Ökonomische Ursachen des EU-Rechtsrucks

Sobald Lohnzurückhaltung in sparenden Staaten auf erhöhte Zuwanderung und Inflation trifft, ist ein Rechtsruck unvermeidlich. Deshalb ritt ich so oft auf beidem herum.

 Die EU hat den Rechtsruck, den die kommende Wahl ihrem Parlament zweifellos bescheren wird, voran sich selbst zuzuschreiben: Indem sie mit der Euro-Einführung “Sparen des Staates” vorschrieb und “Lohnzurückhaltung” zuließ, schuf sie eine wachsende Schicht unzufriedener Geringverdiener, aus der rechtsextreme Parteien (in Salzburg auch die KPÖ plus) ihre Wähler rekrutieren.

„Lohnzurückhaltung“ wurde ab 1990 von Hollands Gewerkschaften zugelassen, um angesichts hoher Arbeitslosigkeit Exportvorteile zu erringen. Österreich kopierte dieses Lohndumping noch bevor Deutschland es 2000 durch Hartz 4 perfektionierte. Indem drei der reichsten Staaten ihre Löhne nicht mehr gemäß der Benya-Formel um Produktivitätszuwachs plus Inflation erhöhten, schufen sie eine wachsende Schicht erstaunlich schlecht bezahlter Arbeitnehmer – in Österreich sind 14,8, in Holland 16,5 und in Deutschland 22 Prozent der Bevölkerung sogar armutsgefährdet.

Allerdings konnten die gleichen drei Staaten dank ihrer so massiv verringerten Lohnstückkosten anderen Staaten, die ihre Löhne wie Frankreich weiter nach der Benya-Formel (oder wie Italien gar darüber) erhöhten, immer mehr Marktanteile wegnehmen. (Sich durch “Abwertung” zu wehren, war im Euro nicht mehr möglich.) In Frankreich, Italien oder Spanien entstand daher mangels Auslastung ihrer vom “Norden” bedrängten Unternehmen, eine ähnlich große Schicht schlecht verdienender Arbeitnehmer, denn die gewachsene Zahl Arbeitsloser verhinderte gute Gehälter. Dass auf diese Weise in allen Euro-Staaten, den lohnzurückhaltenden wie den von ihnen wirtschaftlich geschädigten, die Zahl der Geringverdiener massiv zunahm, ist der Grund dafür, dass so viele Wähler die EU (wenn auch meist aus den falschen Gründen) kritisch sehen und auf rechtsextreme Parteien hereinfallen.

Gleichzeitig sorgt „Sparen des Staates“ ständig für solche Wähler. Eingeführt wurde es zum angeblichen Schutz des Euro mit dem Vertrag von Maastricht: Euro-Staaten sollen sich zu maximal 60 Prozent ihres BIP verschulden und  Budgetdefizite von maximal 3 Prozent einhalten. 2012 wurden daraus dank Angela Merkel die mit Strafe geahndeten Verpflichtungen des “Sparpakts”. Nur entspringt die Vorstellung, dass Staatsschulden Wachstum kosten müssen, der irrationalen Emotion schwäbischer Hausfrauen und der nachweislich falschen Berechnung des Ökonomen Kenneth Rogoff, der ermittelt haben will, dass mehr als 80 Prozent Staatsschuldenquote pro Jahr ein halbes Prozent Wachstum  kosten. Japan mit seiner Staatsschuldenquote von 235 Prozent falsifiziert das ebenso wie die USA, die mit 108 Prozent Schulden weit stärker als die EU wachsen.

Für das Wählerreservoir rechtsextremer Parteien bedingt das schwache  Wachstum sparender EU-Staaten nicht nur, wie die “Lohnzurückhaltung”, dürftige Löhne, sondern minimale Budgetdefizite, wie sie unter Sebastian Kurz von ökonomisch Ahnungslosen gefeiert wurden, verringern auf katastrophale Weise  die Investitionen des Staates- zum Beispiel die Investitionen in sozialen Wohnbau, so dass, wie in Salzburg, die Mieten steigen. Denn Leistungen des Staates, die von Gutverdienern stärker als von Geringverdienern finanziert werden, sind das wichtigste Instrument der Umverteilung: Je weniger im Wege von Sozialleistungen umverteilt wird, desto schlechter für das Dasein von Geringverdienern – desto eher wählen sie Marine Le Pen, AfD oder FPÖ.

Zuwanderung und Inflation erhöhen dieses Risiko, auch wenn die EU nichts dafür kann. Der Zustrom von Migranten ist „völkischen“ Parteien ein steter Dorn im Auge, obwohl Deutschland seiner niedrigen Geburtenrate wegen Zuwanderung braucht. Für Geringverdiener wirft sie in sparenden Staaten allerdings sehr wohl sehr reale Probleme auf. Sie übt zusätzlichen Druck auf die Löhne aus und verschärft die Konkurrenz beim Bezug staatlicher Leistungen: Geringverdiener wie Migranten können ihre Kinder nicht in Privatschulen schicken, wenn öffentliche Schulen wegen unzureichender Investitionen (zu weniger Lehrer) immer schlechter werden, Geringverdiener wie Migranten sind gleichermaßen auf preisgünstige Wohnungen in Sozialbauten angewiesen, die sparende Staaten immer weniger errichten. Parteien, die “Null- Zuwanderung” fordern, müssen daher umso erfolgreicher sein, je mehr ein Staat spart.

