Die jüngste Studie zum heimischen Rechtsextremismus ist für den Autor „kein Grund für Alarmismus“ – aber sie ist zumindest einer für eine andere Wirtschaftspolitik.
„So sind wir nicht“ erklärte Bundespräsident Alexander van der Bellen bekanntlich als das Ibiza-Video auftauchte, und hatte damit insofern Recht, als die Mehrheit der Österreicher kaum, wie der damalige FP-Obmann Heinz Christian Strache, bereit wäre, einer Oligarchen-Nichte amtsmissbräuchlich Geschäfte zuzuschanzen, damit sie im Gegenzug die Kronenzeitung erwirbt, um dort zack, zack, zack der FPÖ unliebsame Redakteure zu eliminieren. Das bestürzende aber ist, dass nicht nur die FPÖ des H.C. Strache 30 Prozent Zustimmung besaß, obwohl bekannt war, dass er dem Neonazi Milieu entstammte und kein Hehl aus seiner rechtsextremen Einstellung machte, sondern dass die Bevölkerung der gleichen FPÖ schon wenige Jahren nach dem Ibiza Video wieder mit dreißig Prozent zustimmt, obwohl ihr nächster Obmann Herbert Kickl sich wie Adolf Hitler „Volkskanzler“ nennt, und von „Fahndungslisten“ für unliebsame Journalisten spricht.
Die demokratische Phase unserer Geschichte war nun einmal nach Monarchie, Austrofaschismus und Faschismus eine besonders kurze und selbst „Sonnenkönig“ Bruno Kreisky durfte fast nicht kritisiert werden. Wir haben ein besonders großes, besonders leicht abrufbares Potential, uns bedingungslos einer Autorität zu unterwerfen. Immerhin 14 Prozent der Österreicher wünscht sich „einen starken Mann an der Spitze des Landes, der sich nicht an die Zustimmung des Parlaments kümmern muss“, während sich das nur 8,6 Prozent der Deutschen wüschen, so erhob der Leiter des „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“ Andreas Kranebitter kürzlich in einer Studie zum heimischen Rechtsextremismus, deren auffälligste Ergebnisse mittlerweile eine gewisse Prominenz genießen: 36 Prozent der Bevölkerung will nicht neben Muslimen leben; 29 Prozent findet, ihnen sollte die Zuwanderung untersagt werden; 50 Prozent ist für „Remigration“, das heißt die Deportation Unliebsamer; und 42 Prozent unterschreibt den Satz „Israels Politik in Palästina ist wie die der Nazis im Zweiten Weltkrieg“- der Unterschied zwischen brutalem Krieg und systematischem Mord wird sofort negiert, wenn es um Juden geht. antisemitische Ansichten sind mit 23 Prozent häufiger als in Deutschland mit 7 Prozent. Das „rechtsextreme“ Segment der Befragten, bei dem solche Ansichten besonders ausgeprägt sind, beziffert die Studie mit 10 Prozent und 58 Prozent dieser Rechtsextremen stimmten, wenn Sonntag gewählt würde für die FPÖ, 17 für die SPÖ, 1 für die ÖVP.
Dennoch sieht Kranebitter, in seinen Ergebnissen „keinen Anlass zu Alarmismus“- vielleicht, weil Hysterie immer verfehlt ist, wenn es um den Kampf gegen politische Risiken geht. Dennoch scheint mir dieser Kampf dringlich. Ich bleibe bei der Überzeugung, dass heute wie in den Dreißigerjahren die wirtschaftliche Situation Hauptgrund für die Rechtsverschiebung ist: Damals war es manifeste Arbeitslosigkeit – heute ist es die Angst vor ihr. Damals war es die absolute Not – heute ist es das Erleben eines wachsenden Abstands zum Mittelstand. Natürlich geht es selbst dem ärmsten Österreicher fantastisch im Vergleich zu einem Bulgaren – aber an dem misst er sich nicht. Er misst sich am Mittelstand und an einer Vergangenheit, in der er auf dieser Stufenleiter weiter oben stand.
Vor allem anderen bauchte es daher eine EU-Politik die das immer weitere Auseinanderklaffen zwischen einer winzigen Kaste Hyperreicher und einer gut 25 Prozent großen, wachsenden Schicht Abgehängter beendet. Diese Abgehängten sind die typischen FPÖ -Wähler, auch wenn derzeit Millionäre mit der FPÖ liebäugeln, weil ihnen ihr Wirtschaftsprogramm mit seiner strikten Ablehnung vermögensbezogener Steuern wie das der ÖVP zum Vorteil gereicht, während es der beschriebenen Unterschicht und mit ihr FP-Wählern nur Nachteile beschert. Aber Herbert Kickl ist wie keiner andere in der Lage, ihnen vorzugaukeln, dass er auf ihrer Seite stünde, indem er gegen „Ausländer“ und „Eliten“ schäumt – und leider gibt es keinen entfernt so begabten Gegenspieler. Gleichzeitig ist es ihm, wie Donald Trump, gelungen, seriöse Medien bis hin zum ORF bei der Bevölkerung auf eine Weise in Verruf zu bringen, die sich in Kranebitters Studie so niederschlägt: 51 Prozent der Befragten ist der Meinung, die Bevölkerung würde von Medien „systematisch belogen“.
Vielleicht ist das ein Anlass den achtzigsten Geburtstag eines Kollegen zu feiern, der in der Lage ist, Rechtsextremismus zumindest mit der Reichweite des Standard zu kritisieren: Hans Rauschers „Einserkastl“ ist, wovon immer es handelt, ein Plädoyer für die „offene Gesellschaft“ und gegen die Geisteshaltung der FPÖ. Gerade weil er Politik zeitlebens unvoreingenommen analysiert hat, ist seine Kritik an ihr so treffend: Die FPÖ ist eine blendend vermarktete, wirtschaftlich besonders unfähige, asoziale Partei, deren ökonomische Bestleistung im Rahmen der schwarz-blauen Koalition in einer Krankenkassenreform bestand, die eine Milliarde einbringen sollte und bisher Mehrkosten von 215 Millionen verursacht hat, nachdem die dafür verantwortliche Sozialministerin Beate Hartinger-Klein ihre besondere finanzielle Kompetenz mit der Erklärung offenbart hatte, dass man von 150 Euro monatlich blendend leben könne. Rauscher weiß dergleichen mit dem nötigen Humor vorzutragen, während bei mir die Galle überwiegt. Er dürfte einen ehrenden Spitzenplatz auf Kickls Fahndungsliste einnehmen.