosten-Vorsprung von 20 Prozent addierte. Entsprechend massiv mussten französische Unternehmen in der EU, in Russland, in den USA oder in Südamerika Marktanteile an deutsche Unternehmen verlieren; mit Deutschland selbst wuchs  Frankreichs Handelsbilanz-Defizit um den Faktor 30.

Frankreichs Möglichkeit, Deutschland die verlorenen Marktanteile wieder abzujagen, ist eine rein theoretische. Denn  dazu müssten Frankreichs Unternehmen die deutschen Preise unterbieten, das heißt ihr Lohnniveau um mehr als 20 Prozent senken. Das provozierte selbst in Ansätzen eine Revolte, neben der die aktuellen Unruhen lächerlich sind. Zugleich verminderte es Frankreichs Inlands-Kaufkraft, die seine Inlands- Konjunktur aufrecht hält, derart, dass sie zusammenbräche. Aber ich soll nicht ständig wiederholen, warum ich in Deutschlands wirtschaftlichem Verhalten die größte Gefahr für die EU sehe.

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Wann und wodurch wanken Banken?

Die Pleiten von Banken könnten auch davon herrühren, dass sie mehr spekulieren, als sie Unternehmen Geld kreditieren. Hohe Zinsen können diese Gefahr verschärfen

Im Falter-Podcast zu  „Schwächen des Finanzsystems“ habe ich die Frage, ob unsere Banken sicher sind, spontan mit „Ja“  beantwortet, weil ich mein eigenes Geld ohne zu Zögern auf jede heimische Bank legte.

Die richtige Antwort wäre gewesen: „In Österreich sind Einlagen bis 100.000 Euro absolut sicher. Aber man kann ein Finanzsystem nicht „sicher“ nennen, in dem soeben zwei Großbanken Pleite gegangen sind. Es hat nur keinen Flächenbrand ausgelöst, weil richtig reagiert wurde:“ Regierung und Notenbank der Schweiz haben bekanntlich dafür gesorgt, dass die größte Schweizer Bank, UBS, die wankende Credit Suisse übernommen hat; Joe Biden konnte verkünden, dass die Einlagen bei der Silicon Valley Bank (SVB) voll aus einem Topf gedeckt sind, den die US-Banken für solche Fälle gemeinsam gebildet haben. Auch wenn er nachschießen musste, dass die Regierung die Sicherheit aller Einlagen garantiert und das nur glaubwürdig war, weil die FED erklärte, jeder Bank, die sich in Schwierigkeiten befände, anonym zur Hilfe zu kommen.

Obwohl es in der EU keinen gemeinsamen Topf gibt und nichts Vergleichbares gesagt wurde, ist auch hier Ruhe eingetreten. Der Ökonom Stefan Schulmeister hat aber  zu Recht sofort darauf hingewiesen, dass das aktuelle Bankensystem störanfällig bleibt. Er, die ATTAK -Ökonomin Lisa Mittendrein und ich waren auch eher einig, woran das liegt: Das Hauptgeschäft der Banken besteht nicht mehr darin, Konsumenten und vor allem Unternehmen das Geld für realwirtschaftliche Geschäfte zu kreditieren, sondern darin, Geld in die Geldwirtschaft zu stecken und dort um so größere Gewinne zu machen, je spekulativer diese Investition ist. Denn das zeichnet die „Börse“ aus: Der Aktienkurs eines Unternehmens, etwa „Tesla“, kann auch nur deshalb immer mehr steigen – den sämtlicher anderer Autoproduzenten zusammen übertreffen – weil immer mehr Menschen Tesla-Aktien in der Hoffnung auf Kursgewinne kaufen. Vor allem wenn Geld billig ist, geschieht das öfter. Es entstehen riesige Scheinwert-Blasen, die mit den realen Gewinnerwartungen des betreffenden Unternehmens nichts mehr zu tun haben. Irgendwann platzen diese Blasen – die von Tesla ist bereits stark geschrumpft – aber bis dahin können gewaltige Gewinne oder Verluste erzielt werden. Wenn es an den Börsen sehr viele Unternehmen gibt, deren Kurse wenig mit ihrer realwirtschaftlichen Erfolgserwartung zu tun haben, dann kann es für Banken, die solche Wertpapiere halten, leicht zum Problem werden. Die Aktien von Start-ups, wie die SVB sie durchaus zu Recht finanzierte, bilden besonders leicht Blasen und wenn die Zinsen steigen wird es für sie kritisch. Die SVB deckte sich daher zum Ausgleich mit scheinbar todsicheren mäßig verzinsten Staatsanleihen ein. Aber deren Kurs musste dramatisch fallen, als die FED den Leitzinssatz drastisch anhob – das war bekanntlich der Todesstoß für die SVB. Das Problem ist die starke Zunahme relativ spekulativer Aktien und typisch für die aktuelle Situation ist, dass sogar Unternehmen mit ihren Gewinnen derzeit lieber an der Börse spekulieren, als sie ins eigene Geschäft  zu stecken.

Frägt sich, wie man ein zu hohes Maß an Spekulation und damit Unsicherheit reduzieren kann. Theoretisch dadurch, dass jeder, der sich verspekuliert, eben pleite geht. Aber wenn das einer große Bank wie Lehman Brothers passiert, mündet es in eine Finanzkrise, die zur Wirtschaftskrise wird – deshalb werden solche Pleiten bei großen Banken mit aller Kraft vermieden – vielleicht sollten sie nicht so groß sein?