In Italien ist mit Fratelli d`Italia daher bereits eine rechtsextreme Partei an der Regierung, in Frankreich nur deshalb nicht, weil sein kluges Wahlrecht extreme Kandidaten wie Marine le Pen massiv behindert. In Spanien ließ die nur kurz zurückliegende Diktatur Francisco Francos die rechtsextreme VOX erst in den letzten Jahren massiv wachsen und in Portugal hat es bis zur Vorwoche gedauert,  bis trotz der Erinnerung an die erst 1974 beendete Diktatur Antonio Salazars mit der “Chega” eine rechtsextreme Partei drittstärkste Kraft wurde. Dass die FPÖ in Österreich sogar stärkste Kraft ist, liegt daran, dass man sich hier besonders wenig an die Diktatur Adolf Hitlers erinnert und dass der große Bruno Kreisky dazu sogar kräftig beigetragen hat. Dass die rechtsextreme AfD in Deutschland erst so spät gewachsen ist, liegt daran, dass die „Vergangenheit“ dort weit besser bewältigt wurde. Jetzt hat die Inflation, die Geringverdiener zwangsläufig besonders belastet, ihre Frustration überall maximiert – ökonomische Basis des Rechtsrucks sind dennoch Lohnzurückhaltung und Sparen des Staates.

 

4 Kommentare

  1. Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen. Endlich wurde einmal mit deutlichen Worten ausgesprochen, wohin “spare, spare, Hüsli baue” führt:

    – den einen, die es ohnehin aus ihrer familiär-ökonomischen Situation gewohnt sind zu sparen, wird der erste Teil des Mottos zur Verinnerlichung (und als Wahlempfehlung: ‘Ihr gehört doch zu uns!) angeboten, damit sie – weil nicht an andere Sparformen gewöhnt – mit Hilfe der ‘Sparbuch (Zinsertrags)-Steuer’ auch weiterhin mit dazubeitragen, jene Töpfe füllen, aus denen

    – den anderen mit einer von der ÖVP mehr als großzügig geplanten staatlichen Förderung und einem als Wirtschaftsförderung getarnten Geldgeschenk (100.000,- Euro!!!) versucht wurde, den Traum vom Eigenheim zu ermöglichen und damit den Landverbrauch in unserem Staat auch weiterhin ohne Rücksicht auf Ökologie weiter voranzutreiben.

    “Ökonomische Ahnungslosigkeit” ist dafür der richtige Begriff!
    Herzlichen Dank für Ihre Worte, Herr Lingens!

  2. Mir ist nicht ganz klar, wo Sie die Lohnzurückhaltung in Österreich sehen. Wir haben seit vielen Jahren KV-Abschlüsse nach der Benya-Formel, und gerade die letzten Lohnrunden haben uns KV-Erhöhungen um die 9 % quer durch alle Branchen gebracht, womit wir in der EU Spitze sind, und was, wie Sie in anderen Kommentaren schrieben, sogar die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs gefährdet. Diese hohen Abschlüsse sind jedoch gut für den Konsum und stützen somit wieder die Wirtschaft. Von einem Staatsverschuldungsdeckel von max. 60 % sind wir weit entfernt, und er wäre auch volkswirtschaftlich gar nicht wünschenswert, da leuchtet mir Ihre Argumentation ein. Dass es wünschenswert wäre, eine Verschuldung wie Japan zu haben, bezweifle ich allerdings.

  3. Anfang der 70er hatten die Reichen genug von der Wohlstandsvermehrung der gesamten Bevölkerung, weil sie bemerkten, dass dies für sie immer mehr Nachteile bringt. Beispiel: Wenn viele Volkswagenfahrer die Straßen verstopfen, habe ich nichts davon, dass ich mir einen Ferrari leisten kann. Oder ernsthafter: Wenn eine große Zahl an Kindern von “Normalbürgern” an teure Privatschulen gehen können, ist der Vorteil für Kinder der Eliten dahin. Thatcher war daher ihre Antwort. 25 Jahre später war das die allgemeine Stimmung. Die hier zu Recht kritisierten Maßnahmen sind daher kein Unfall, sondern in diesem Sinn gewollt. Allerdings konterkariert das das Prinzip des Kapitalismus, möglichst viele Produkte an möglichst viel Menschen zu verkaufen, um daraus Profit zu erzielen. Die versuchte Lösung: Export. Die Binnennachfrage wurde daher vernachlässigt.

    Dass dieses Denken auch heute noch aktuell ist, zeigt die heutige Aussendung der IV.

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