Wie wird Babler wirtschaftsfreundlich?

Der einflussreiche Gewerkschafter Josef Muchitsch rät SP-Chef Andreas Babler zu einem „wirtschaftsfreundlicheren“ Profil:

Er möge nicht auf Vermögenssteuern beharren, die mit der ÖVP auf keinen Fall durchführbar wären. Richtig daran ist, dass man Verhandlungen nicht damit beginnen kann zu erklären, dass sie aussichtslos wären, wenn die ÖVP keine Vermögenssteuern akzeptiere, sonst passiert, was in Niederösterreich passiert ist: Johanna Mickl Leitner blieb nur die FPÖ als Partner, wenn sie eine regierungsfähige Mehrheit haben wollte.

Babler zu raten, dass er deshalb von der Forderung nach Vermögenssteuern abgehen soll, um sich „wirtschaftsfreundlicher“ zu zeigen, ist hingegen absurd: Höhere Vermögenssteuern im Abtausch gegen niedrigere Steuern auf Arbeit sind nach Ansicht jedes kompetenten Ökonomen denkbar wirtschaftsfreundlich und die entsprechende, im übrigen auch von der Gewerkschaft seit jeher vertretene Forderung hat bei Umfragen mittlerweile auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Dass die ÖVP dennoch dagegen ist, spricht entweder für ihre rasende ökonomische Inkompetenz oder dafür, dass sie sich von einigen superreichen Parteispendern kaufen ließ. Um es so einfach wie möglich zu erklären: Geld schafft Wohlstand, indem es arbeitet. Vermögen ist Geld, das, wenn es in Österreich etwa im Eigentum an riesigen Wäldern oder anderen Grundstücken besteht wie nicht zuletzt diverse eingebürgerte Milliardäre sie besitzen, durch lange Zeiträume überhaupt nicht arbeitet, sondern brachliegt und allenfalls Wohnungen verteuert, weil Grundstücke angesichts der niedrigen Grundsteuern immer nur zum Zeitpunkt ihres Höchstpreises verkauft werden.

Niedrigere Steuern auf Arbeit verbilligen hingegen jedes Produkt, erhöhen die Zahl der Beschäftigten und die Konkurrenzfähigkeit österreichischer Unternehmen. Deshalb gibt es keinen ökonomischen Think-Tank, der Österreich diesen Abtausch nicht empfiehlt. Gerade wenn die ÖVP die hohen Lohnnebenkosten ständig als wirtschaftsfeindlich brandmarkt, obwohl es sich voran um die Kosten einer Sozialversicherung handelt, müsste sie geradezu begeistert sein, die Abschaffung der Lohnnebenkosten durch eine Erhöhung der Vermögenssteuern gegen zu finanzieren.

Die aktuellen Granden der ÖVP sind möglicherweise ökonomisch so ahnungslos oder so gekauft, dass sie das alles nicht verstehen – aber dann muss Babler dennoch alles tun, der Öffentlichkeit diese rasende Ahnungslosigkeit der ÖVP- Granden vor Augen zuführen und bewusst zu machen. Auch der ORF könnte seinem Auftrag zur Volksbildung nachkommen, indem er die Steuer-Expertin des WIFO Margit Schratzenstaller zu diesem Thema interviewte.

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Die ökonomische Ahnungslosigkeit der ÖVP

Die EZB ortet in Österreich „extreme Vermögenskonzentration“. Die ÖVP ordnet Vermögensteuern der „linken Mottenkiste“ zu. Die Schweiz reduziert mit ihnen die Lohnsteuern

Zwei Ereignisse haben die Diskussion über Vermögenssteuern aktualisiert:

  • Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) belegten erneut Österreichs extreme Vermögenskonzentration: Die reichsten 5 Prozent besitzen mehr als die Hälfte allen Vermögens. Dennoch liegen wir bei den Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern unter 38 OECD-Staaten an fünftletzter Stelle: Nur 1,5 Prozent des Steueraufkommens stammen aus ihnen – gegenüber 5,6 Prozent im Schnitt der OECD.
  • und Marlene Engelhardt überließ einem, der Gesellschaft Österreichs nachgebildeten Gremium tatsächlich 25 Millionen Euro ihres Erbes zur Verteilung, um zu demonstrieren, wie ungerecht es sei, dass sie dieses Gel ohne die geringste Leistung erhielt.

Mir wäre lieber gewesen, sie hätte wie das SPÖ-Modell vorsieht, 1,5 Millionen für sich behalten, denn die Österreicher hätten sich dann eher damit identifiziert: Vermögenssteuern verlangen von der überwältigen Mehrheit keineswegs Selbstlosigkeit – bringen aber größten ökonomischen Profit. Stattdessen identifizieren sie sich mehrheitlich mit dem Generalsekretär der angeblichen Wirtschaftspartei ÖVP, Christian Stocker, der behauptete, dass Vermögenssteuern „aus der linken Mottenkiste“ stammten.

Bisher haben VP- Granden nur behauptet, dass Vermögenssteuern nichts einbrächten, so absurd das angesichts der EZB- Daten auch ist. Aber Stocker krönte die schwarze Ahnungslosigkeit: Während Österreich dank der ökonomischen Weisheit der ÖVP nur 1,5 Prozent seines Steueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern bezieht, sind es in der „linken“ Schweiz 7,7 und in den „linkslinken“ USA gar 11,4 Prozent. Einziger Vorteil dieser für Stocker offenbar schwachsinnigen linken Steuerpolitik: Diese Staaten besteuern Arbeit vergleichsweise niedrig und weisen ein besonders hohes Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf, obwohl (in Wahrheit weil) vermögensbezogene Steuern in den USA volle 3,5 Prozent des BIP ausmachen.

Jedenfalls ist die besondere Wirtschaftsfreundlichkeit vermögensbezogener Steuern der Grund dafür, dass OECD, IWF oder Wirtschaftsforschungsinstitut Österreich seit Jahren raten, seine vermögensbezogenen Steuern zu erhöhen und die Steuern auf Arbeit zu senken.

Dass ich lieber von „vermögensbezogenen“ Steuern schreibe, liegt daran, dass „Vermögenssteuer“ in der Einzahl eine Steuer bezeichnet, die jedes Vermögen bis hin zur Briefmarkensammlung besteuert und die es meines Wissens nur mehr in der Schweiz gibt, weil die Ehrlichkeit der Bürger den Verwaltungsaufwand begrenzt. Das hat die ÖVP nie gehindert, missverständlich zu behaupten, dass es ja kaum mehr Vermögenssteuern gäbe und dass der rote Finanzminister Ferdinand Lacina sie bei uns abgeschafft hätte. In Wirklichkeit lehnte Lacina nur das Schweizer Modell ab und die Erbschaftssteuer endete mit einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs, der es gleichheitswidrig befand, dass jemand, der ein Grundstück im Verkehrswert von einer Million Euro erbte, ungleich weniger Steuer bezahlen musste, als jemand, der diese Million in bar erbte, weil Grundstücke gemäß ihrem „Einheitswert“ bewertet werden, obwohl der mittlerweile zehnmal niedriger als ihr Verkehrswert ist. Allerdings trug der VfGH der Regierung auf, diesen Fehler zu beheben und setzte dafür eine Frist. Die verstrich, weil die ÖVP zu keiner Reparatur bereit war. Seither haben wir keine Erbschaftsteuer mehr und weiterhin nur eine lächerliche Grundsteuer, während sie in den meisten Staaten die wichtigste vermögensbezogene Steuer ist. Dass sie bei uns so niedrig ist, ist einmal mehr ökonomisch von Nachteil: es ermöglicht, Grundstücke zu horten, während man sie in den USA schnellstens verkaufen oder verbauen muss.

Der entscheidende Vorteil höherer vermögensbezogener Steuern ist freilich, dass sie niedrigere Lohn- und Einkommenssteuern erlaubten, die der überwältigenden Mehrheit zu Gute kommen, die Arbeitskosten der Unternehmen senken und die Beschäftigung erhöhen. Einziger winziger Vorteil extrem niedriger Vermögenssteuern: Sie führten dazu, dass einige Superreiche zu Österreichern wurden und hier voran Grundstücke kauften. Das entzieht, wie jede Steueroase ihrem Herkunftsland, meist Deutschland, Steuern, ohne unser Steueraufkommen sonderlich zu erhöhen, weil unsere Grundsteuer ja extrem niedrig ist. Ansonsten investieren sie bei uns so viel oder so wenig wie zuvor. Nur Parteispenden an die ÖVP sind für sie eine beinahe zwingende Investition.

Der SPÖ oder den Grünen ist der verteilungspolitische Vorteil Vermögensbezogener Steuern zwar klar – ihre spezifischen ökomischen Vorteile betonen sie meines Erachtens aber viel zu wenig. Sie haben diese Steuern immer nur allgemein gefordert, statt zu trommeln, dass sie die Steuern auf Arbeit entsprechend senken werden. Dabei wäre der Grüne Werner Kogler als Ökonom dafür prädestiniert gewesen – nur koaliert er leider mit der ÖVP.

Auch NEOS- Chefin Beate Meinl -Reisinger schien mir den Vorteil des Abtauschs höherer Vermögenssteuern gegen niedrigere Einkommenssteuern zu verstehen – jedenfalls hat sie sich einmal dahingehend geäußert. Jüngst allerdings hat auch sie wieder „Nein“ zu Vermögensteuern gesagt. Sollte das darauf beruhen, dass ihr Wirtschaftssprecher sie zurückgepfiffen hat, so versteht er von Wirtschaft so wenig wie Christian Stocker oder Herbert Kickl für den Vermögenssteuern auch nicht in Frage kommen.

 

 

 

 

 

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Die heikle Einigung der Metaller

Eine späte Einigung kostet Geld – eine falsche kostet Jobs. 11,6 Prozent mehr Lohn verteuert Waren. Erhöht die EZB deshalb die Zinsen, vertieft sie die Rezession.

 Nach einer Woche Streik haben die Arbeitgeber der metalltechnischen Industrie und die Gewerkschaft vergangenen Montag ihre Verhandlungen wieder aufgenommen. Meines Erachtens wäre es keine Niederlage für die Gewerkschaft, wenn die Einigung in etwa zwischen ihrer Forderung nach 11,6 Prozent mehr Lohn und dem bisher letzten Angebot der Arbeitgeber über 6 Prozent plus 1.200 Euro Einmalzahlung läge, die sie mittlerweile offenbar als Lohnerhöhung über 8,2 Prozent auszuzahlen bereit ist. Weil das im Widerspruch zu Überlegungen steht, die ich hier mehrfach geäußert habe, will ich es ausführlich begründen.

Der erste Grund ist banal und illustriert die Argumentation des Verhandlungsführers der Arbeitgeber Stefan Ehrlich-Adám am “Runden Tisch” des ORF: Österreichs metallverarbeitende Industrie muss im Export, der 80 Prozent ihres Geschäfts ausmacht, mit der metallverarbeitenden Industrie anderer Länder, voran Deutschlands, konkurrieren. Dort fordert die Gewerkschaft soeben eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent, die sie, wenn auch nicht allzu energisch, mit der Forderung nach 32 statt 35 wöchentlichen Arbeitsstunden verknüpft. Die Arbeitgeber setzen dem ein Angebot von 3,1 Prozent mehr Lohn mit einer Laufzeit von 15 Monaten und eine Einmalzahlung entgegen und lehnen eine Arbeitszeitverkürzung angesichts des Fachkräftemangels kategorisch ab. Wenn ich den Kompromiss abschätze, den man in Deutschland finden dürfte, so wird er kaum viel anders aussehen als die eingangs von mir empfohlene Einigung in Österreich. Deutlich höhere Löhne als Deutschland können wir uns nämlich kaum leisten, denn in der metallverarbeitenden Industrie sind sie für 30 bis 40 Prozent der Kosten einer Ware verantwortlich.