In den USA mussten jetzt nur die Mittel aus dem gemeinsamen Bankentopf aufgewendet werden – in der EU gibt es diesen Topf vorerst nicht. Aber die EU-Bankenunion“ soll noch viel mehr leisten: Schon jetzt sorgt sie, besser als in den USA für eine gemeinsame Bankenaufsicht und sieht auch einen Mechanismus für die Abwicklung strauchelnder Banken vor, damit sie nicht so teuer wie bei der Credit Suisse ausfällt. Was weiter fehlt ist die in allen Ländern gleiche Absicherung der Einlagen durch einen gemeinsamen Topf: Deutschland wehrt sich dagegen mit seinen Banken womöglich für die Pleiten „südlicher“ Banken zu haften, obwohl die „Deutsche Bank“ gelegentlich in Skandale verwickelt war, die an die Credit Suisse erinnern.

Vergleichbar nützlich erschienen mir für alle Unternehmen absolut gleiche, von jedem Unternehmen einzuhaltende Vorschriften der Bilanzierung: Es sollte undenkbar sein, dass, wie in Österreich geschehen, für ein Geschäftsjahr zuerst ein Verlust und dann einen Gewinn bilanziert wird. Wenn sich alle Unternehmen an Hand ihrer Bilanzen einfach bewerten lassen, bleibt weniger Raum für Spekulation.

Sehr unterschiedlich haben wir im Podcast die Rolle der Notenbanken beurteilt: Die Ökonomin Heike Lehner, die an der Wirtschaftsuni tätig ist, war der Meinung, dass sie durch ihr zu spätes Eingreifen Schuld an der aktuellen Inflation trägt und die Zinsen jetzt zu Recht endlich deutlich erhöht – Schulmeister und ich können unverändert nicht verstehen, warum eine Geldpolitik, die durch 13 Jahre fast mit Deflation verbunden war, plötzlich zentrale Ursache der Inflation sein soll und zweifeln auch am Segen der aktuellen massiven Zinserhöhung, von der ich fürchte, dass sie jedenfalls dann in eine Rezession münden wird, wenn die Staaten der EU weiterhin sparen, statt massiv in Digitalisierung und Klimaschutz zu investieren. Gegen Ende des Jahres könnten Sie es wissen.

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So sind wir-zu einem leider großen Teil

Herbert Kickl tritt mit seinem Verhalten gegenüber der Ukraine und seinem politischen Erfolg den Beweis an, dass wir doch weitgehend so sind wie „Ibiza“ uns zeigt.

„So sind wir nicht“, sagte Alexander Van der Bellen im Juni 2019, als „Ibiza“ die Nachrichten beherrschte. Es war das eine der wenigen Halbwahrheiten aus dem Mund des Bundespräsidenten: Ein erheblicher Teil der Österreicher ist so. Seit einer Woche können wir für uns in Anspruch nehmen, das einzige westliche Land zu sein, in dem, wenn Sonntag gewählt würde, eine Partei die mit Abstand meisten Stimmen erhielte, deren Mandatare geschlossen den Saal verlassen haben, als der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj dem Parlament per Videoschaltung für Österreichs humanitäre Hilfe dankte. „Vertreter der Ukraine haben hier genau so wenig verloren, wie der Vertreter Russlands oder einer anderen kriegsführenden Partei“, begründete Herbert Kickl die Vorgangsweise seiner Partei und brachte es mit diesem Satz fertig, das Vorgehen des neben Saddam Hussein größten Kriegsverbrechers seit Adolf Hitler in einem Atemzug mit dem Kampf der Ukrainer für das Überleben ihrer überfallenen Heimat zu erwähnen. Auch die SPÖ schien mit Selenskyjs Auftritt nicht ganz klar zu kommen: Die Hälfte ihrer Mandatare blieb, wenn auch nicht demonstrativ, der Selenskyj Rede fern, denn auch in der SPÖ sind viele Abgeordnete nicht sicher, dass diese Rede mit der Neutralität vereinbar ist.

Das kommt davon, dass dieser Staat, seine Bevölkerung und seine Parteien zur Neutralität durchwegs ein schlampiges Verhältnis unterhalten: Sie ist ein Bestandteil jeder außenpolitischen Rede und wahrscheinlich inzwischen tatsächlich der österreichischen Identität, den man in Wahrheit nur akzeptieren kann, wenn man – ich wiederhole mich – gewillt ist, untätig zuzusehen, wenn jemandem mit Füssen gegen den Kopf getreten wird. Die grundsätzliche Diskussion um den humanen Wert oder Unwert der Neutralität zu unterlassen, ist ein zentrales österreichisches Problem, das einzig die NEOS als solches begreifen.

