Wie Deutschland sich selbst ausbremst

Die deutsch dominierte EZB-Politik lässt das deutsche Exportmodell mit angezogener Schuldenbremse in die Rezession fahren. Wenn die EZB nichts ändert fahren wir mit.

Europas größte Volkswirtschaft, Deutschland, weist mit 0,3 Prozent das zweitniedrigste Wirtschaftswachstum der EU aus. Verständlich, dass das die Berichterstattung deutscher Medien beherrscht und in Österreich entsprechendes Echo findet, ist Deutschland doch unser wichtigster Handelspartner.

Nicht nur CDU-CSU oder AfD, sondern auch Deutschlands Bevölkerung, schreiben Deutschlands Problem der aktuellen Regierung aus SPD, Grünen und FDP zu. Das stimmt freilich, wie in Österreich, nur sehr ungefähr. Die Wurzeln des Problems reichen bis ins Jahr 2000 zurück, als die SPD-Regierung Gerhard Schröders mittels Hartz IV „Lohnzurückhaltung“ sicherstellte: Seit damals fiel die Kaufkraft der deutschen Bevölkerung immer weiter hinter die Menge der in Deutschland produzierten Waren zurück– es musste immer mehr davon im Export verkaufen. Das gelang, weil „Lohnzurückhaltung“ die Waren zu Lasten der Arbeitnehmer verbilligte und weil andre Regionen, von der EU über die USA bis China, sich gegenüber Deutschland verschuldeten. Derzeit ist das nur mehr begrenzt der Fall: Den EU-Ländern erlaubt der Spar-Pakt nur begrenzte Verschuldung; die USA begünstigen eigene Waren durch geringere Besteuerung, nicht anders als Deutschland, das seine durch inadäquate Löhne begünstigt. Zugleich lahmt Chinas Wirtschaft. Das deutsche “Modell” zwingender Exportüberschüsse ist somit an Grenzen gelangt.

Gleichzeitig hat Angela Merkel 2012 mit dem „Austerity-Pakt“ nicht nur alle anderen EU- Mitglieder gezwungen, die Grenzen, die der Maastricht-Vertrag der Staatsverschuldung setzt, auch tatsächlich einzuhalten, sondern Deutschlands eigenes Wachstum hat darunter zunehmend gelitten, verlangt die „Staatsschuldenbremse“ doch, die Staatsschuld mit 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen, obwohl es keine vernünftige Begründung für diese Grenze gibt: Staaten die sie nicht einhalten, fahren wie Japan um nichts schlechter oder wie die USA sogar wesentlich besser. Die Berechnungen des Ökonomen Kenneth Rogoff mit der sie begründet wird, erwiesen sich schlicht als falsch und die 60 Prozent kommen selbst bei ihm nicht vor.

Zwar litt die gesamte EU im Zuge der diversen Krisen, die es zu überwinden galt (von der Finanzkrise über die Corona und Energie-Krise bis zu aktuellen Teuerung) besonders unter der „Schuldenbremse“, aber kein Land versuchte im Ausmaß Deutschlands, sie einzuhalten, dessen aktueller Finanzminister Christian Lindner sie zum Markenzeichen der FDP erhoben hat. Keine Koalition, an der die FDP teilhätte, schon gar nicht eine mit der kaum minder schuldenkritischen CDU-CSU, könnte das Problem beseitigen, das daraus resultiert: Wenn der deutsche Staat seine Einkäufe grundsätzlich einschränkt, können Unternehmen in Deutschland unmöglich mehr verkaufen. Gleichzeitig musste die deutsche Infrastruktur verfallen: Auch die konservativsten Zeitungen bestreiten nicht mehr, dass Bundeswehr oder die Bundesbahnen kaputtgespart wurden, dass Straßen und Brücken verkommen und Schulen immer schlechter funktionieren, was künftig Leistung kosten wird. Dennoch konnte auch Lindner nicht anders, als die Schuldenbremse auszutricksen, um wenigstens in den Klimaschutz zu investieren: er verwendete bekanntlich unzulässig Geld, das seinem Vorgänger zur Bewältigung der Pandemie bewilligt worden war. Und natürlich ist auch ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden zur Sanierung der Bundeswehr nichts anderes als ein Aussetzen der Schuldenbremse.

Das Problem ist, dass weder FDP, noch CDU/CSU, noch die führenden Ökonomen des Landes erkennen, dass die Staatsschuldenbremse grundsätzlich unsinnig ist, indem sie Wirtschaftswachstum grundsätzlich hemmt. Irgendwann sollte es doch Sorge bereiten, dass sich der Abstand zum BIP pro Kopf der USA, die keine Schuldenbremse kennen, in zwanzig Jahren verdreifacht hat. Natürlich mögen auch übertriebene Bürokratie und konkrete Fehler der Regierung Scholz Anteil am niedrigen deutschen Wirtschaftswachstum haben – aber ohne die Staatsschuldenbremse zu lösen werden weder Deutschland noch Europa kräftig wachsen.