In beiden Ländern kämpft die exportorientierte Industrie, für die der Abschluss der Metaller noch dazu Vorbild ist, zudem mit einer Rezession: Die Auftragseingänge sind massiv zurückgegangen. Natürlich muss es die Chefökonomin des ÖGB Helene Schuberth empören, dass Unternehmen, die im zurückliegenden sehr guten Jahr, in dem sie die Inflation nicht selten zur Ausweitung ihrer Gewinnmargen nutzten, hohe Dividenden zahlten, nun erklären, die geforderte Lohnerhöhung nicht zu verkraften. Aber dann waren die vergangenen Lohnforderungen der Gewerkschaft leider nicht energisch genug – für das gegenwertige Konkurrenz- Problem ist das irrelevant: Wenn die Lohnstückkosten bei uns deutlich höher als in Deutschland oder der Schweiz ausfallen, wird das Problem der Betriebe unweigerlich zum Problem entlassener Arbeitnehmer.

Anders bei den Bäckern, die nur im Inland mit inländischen Bäckern konkurrieren

Es gibt aber einen zweiten Grund, warum die von mir sonst so geschätzte Benya-Formel in der aktuellen Situation nicht ausschließliche Basis der Lohnforderung sein kann. Sie lautet bekanntlich, dass eine Lohnerhöhung das Ausmaß der durchschnittlichen Inflation des zurückliegenden Jahres zuzüglich des erzielten Produktivitätszuwachses haben soll und das hat folgenden ökonomischen Sinn: Die Bevölkerung erzielt auf diese Weise einen Lohn- und Kaufkraftzuwachs, der sie theoretisch in die Lage versetzte, alle Waren, die ihre Volkswirtschaft auf Grund des Produktivitätszuwachses in Summe mehr erzeugt hat, auch zu kaufen, obwohl sie sich im Ausmaß der Lohnerhöhungen des abgelaufenen Jahres verteuert haben. Praktisch kauft sie natürlich auch Waren fremder Volkswirtschaften, aber wenn alle Volkswirtschaften gemäß der Benya-Formel agieren, gleicht sich das aus. Dass Österreich, Deutschland, Holland und die Schweiz seit 2000 nicht mehr so agieren, habe ich hier als eines der existentiellen ökonomischen Probleme der EU gebrandmarkt und insofern machten hohe Lohnabschlüsse in Österreich und Deutschland durchaus Sinn.

Dass es dennoch problematisch ist, ihre Höhe nach der Benya-Formel zu berechnen, indem man zu 2 Prozent Produktivitätszuwachs 9,6 Prozent Teuerung des abgelaufenen Jahres addiert, liegt daran, dass diese Teuerung nicht wie in der Vergangenheit aus Lohnerhöhungen resultiert und damit im Idealfall bei rund zwei Prozent lag, sondern aus der außergewöhnlichen Verteuerung der Energie durch Wladimir Putin. Nur ist diese Teuerung, nicht zuletzt weil es sich um ein so untypisches, fast einmaliges Ereignis gehandelt hat, Gott sei Dank mittlerweile EU-weit schon wieder auf 2,9 Prozent, in Österreich auf 5,4 Prozent gesunken. (Letzteres liegt an Österreichs extremer Abhängigkeit von russischem Gas – allenfalls am Rande an mangelnder Inflationsbekämpfung durch die schwarz-grüne Regierung.)

Daher macht es mehr Sinn als sonst, den Verlust, den die Metall-Arbeitnehmer im abgelaufenen Jahr durch die extreme Teuerung erlitten haben, durch eine beträchtliche Einmalzahlung der Arbeitgeber abzufedern, die sich zu den Zahlungen der Regierung (abgeschaffte kalte Progression, erhöhte Absetzbeträge, Einmalzahlungen) addiert. Dagegen stellt es ein Problem dar, die Löhne um 11,6 Prozent zu erhöhen, weil es die Inflation doch neuerlich befeuerte, auch wenn sie die Waren derzeit nur mehr um höchstens 5,4 Prozent, wahrscheinlich aber weit weniger, verteuert.

Das aber nähme die ökonomisch leider verwirrte EZB mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Anlass, die Zinsen, die derzeit Gott sei Dank pausieren, doch wieder anzuheben. Damit aber vertiefte sie die Rezession, in die sie uns bereits gestürzt hat, dramatisch.

 

 

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Die Renaissance des Antisemitismus

Der mit Flüchtlingen aus der arabischen Welt importierte  Israel- Hass kann das feste Fundament des heimischen Antisemitismus nutzen. Auschwitz hat es nicht unterspült.

 Der Extremismus-Forscher Peter Neumann warnte im Gespräch mit Armin Wolf,  dass die Ereignisse in Gaza eine neue Welle islamistischen Terrors in Europa auslösen könnten, die gefährlicher als die der Jahre 2015/16 mit den Attentaten auf die Zeitschrift  Charlie Hebdo, das Theater Bataclan oder den Berliner Weihnachtsmarkt sein könnte. Seine Argumente: Das Netz strotze von Videos, die mit den Bilden verletzter Kinder in Gaza maximal zu radikalisieren vermögen; Israel des “Völkermordes” zu beschuldigen biete die Möglichkeit, maximale Gegengewalt zu fordern; “Gefährder”, die sich zum “Islamischen Staat” bekennen, hätten plötzlich wieder ein Thema, das ihnen ermöglicht, jeden Moslem zum Dschihad aufzurufen: Zum Endkampf der islamischen Welt gegen Israel als Inkarnation des “Westens”. Er, Neumann fürchte, dass die Rückwirkung dieses Dschihad gegen Israel in Europa dazu führt, dass Juden sich hier nicht mehr sicher fühlen können. Jüngste Vorfälle an Schulen scheinen ihn zu bestätigen.

Dass Europa dem Antisemitismus mit der Aufnahme so vieler muslimischer Flüchtlinge neue Nahrung verschafft hat, entpuppt sich damit als unerwartet gefährlich, obwohl der Islam “Juden” primär neutraler als das Christentum gegenübersteht: Sie sind für den Koran zwar “Ungläubig” mit entsprechend  negativen Eigenschaften, aber es wird ihnen nicht, wie vom zweiten Vatikanischen Konzil, vorgeworfen, “auf den Tod Jesu gedrungen” zu haben. Es blieb dem Christentum vorbehalten, diese emotionale Grundlage für den Holocaust zu schaffen.

Der alltägliche heimische Antisemitismus war noch vor kurzem ein ganz ungenierter: Mein Religionslehrer klagte, “dass es hier fast wie in einer “Judenschule” zugeht; jemand war “jüdisch, aber gar nicht geizig” oder “ein Jude, aber ein netter Mensch”. Wie viel die Bevölkerung bei Kriegsende sehr wohl von “Auschwitz” ahnte, geht daraus hervor, dass “bis zur Vergasung” eine populäre Redewendung ist. Zu glauben, dass dieser Antisemitismus mit “Auschwitz” endet, war eine Illusion: In Wirklichkeit musste das schlechte Gewissen, das der Holocaust voran Deutschen und Österreichern bescherte, sie veranlassen, im Verhalten von Juden unverändert nach Eigenschaften zu suchen, die verständlicher machen, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern zu m größten Teil zwar nur mittelbar, aber gar nicht so selten auch unmittelbar, am Holocaust beteiligt war. Schließlich gab es tausende Bewacher der Vernichtungslager, Tausende, die in Wehrmachts- oder SS-Einheiten an Massenerschießungen mitwirkten, Tausende die Verhaftungen vornahmen oder die Deportation nach Polen organisierten. Wenn man diese Abertausend Deutschen und Österreicher, mit denen man womöglich verwandt war, nicht wie Daniel Goldhagen im gleichnamigen Buch unter “Hitlers willige Vollstrecker” reihen wollte, musste man psychologisch das Bedürfnis haben, den Juden durch ihr Verhalten zumindest eine leise Mitschuld an dem zuzuschreiben, was ihnen zugestoßen ist. Voran in Österreich glaubt man, dieses angeblich “jüdische” Verhalten sogar seit jeher zu kennen und sah sich darin bestätigt, dass man es den Juden in so vielen anderen Ländern nachsagt.

Es gibt also genug genuinen Antisemitismus, aber es gab auch Fortschritte: So erlebte ich etwa die Wahl-Großmutter eines Bekannten als geeichte Antisemitin, auch wenn sie meinte, man hätte die Juden “nicht gleich umbringen müssen”; als die Israelis die von ihr als Untermenschen betrachteten Araber in nur sechs Tagen besiegten, fand sie es “toll wie die kämpfen”;  als jemand ihr zu sagen wagte, dass sie die Juden doch immer für feig gehalten hätte, wies sie ihn entrüstet zurecht: “Die Israelis sind doch keine Juden!!!”. Die Gründung Israels, so sieht man, hat die Juden gestärkt. Ihr Enkel, und das krönt die Entwicklung, verliebte sich in eine Jüdin, trat ihr zuliebe zum Judentum über und trägt die Kippa. Juden persönlich zu kennen vermindert Antisemitismus am meisten. Dass ziemlich viele Österreicher Israel bereisten war diesbezüglich nützlich.

Dass der mittlerweile zumindest nicht mehr ganz so virulente heimische Antisemitismus durch die Zuwanderung arabischer Muslime neue Nahrung erhielt war zum Teil schlicht historisches Pech: Syrienkrieg und Irakkrieg lösten zwingend Flüchtlingswellen aus. Aber leider vermögen heimischer und zugewanderter Antisemitismus einander gegenseitig zu stärken: “Die Israelis behandeln die Palästinenser genau wie die Nazis die Juden behandelt haben”, ist die dafür typische Formulierung, die seit dem 7. Oktober  zum Sieg der Hamas im Informationskrieg geführt hat: Persönlicher, brutalster Mord wird vielfach weniger geächtet, als vielleicht zu massives israelisches Bombardement, das leider unschuldige Opfer fordert, und das aus humanitären Gründen zu unterbrechen meines Erachtens schon früher richtig gewesen wäre, auch wenn es der Hamas ermöglichte sich neu zu formieren. Nur war es auch nicht absurd, die Pause wie Benjamin Netanjahu mit der Forderung nach der Freilassung von Geiseln zu verknüpfen.

Ich hege zwar den Verdacht, dass er den Krieg so führt wie er ihn führt, weil er den totalen Sieg braucht, um der Absetzung und einem Strafverfahren wegen Korruption zu entgehen – aber wenn man kein Antisemit ist, erwartet man von einem Juden nicht automatisch, dass er sich anders als die meisten Menschen benimmt.

 

 

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Etwas “Sahra Wagenknecht” nutzte auch uns

Die Ikone der “Linken” will nicht auf Putins Gas verzichten, weniger Zuwanderung, mehr Umverteilung und Wettbewerb. Vieles davon schadete der FPÖ nicht anders als der AfD.