Schweden, Finnland oder Norwegen waren nie wie Österreich „dauernd“ („immerwährend“) neutral – das ist nur die Schweiz. Aber sie war es von Beginn an aus eigenem Willen, während wir uns einer Forderung Nikita Chruschtschows beugten, ohne deren Erfüllung wir den Staatsvertrag nicht erhalten hätten: Unsere angebliche Freiwilligkeit war erzwungen. Wenn man diese erzwungene „dauernde“ Neutralität ohne politische Notwendigkeit weiterhin ernst nimmt, dann hat Herbert Kickls Ablehnung einer Rede Wolodymyr Selenskyjs im Parlament eine Menge für sich: Die Professoren für Völkerrecht, Stephan Verosta und Alfred Verdross, die den Staatsvertrag rechtlich begleiteten, waren der damals unstrittigen Rechtsansicht, dass zwar der einzelne Bürger des dauernd neutralen Staates nicht verpflichtet ist, sich eines moralischen Urteils über die kriegsführenden Parteien zu enthalten (er ist kein Subjekt des Völkerrechts), „wohl aber wird es der dauernd neutrale Staat vermeiden, in Konflikten dritter Staaten Partei zu ergreifen.“ (Verosta). Im zweiten Weltkrieg warf Deutschland der Schweiz Bruch der Neutralität vor, weil sie nicht verhinderte, dass ihre Zeitungen Hitlers Vorgehen kritisierten und die Schweizer Regierung erwog ernsthaft Zensurmaßnahmen. Die Behauptung, die österreichische Neutralität sei ausschließlich militärisch zu verstehen, steht völkerrechtlich auf halb so sicheren Beinen. Allerdings hätte Österreich durch seinen Beitritt zur EU (den die Schweiz vermied) viel schwerwiegender  gegen die Forderung nach „dauernder“ Neutralität verstoßen als durch Selenskyjs Rede im Parlament, und auch Österreichs lächerliche Wehrkraft war ein ungleich massiverer Verstoß dagegen.

Gleichzeitig ist das Völkerrecht freilich einem steten gewohnheitsrechtlichen Wandel unterworfen: Die Rechtsansicht, dass der dauernd neutrale Staat sehr wohl moralisch Partei ergreifen darf, ist heute längst nicht mehr so umstritten wie 1956. Vor allem gibt es auf der Welt nur mehr zwei Staaten, die dieses Gewohnheitsrecht formen: Österreich und die Schweiz. Natürlich konnte Selenskyjs Rede daher völkerrechtlich genauso gut stattfinden, wie man sie völkerrechtlich begründet vermeiden konnte. Kickl kennzeichnet, dass es sie nicht hören will –  dazu steht ihm Wladimir Putin politisch zu nahe.

Wenn in Österreich irgendwann irgendetwas ernsthaft durchdacht und diskutiert würde, verabschiedete es sich aus Gründen des politischen Anstands wie der rechtlichen Sauberkeit von der „dauernden“ Neutralität – oder handelte wie die Schweiz ein anderes Abkommen mit der EU aus und steckte um die zwanzig Milliarden Euro in ein der Schweiz ebenbürtiges Heer. Letzteres kommt natürlich für keine Partei des Landes, auch nicht die FPÖ, in Frage. So wie wir das Trittbrettfahren lieben, lieben wir die schlampigen Rechtsverhältnisse – wir sind so.

Auch Herbert Kickl bekämpft die Parteinahme Österreichs ja nicht aus ernsthafter Sorge um ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht. Mir ist nicht bekannt, dass er aufgeschrien hätte, als die FPÖ in ihrer Koalition mit der ÖVP Wolfgang Schüssels sehr ernsthaft den Beitritt zur NATO erwog. Vielmehr vermochte Kickl vielen Österreichern glaubhaft zu machen (und glaubt es wahrscheinlich auch selbst), dass ihnen die Teuerung erspart bliebe, wenn Russland nicht sanktioniert und Putin nicht kritisiert würde. Und sobald viele Österreicher meinen, dass es ihnen mit „Heraushalten“ wirtschaftlich besser ginge, ist ihnen Moral völlig egal. Denn so sind wir – leider zu einem verdammt großen Teil.

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Das demagogische Phänomen Herbert Kickl

 Der FPÖ-Chef ist Joseph Goebbels zwar sicher nicht als Verbrecher aber als Demagoge ebenbürtig. Die von ihm bei Corona erreichte Schuld-Umkehr ist einzigartig.

 Dass Juristen meinen, die Rückzahlung rechtswidriger Corona-Strafen seitens der NÖ-Landesregierung sei nicht möglich, weil der Bund für diese Strafen zuständig ist, sollte dazu führen, die Idee Udo Landbauers mit einem Bundesgesetz umzusetzen: jede Fehlleistung, die Österreich im Rahmen der Pandemie zum Schaden gereichte, muss abgegolten werden. Am besten indem die schuldigen politischen Funktionäre mit ihrem Vermögen haften. Die Finanzprokuratur könnte diese Haftung wahrnehmen und sofort ein Verfahren gegen Herbert Kickl & Co anstrengen, hat deren Agitation doch entscheidend dazu beigetragen, dass Österreichs Covid-19 Impfquote weit hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben ist und gereicht uns das derzeit doch massiv zum Schaden: Im März 2023 verzeichnete Österreich mit wöchentlich 389 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner die weltweit höchste Infektionsrate – in „Die Zeit“, die solche Daten jeweils graphisch wiedergibt, sind wir das einzige dunkelrot eingezeichnete Land des Erdballs. Zum Vergleich: Die nächsthöhere Wocheninzidenz verzeichnet Deutschland mit 44 Infektionen, wobei das auch dort einer dürftigen Impfquote entspricht, während dass massiv geimpfte Spanien nur 15,2 Neuinfektionen beklagt. Neben der niedrigen Impfquote hat an unserer hohen Inzidenz natürlich auch Anteil, dass selbst Gesundheitsminister Johannes Rauch die Pandemie so ausdrücklich als beendet erklärt hat, so dass niemand mehr Masken trägt, während Spanier sie vielfach weiterhin tragen und man ohne sie nicht im Autobus fahren darf. Aber auch dieser abrupte demonstrative Schlussstrich ist der Agitation Kickls zu danken. Zwar ist Infektionsrate 389 pro Woche nicht mit Spitalsaufenthalt und Fernbleiben von der Arbeit gleichzusetzen, aber die entsprechenden Prozentsätze lassen sich leicht ermitteln und damit auch der finanzielle Schaden, der Österreichs Spitälern und Unternehmen täglich erwächst. Die Prokuratur könnte ihn bei Kickl schon in wenigen Monaten geltend machen.