Dass es sogar zur Rezession kam, ist der EZB zu danken. Obwohl die 2021 in der EU einsetzende Teuerung ausschließlich durch die extreme Verteuerung russischen Erdgases zustande kam, und, anders als in den USA, nicht das Geringste mit steigenden Löhnen zu tun hat -die deutsche „Lohnzurückhaltung“ ließ sie nirgends in der EU so dramatisch steigen- steigerte die EZB ihren Zinssatz dramatisch und rascher als es selbst bei echter Lohnbedingter Inflation sinnvoll gewesen wäre.

Auch daran hat Deutschland wesentlichen Anteil. Denn während EZB-Chefin Christin Lagarde die Zinsen ursprünglich allenfalls ganz langsam anheben wollte, drängten deutsche Ökonomen, oder auch Österreichs Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann, innerhalb und außerhalb der EZB immer heftiger, auf deren drastisches Eingreifen, und ahnungslose Wirtschaftsjournalisten drängten mit.

Obwohl die Teuerung mittlerweile, wie erwartet längst abflaut, weil Norwegen und die USA ihre Erdgasproduktion erhöht haben, stemmt sich das deutsche Mitglied des EZB- Rates Isabelle Schnabel gegen eine Zinssenkung, ja meint, dass die EZB sich auf den letzten Metern besonders anstrengen müsse, ihr Zwei-Prozent- Inflationsziel zu erreichen. Sollte Schnabel sich durchsetzen, wird das die Rezession vertiefen – noch aber hoffe ich, dass ökonomische Vernunft zu einer baldigen Zinssenkung führt.

5 Kommentare

    1. Energieintensive Betriebe meiden offensichtlich deutschen Boden. Ergebnisse der glorreichen Politik sind spürbar und sichtbar. Viele Betriebe warten auf eine Aufhebung der, für Europa, fatalen Sanktionen gegen Russland. Der Tag wird kommen. Darum darf über Frieden nicht gesprochen werden.

  1. Unser sehr geschätzter Herr Lingens weiß es wieder einmal ganz genau. Der Schröder wars mit der Lohnzurückhaltung, und der Putin wars auch mit der Gaszurückhaltung. Abhilfe schafft nur zügellose Schuldenexpansion. Versteht doch jeder akademisch gebildete Experte. In den Schulen steht Sexualkunde im Fokus der allgemeinen Verblödung!
    Nach meiner Wahrnehmung rächt sich die schleichende Abschaffung der Wettbewerbsmöglichkeiten. Unnötige, bürokratische Hürden in Form von Zertifizierungen, Akkreditierungen wurden parallel zum Gewerberecht aufgebaut. Eine Heerschar unproduktiver, gut bezahlter bürokratischer, lenkbarer Besserwisser belasten eine freie Wirtschaft. Unverständlicher Normenunsinn und Scheinsicherheitsstandards würgen das Ingenieurswesen ein. Die Landwirtschaft wird gegängelt wo es geht. Da es keine Zufälle gibt, wird wohl planmäßig eine prosperierende Weiterentwicklung offensichtlich behindert. Wer profitiert davon, wenn Europa vor die Hunde geht? Ist verbrannte Erde das Ziel der heilsbringenden Digitalisierung?
    Weiter so, mit und ohne Schuldenbremse. Die Schuldigen stehen ja schon fest. Schröder und Putin werden es verkraften. Da helfen auch keine Sanktionen.

  2. Wahrscheinlich wäre es tatsächlich gut, wenn die EU nochmals 1 Billion Schulden macht und an alle EU Länder (nicht nur Südländer) für Infrastruktur Investitionen verteilt. Allerdings frage ich mich schon, warum in Deutschland die Schulen, das Bahnnetz, die Infrastruktur generell und die Bundeswehr kaputtgespart wurden und auch die Renten relativ niedrig sind wenn doch die Abgabenlast enorm war und ist. Die Staatseinnahmen sprudel(te)n. Wohin floss das ganze Geld? Nur in unsinnige Projekte? Das müsste man mal genau aufarbeiten.

  3. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ökonomische Vernunft ist leider ein seltenes Gut. Sie bedingt ein halbwegs gut ausgebildetes Verständnis für makroökonomische Zusammenhänge, das in der Bevölkerung fast gar nicht und leider in den Köpfen der “Volksvertreter” auch meist nur marginal vorhanden ist. Hier lässt sich auch ein Versagen der Bildungspolitik erkennen, denn das für uns alle so wichtige Thema Volkswirtschaft wird in den Schulen kaum behandelt. So kommt es, dass eigentlich kaum jemand etwas davon weiß, und wer nichts weiß, glaubt denen, die so tun, als ob sie etwas wüssten. Und das sind vor allem die politischen Parteien, die auf diesem Feuer ihr Süppchen kochen und mit allen demagogischen Mitteln jede Menge ideologischen Unsinn verbreiten.

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