Umfragen prophezeien der Partei, die in Berlin mit dem “Bündnis Sahra Wagenknecht” aus der Taufe gehoben wurde, aus dem Stand 12 Prozent Stimmen, die sie voran der AfD wegnehmen würde. Ich teile diese Annahme und meine, dass es der SPÖ leichter fiele, der FPÖ Stimmen wegzunehmen, wenn sie ihre Forderungen ähnlich wie Sahra Wagenknecht formulierte.

Wagenknechts größter Vorteil ist freilich ortsgebunden: Ihr Bekanntheitsgrad reicht weit über ihre Ex-Partei, “Die Linke”, hinaus. Ständiger Stargast politischer Talkshows, vertritt sie politische Thesen nicht nur eloquent, sondern macht dabei in jedem Sinne dieser Formulierung auch blendende Figur. Das einzige Mal, dass sie – freilich nicht bei AfD-Sympathisanten – schlecht abschnitt, war eine Talkshow, in der es um Deutschlands Verhalten gegenüber Wladimir Putin ging: Sie blieb bei ihrer aus dem Manifest mit Alice Schwarzer bekannten Ansicht, dass man auf Verhandlungen drängen, statt der Ukraine Waffen liefern sollte. Ich halte diese Alternative bekanntlich für grob falsch – nur indem man der Ukraine Waffen liefert, kann man auf Verhandlungen hoffen – und auch für die Partei Wagenknechts wird ihre Russland-Position die größte Schwachstelle sein: Man wird sie zur “Putin-Versteherin” stempeln, auch wenn sie das nicht wirklich ist – sie hält sein Regime sehr wohl für autoritär und seinen Krieg für einen Überfall – nur glaubt sie an die Mitschuld der NATO und übersieht seine Großmachtallüren.

Zugleich ist Wagenknecht wie AfD und FPÖ der Meinung, dass es falsch ist, auf russisches Gas zu verzichten und das meine ich auch. Es stimmt zwar nicht, wie Herbert Kickl behauptet, dass Russland Öl und Gas  als Reaktion auf die Sanktionen der EU verteuert hat, sondern Putin und OPEC haben die Drosselung der Förderung ein gutes Jahr davor beschlossen, aber Deutschland wie Österreich schaden sich selbst mehr als Russland, wenn sie hektisch auf russisches Gas verzichten, ehe alternative Energie vergleichbar preiswert ist.

Im wichtigsten Punkt ihres Parteiprogramms gebe ich Wagenknecht uneingeschränkt recht: Es gilt, der neoliberalen Struktur der Wirtschaft den Kampf anzusagen. Die Umverteilung von unten nach oben muss einer Umverteilung von oben nach unten weichen und dazu sind höhere Unternehmens- und Vermögenssteuern unverzichtbar. Natürlich setzt auch Wagenknecht die Grenze für eine Erbschaftssteuer wie die SPÖ weit über dem Wert eines Eigenheims an, ist aber als Nationalökonomin sehr viel besser als bisherige SP-Granden in der Lage, ihre Forderung gegen Einwände zu verteidigen. Gleichzeitig tritt sie für die Zerschlagung von Oligopolen ein und weiß das als Unterstützung des Mittelstandes zu verkaufen und auch das funktionierte in Österreich: Natürlich hängen Greissler-Sterben und hohe Teuerungsraten gleichermaßen mit unserem Nahrungsmittel- Oligopol zusammen.

Mit den Grünen liegt Wagenknecht im Clinch, indem sie fordert, “von einem blinden, planlosen Öko-Aktivismus wegzukommen, der das Leben der Menschen zusätzlich verteuert, die Reichen bevorzugt und dem Klima überhaupt nicht nützt“. Ich halte “überhaupt nicht” zwar für eine fahrlässige Übertreibung, aber tatsächlich gilt bei jeder Aktivität zu bedenken, dass jeder Liter Öl, den nicht wir selbst verbrennen, sofort anderswo erworben und verbrannt wird und was das für unsere Wirtschaft bedeutet. Zugleich hat die teure Förderung der E-Mobilität derzeit tatsächlich voran die Zahl der Tesla-Limousinen in Nobelbezirken erhöht. Geringverdiener hingegen erfüllt der Preis eines E-Autos oder einer Wärmepumpe unverändert mit Schrecken, und auch bei Menschen meiner Generation, die von der Nachkriegsarmut geprägt und auf Sparsamkeit programmiert sind, erzeugte die plötzliche Forderung nach so hohen Ausgaben emotionale Abwehr, die sich hier in dem Satz “Ich werde mein Auto sicher nicht gleich gegen ein E-Auto tauschen” niederschlug und nicht ganz ohne rationale Begründung ist: Auch die vorzeitige Nachschaffung längst nicht kaputter Geräte erzeugt CO2. Auch aus diesem Grund halte ich bekanntlich für weise, dass Leonore Gewessler den Zeitdruck vermindert und die Förderungen erhöht. Im Zuge der Begutachtung des Erneuerbare Wärme Gesetzes sollte freilich berücksichtigt werden, wie weit Haus- und Wohnungseigentümer gezwungen werden können, dem Wunsch einer Mehrheit nach grüner Beheizung stattzugeben.

Die größte Differenz zu den Grünen – und die größte Übereinstimmung mit AfD und FPÖ – ergibt sich dort, wo Wagenknecht fordert, die Zuwanderung auf Personen zu beschränken, die Anspruch auf Asyl haben. “Entwicklungshilfe statt Bürgergeld” formuliert sie diese Forderung denkbar geschickt. Ich teile sie in der Theorie und es ist schwer mir Fremdenfeindlichkeit vorzuwerfen, habe ich doch zeitlebens Flüchtlinge in meine Wohnung aufgenommen. Aber wir können unmöglich auch die aufnehmen, die als Wirtschaftsflüchtlinge auf ein besseres Leben hoffen. Das sollte man so unmissverständlich wie Wagenknecht klarstellen. Nur besteht das eigentliche Problem natürlich in der Praxis: Man darf “subsidiär Schutzberechtigte” so wenig wie “Geduldete”  abschieben und kein Land nimmt Flüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl zurück. Dass man diese Gruppen in  die Kriminalität drängte, so sobald man ihnen im Sinne der AfD jede finanzielle Unterstützung versagte, weiß Wagenknecht vermutlich, spricht es aber nicht aus.

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Sex in Spanien: die gespaltene Nation

Dass ein Kuss zur hochpolitischen Staatsaffäre werden konnte, zählt zu den Spätfolgen der klerikal faschistischen Diktatur Francos.

Dass die amtierende Links-Regierung Pedro Sanchez` beim Sportgericht Klage erhoben hat, um den Fußballverband zur Entlassung seines Präsidenten Luis Rubiales zu drängen, nachdem er anlässlich des Sieges bei der Weltmeisterschaft die Stürmerin Jennifer Hermoso auf den Mund geküsst hat, war auch Teil eines Wahlkampfes: Sollte es zu Neuwahlen kommen, weil es weder Alberto Feijóo von der konservativen Partido Popular noch Sanchez gelingt, eine Regierung zu bilden, so hätten sich dessen Chancen drastisch vermindert, wenn er in der Kuss-Affäre nicht eindeutig Stellung gegen Rubiales genommen hätte. Der Umgang mit Frauen ist in Spanien zu Recht ein Thema, mit dem man Wahlen gewinnen oder verlieren kann, auch wenn die Nation diesbezüglich extrem gespalten ist.

Während 70 Prozent der Spanier, Hermoso und alle Mitspielerinnen Rubiales Rücktritt fordern, will seine Mutter solange die Nahrung verweigern, “bis Hermoso die Wahrheit sagt und zugibt, dass der Kuss eivernehmlich war”. Sie hat sich, um ihrem Protest Glaubwürdigkeit zu verleihen, demonstrativ in einer Kirche ihrer Heimatgemeinde Motril eingeschlossen und erfährt dort durchaus Zuspruch. Die Sorge um den Sohn ist insofern berechtigt, als die Staatsanwaltschaft den Kuss gleich als schweres Verbrechens werte. Freilich ist Rubiales im Ort auch kein unbeschriebenes Blatt: Vor drei Jahren soll er versucht haben, dem Verband eine Sex-Party in Rechnung zu stellen.

Ich kenne Motril so gut, weil es an die Siedlung grenzt, in der ich durch Jahre lebte. Nach der Ortstafel wartet ein erstes Bordell, vor der Ausfahrt ein zweites. Das gilt für fast alle spanischen Ortschaften: Nur Kirchen sind zahlreicher als Bordelle.  Im Sexualleben älterer Spanier spielen Machogehabe und Bordell denn auch eine prägende Rolle: Dem im Bordell gewährten Vergnügen steht idealtypisch eine Ehefrau gegenüber, die bis zur Heirat Jungfrau war. Familienplanung, so könnte man überspitzt formulieren, besteht auch darin, nicht zu oft mit ihr zu schlafen, denn Verhütung ist Sünde. Natürlich ist diese gesamte Darstellung überspitzt –  aber für das von Francisco Franco geprägte Spanien eben doch nicht ganz falsch.

Die tiefen Spuren, die seine katholisch-faschistische Diktatur hinterlassen hat, sieht man erst mit der Zeit. Ich wusste zwar, dass  Francos Regime dem Austrofaschismus unter Engelbert Dollfuss ähnelte, nicht aber, um wie viel enger die Verbindung zur katholischen Kirche war und wie groß auch andere Unterschiede sind: Zwar gab es auch unter Dollfuss einige Lager, in denen Gegner interniert waren – aber in Spanien gab es Dutzende davon. Eine Million Spanier waren eingesperrt, Hunderttausende wurden gefoltert und hingerichtet. Dennoch gibt es nach wie vor reichlich „Franquisten“, auch wenn sie in der rechtsextremen VOX erst jetzt so etwas wie ein politisches Sammelbecken gefunden haben. Bis dahin wählten sie die konservative „Partido Popular“ und fühlten sich dort vor allem in der Ära José Aznars gut aufgehoben. In Andalusien, wo die längste Zeit die Sozialdemokraten regierten, sind sie vergleichsweise seltener anzutreffen, aber die katholische Prägung der Region ist keine geringere: Jeder zweite Mann heißt Jesús oder José (Josef), auch wenn er Pepe gerufen wird. Frauen heißen bevorzugt María oder Dolores (die Schmerzensreiche), auch wenn man Loli zu ihnen sagt. Wenigstens “Novia” (Braut) zu sein, ist unverändert von überragender gesellschaftlicher Bedeutung.

Allerdings hat diese massive katholische Prägung einen kaum minder massiven Widerstand gegen die Kirche erzeugt, der für mich erstmals sichtbar wurde, als die Regierung im Zuge des Beitritts zur EU die Straffreiheit der Homosexualität beschloss: Ursprünglich war eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung dagegen – aber ab dem Augenblick, in dem die Bischofskonferenz sich öffentlich gegen die Straffreiheit aussprach, verkehrte sich diese Gegnerschaft in kürzester Zeit in deutliche Zustimmung.  Gleichzeitig rebellieren auch jüngere spanische Frauen wie nirgendwo sonst gegen ihr von der Kirche vorgegebenes Rollenbild. Sie sprechen Männer, die ihnen gefallen, ungleich offensiver als hierzulande an: Einen meiner spanischen Freunde- als Kubaner ein besonders begehrtes Sexualobjekt- fragte eine ihm unbekannte Spaziergängerin in Tarifa  vor mir, ob er nicht mit ihr schlafen wollte. Ein anderer wurde in einem Restaurant in Sevilla von einer Runde kichernder Mädchen aufs WC verfolgte und handgreiflich aufgefordert, ihnen seinen Penis zu zeigen. Hochzeiten sind in dieser Generation von “Despediadas” begleitet: Darbietungen eines männlichen Strippers, bei denen die Freundinnen der Braut, aber oft aber auch sie selbst, gleich erproben, ob er sich auch zum Liebhaber eignet.