Am besten wäre das nicht nur Spaß sondern es gäbe Gesetze, die massiv gesundheitsgefährdende Agitation erschweren. Das Phantastische an der österreichischen Wirklichkeit des Jahres 2023 besteht darin, dass es Kickl gelungen ist, eine Stimmung zu schaffen, in der sich Gesundheitsminister und Sachverständige für ihr „Versagen“ entschuldigen sollen, damit die FPÖ zur Versöhnung bereit ist – ich glaube wirklich, dass Ähnliches allenfalls Joseph Goebbels gelungen wäre.

Kickl hat immer die Slogans erdacht, mit denen H.C. Strache und Jörg Haider Furore gemacht haben und nun weiß man, dass er sie auch genau so gut vorträgt:“Pummerin statt Muezin“ und jetzt „Die Regierung treibt die Corona Apartheit auf die Spitze“ verkürzen und verdichten auf brillante Weise die Animosität, mit der Teile der Bevölkerung auf eine für sie neue Herausforderung reagieren, brachte die Pandemie doch besonders viel Unangenehmes mit sich – da ist es besonders angenehm, „denen da oben“ die Schuld dafür zu geben. Ein Problem besteht darin, dass es auf Seiten der SPÖ, ÖVP, NEOS und Grünen niemanden gibt, der Richtiges ähnlich brillant zu formulieren vermag.

Ein zweites Problem ist die außergewöhnliche Wissenschaftsfeindlichkeit von Österreichern wie Deutschen, über deren gemeinsame Wurzel man unter alternativen Grünen nachdenken sollte, denn es haben bekanntlich erstaunlich viele von Ihnen an den Corona-Protesten teilgenommen, zu denen FPÖ und AfD aufgerufen haben. Beiden Parteien kam dabei zugute, dass Krankheit und Impfung mit besonders viel Emotion verbunden sind. Zur nationalen Rechten zählt man sich einer überlegenden Rasse zu, deren mythische Helden wie Siegfried fast unverletzlich waren. Dazu passt die Argumentation, dass die natürlichen Abwehrkräfte völlig reichten, das Virus in Schach zu halten. Aber erstaunlich viele alternative Grüne glauben sich dem Rest der Bevölkerung ebenso überlegen, indem sie „wissen“, dass es abseits „scheinrationaler“ wissenschaftlicher Erkenntnisse, „spirituelle Kraftfelder“ gibt – in Wien wurden an einen Esoteriker bekanntlich 95.000 Euro bezahlt, damit er das Klinikum Nord mit einem „Energie-Schutzring“ umgibt. Esoterik hat nationalsozialistische Tradition: Der „Völkische Beobachter“ war eine Zeitung, die der „Esoterik“ huldigte, ehe ihr „völkisches“ Fühlen zum wichtigsten Inhalt wurde. Esoteriker, die das „Natürliche“ allem „Künstlichem“, von Menschen Geschaffenem vorziehen, idealisieren die Natur, die in ihren Augen nur Gutes schafft – entsprechend schwer fällt ihnen, das von ihr auch geschaffene Virus zu bekämpfen, befürwortet doch ein Reihe von ihnen „natürliche Erkrankungen“ sogar als Erweiterung des Bewusstseins.

Dass die Impfstoffe von Moderna und Pfizer/Biontech „gentechnisch“ hergestellt werden, musste zur extremen Rechten wie zur grün-alternativen Linken besonders irritieren, legt man dort doch den größten Wert auf „Gentechnikfreiheit“ – bei keinem Nahrungsmittel darf dieser Hinweis fehlen. In Wirklichkeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pflanze oder ein Virus in der Natur auf eine für Menschen gefährliche Weise mutiert, ungleich größer, als dass das bei einer gentechnischen Unternehmung geschieht, denn mit der „Genschere“ können Biologen ungleich genauer ins Genom eingreifen, als das „natürlich“ durch Sonneneinstrahlung oder Blitzschlag geschieht. Aber ich warte schon auf die entsprechenden empörten Leserbriefe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bewegung in der Ukraine

US-Außenminister Antony Blinken versteht sein Geschäft. Indem er Verhandlungen über die künftigen Grenzen der Ukraine nicht ausschließt, lässt er Wolodymyr Selenskyj wissen, dass er davon ausgeht, dass die Krim bei Russland bleibt und lässt er Wladimir Putin wissen, dass die USA ihm einen gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Ukrainekrieg ermöglichen wollen, indem er die Krim behält.

