Sie verantworten das Fanal am Kapitol nicht minder als Donald Trump. Ihnen und dem Neoliberalismus dankt er Aufstieg und Erfolg. Joe Biden muss ihn ökonomisch besiegen.
Als Lügner und Hetzer reicht Donald Trump an Adolf Hitler heran. Wie er seine Anhänger zum Sturm aufs Kapitol anstachelte, indem er ihnen erklärte, wie sehr er ihre Wut über den gestohlenen Wahlsieg verstünde, war eine demagogische Meisterleistung. Sie haben darauf auch exakt wie die SA reagiert. „Ich liebe Euch“, twitterte Trump, nachdem die Polizei der Vandalen endlich Herr geworden war – „wir kommen wieder“ skandierten die proud boys. Man kann nur hoffen, dass Joe Bidens Inauguration nicht noch blutiger endet.
In den USA, in die mein Vater nach dem Krieg auswanderte, wäre Trump wegen Anstiftung zum Aufruhr sofort zum Rücktritt gezwungen worden. Dass das jetzt kaum gelingen dürfte, dankt er dem gespenstischen Niedergang der republikanischen Partei. In der Geiselhaft der „Tea Party“ ist die „Grand Old Party“ nicht mehr evangelikal sondern „evangelikalistisch“. Dass ihre Gotteskrieger in „pussy grabbing“ Trump ihren Messias sahen ist nur der Gipfel ihrer Irrationalität oder Scheinheiligkeit: Von neun republikanischen Präsidentschaftskandidaten wagte keiner zu zweifeln, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat. Die Führer der „Grand Old Party“ sind nicht mehr konservativ, sondern reaktionär, nicht mehr patriotisch, sondern rassistisch, nicht mehr pflichtbewusst, sondern machtbesessen. In vier Jahren hat sich kaum eine Handvoll von ihnen von Trumps wirren Worten und Taten distanziert. Bis zuletzt hat ihre Mehrheit Bidens Wahlsieg mit seinen Lügen bekämpft. Die republikanische Partei verantwortet das Fanal am Kapitol nicht minder als Trump.
Dass 74 Millionen Amerikaner Trump und diese Partei gewählt haben, sollte in Europa zu denken geben: Ein neoliberales System, in dem immer weniger Menschen immer reicher werden (Jeff Bezos 2020 um 217 Milliarden), während der Mittelstand schrumpft und die Unterschicht verarmt, muss entarten: Trump (Marine Le Pen) ist die logische Konsequenz. So grotesk das scheinen mag, verdankt er seine Popularität dem ernsthaften, wenn auch verqueren Versuch, die Lage der Verlierer zu verbessern: Sein Bemühen, sie durch Zölle gegen Chinas Billig-Importe zu schützen, war richtig, so sehr es in Deutschland als „Handelskrieg“ diffamiert wurde, weil auch deutsche Handels-Überschüsse ins Visier gerieten. Totaler Freihandel entspricht neoliberaler Blindheit: Chinas Preisdumping hat Europas gesamte Solar-Panel-Industrie ruiniert.
Mit noch mehr Recht hat Trump, um die Kaufkraft zu erhöhen, die Einkommensteuern für Unterschicht und Mittelstand gesenkt- nur neoliberal auch die der Superreichen, statt sie zu erhöhen. Dass er angesichts der Corona-Krise ein Hilfspaket schnürte, in dem er, anders als unsere Regierung, das Arbeitslosengeld um gewaltige 600 $ pro Woche erhöhte, rang selbst seinem heftigsten Kritiker, Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, Beifall ab, half es doch den Wirtschaftseinbruch abzufedern.
Trump hat zwar die neoliberale Grundproblematik weder erkannt noch gelöst, aber fühlbar darauf reagiert. Deshalb muss Biden mindestens erreichen, dass es der Masse der Amerikaner unter seiner Regierung fühlbar besser als unter der Trumps geht – nur dann wird dessen Strahlkraft enden. Deshalb war so entscheidend, dass die Demokraten seit 5. Jänner dank Kamala Devi Harris` Dirimierungsrecht auch den Senat dominieren: Nur so können sie Gesetze beschließen, die große Reformen und Investitionen bedingen- denn nur die werden die USA die Corona-Krise schnell überwinden lassen. Am besten begreift man die überragende Bedeutung dieses 5. Jänner, wenn man sich ausmalt, was passierte, wenn die Vorherrschaft der Republikaner im Senat anhielte: Biden könnte nicht ein Gesetz gegen ihren Widerstand durchbringen. Und dieser Widerstand wäre ehern: Die Aversion der Republikaner gegen hohe Staatsausgaben ist schon an sich größer als selbst die Sebastian Kurz`, aber hinzu käme der durch keine Staatsraison gebremste Wunsch, Biden Niederlagen zuzufügen: Jede weitere Finanzhilfe an sozial Schwache scheiterte, obwohl sie Wirtschafts-Einbrüche abfedert; und mit Sicherheit verweigerte ein republikanisch dominierter Senat Finanzministerin Janet Yellen die Zustimmung zu massiven Investitionen, wie sie das einzige Mittel sind, die Wirtschaft rasch aus der Krise zu führen.
Nur mit dem Senat an seiner Seite hat Biden eine realistische Chance, den Amerikanern trotz Corona-Folgen bessere Jahre als Trump zu bescheren. Janet Yellen wird sofort und ohne dumme Rücksicht auf die Staatsschulden massiv in die US-Infrastruktur investieren, die das noch dringender als Deutschland braucht: Die Schulen sind desolat; das Gesundheitssystem bedarf der Sanierung so dringend wie das Abwassersystem; New Yorks U-Bahn ist fahrender Schrott. Allenthalben sind die Umweltschäden gewaltig und ist die Effizienz der Energie-Verwertung miserabel. Von der Armut, die das reichste Land der Welt sich seit jeher leistet, ganz zu schweigen- doch Yellen hat das Format, selbst dieses Schweigen zu durchbrechen.
Für Österreichs Erholung ist die rasche Erholung der USA wesentlich, weil sie unser zweitgrößter Handelspartner sind. Für die „westliche Welt“ ist sie entscheidend, weil sie weder auf die Führungsrolle der USA noch auf deren militärischen Schutz verzichten kann: Nur die USA können die künftige Militär-Großmacht China und die Großmachtallüren Wladimir Putins in Schach halten. Nur ihr Bekenntnis zum Klimaschutz kann den Klimawandel stoppen.