“Die sexuelle Emanzipation der Frauen, die in allen westlichen Ländern mit der Erfindung der Pille begonnen hat, hat in Spanien auf Grund der Diktatur Francos  verspätet eingesetzt, ist aber durch einen noch viel größeren, extremen  Nachholbedarf gekennzeichnet. Das wiederum hat dazu geführt, dass sich der klassische spanische Macho, wie ihn die Ära Francos bevorzugt hervorgebracht hat, mehr als anderswo zu sexuellen Übergriffen berechtigt fühlt, indem er sie als einvernehmlich abtut. Spanien ist nach Franco mehr als andere Länder auf der Suche nach einer allgemein gültigen Formel für den problemlosen Umgang der Geschlechter miteinander.

Rubiales präsentierte zu seiner Verteidigung bekanntlich ein Video, in dem die spanischen Fußballerinnen, voran Jennifer Hermoso im Autobus in seiner Gegenwart lachend seinen Kuss  besingen und “Beso! Beso!” (Kuss! Kuss!) rufen. Die Affäre kann dennoch nur damit enden, dass er abgesetzt wird. Was unter Franco zulässig war, muss unter Sanchez verboten sein.”

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Deutschland als Europas “kranker Mann”

Der britische “Economist” diagnostiziert ein deutsches “Formtief”. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” stimmt zu und ignoriert die eigene Mitschuld.

Im Juli schrieb ich hier die EU kranke an Deutschlands Wirtschaftspolitik – jetzt schreibt der britische “Economist” Deutschland selbst sei zum “kranken Mann” Europas geworden. Die Wirtschaft stagniere, die Inflation sei weiter hoch, laut Prognose des Internationalen Währungsfonds sei Deutschland das einzige Land der G-7-Gruppe, dessen Wirtschaft heuer schrumpfe. Sie litte unter hohen Energiepreisen, Fachkräftemangel, mangelnden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in Zukunftstechnologien wie die Digitalisierung, habe sich bei der verkorksten Energiewende mit dem Atomausstieg ein Eigentor geschossen und sehe einer sich rapide verschlechternden Demographie entgegen: Zwei Millionen Arbeitskräfte gehen in den nächsten fünf Jahren in Pension. Bezüglich jener Länder, die wirtschaftlich besonders eng mit Deutschland verflochten sind – voran die Schweiz und Österreich – hegt der Economist (wie ich) wenig Zweifel, dass die rezessive deutsche Entwicklung demnächst auf sie durchschlägt.

Erstaunlicherweise schloss sich die auf Wirtschaft spezialisierte “Frankfurter Allgemeine Zeitung” (FAZ) dieser Economist-Diagnose in einem großen Kommentar weitgehend an. In der Schweiz, so führte sie aus, sei man “beunruhigt über Deutschlands Formtief”- schließlich seien die Deutschland-Exporte der Schweizer Tech-Industrie im zweiten Quartal um 5,5 Prozent gesunken. Noch größere Sorge müsse das deutsche Formtief Österreich bereiten. Schließlich machten deutsche Urlauber die mit Abstand größte Gruppe seiner Touristen aus und sei es der größte Zulieferer der deutschen Autoindustrie. Allerdings, so vermerkt die FAZ Deutschlandkritisch, kopple es sich ab: Seit Ende 2017 ist die Industrieproduktion in Deutschland um 11 Prozent zurückgegangen, in Österreich aber um 8 Prozent gestiegen. Dennoch gehen 30 Prozent aller österreichischen Exporte Österreichs nach Deutschland und so lange man sich auch über dieses bessere Wachstum freute, sei es damit mit Vorliegen der Daten fürs 2. Quartal vorbei:„Der deutsche Abstieg sollte ein Weckruf für Österreich sein.“

Schadenfreude wecke das deutsche Formtief auch bei Österreichs Nachbarn nicht, ist die deutsche Autoindustrie doch auch in Ungarn und vor allem Tschechien der größte Arbeitgeber und hat die einstige deutsche Paradeindustrie doch die größten Probleme: Hat sie schon die Hybridtechnik verschlafen, so begriff sie auch erst mit Verspätung, welche Konkurrenz Mercedes, BMW oder Audi in Tesla erwachsen ist. VW, das bisher in China einen Absatzrekord nach dem anderen erzielte, wurde heuer vom chinesischen Autobauer Byd bei Verbrennern wie E- Autos überholt und das bedeutet vor allem für die Zukunft nichts Gutes: China  baut mit Byd oder Nio exzellente preiswerte E-Autos, die den deutschen E-Autos demnächst weltweit massive Konkurrenz machen werden. Die Summe dieser Entwicklungen sei zweifellos geeignet, die Rezession in Deutschland zu vertiefen und das müsse zwangsläufig massiv auf Österreich abfärben.

Zwar ist der so Deutschland kritische Artikel der FAZ  wohl davon beeinflusst, dass Deutschland nicht mehr von einer CDU-Kanzlerin, sondern einem SPD-Kanzler regiert wird, aber es bleibt doch keinem Leser verborgen, dass das “Formtief” nicht erst mit ihm begonnen hat. Noch mehr erstaunt mich freilich, dass die FAZ so völlig zu ignorieren vermag, worin  frühere Texte des Economist die zentrale Ursache des deutschen und europäischen Formtiefs sehen: In Angela Merkels “Austerity-Politik”, die als Staatsschuldenbremse im deutschen Grundgesetz verankert ist und via Spar -Pakt der gesamten EU verordnet wurde. Zwar erwähnt die FAZ die rechte italienische Zeitung Verità, die diese Sparpolitik einen “deutschen Selbstmord” nennt- “die ordoliberale (Spar)-Doktrin von Walter Eucken ist Vergangenheit, der Traum vom friedlichen Außenhandel mit aller Welt ist ausgeträumt”- aber sie tut diesen Hinweis als Ausrede für mangelnde italienische Fiskaldisziplin ab, statt sich mit ihm auseinanderzusetzen. In Wirklichkeit trifft genau das zu, was Verità behauptet: Mangelnde Staatsausgaben verhinderten nicht nur, dass sich die Wirtschaft der EU nach der Finanz- und der Corona- Krise  so vollständig wie die  Wirtschaft der USA erholte, sondern sie veranlassten die EZB auch dazu, das zurückbleibende Wirtschaftswachstum mittels billigen Geldes zu befördern. (So sehr EZB-Chef Mario Draghi darin immer einen Notbehelf zum Ausgleich der Austerity- gebremsten Fiskalpolitik gesehen hat – von ihm vergeblich geforderte vermehrte Staatsausgaben wären ihm weit lieber gewesen). Zu Recht vermutet Verità auch, dass die Behauptung, die lockere Geldpolitik der EZB hätte die aktuelle Inflation ausgelöst, jetzt  dazu geführt hat, dass die EZB die Zinsen drastisch erhöht und damit die aktuelle Rezession ausgelöst hat.

Die FAZ hat alle Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik entscheidend befördert: Sie vertrat und vertritt die Staatsschuldenbremse wie kein anderes Medium und sie feiert bis heute die Agenda 2010, die die deutsche “Lohnzurückhaltung” sicherstellte. Mit nunmehr auch in Deutschland ersichtlichen Folgen: Die damit zurückgehaltene Kaufkraft erschwert es mehr von den deutschen Waren, die sich nicht mehr so leicht im wirtschaftlich schwächelnden  China absetzen lassen, in Deutschland selbst abzusetzen; und die gewachsene Gruppe der Geringverdiener hat die AfD zur zweitstärksten Kraft des Landes gemacht.

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Neue Zweifel am Nutzen der E-Mobilität

Aktuelle Vergleichstests bescheinigen dem E-Auto eine schlechtere CO2- Bilanz als dem Verbrenner, sofern man vom real verfügbaren Ladestrom ausgeht.

Das “Zweite Deutsche Fernsehen”, wie der ORF gesetzlich zu unparteiischer Berichterstattung verpflichtet, überraschte vergangene Woche mit einer Sendung, die die angestrebte Elektromobilität ziemlich unverhohlen als “Mogelpackung” bezeichnete. Im Wesentlichen kommt sie zu den gleichen Schlüssen wie der Blogger Kai Ruhsert, der sie auf der Wirtschaftsplattform “Makroskop” schon 2020 einen “Schwindel” nannte. Sein zentrales Argument, das ich hier 2022 wiedergegeben habe: Zwar stoße ein E-Motor kein CO2 aus, aber seine CO2 -Bilanz sei nur dann besser als die eines Verbrenners, wenn seine Akkus mit “grünem” (CO2-frei erzeugtem) Strom geladen würden. Das aber sei in der Realität nie der Fall: Der Strom für E-Autos müsse im Gegenteil über den aktuellen Strombedarf hinaus bereitgestellt werden und das geschähe voran mittels Kohlekraftwerken, in Deutschland auch mittels Braunkohle. Gehe man davon aus, so verkehrten sich die Resultate aller Studien, die dem E-Auto CO2-Verminderung bescheinigen, ins Gegenteil: der elektrische Renault Zoe erzeuge dann mehr CO2 als ein Renault Clio-Diesel, die CO2-Bilanz eines Tesla mit seiner starken, aber schweren Batterie sei miserabel.

Als einzige Rechtfertigung für meine Wiedergabe von Ruhserts Argumentation im Falter konnte ich damals auf die Aussage des emeritierten Professors für elektrische Messtechnik der TU Graz, Georg Brasseur verweisen: „Woher sollen wir genug Strom nehmen, um E-Autos sinnvoll zu betreiben? Es ist unverantwortlich von der Politik ein System durchsetzen zu wollen, von dem klar ist, dass es bei Vollausbau nicht funktionieren kann, da mehr Stromverbraucher ans Netz kommen, als grüne Kraftwerke gebaut werden“.

Jetzt kommt die angeführte Sendung des ZDF zum exakt gleichen Schluss wie Ruhsert: Im Vergleich eines Golf Diesel mit dem elektrischen ID4 von VW bescheinigt sie dem Verbrenner die deutlich günstigere CO2 Bilanz. Zumal mittlerweile zumindest für Deutschland klar ist, dass der aktuell zusätzlich gebrauchte Strom tatsächlich voran aus Kohlekraftwerken kommt.