Anders lassen sich Blinkens Worte vor dem Congress kaum interpretieren: „Ich glaube, dass es Gebiete in der Ukraine gibt, bei denen die Ukrainer entschlossen sind, am Boden darum zu kämpfen. Und eventuell gibt es Gebiete, bei denen sie beschließen zu versuchen, sie auf anderen Wegen wiederzuerlangen.“ Er, Blinken, warte darauf, wie sich die Ukrainer entscheiden.

De Facto ist das was Blinken da in Gang gesetzt hat, der einzige gangbare Weg zu einer Waffenstillstandsvereinbarung und einem künftigen Frieden.

Ich gehe davon aus, dass die Truppen der Ukraine in den nächsten Monaten alles unternehmen, um die Grenzen im Donbass zu ihren Gunsten zu verschieben und wenn ihnen das gelingt, kann man als Optimist hoffen, dass im Herbst Verhandlungen beginnen. Selenskyj will zwar vorerst von veränderten Grenzen nichts wissen, aber ohne die massive Hilfe der USA kann er nicht in die Krim vorstoßen und es ist klar, dass er diese massive Hilfe zu diesem Zweck nicht erhält.

Der Frieden, der auf diese Weise zustande kommen könnte, bleibt zwar ungerecht – es bliebe dabei, dass Putin mittels eines völkerrechtswidrigen Vorstoßes Terrain gewinnt – aber das Sterben nähme ein Ende. Und man soll auch nicht ganz vergessen, dass die Krim nur deshalb zur Ukraine gehört, weil der Ukrainer Nikita Chruschtschow sie ihr 1968 geschenkt hat – nicht sehr viel anders als Adolf Hitler das Salzkammergut in der NS-Zeit seiner Heimat Oberösterreich angeschlossen hat.

PS: Ich glaube dass die Demokraten gut beraten wären, mit Antony Blinken statt mit Joe Biden in den Wahlkampf zu ziehen: er ist jung, gewinnt ständig an Bekanntheit und trägt keine Altlasten mit sich.

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Wie Notenbanken unsinnig Risiken erhöhen

Silicon Valley Bank und Credit Suisse sind primär Opfer ihres schlechten Risikomanagements – aber massiv erhöhte Leitzinsen haben ihre Risiken zusätzlich erhöht.

Vor einem Monat habe ich hier getitelt: „Hoffentlich weiß die Geldpolitik, wohin sie führt?“ Jetzt ist klar: Sie weiß es nicht. Die Silicon Valley Bank (SVB) ist, wie die Credit Suisse, zwar primär Opfer ihres schlechten Risikomanagements, aber angesichts massiv erhöhter Zinsen musste ihr Risiko schlagend werden: Im gegebenen Zinsumfeld erwiesen sich Schwächen als letal.

Ausgangspunkt der massiven Zinserhöhung von FED und EZB war die absurde These, dass ihre lockere Geldpolitik die Hauptschuld an der aktuellen Teuerung trüge, obwohl sie durch ein Jahrzehnt beinahe mit Deflation verbunden war. Aber während für Laien klar war, dass die aktuelle Teuerung voran der Verteuerung fossiler Energie durch den Ukrainekrieg geschuldet ist, beharren Wirtschaftswissenschafter wie Deutschlands „Starökonom“ Hans Werner Sinn auf der zentralen Schuld der lockeren Geldpolitik, die er so begründet: Die Inflation hätte sich in zehn Jahren wie Catchup in einer Flasche angestaut und pflatsche nur auf einmal heraus.

Auch ich halte billiges Geld keineswegs für grundsätzlich gut, aber nach der Finanz- und der Corona- Krise erleichterte es die Erholung erheblich. Richtig wäre gewesen, den Leitzins nur in den viel besser erholten USA und erst nach ihrer völligen Erholung auch in der sparenden EU, in beiden Fällen aber denkbar behutsam, anzuheben – ihn massiv anzuheben war ein grober Fehler. In den USA wurde er dadurch begünstigt, dass die „Democrats“ fürchten, die Teuerung könnte Joe Biden den politischen Erfolg kosten – in der EU geschah er, weil Christine Lagarde dem Druck nachgab, den voran Deutschlands Vertreter, aber auch Österreichs Robert Holzmann im EZB-Rat entfalteten. Gemeinsam war ihnen, den Unterschied von „Teuerung“ und echter Inflation nicht zu sehen: Letztere liegt nur vor, wenn steigende Preise überhöhte Löhne bedingen, die zu noch höheren Preisen führen, und wenn das in einen sich selbst verstärkender Prozess mündet – das aber war weder in den USA noch in der EU der Fall und wäre die einzige Rechtfertigung, den Leitzins massiv zu erhöhen. Zudem hätte man gewarnt sein müssen: Genauso hat FED-Chef Alan Greenspan 2008 agiert, als er die Märkte zuerst aus einem falschen Grund, nämlich wegen bröckelnder Aktienkurse, mit billigem Geld flutete, um den Leitzins plötzlich aus Angst um den Dollar massiv zu erhöhen.

Die Pleite der SVB erinnert zwar an die so entstandene Pleite von Lehman Brothers, aber die Unterschiede sind doch erheblich. 2008 hatten nicht nur Lehman Brothers, sondern alle großen Banken der USA und der EU toxische Finanzprodukte im Tresor: „Derivate“ vermischten auf undurchsichtige Weise Kredite von Hauskäufern bester Bonität mit Krediten an denkbar schwache („subprime“) Schuldner. Als Greenspan den Leitzins plötzlich massiv anhob, konnte keiner diese schwachen Schuldner seine Kreditraten zahlen, der Wert der Derivate stürzte ab und zahllose Banken in den USA wie der EU wankten.

