Erstmals erfahren die Deutschen aus ihrer führenden Wirtschaftszeitung, dass der deutsche Exportüberschuss ein Problem anderer Staaten und ein „Problemfall“ der EU ist.
Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Erstmals erfährt die deutsche Öffentlichkeit aus einem führenden deutschen Medium, dem liberalkonservativen „Handelsblatt,“ was Spiegel, Süddeutsche, oder Frankfurter Allgemeinen kaum anrühren: Dass Deutschlands Exportweltmeisterschaft ein gravierendes Problem für alle anderen Staaten ist und vielleicht darauf beruht, dass Deutschland internationale Regeln fairen Handels negiert.
Bekanntlich ermüde ich Falter-Leser und Kollegen seit Jahren mit eben dieser Behauptung und versuche sie zu belegen, aber mediale Unterstützung wurde mir bisher kaum zuteil: Nur der Ökonomen Kurt Bayer[1] vertritt Ähnliches in seinem Blog und 2019 nannte Notenbankgouverneur Ewald Nowotny entsprechende Behauptungen meines Buches „Die Zerstörung der EU“ in seiner Rezension zutreffend.[2] Insofern ist der Handelsblatt-Text zumindest eine leise mediale Rechtfertigung meiner Sturheit: Deutschland ist wirklich ein zentrales Probleme der EU.
Natürlich hütet sich das Handelsblatt, es so explizit zu sagen. Der betreffende Text ist unter dem Titel „Schwarz -Rot sucht ein neues Wirtschaftsmodell“ dem Umstand gewidmet, dass Friedrich Merz ein neues Geschäftsmodell für die deutsche Wirtschaft schaffen will: „weg vom Export, hin zu mehr Binnennachfrage“. Ordnungsgemäß referiert das Handelsblatt die Zweifel eigener wie fremder Ökonomen, dass das gelingt -Deutschland müsse Exportland bleiben – wogegen niemand etwas hat. Aber im Zuge dieser Argumentation geht der Text doch auf das von mir aufgezeigte Grundproblem ein: „Dass Deutschland viel mehr Güter und Dienstleistungen exportiert als importiert, galt hierzulande lange als harter Leistungsnachweis deutscher Wettbewerbsfähigkeit. Im Ausland muss sich Deutschland dafür aber schon lange Kritik anhören. Denn ein hoher Überschuss erzeugt zwangsläufig Leistungsbilanzdefizite in anderen Ländern, durch die diese in Schwierigkeiten geraten können.“
Korrekt müsste es heißen, dass sich zumindest Italien und Frankreich durch Deutschlands hohe Übergüsse bereits seit vielen Jahren in den größten Schwierigkeiten befinden, aber das zu schreiben unterlässt das Handelsblatt und verzichtet auch darauf zu recherchieren, worauf die überlegene deutsche Wettbewerbsfähigkeit beruht: Nicht auf der seit jeher gegebenen Qualität deutscher Waren, sondern seit zwei Jahrzehnten darauf, dass deutsche Löhne nicht mehr im Ausmaß der deutschen Produktivität stiegen.
Doch immerhin verrät eine Textstelle, dass Handelsblatt und EU-Kommission ahnen, dass die hohe deutsche Wettbewerbsfähigkeit nicht ganz im Einklang mit den Regeln der EU stand: „Erst in dieser Woche stufte die EU-Kommission Deutschland erstmals seit Jahren offiziell nicht mehr wegen zu hoher Handelsüberschüsse als Problemfall ein.“
Nicht nur für deutsche Leser dürfte spannend sein, dass die EU-Kommission Deutschland seit Jahren als „Problemfall“ einstuft. Der (im Falter nachzulesende) Grund: funktionierende Handelsregionen vermeiden dauerhafte Handelsüberschüsse eines bestimmten Landes durch entsprechende Regeln, weil sie -siehe oben- dauerhaft Defizite anderer Länder erzeugen. Die Kommission hätte nach ihren Regeln die Möglichkeit (ich meine: die Pflicht) gehabt, die deutsche Lohnzurückhaltung abzustellen, statt durch Jahre zuzusehen, wie Deutschland allen anderen Ländern Marktanteile abjagt. Und eigentlich hätte das Handelsblatt die Möglichkeit gehabt zu fragen, warum sie das nicht getan hat, während sie ständig Strafen wegen zu hoher Budgetdefizite verhängt? Die korrekte Antwort hätte es freilich nicht erhalten: Die EU-Kommission war immer von Deutschland dominiert und weder Frankreichs noch Italien wehrten sich. Charakteristisch für ihre durch ökonomische Ahnungslosigkeit bedingte, unsinnige Zurückhaltung ist die Haltung von Frankreichs Präsident Emanuel Macron: Er bewundert Deutschland für seinen Erfolg und wollte ihn kopieren, indem er Frankreichs Löhne zu drücken suchte. Dass es denkunmöglich ist, dass alle Länder immer mehr exportieren, während alle ihre Konsumenten immer weniger verdienen, kam ihm nicht in den Sinn.
Auch die absurde Sparpolitik und Schuldenphobie Deutschlands und der EU kritisiert das Handelsblatt nicht explizit, lässt aber an ihren Folgen keinen Zweifel: „Fakt ist: Deutschland fährt seine Infrastruktur seit mehr als zwei Jahrzehnten auf Verschleiß“. Und dann eine Erkenntnis, wie ich sie auch seit Langem zu vermitteln suche: „Doch nicht nur der Staat sparte, sondern auch die Unternehmen. Sie wurden sogar schon kurz nach der Jahrtausendwende von Netto-Schuldnern zu Netto-Sparern.“ Dass daraus folgt, dass der Staat umso mehr investieren muss, ist dem Handelsblatt schon wieder zu kühn, um es niederzuschreiben – es pocht auf die Notwendigkeit auch privater Investitionen, die niemand bestreitet.
Deutschlands Zukunft sieht das Handelsblatt realistisch: „Der immer heißer laufende Exportmotor verdeckte die Investitionsschwäche. Deutschland wird (zwar) ein stark am Außenhandel orientiertes Land bleiben. Nur die Abnehmer deutscher Produkte werden im Idealfall nicht mehr vor allem in den USA und China, sondern…vor allem in der EU sitzen“.
Das geht nur, wenn die EU ihre Schuldenphobie aufgibt und Deutschland seine Lohnpolitik so ändert, dass auch andere EU-Länder konkurrenzfähig sind.
[1] Dass Bayer meine Falter-Kommentare, wenn immer möglich in Leserbriefen harsch kritisiert. ist ein eigenes Kapitel.
[2] Die Rezension erreichte den Falter zu spät, um gedruckt zu werden.