Zum gleichen Resultat kam, wenn man Österreichs realen Strom-Mix zugrunde legt, schon im Mai auch die Zeitschrift Alles Auto beim Vergleich des Hyundai-Benziners “Bayon” mit Hyundais E-Auto “Kona”: Der Kona produziere pro Kilometer um 149,8 Gramm mehr CO2 als der Bayon. Auch in Österreich braucht man für zusätzliche E-Autos und Wärmepumpen zusätzlichen Strom. Dass der schwerlich in ausreichendem Ausmaß “grün” erzeugt werden kann, begründet Alles Auto-Autor Stefan Pabeschitz so: Insgesamt legen Österreichs Autos pro Jahr 77 Milliarden Kilometer zurück. Je 100 km braucht ein E- Auto 20 Kilowattstunden, für 77 Milliarden Kilometer also 15,4 Terrawattstunden Strom. Rechnet man die Verluste des Leitungsnetzes und beim Entladen und Speichern hinzu, so ergibt sich ein jährlicher Bedarf von 20 Terrawattstunden (TWh) für Österreichs PKW- Verkehr, wenn er komplett elektrisch ablaufen soll. Aktuell liefern 1.374 Windräder 9 TWh pro Jahr. Es braucht also weitere 3.050 Windräder, um die Akkus der E-Autos “grün” zu laden. Derzeit werden pro Jahr 60 neue Windräder gebaut- steigert man sich auf 70, so hätte man 2067 genug grünen Strom. (Baute man statt Windrädern Photovoltaik- Anlagen, so brauchte man dafür rund 140 Quadratkilometer.) Auch wenn man vermutlich sowohl Photovoltaik wie Windräder ausbaut, hielte die Herstellung von grünem Strom also mit dem Bedarf nicht Schritt – und nur wenn das der Fall wäre, wäre E-Mobilität ein zweifelsfreier Fortschritt im Kampf gegen den Klimawandel. So hingegen sei zu fürchten, dass undifferenzierte E- Mobilität CO2 eher vermehrt als vermindert.

Kanzler Karl Nehammer hat bekanntlich furchtbare Schläge dafür kassiert, dass er sich im Wettstreit zwischen E-Auto und “Verbrenner” für “Technikoffenheit” einsetzte – das sei ein klassisches Beispiel seiner klimapolitischen und wirtschaftlichen Ahnungslosigkeit. Ich hielte seine Ablehnung vermögensbezogener Steuern für das sehr viel bessere Beispiel -Technikoffenheit scheint mir hingegen ein grundsätzliches Erfordernis im Umgang mit dem Klimawandel: So hält etwa der anerkannte Motorentechniker Fritz Indra für möglich, Motoren zu bauen, die nur mehr einen Liter “E-Fuel” (künstlichen “grünen” Treibstoff) auf hundert Kilometern verbrennen und damit sauberer als jedes E-Auto fahren. Umgekehrt sind freilich auch bei Batterien gewaltige Fortschritte möglich: Derzeit brauchen sie zu ihrer Herstellung seltene, teure Materialien wie Kobalt und Silizium – in Zukunft kann man sie statt mit Silizium vielleicht viel billiger mit Salzkristellen herstellen und damit einen der größten Nachteile des E-Autos – seine hohen Anschaffungskosten- beseitigen. Ich verstehe nicht genug von Technik, um zu wissen wie der Wettstreit zwischen E-Auto und Verbrenner letztlich ausgeht – es kann durchaus sein, dass E-Mobilität die Vorteile erzielt, die der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer behauptet und die EU sich von ihr erhofft. Aber nur wenn wir technologieoffen agieren, können wir es wissen: Die Autos, mit denen zu fahren wegen der CO2-Steuer unbezahlbar wird, werden vom Markt verschwinden.

Hingegen verstehe ich genug von Wirtschaft, um die massive Förderung schwerer Tesla-Limousinen mit jedenfalls dürftiger CO2 -Bilanz für nicht nur wettbewerbsverzerrend sondern absurd zu halten. “Tempo 100” bremste den Klimawandel billiger und um Vieles wahrscheinlicher.

 

 

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Unser k&k Beitrag zur Atombombe

Fürs Kino war J. Robert Oppenheimer der “Vater der Atombombe”. In Wirklichkeit war es mit Leó Szilárd, ein ungarischer Jude, der sich als Altösterreicher fühlte.

Das wohl aktuellste Kinoereignis des Sommers, der Thriller “Oppenheimer”, beschreibt die Entwicklung der Atombombe an Hand des Physikers J. Robert Oppenheimer, der einer 1888 in die USA ausgewanderten jüdisch-deutschen Familie entstammte und als amerikanischer Staatsbürger mit der Leitung des “Manhattan Project” betraut war. Dass dieses Projekt, dass Physiker verschiedenster Nation in Los Alamos (New Mexiko) vereinte, überhaupt zustande kam, geht freilich ebenso wie die wissenschaftliche Grundlage der Bombe nicht auf Oppenheimer, sondern auf den ungarischen Juden Leó Szilárd zurück, der sich, mit einer Wienerin verheiratet, zeitlebens als Altösterreicher fühlte. Da der Wiener Physiker Victor Weisskopf, den die Wissenschaftler zum Bürgermeister von Los Alamos gewählt hatten, Szilárds engster Freund war, waren die beiden nach dem Krieg einige Male gemeinsam in Wien, so dass die Chance bestand, sie zu treffen. (Zu begreifen, wen wir nicht mehr zu Bürgern hatten)

Unter Physikern wurde Szilard als “Marsianer” bezeichnet, weil seine Intelligenz  selbst ihnen außerirdisch erschien. Ursprünglich hatte er Elektrotechnik und Biologie studiert, leistete wesentliche Beiträge zur biologischen Forschung und meldete als Ingenieur unter anderem Patente für das Elektronenmikroskop an. Letztlich aber voran der theoretischen Physik zugewandt, war er der erste, der die Idee hatte, die laut Albert Einstein im Atomkern gebundene Energie praktisch zu nutzen. Er war damit “Vater der Atomkraftwerke”, für die er diverse Patente anmeldete, ehe er zum “Vater der Atombombe” wurde. Denn es war seine Überzeugung, dass sich mittels Kettenreaktion eine Waffe von nie da gewesener Sprengkraft entwickeln ließe, die das  “Manhattan-project” politisch ermöglichte: Er war es, der den in der Folge auch von Albert Einstein und andern unterschrieben Brief entwarf, mit dem US-Präsident Franklin D. Roosevelt gedrängt wurde, das Geld für die Entwicklung der Bombe freizugeben, um Hitler-Deutschland zuvor zu kommen. (In Kenntnis seiner deutschen Kollegen war Szilard der falschen Überzeugung, dass auch sie die Bombe entwickeln würden.)

Szilárds Vorstellung vom Einsatz der Bombe war freilich die eines Humanisten: Man sollte sie, wie beim ersten Versuch des Manhattan-Teams, irgendwo in der Wüste zünden, aber die Kriegsgegner einladen, die Folgen der Explosion zu studieren – das würde sie zum Einlenken bewegen. In einer an Roosevelt gerichteten Petition fordert er Vergleichbares vor dem Abwurf der ersten Atombombe auf Japan, aber das Schreiben kam Roosevelt nie zu Gesicht. Wohl aber trug es dazu bei, dass Szilárd in der Ära McCarthy die Berechtigung entzogen wurde, an weiteren kriegswichtigen Projekten mitzuarbeiten, was er letztlich mit Erleichterung quittierte. Ich habe jedenfalls wenige Menschen kennengelernt, die so sehr wie Szilárd auf eine gewaltlose Zukunft hofften und dabei von beinahe naiver Zuversicht waren. Unter anderem schrieb er das Kinderbuch “The Voice Of The Dolphins”, in dem weise Delphine friedliches Regieren lehren.

Während Weisskopf den Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima insofern verteidigte, als sie den Krieg mit Japan sofort beendete, so dass trotz der furchtbaren Folgen der Explosion letztlich viel weniger Menschen starben als bei der langwierigen Fortsetzung des Krieges mit Hitler-Deutschland den Tod gefunden haben, kritisierte ihn Szilárd mit der beschriebenen  Argumentation. Den zweiten Abwurf auf Nagasaki bezeichneten beide Männer als Kriegsverbrechen. Im Übrigen verband humanes Bewusstsein die überwältigende Mehrheit der in Los Alamos Tätigen: Sie waren überzeugt, mit der Bombe einen Beitrag zum Frieden zu leisten, und im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung ist sie das auch: Ohne die Angst vor dem Weltuntergang in einem Atomkrieg hätte es längst den großen, direkten Krieg zwischen den USA und der UdSSR oder zwischen Indien und Pakistan gegeben, und derzeit hält die Angst vor der Bombe den Ukraine-Krieg in Grenzen.

Weisskopf, nach dem Krieg “Head of Physics” des Massachusetts Institute of Technology (MIT), danach erster Chef des europäischen Kernforschungszentrums CERN und Berater Bruno Kreiskys in Fragen der Atomenergie, erklärte mir übrigens wie Szilárd bereits zu Ende der Fünfzigerjahre überzeugend, dass der Klimawandel durch den industriell verursachten Glashauseffekt die größte Herausforderung der Zukunft sei. Beide waren überzeugt, dass die Atomenergie als Brücken-Technologie einen entscheidenden Beitrag dazu leisten würde, sie zu bewältigen. Obwohl eine Leserin darüber erschüttert war, dergleichen im “Falter” zu lesen, teile ich diese Ansicht heute mehr denn je: Seit es möglich ist, Atom-Müll durch Elektronenbeschuss weit kostengünstiger und einfacher als bisher endzulagern, sind die Vorteile “grüner” Atomenergie größer als ihre Risiken. Ganz losgelöst davon, dass Bill Gates Patente für Atom-Kleinkraftwerke angemeldet hat, die diesen Müll unmittelbar für ihren Weiterbetrieb nutzen. Leider kann ich deren Konzeption nicht mehr mit Weisskopf oder Szilárd diskutieren: Szilárd starb 1964 an Krebs, obwohl er seinen Tod durch ein selbst entwickeltes hoch-radioaktives Implantat um Jahre hinauszuzögern vermochte, Weisskopf starb 2002.

PS: Ich will mir nicht vorstellen, was Szilárd und Weisskopf zur jüngsten Entwicklung Israels sagten.

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Ein Orden für Karl Nehammer

Indem Karl Nehammer sich wie kein anderer festlegte, nicht mit Herbert Kickl zu koalieren, erwarb er nicht nur größte Verdienste um Österreich, sondern auch um die EU.

Für mich war der 12. Juli ein Staatsfeiertag: Was letzten Mittwoch geschah, erspart nicht nur Österreich eine Regierung, die unter einem “Volkskanzler” Herbert Kickl die Orbanisierung anstrebt, sondern auch der EU, dass dieser Kanzler in ihr mit Erfolg die Interessen Wladimir Putins vertritt. Karl Nehammer verdient dafür in meinen Augen einen Orden: Nichts hat ihn dazu gezwungen, eine Regierungskoalition mit der Kickl -FP auszuschließen – er hat sich damit vielmehr um die Möglichkeit gebracht, in den auf diese Weise unausweichlichen Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ jeden Wunsch durchzusetzen, indem er ihr die Zusammenarbeit mit der FPÖ androht. Das ist  für einen VP-Obmann neu.