Das ist jetzt anders, auch wenn die hohen Aktienkurse einmal mehr mit zuvor billigem Geld zu tun haben. (Obwohl es nicht der Aktien, sondern der Pandemie wegen bis lange billig war). Der größte Unterschied zu 2008 besteht aber darin, dass die Probleme von SVB oder Credit Suisse nicht die Dimension haben, die die toxischen Derivate mit sich brachte. Die Credit Suisse wankte auf Grund einer einzigartigen Abfolge von Skandalen und hat sich dank 100 Milliarden aus der Schweizer Notenbank in der starken UBS aufgelöst. Die SVB hatte sich auf die Finanzierung von Startups spezialisiert und ihr Risiko unterschätzt, und es gibt zwar eine Menge US-Banken mit diesem Geschäftsmodell – aber nicht entfernt so viele, wie 2008 sowohl in der USA wie in der EU toxische Derivate in ihren Büchern hatten. Denn die Undurchsichtigkeit dieser Derivate war damals staatlich vorgegeben: Die USA hatten den Handel mit ihnen im Eivernehmen mit Greenspan als „Privatgeschäft“ eingestuft und bewusst nicht reguliert. Komplettiert wurde dieser neoliberale Skandal dadurch, dass die großen Rating-Agenturen, die von den Banken gegen hohes Honorar mit der Bewertung der Derivate beauftragt wurden, sie als absolut sicher (tripple A) einstuften, obwohl sie oft völlig wertlos waren. Zum Flächenbrand wurde die Lehman – Pleite, weil George W. Bush sie bewusst nicht durch staatliches Eingreifen abwendete. Da unzählige Banken Derivate besaßen, hörten sie aus Pleiten-Angst auf, einander Geld zu borgen und die nötigsten Geldflüsse trockneten aus.

Barack Obama und die Regierungen der EU lösten das Problem bekanntlich, indem der Staat „Systemrelevanten“ Banken hohe Kredite gewährte. Die Banken mussten ihr Eigenkapital erhöhen und es wurden, in der EU mehr als in den USA, Stresstests eingeführt, die prüfen, wie widerstandsfähig sie sind. Gleichzeitig zahlen US-Banken in einen gemeinsamen Topf, aus dem die Kunden der SVB jetzt das Geld erhalten, das sie dort eingelegt haben – nur die Aktionäre der SVB verlieren Geld. Joe Biden garantiert im Wege der FED mittlerweile alle Bankeinlagen. In der EU gibt es das schon seit 2014 und dazu ein System für die Abwicklung kranker Banken. Zudem ist das Problembewusstsein geschärft: Die Credit Suisse ist bereits in der UBS aufgegangen und die Schweizer Notenbank hat dazu 100 Milliarden beigetragen. In Summe hat das in den USA wie in der EU gereicht, einen „Bankenrun“ zu verhindern – eine demnächst kräftige Rezession verhindert es nicht.

 

 

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Das Risiko militärischer Impotenz

Mit kaputtgesparter Wehrkraft verlässt sich die EU militärisch voll auf die USA. Aber alle künftigen US-Präsidenten werden das Engagement der USA in Europa vermindern.

Obwohl seine Berater ihn gewarnt haben, dass er sich damit schaden könnte, scheint Donald Trump seinen Wahlkampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner mit der Forderung nach dem Austritt der USA aus der Nato zu bestreiten. Er erhob diese Forderungen sowohl in einem eben erschienen Buch wie kürzlich auf einer Tagung rechter Republikaner, bei der er versprach, Geld statt für die Verteidigung der Ukraine lieber für den Bau seiner Mauer gegen Mexiko zu verwenden. Sein Kalkül: Die Amerikaner sind in ihrer Mehrheit isolationistisch, und nie war ihre Kriegsmüdigkeit größer als nach der Niederlage in Afghanistan.

Obwohl die Zuhörer begeistert „we want Trump“ skandierten, zweifle ich, dass die Republikaner ihn tatsächlich nominieren- der Gouverneur von Florida Ron De Santis hat die zweifellos besseren Chancen- aber ausschließen kann man weder, dass sie Trump doch nominieren noch dass er 2024 doch wieder Präsident wird. Bei den Wettbüros wird sein Sieg jedenfalls für nur halb so wahrscheinlich wie der Joe Bidens gehalten. Wie man als Spitzenpolitiker der EU angesichts eines Risikos dieser Größenordnung darauf verzichten kann, eine ernstzunehmende Streitmacht der EU wenigstens als rasch zu verwirklichende Möglichkeit zu planen, ist mir rätselhaft.

An sich stehen in den nationalen Armeen der EU kaum weniger Männer als in Russland unter Waffen und ihr gemeinsames Budget ist größer. Was fehlt, ist eine gemeinsame Befehlsstruktur und eine Einigung darüber, wann diese Streitmacht eingesetzt wird. Etwa: dass eine Mehrheit, die mindestens drei Viertel der EU-Bevölkerung vertritt, über den Einsatz bestimmt und dass opponierende Mitglieder sich daran nicht beteiligen müssen. Eine vorsorgliche solche Planung hieße ja keineswegs, die viel bessere Zugehörigkeit zur NATO aufzugeben – er vermiede nur fast völlige militärische Impotenz, wenn der Trump-GAU doch eintritt.

Und egal, ob der nächste US-Präsident Trump, De Santis, Joe Biden oder sonst wie heißt, wird er das Engagement der USA in Europa vermindern, weil es, wie einzelne Abgeordnete laut sagen, nicht im Zentrum des nationalen Interesses liegt. Es gibt keine vernünftige Begründung dafür, dass die Amerikaner die Hauptlast für Frieden in Europa tragen. Es ist weder finanziell gerechtfertigt – die EU ist ein sogar noch größerer Wirtschaftsraum und könnte bei besserer Wirtschaftspolitik auch genau so reich sein – noch ist es in Hinblick auf den menschlichen Einsatz gerechtfertigt: Wenn Putins Truppen die baltischen Staaten angriffen, ist es naheliegender, dass sich ihnen mehr deutsche und polnische als amerikanische Truppen entgegenstellen. Die EU kann nicht auf die Dauer militärisch impotent sein. Emotional gilt es einen Denkfehler der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Berta von Suttner (oder jetzt Sarah Wagenknechts und Alice Schwarzers) zu vermeiden, die da meinen, „die Waffen nieder“ garantierte am ehesten Frieden, denn das Gegenteil ist wahr: Nichts lädt potentielle Aggressoren so sehr zur kriegerischen Eroberung ein wie ein militärisch schwacher Gegner. Mindestens gleiche militärische Stärke schützt weit eher vor Krieg, und wenn der potentielle Aggressor, wie im Falle von Putins Russland, ein Unrechtsstaat ist, dann ist es nicht „Kriegs-hetzerisch“, sondern „Friedens-erhaltend“, wenn die rechtsstaatlichen Demokratien sich bemühen, die militärisch klar stärkeren zu sein.

Leider hat die deutsche EU-Politik bisher das Gegenteil bewirkt: Es wurde ja nicht nur die Bundeswehr kaputtgespart, sondern fast alle Armeen der EU haben gespart. Dass die EU der Ukraine derzeit weder genug Panzer noch genug Munition liefern kann, liegt ja nicht nur am Zögern Olaf Scholz`, sondern daran, dass es von beiden nicht genug gibt – auch die Rüstungsindustrie der EU wurde krank gespart. Die „Zeitenwende“ dürfte zwar dazu führen, dass die meisten Staaten in Zukunft 2 Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben werden, aber es bedarf einmal mehr der Grundeinsicht, dass Investitionen des Staates die Wirtschaft beleben, nicht aber bremsen, sonst werden der höheren Rüstungsausgaben wegen womöglich die Investitionen in den Klimaschutz verringert. In Wirklichkeit geht das – zum Vorteil der Wirtschaft – sehr wohl nebeneinander. Dass Deutschland derzeit ein 100 Milliarden Sondervermögen in sein Heer und zugleich 60 Milliarden in den Klimaschutz investiert, wird ihm wirtschaftlich nicht schaden, sondern es vor Rezession bewahren.

Leider fordert derzeit nur Emmanuel Macron eine eigene europäische Streitmacht und damit auch eine potente Rüstungsindustrie (und in Österreich sieht ausschließlich Beate Meinl- Reisinger diese Notwendigkeit.) Ursprünglich war an eine EU-Eingreiftruppe von immerhin 50.000 Mann gedacht – die nunmehr geplante 5000 Mann starke Truppe ist geradezu lächerlich klein. Aber selbst sie ist zumindest ein Ausgangspunkt und kann so Gott will als Kristallisationspunkt dienen. So haben die Spitzen der EU diese Woche immerhin beraten, wie der Rüstungsindustrie auf die Beine geholfen werden kann: sie muss erstens dauerhaft mit Aufträgen einer gewissen Größenordnung rechnen können und es sollte zweitens auch schon jetzt eine Einigung über die benötigten Waffensysteme geben. Vielleicht ergibt sich aus dieser Diskussion ein Nachdenken über die gemeinsame Streitmacht. Oder die EU ist doch so beschaffen, dass es den GAU braucht.

 

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Der billige Mythos Neutralität

Neutralität hat noch kein Land vor Krieg bewahrt – nicht einmal die Schweiz. Trotzdem gibt sie das x-fache Österreichs für ihre Armee aus. Trittbrettfahren ist billiger

Dass Beate Meinl Reisinger Kanzler Karl Nehammer vorwarf, den Kopf in den Sand zu stecken, indem er jede Debatte über Österreichs Sicherheit mit dem Hinweis auf die Neutralität abwürgt, kann die NEOS nur Stimmen kosten. Denn die Neutralität ist eine heilige Kuh, die Nehammer auch sogleich fütterte: „Die Neutralität war und ist hilfreich für die Republik Österreich und sie bleibt hilfreich!“

1997 sah das selbst die ÖVP anders, obwohl Russland damals niemanden überfallen hatte: „Es

habe sich gezeigt“, beschloss ihr Bundesparteivorstand „dass die europäische Sicherheit… vor allem in der neuen NATO entwickelt wird“…. Deshalb solle Österreich „der neuen NATO beitreten“.