Der 12. Juli verlief wie ein Krimi. In der 9 Uhr-ZIB ließ Nehammer bekanntlich nur wissen, dass er Kickl für ein “Sicherheitsrisiko” hält, weil er sich gegen die Teilnahme an “Sky-Shield” ausspricht, aber erst in der ZIB2 zog er daraus die Konsequenzen: Auch er schließe aus, mit der Kick-FPÖ zu koalieren. Armin Wolf tat durch 15 Minutenlang absolut alles, um diese Aussage in Stein zu meißeln. Er hielt ihm vor, dass ja auch Johanna Mickl Leitner versprochen hätte, nie mit der Landbauer -FPÖ zu koalieren und es doch getan hat – Nehammer pochte auf dem wesentlichen Unterschied zwischen Bund und Ländern; als er ihm zuletzt vorhielt, dass Kickls Einwände gegen Sky Shield  ja keineswegs das Abwegigste wären, das er geäußert hat, blieb Nehammmer zwar zu Recht dabei,  diese Ablehnung eine nicht hinnehmbare  Gefahr  zu nennen, aber ich glaube, dass er nur einen möglichst  einsichtigen Anlass gesucht hat, sich von Kickl zu distanzieren: Auch ihm graut vor diesem Mann. Die Rede, die er nach seinem Amtsantritt im KZ Mauthausen gehalten  hat, hat mich diesbezüglich immer mit einem gewissen Optimismus erfüllt: Nehammer ist, was immer man sonst gegen ihn einwenden mag, ein anständiger Mensch und nicht einmal ein “Feschist”.

Und natürlich waren Kickls Einwände gegen Sky Shield einmal mehr nur Liebesdienst für Wladimir Putin: Die Teilnahme an der von Deutschland initiierten  Beschaffungsgemeinschaft, die es ermöglichen, Drohen, Raketen oder Marschflugkörper, die auf eines der beteiligten Länder abgefeuert werden, rechtzeitig abzufangen, indem alle beteiligten Beobachtungsstationen einander ihre Daten übermitteln, so dass die Flugbahn des eindringenden Objekts präzise zu erkennen ist und der Abschuss möglich wird, verstößt in keiner Weise gegen die Neutralität: denn  befohlen würde dieser  Abschuss immer durch die Regierung des betroffenen Landes und Österreich geht auch, anderes als bei einem Bündnis, keine Verpflichtung ein, auf den Beschuss eines anderen Mitglieds militärisch zu reagieren – daher ist selbstverständlich auch die neutrale Schweiz Sky Shield beigetreten.

Um Kickl für ein Sicherheitsrisiko zu halten, hätte es freilich nicht erst der Auseinandersetzung um Sky Shield bedurft: Kickl und seine FPÖ sind in jeder Hinsicht die fünfte Kolonne Wladimir Putins, so sehr der dabei ist, Saddam Hussein den Rang als größter Kriegsverbrecher seit Adolf Hitler streitig zu machen. Noch untere H.C. Strache unterzeichnete die FPÖ bekanntlich einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei “Einiges Russland” und FP-Politiker unterstützten ihn konkret in seinem Angriffskrieg, indem sie nach seinem Einmarsch in die Krim bestätigtem, dass die ihm folgende Volksabstimmung korrekt verlaufen sei.

Seit Kickl Obmann der FPÖ ist, ist er gemeinsam mit Ungarns Viktor Orban der Politiker, der sich am heftigsten gegen die Sanktionen der EU gegen Russland ausspricht. Ich will fair sein und ihm zugestehen, dass auch ich nur die Sperre der Lieferung von Hochtechnologie für eine unverzichtbare Sanktion halte, aber es geht um die Grundhaltung gegenüber einem eindeutigen Aggressor: Wenn Kickl Österreich in Brüssel repräsentierte, hätte er jeder Sanktionen gegen Russland die Zustimmung verweigert.

Nehammers jetzt so eindeutige Festlegung macht es restlos unsinnig, dass sich Andreas Babler  darauf festgelegt hat, nicht mit der ÖVP zu koalieren. Man sollte sich innerhalb der SPÖ doch darüber im Klaren sein, dass die Variante einer rot-grün- pinken Koalition in Wahrheit so gut wie ausgeschlossen ist. Wenn die Babler -SPÖ Stimmen dazu gewinnt, dann in erster Linie von den Grünen und das ist von einer Koalition her ein  Nullsummenspiel.

Ich gebe zu, dass es sehr schwer fällt, sich einen Kompromiss zwischen Bablers Reichensteuer  und der Ablehnung jeder vermögensbezogenen Steuer durch die ÖVP vorzustellen, aber  der Weg zu jedem Kompromiss ist versperrt, wenn man, wie Sven Hergovich von der SP-Niederösterreich droht, sich die Hand abzuhacken, wenn es nicht zu Vermögenssteuern kommt – so kann man in keine Verhandlung gehen. Ich hätte mir zwar erhofft, dass Mikl Leitner die Koalition mit der FPÖ dennoch ablehnt und wartet, bis Hergovich seine Selbstverstümmelungsphantasien revidiert – aber die SPÖ hat es ihr denkbar schwer gemacht, so zu handeln.

Babler sollte es Nehammer nicht so schwer machen. Ich gebe nämlich auch die Hoffnung nicht auf, dass Nehammer ökonomisch lernfähig ist: Wenn Babler keinen Zweifel daran lässt, dass Lohn und Einkommenssteuern vollumfänglich um den Betrag reduziert werden, den die vermögensbezogenen Steuern einbringen, wird es Nehammer schwer fallen, sich dem zu verweigern.

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Immerwährend gentechnikfrei?

Die EU will mit moderner Gentechnik hergestellte Nahrungsmittel nicht mehr diskriminieren. Österreich ist dagegen. Die Folgen können kostspielig sein.

Die EU-Kommission schlägt vor Agrarprodukte, die mit der Genschere CRISPR/Cas9 hergestellt
werden, in Zukunft nicht mehr anders als konventionell hergestellte zu behandeln. Sie begründet das
damit, dass es mit der Genschere ein neues gentechnisches Instrument von nie dagewesener Präzision
gibt, das es ermöglicht, die Gene von Nutzpflanzen so zu verändern, dass sie allen gewünschten
Anforderungen genügen und sich nicht von natürlich gezüchteten unterscheiden. Diese Möglichkeit sei
angesichts des Klimawandels von überragender Bedeutung, um die wachsende Weltbevölkerung zu
ernähren. In Österreich, wo jedes Nahrungsmittel als “gentechnikfrei” beworben wird, musste das auf massiven Widerstand stoßen. Umwelt-Ministerin Leonore Gewessler sieht keine Möglichkeit, der Kommission zuzustimmen und nennt deren Argumente “vorgeschoben” – ich halte sie mit Deutschlands Forschungsministerin Bettina Schwarz Watzinger (FDP) für zutreffend.
Normalerweise warnen die Grünen zu Recht eindringlich vor der Veränderung der landwirtschaftlichen Bedingungen durch den Klimawandel: Die Böden werden trockener, die Schädlinge nehmen zu. Dass das negativen Einfluss auf Ernteerträge hat, scheint mir kein gewagter  Fehlschluss. Eine aktuelle Studie im Fachblatt “Nature Food” kommt zu dem Ergebnis, dass Dürren und veränderte Regenmuster schon in den nächsten 20 Jahren zu Ertragseinbrüchen bei Grundnahrungsmitteln wie Mais oder Reis führen werden. Ich bin seit den Vorhersagen des Club of Rome, was Zeiträume betrifft vorsichtiger, aber dass das grundsätzlich zutrifft, bezweifle ich nicht.
Die Menschen haben aber auch schon vor dem industriebedingten Klimawandel zu Recht versucht,
den Ertrag ihrer Nutzpflanzen zu steigern. Durch Jahrhunderte gelang das nur sehr langsam und mühsam: Man musste nach Pflanzen suchen, die durch zufällige Mutationen, wie sie in der Natur ständig vorkommen, vorteilhafte Eigenschaften, etwa besonders viele Körner in der Ähre eines Getreides aufwiesen, um sie miteinander zu kreuzen. In der Neuzeit ging es um Einiges schneller, indem man durch radioaktive Bestrahlung Mutationen beförderte und dann die Pflanzen zur Kreuzung auswählte, die eine der gesuchten Eigenschaften zeigten. Jetzt erledigt die Genschere dergleichen viel schneller und präziser, indem man das gewünschte Gen einfügt. Man kann Pflanzen sowohl ertragreicher wie widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder höhere Temperaturen machen. Gleichzeitig gibt es keinen logischen Grund, exakt gezielte Eingriffe in die Genetik für gefährlicher zu halten als Mutationen, wie sie in der Natur ständig und durch natürliche Radioaktivität oder aktive radioaktive Bestrahlung gehäuft, stattfinden. Das Horrorszenario der Gentechnik-Gegner – eine ungenießbare gentechnisch veränderte Pflanze, die alle anderen Pflanzen verdrängt, wird schwerlich mit der Genschere entstehen, von der man genau weiß, wo sie ansetzt – viel eher kann eine eine zufällige natürliche Mutationen eine solche Pflanze hervorbringen.
“Es ist längst machbar, Mais, Soja oder Reispflanzen so herzustellen, dass sie weniger Pestizide zu ihrem Schutz brauchen und gleichzeitig ertragreicher und gehaltvoller sind”, urteilt die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten -Scheid vom Gregor-Mendel-Institut der österreichischen Akademie der Wissenschaften exakt wie die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie spricht von einer
regelrechten Revolution der Biologie: “Die Liste der Kulturpflanzen, die dank CRISPR verbesserte
Eigenschaften aufweisen, wird jeden Monat länger.” Es gibt bereits Reispflanzen, die immun gegen
Schädlinge sind, aber man versucht auch sehr Spezielles: Japanische Forscher arbeiten an Tomaten, die gesundheitsfördernde Antioxydanten produzieren. “CRISPR wird zudem ein demokratisierendesWerkzeug sein”, sagt die Molekularbiologin Jennifer Doudna, die gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier für die Entdeckung der Genschere den Nobelpreis erhielt: "Wir entwickeln Möglichkeiten, CRISPR auch bei Pflanzen einzusetzen, die in kleinen Betrieben oder nur in bestimmten Teilen der Welt angebaut werden. So lassen sich auch lokal Probleme angehen."
All dem stehen in der EU restriktive rechtliche Regelungen entgegen. Nach einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs aus 2018 unterliegen Pflanzen, die mit Hilfe von CRISPR gezüchtet wurden, auch wenn sie keine artfremden Gene enthalten, strengsten Anbau – Auflagen. Die genetische
Veränderung einer Pflanze mittels Röntgenbestrahlung wurde hingegen als unbedenklich eingestuft, obwohl sie weit weniger präzise ist: Radioaktiv genetisch veränderte Nahrungsmittel werden in
Österreich daher seit Jahren problemlos verkauft. “Diese Unterscheidung ist wissenschaftlich nicht
haltbar”, kritisiert Mittelsten -Scheid. “Wir sollten uns nicht mehr fragen, was die Folgen der Nutzung
von CRISPR sein könnten, sondern was passiert, wenn wir dieses Werkzeug nicht nutzen.”
Sollte Gewessler mit ihrem Widerstand EU-weit Erfolg haben, droht Europas Agrarindustrie in
absehbarer Zeit mangelnde Konkurrenzfähigkeit. Sollte sie nur erreichen, dass Österreich weiterhin
darauf bestehen kann, dass gentechnisch hergestellte Nutzpflanzen hierzulande nicht angebaut werden
dürfen und dass Nahrungsmittel, die sie enthalten, gekennzeichnet werden müssen, so werden sie nur
etwas teurer als bisher sein.

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Was macht den Kommunismus salonfähig?

Die historische Belastung des realen Kommunismus mit Blut und Elend wiegt erstaunlich wenig. Traditionelle linke Politik angeblicher Kommunisten beeindruckt zu Recht.

Es gibt eine kurze Antwort auf die im Titel gestellte Frage: Die Schere zwischen hyperreich und relativ arm war lange nicht so groß, und Ahnungslose meinen, dass das im Kommunismus anders war. Gemäß einer Gallup Umfrage können sich daher 24 Prozent der Österreicher vorstellen die Kommunistische Partei (KPÖ) zu wählen. Am ehesten mit 29 Prozent Sympathisanten der SPÖ, aber mit 27 Prozent auch Grün-Affine. Am meisten verblüfft, dass sich selbst 25 Prozent Neos-Affiner vorstellen können, kommunistisch zu wählen, während es unter ÖVP-Affinen nur 13 Prozent sind. Weniger verblüffend: Dass die Bereitschaft bei unter 30-Jährigen mit 33 Prozent am höchsten ist – dies entspricht der Qualität unseres Geschichtsunterrichts – und dass sie bei Freiheitlichen mit 16 Prozent ähnlich niedrig wie bei VP-Affinen ist; Neo-Faschismus liegt ihnen vermutlich näher als Neo-Kommunismus.

Am Rande erklären diese Zahlen, warum eine “linke” SPÖ unter Andreas Babler laut Umfragen mehr Stimmen als eine “rechte” unter Hans Peter Doskozil erhielte: Sie nähme Grünen und Neos am ehesten Stimmen weg. Dadurch wird aber die von Babler erhoffte rot-grün-pinke Koalition um nichts wahrscheinlicher.

Obwohl das der realpolitisch bedeutsamste Schluss ist, den man aus der überraschenden Kommunismus-Akzeptanz der Österreicher ziehen muss, beeindruckt mich einmal mehr, wie wenig die historische Belastung einer Weltanschauung wiegt. Immerhin sind in der kommunistischen Sowjetunion allein aufgrund der “Zwangskollektivierung” (Enteignung der Bauern zugunsten staatlicher Agrar-Kombinate) schätzungsweise  sieben Millionen Menschen verhungert und wurden bis zu Stalins Tod im Jahr 1953 mindestens 18 Millionen Menschen als angebliche “Konterrevolutionäre” verhaftet, von denen 2,5 Millionen im “Archipel Gulag” starben und weiter 700.000 hingerichtet wurden. Gleichzeitig entstand die ungerechteste Gesellschaft, die man sich vorstellen kann: Parteifunktionäre besaßen zwar nichts, verfügten aber über absolut alles – prachtvollen Datschen bis zur eigenen Autobahn. Gleichzeitig war die Bevölkerung nicht nur relativ, sondern absolut arm. Kommunismus war und ist in jedem Land, in dem er herrschte – von Kuba über Kambodscha bis China -, mit Elend und Folter verbunden: Auch geflohene Kubaner haben Folternarben; dass es der Masse der Chinesen trotz Folter ökonomisch immer besser geht, liegt daran, dass ihre Wirtschaft immer weniger mit Kommunismus zu tun hat. Auch die Forderung der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) oder des Salzburger KPÖ-Shootingstars Kay-Michael Dankl haben nichts mitKommunismus zu tun.

Die historische Belastung des realen Kommunismus mit

Blut und Elend wiegt erstaunlich wenig. Traditionelle

linke Politik angeblicher Kommunisten beeindruckt zu recht

Beide fordern nur glaubwürdiger als andere normle linke Politik ein, die natürlich sinnvolle staatliche Eingriffe umfasst. Dass sie sich Kommunisten nennen, ist ihr privates Steckenpferd, auch wenn es zweifellos am meisten zur öffentlichen Akzeptanz der KPÖ beträgt

Der historische Kommunismus ist etwas anderes und lässt sich nicht vom Marxismus trennen, zu dem sich der neue SPÖ Chef Andreas Babler aus Privatvergnügen – sicher nicht aus Kenntnis – bekennt. Bablers Unterstützer wandten ein, dass selbst Karl Popper, Auto von “Die offene Gesellschaft und ihre Feinde”, einst Kommunist war – aber im Jahr 1922 mit 20 Jahren, nicht wie Babler 2023 mit 50 Jahren.

1922 wusste man noch nicht vom Elend und den Verbrechen, die der Kommunismus hervorgebracht hatte. Der Journalist Arthur Köstler hatte Folter und Schauprozesse in Russland noch nicht beschrieben. Marxismus war 1922, als Karl Popper sich ihm hingab noch nicht blutbefleckt, sondern eine faszinierende ökonomische Theorie, die die überragende Bedeutung von Eigentum und Profit erstmals in den Mittelpunkt stellte. Für Popper Generation galt das Bonmot: Wer mit 20 kein Marxist war, war nicht anständig – wer es mit 50 noch immer ist, ist nicht intelligent.

Aus seiner Kenntnis des Marxismus heraus hat Popper dessen kardinale Schwächen aufgezeigt: Marx, der viele große Risiken des Kapitalismus richtig sah, vermeinte fälschlich, aus ihnen ein “ehernes Gesetz” ableiten zu können, wonach sie zwingend zum Zusammenbruch des Kapitalismus führen müssen, der wiederum mit dem Sieg des Sozialismus enden muss. Wenn dem so ist, bräuchte es keine Gewerkschaften, um den Kapitalismus zu zähmen. Marx lehnte Gewerkschaften ab und warf ihnen vor, durch “Scheinerfolge” den Zusammenbruch des Kapitalismus und den Sieg des Sozialismus hinauszuzögern. Folgerichtig gab es in kommunistischen Staaten keine Gewerkschaften, die den Kapitalismus in allen anderen Staaten in gewisse Schranken wiesen (die Gewerkschaft Solidarność entstand in Polen 1980gegen den Willen des damaligen KP-Regimes). Gleichzeitig war die Überzeugung, dass der Sozialismus siegen müsse, eine willkommene Rechtfertigung, dafür, diesem Zweifel durch Folter nachzuhelfen.

Die zweite Schwäche der Marx´schen Theorie bestand darin, dass sie zwar lehrte, der siegreiche Sozialismus bestehe in der “Vergesellschaftung der Produktionsmittel”, nicht aber, worin “Vergesellschaftung” bestehe, denn das bescherte der Kommunistischen Partei die maximale Macht. Allerdings lehrte Otto Bauer diese Auslegung. Durch “Verstaatlichung”, so spottete er, hätten statt versierter Kaufleute ahnungslose Beamte das Sagen in Unternehmen. Es ist sicher nicht Kenntnis”, die SPÖ und Babler “Verstaatlichung” dennoch für “sozialistisch” halten lässt.

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Es braucht Doskozil plus Babler

Es braucht Doskozil plus Babler

Wenn man Blau- Schwarz unter der Führung von Herbert Kickl für das Schlimmste hält, was Österreich zustoßen kann, dann ist die Aufgabe der Delegierten zum kommenden Parteitag der SPÖ klar: Sie müssen eine Führung etablieren, mit der die SPÖ genug Wähler dazu gewinnt, um eine rot-grün-pinke Mehrheit sicherzustellen, denn nur die schließt Blau-Schwarz mit Sicherheit aus. Gemessen an den aktuellen Umfragen sind das ziemlich viele Wähler, aber noch vor wenigen Monaten gab es eine klare Mehrheit der SPÖ in den Umfragen aller Institute, und in der Umfrage, die Hans Peter Doskozil vor einem Monat in Auftrag gab, schnitt sie mit ihm an der Spitze jedenfalls deutlich besser als derzeit ab. Dieses Resultat bestätigte sich auch in gleichartigen Umfragen unabhängiger Institute. Doskozil ist mit Sicherheit der beste Kanzler-Kandidat, wenn es gilt, Wähler von der FPÖ zurückzugewinnen oder sogar hin und wieder der ÖVP zu entreißen, und auch bei Unentschlossenen scheint Doskozil anzukommen: Das gute Management der Flüchtlingsflut von 2015 wird ihm auch in der Mitte gutgeschrieben. Dass Rendi- Wagners Wähler eine Doskozil-SPÖ nicht wählten, weil er sie schlecht behandelt hat, halte ich für unwahrscheinlich: Wer der SPÖ unter ihr treu blieb, ist rot geeicht. Selbst ORF-Ex-General Gerhard Zeiler, der aus der SPÖ austreten will, wenn Doskozil sie übernimmt, wählt sie vermutlich weiter, wenn es Blau-Schwarz abzuwehren gilt, denn grün oder Pink zu wählen wäre ein Nullsummenspiel, das ihr schadete, wenn es um die Beauftragung durch den Bundespräsidenten geht.

Aber auch Andreas Babler kann Wähler für die SPÖ hinzugewinnen. Mit Sicherheit ist er der Beste, wenn es darum geht, Erstwähler anzuziehen, denn er wirkt deutlich jünger als Doskozil.. Pamela Rendi-Wagners Wähler wählen ihn sicher, aber vor allem bei der großen Gruppe der Nichtwählern könnte er punkten: Dass die „KPÖ plus“ in Graz und Salzburg so erfolgreich war, zeigt, dass ein explizit linkes Programm und vor allem linkes Auftreten erstaunlich viel Resonanz erzielt. Einziges Problem: Ich glaube, dass Babler die Doskozil-Wähler und die Wähler, die die SPÖ rechts der Mitte gewinnen muss, eher abschreckt.

Mein Schluss aus dieser Analyse: Ich glaube, dass die SPÖ mit Doskozil als Kanzlerkandidat die besseren Chancen hat, dass es aber optimal wäre, wenn sie Babler in die Führung einbinden kann. Jedenfalls als Obmann-Stellvertreter, notfalls aber sogar, indem man eine Doppelspitze bestellt, Doskozil aber klar zum Kanzlerkandidaten macht. Hinter beiden stehen übrigens Männer. die wirklich etwas von Wirtschaft verstehen: Hinter Babler der Ökonom Nikolaus Kowall von der „Sektion 8“, hinter Doskozil Ex-Kanzler Christian Kern. Gemeinsam könnten die beiden ein optimales Aktionsprogramm für eine“ SPÖ plus“  entwerfen.

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Wie Putin und OPEC das Klima retten

Der Beschluss der OPEC plus Russland sorgt mehr als das Aus für Verbrenner für weniger CO2 in der Atmosphäre. Aber es gibt es einen besseren Weg zu diesem Ziel.

Dass OPEC plus Russland beschlossen haben, die Öl/Gas -Förderung neuerlich zu drosseln, stabilisiert den Öl-Preis und  lässt die ärgerliche Teuerung länger anhalten. Gleichzeitig gibt es allerdings keine Maßnahme, die den Klimawandel ähnlich wirksam bekämpfte. Denn wenn man vom Methan aus Rindermägen absieht, hängt die Erwärmung der Atmosphäre so gut wie ausschließlich davon ab, wie viel Öl/Gas wir verbrennen. Der aktuelle Beschluss der OPEC +  bedeutet, dass täglich eine Million Barrels, (159 Millionen Liter) weniger Öl gefördert und verbrannt werden. Das bremst die Erwärmung stärker als die E-Autos, die täglich mehr auf die Straße kommen. Regierte Vernunft die Politik, so würde eine solche stete Verteuerung des Öls, in sozialverträglich abgefederter Form, einvernehmlich beschlossen.