Diese klare Formulierung schwächte Wolfgang Schüssel als Chef einer schwarz-blauen Koalition erst in der Regierungserklärung zum Konjunktiv ab, nachdem er Meinungsumfragen gelesen hatte. Obwohl der NATO-Beitritt damals auch Ziel der FPÖ war, deren Obmann Herbert Kickl sich heute entrüstet, dass die Regierung die Neutralität durch ihre Kritik an Russland gefährdet.

Nicht einmal die SPÖ war ihrer Ablehnung der NATO immer so konsequent wie ihr Klubobmann Heinz Fischer. 1993 konnte sich Kanzler Franz Vranitzky vorstellen, dass sich die Neutralität „als überflüssig und überholt erweisen könnte, wenn ein kollektives Europäisches Sicherheitssystem zustande kommen sollte“, und 1997 antwortete SP-Kanzler Viktor Klima im Standard auf die Frage, ob er sich eine NATO -Mitgliedschaft vorstellen könne: „Wenn wir ein europäisches Sicherheitssystem haben… warum sollten wir das dann nicht tun?“

Wolfgang Schüssel musste sich also nicht so völlig isoliert fühlen, wenn er eine NATO-Mitgliedschaft anstrebte.

Aber so einig alle Unterhändler des Staatsvertrags, von Leopold Figl über Bruno Kreisky bis zu Julius Raab darin waren, dass die Neutralität eine massive Einschränkung der Souveränität darstellt, so eindeutig sieht der heutige Souverän darin etwas, das uns auszeichnet. Zum einen, weil jedes Land sich besonders und ausgezeichnet sehen will, was umso leichter fiel, als die Neutralität  uns unter so beneidenswerte Länder wie die Schweiz und Schweden reihte, zum anderen, weil mit  Staatsvertrag und Neutralität Österreichs unglaublicher wirtschaftlicher Aufstieg einsetzte und man meint, dass auch sie daran Teil gehabt hätte, obwohl sie ihn etwas bremste:  Sehr vorsichtige Investoren  investierten lieber in NATO-Ländern.

Dafür erfüllte Bruno Kreisky die Neutralität mit Glanz: Er sah uns = ihn durch sie zum Schiedsrichter berufen: Währende Schwedens Olof Palme die USA kritisierte, kritisierte er ebenso neutralitätswidrig die UdSSR.

Der Frage, ob Neutralität tatsächlich vor Krieg schützt, trat neben soviel Glanz in den Hintergrund: Hitlers Wehrmacht hat mit Luxemburg, Belgien Holland, Dänemark und Norwegen einen neutralen Staat nach dem anderen überfallen, ohne dass dessen Neutralität das geringste Hindernis gewesen wäre, und Russland überfiel das neutrale Finnland. Dass die Schweiz verschont blieb lag ausschließlich daran, dass Hitler den Plan General Guderians, über die angeblich nicht panzergängigen belgischen Ardennnen statt über die Schweiz nach Frankreich vorzustoßen, für den besten hielt.

Schweden wiederum war militärisch ungemein stark: In Deutschland wusste man, dass seine Armee immer locker imstand sein würde, am Ende auch die eigene Stahlerzeugung zu zerstören. Ein Angriff auf Schweden hätte bedeutet, dass es keinen Stahl mehr geliefert hätte – darauf konnte Deutschland es nicht ankommen lassen. Mit seiner Neutralität hatte Schwedens Schonung so wenig wie die der Schweiz zu tun.   

Falsch ist aber auch die Behauptung, dass Österreich in der Vergangenheit durch seine Neutralität geschützt war. In kritischen Situationen, etwa im „Prager Frühling“ versicherte sich die Regierung immer in den USA, dass die Nato Österreich, anders als heute die Ukraine, verteidigen würde und das wusste man im Kreml. Dennoch gab es unter russischen Militärs gelegentlich Planspiele, die sich erstaunlich intensiv mit Österreich befassten. Das wichtigste davon war die Aktion „Polarka“, die davon ausging, dass die UdSSR das abtrünnige Jugoslawien Titos zur Ordnung ruft und dass Österreich bei dieser Gelegenheit „seine Neutralität missachtet“, was der UdSSR „zwingt“, einen gravierenden Fehler Nikita Chruschtschows wieder gut zu machen. Nach glaubwürdigen Aussagen hat Marschall Gregori Schukow dieses Planspiel sehr ernst genommen, aber Chruschtschow sei der Stärkere gewesen.

Was wurde aus den vielen hier angeführten Neutralen? Alle sind heute NATO–Mitglieder oder wollen es wie Schweden und Finnland werden. Alle begründen das mit ihrer Erfahrung.

Österreich müsste also starke Gründe haben, warum es der NATO fernbleibt. Der wirksamste ist der Umstand, dass der Beitritt Geld in Form massiver Aufrüstung kostete. Vor allem aber können sich die Österreicher nach wie vor relativ sicher fühlen, sind sie doch von der waffenstarrenden Schweiz und lauter NATO- Staaten umgeben. Trittbrettfahren ist also ungleich billiger. Stellt sich die Frage, warum es nicht alle Staaten wie Österreich machen? Die rationale Antwort lautet: Weil das System dann implodierte und Putin demnächst Europa beherrschte. Die moralische Antwort wollen wir nicht hören: „neutral“ ist ein Mann, der sieht, wie jemand einen anderen mit Füßen gegen den Kopf tritt und vorbeigeht, weil er sich entschlossen hat, sich nie einzumengen.

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