Die EU hat soeben immerhin beschlossen, den Europäischen Emissionshandel über die Industrie hinaus auch auf die Bereiche Gebäude und Verkehr auszuweiten. Zirka  85 Prozent aller europäischen CO2-Emissionen sind damit zukünftig an Emissionsrechte gebunden. Die Menge dieser Emissionszertifikate soll kontinuierlich sinken, so dass sie sich sukzessive verteuern und der entsprechende Kostendruck sollte dazu zwingen, in allen Bereichen das jeweils Kostengünstigste zu unternehmen, um diesen Ausstoß zu verringern. Die EU ist zuversichtlich, auf  diese Weise ihre Klimaziele bis 2030 und weiter bis 2050 zu erreichen. Ich glaube zwar auch, dass sie damit große, den CO2-Ausstoß vermindernde technologische Verbesserungen erreichen wird, aber auch wenn das natürlich sinnvoll ist,  zweifle ich, dass es reicht, den Klimawandel zu verhindern.

Ich teile diesbezüglich die Einwände des deutschen Ökonom Heiner Flassbeck, der  in seiner Argumentation vom eingangs beschrieben Tatbestand ausgeht: Die Erwärmung  der Atmosphäre kann nur in dem Ausmaß vermindert werden, in dem weniger Öl/Gas gefördert und damit verbrannt wird. Global ist das trotz des Pariser Klimaabkommens in keiner Weise gelungen: Die CO2 Emissionen sind vielmehr weiter gestiegen, obwohl zumindest die EU seit zwanzig Jahren Gegenmaßnahmen ergriffen hat und es den Emissionshandel der Industrie längst gibt. Dieser Misserfolg liegt daran, dass die Erwärmung eben nicht in erster Linie davon abhängt, ob in der EU weniger CO2 aus Schloten und Auspuffen kommt -wobei nicht einmal das gelungen ist, aber vielleicht in Zukunft gelingen könnte – sondern ob weltweit weniger CO2 emittiert wird. Und diesbezüglich, so meint Flassbeck, unterliege man in der EU einem Denkfehler: Dass in der EU weniger Öl verbrannt wird, bedeute nämlich in keiner Weise, dass auch weltweit weniger Öl verbrannt würde. Vielmehr würde jeder Liter Öl, den die EU nicht kauft und verbrennt, sofort von Indien, China oder irgendeinem Entwicklungsland gekauft und verbrannt, um sich unserem Lebensstandard anzunähern. Das sei ökonomisch unvermeidlich und bedeute: Was immer wir weniger verbrennen, verbrennen andere mehr. “Nur wenn man sich das eingesteht”, meint Flassbeck, “kann es gelingen, ganz andere internationale Vereinbarungen zu treffen, bei denen die Produzenten fossiler Energieträger von Anfang an mit an Bord sind und eine kontinuierliche Reduktion der Förderung festgeschrieben wird. Nur ein solches globales Abkommen kann den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich alle erfolgreich anpassen können.”

Ich halte diese Einbindung der OPEC-Produzenten, voran Saudi Arabiens und der Golfstaaten nicht nur für notwendig, sondern auch für möglich. Durch Jahrzehnte haben sie sich nämlich der Forderung der USA nach einem niedrigeren Ölpreis gebeugt, um sich deren Waffenhilfe zu sichern    umso mehr sollten sie eine Vereinbarung akzeptieren, die ihnen zugesteht, den Ölpreis in einem festgesetzten Rhythmus und Ausmaß kontinuierlich zu erhöhen und damit  länger von ihrem Öl zu profitieren. Zwar unternimmt Joe Bidens  derzeit leider das Gegenteil: Aus Angst, dass die Teuerung ihn 2024 die Wahlen kostet, versuchte er – erfolglos – die  Saudis zur Rücknahme ihres Beschlusses zur Förderkürzung zu bewegen. Aber statt dass die EU sich von ähnlichen Ängsten leiten lässt, sollte sie die Führungsrolle übernehmen und Biden überzeugen, dass die zitierte Einigung mit der OPEC der bessere Weg ist, weil er zu messbaren Erfolgen im Kampf gegen den Klimawandel führen wird, mit denen alle Beteiligten bei den Wählern punkten können. Das Richtige – die kontinuierliche Verteuerung des Öls durch kontinuierliche Reduktion der Förderung  – kann nur geschehen, wenn alle Beteiligten begreifen, dass sie zu ihrem Vorteil ist, indem sie den Planeten schützt. Am Schwersten ist dieses Begreifen für die breite Bevölkerung: Sie wird die Verteuerung des Öls nur akzeptieren, wen sie sozialverträglich erfolgt. Dazu müssen die Regierungen über einen neoliberalen Schatten springen: Sie müssen die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß senken, in dem sie die Steuern auf Vermögen erhöhen. Man wird um den Abbau der gewaltigen Differenz zwischen Arm und Reich nicht herumkommen, wenn man die Zukunft lebenswert gestalten will.

Gleichzeitig könnte die EU, wenn sie begreift, dass ihr Bemühen, weniger Öl zu verbrennen, nicht linear dazu führt, dass weltweit weniger Öl verbrannt wird, zu einer weniger hektischen Anpassung unseres Öl/Gas -Verbrauchs kommen. Denn Menschen, die damit finanziell massiv überfordert sind,  sind sonst auch im Begreifen der notwendigen Verteuerung überfordert.

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Emmanuel Macrons unlösbare Aufgabe

Die Wut gegen Frankreichs Präsidenten entlädt sich aus einem absurden Grund. Frankreichs eigentliches wirtschaftliches Problem kann er beim besten Willen nicht lösen.

Dass man das Pensionsantrittsalter etwas erhöhen muss, wenn die Lebenserwartung dramatisch steigt, scheint relativ einsichtig. Dass die Anhebung von 62 auf 64 Jahre in Frankreich seit Monaten zu Straßenschlachten führt, hat einen simplen Grund: Nach Frankreichs Rechter, die sich Marine Le Pen als Präsidentin wünscht, wollen auch Frankreichs Sozialisten, aus deren Reihen er kommt, nichts mehr von Emmanuel Macron  wissen. Selbst dass er Frankreichs Größe (Grandeur) im Gespräch hält – bei seinem jüngsten Chinabesuch erklärte er, dass die Franzosen nicht daran dächten, die Taiwan – Politik der USA wie Vasallen zu kopieren- stieß zu Hause auf kleinliche Kritik: Es sei vielleicht ganz gut, dass die USA Taiwan schützen wollten.

Dennoch ist die Weltpolitik den Männern und Frauen auf der Straße reichlich egal. Sie demonstrieren gegen zwei Jahre weniger Pension, weil sie das Gefühl haben, dass ihr ohnehin geringer Wohlstand einmal mehr beschnitten wird. Die Überlegung, dass die massiv gestiegene Lebenserwartung rechnerisch nichts anderes zulässt, ist diesem Gefühl nicht gewachsen. Die Franzosen wollen, dass es ihnen besser, statt schlechter geht und sie können den wirtschaftlichen Zustand ihres Landes nicht nur aus Zahlen ablesen, sondern erleben ihn täglich: Die Arbeitslosigkeit liegt noch immer bei 7,1 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit verharrt bei 17,4 Prozent – in Deutschland gibt es ganz drei Prozent Arbeitslose.

Es war die Hoffnung, dass Macron diesen wirtschaftlichen Zustand grundlegend verändern würde, die seiner inhomogenen “Bewegung” 2017 als Partei “En Marche” eine satte parlamentarische Mehrheit bescherte. Er setzte zwar durch, dass die Abfertigung Gekündigter nicht mehr so hoch ist, dass sie in Wirklichkeit Anstellungen verhindert und dass Eisenbahner nicht mehr mit 54 in Pension gehen dürfen, aber besser geht es den Franzosen nicht. Zuletzt war die zerstrittene Regierung nicht einmal mehr in der Lage, auch nur den Beschluss zur dringenden Anhebung des Pensionsalters zu fassen. Für diesen Fall kennt das französische Präsidialsystem die Möglichkeit des Präsidenten, sein Anliegen mit einer Art Notverordnung durchzusetzen und wie viele Präsidenten vor ihm machte Macron davon Gebrauch – was die Stimmung freilich noch mehr anheizte. Die Opposition focht die Verordnung an, aber die neun Verfassungsrichter, durchwegs ranghohe Ex- Politiker, beurteilten die Anhebung als verfassungskonform. Macron hat scheinbar einen klaren Sieg errungen.

Aber der Schein trügt. Die Unruhen dauern an; die Gewerkschaften haben Macron den totalen Krieg erklärt; er hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Niemand weiß, wie er bis 2027 etwas weiterbringen soll. In deutschen Zeitungen kann man zutreffend lesen, woran Frankreich krankt: An der Weigerung so vieler Franzosen, strukturelle Reformen zu akzeptieren; an den zu starken Gewerkschaften; am zu großen Anteil der Landwirtschaft am BIP; an der zu geringen Bereitschaft einer abgehobenen Elite, sich mit den Problemen des kleinen Mannes zu befassen und Schonung der Elite vor Strafverfahren wegen Korruption.

Aber trotz all dieser traditionellen Schwächen wies Frankreich noch 2005 ein reales, kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf aus, das mit 36.703 USD nur um 1.198 USD unter dem deutschen von 37. 901 USD lag. Denn Frankreich besitzt gute, große Unternehmen, seine Klein- und Mittelbetriebe sind zwar schwächer als die deutschen, aber dafür hat es eine große konjunkturunabhängige Luxusindustrie und sind seine Banken weit stärker als deutsche Geldinstitute. Es hat gute Patente, sehr gute Schulen und sehr gute Universitäten. Aber während Deutschland sein BIP/Kopf bis 2017 auf 45.229 USD steigerte, legte das Frankreichs nur mehr auf 38.605 USD zu. Aus einem Abstand von rund 1.200 USD zu Gunsten Deutschlands im Jahr 2005 war 2017 einer von 6.000 USD geworden, der heute auf 7.400 USD weiter gestiegen ist.

Der so dramatisch vergrößerte Abstand hat zwar mehrere Gründe, aber  einen zweifelsfreien Hauptgrund, über den Deutschlands Medien kein Wort verlieren: Während Frankreich seine Löhne wie durch Jahrzehnte üblich, jedes Jahr um den Produktivitätszuwachs plus Inflation erhöhte und damit die in der EU vereinbarte Ziel-Inflation von 1,9 Prozent einhielt, übt Deutschland seit 2000 “Lohnzurückhaltung”. Daher die Reallohn Verluste vieler deutscher Arbeitnehmer – daher der gewaltige Konkurrenz-Vorteil der mit immer weniger Lohnkosten belasteten deutschen Waren, der sich gegenüber Frankreich zu einem Lohnstückkosten-Vorsprung von 20 Prozent addierte. Entsprechend massiv mussten französische Unternehmen in der EU, in Russland, in den USA oder in Südamerika Marktanteile an deutsche Unternehmen verlieren; mit Deutschland selbst wuchs  Frankreichs Handelsbilanz-Defizit um den Faktor 30.

Frankreichs Möglichkeit, Deutschland die verlorenen Marktanteile wieder abzujagen, ist eine rein theoretische. Denn  dazu müssten Frankreichs Unternehmen die deutschen Preise unterbieten, das heißt ihr Lohnniveau um mehr als 20 Prozent senken. Das provozierte selbst in Ansätzen eine Revolte, neben der die aktuellen Unruhen lächerlich sind. Zugleich verminderte es Frankreichs Inlands-Kaufkraft, die seine Inlands- Konjunktur aufrecht hält, derart, dass sie zusammenbräche. Aber ich soll nicht ständig wiederholen, warum ich in Deutschlands wirtschaftlichem Verhalten die größte Gefahr für die EU sehe.

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