Österreichs kritisch hohe Lohnabschlüsse

Tariflohn-Abschlüsse um die 9 Prozent gegenüber nur 2,4 Prozent unseres größten Handelspartners Deutschland werfen für uns ein Problem auf- für andere ist es gravierend.

Während das 2,2 Milliarden Bau-Paket der Regierung, wie die meisten von den Sozialpartnern geschnürten Pakete, dazu beitragen wird, den Einbruch der Baukonjunktur abzufedern, den die EZB mit ihrer Hochzinspolitik verursacht und soeben prolongiert hat, dürften uns die von den Sozialpartnern 2023 vereinbarten Lohnabschlüsse in Zukunft größere Probleme bescheren, denn laut einer soeben veröffentlichten Untersuchung der EZB waren es die höchsten Europas.

Die EZB-Ökonomen haben sich die Lohnabschlüsse der größten Volkswirtschaften, Deutschland, Frankeich, Italien, Großbritannien, in Relation zu denen der eher kleinen, Holland, Spanien, Griechenland, Österreich im Detail  angeschaut: Im Schnitt erhöhten sich die Tariflöhne um 4,5 Prozent- doch Österreich lag mit fast 9 Prozent am weitesten darüber, und, das macht es so kritisch, unser größter  Handelspartner, Deutschland, lag mit 2,4 Prozent am weitesten darunter.

Möglich wurde das, weil die deutschen Gewerkschaften eine Erhöhung der Tariflöhne über zwei Jahre hinweg akzeptierten, die sich relativ wenig von früheren Abschlüssen unterschied – nur dass sehr hohe Einmalzahlungen hinzukamen, um die extreme Inflation abzugelten. Rechnet man die Einmalzahlungen mit, so ergibt sich ein momentaner Einkommenszuwachs deutscher Arbeitnehmer von 3,7 Prozent – aber nur die 2,4 Prozent erhöhen das fortdauernde deutsche Lohnniveau. Die Einmalzahlungen bleiben, passend zur abklingenden Inflation durch verteuertes russisches Gas, ein nur temporäres Phänomen: sie erhöhen das deutsche Lohnniveau nicht dauerhaft.

Dagegen schaffen unsere fast neun Prozent höheren Tariflöhne in einer Wirtschaft, in der zu 80 Prozent Kollektiverträge gelten, im Export Probleme, die uns eine Weile begleiten könnten.

Zwar wurde etwa mit der Metaller- Gewerkschaft vereinbart, dass Betriebe, die mit dem Abschluss von 8,6 Prozent Probleme haben, mit ihrer Belegschaft doch etwas geringere Lohnerhöhungen vereinbaren können, und ich nehme an, dass das selbst in ziemlich guten Betrieben geschehen ist, aber selbst für die besten ist der hohe Abschluss ein Problem. Haben sie die Löhne tatsächlich um 8,6 Prozent erhöht, so muss man auf einen Effekt hoffen, der 1980 zu beobachten war, als Hannes Androsch den Schilling gegen heftigen Widerstand  der Industriellenvereinigung weiter an die harte D-Mark band und österreichische Waren damit international wesentlich verteuerte: Die betroffenen Betriebe steigerten die Qualität ihrer Produkte und die Effizienz ihrer Produktion daraufhin derart, dass sie dennoch konkurrenzfähig blieben. Im Endeffekt bescherte uns das die besten Klein- und Mittelbetriebe neben denen der Schweiz und Deutschlands. Denn hohe Löhne haben den Vorteil, eine Peitsche für die Produktivität zu sein: Es ist kein Zufall, dass Holland, das seit 1997 „Lohnzurückhaltung“ übt, den geringsten Produktivitätszuwachs seiner Geschichte verzeichnet und dass Österreichs Metallindustrie gegenüber der Deutschlands, mit seiner so massiven Lohnzurückhaltung einen Produktivitätsvorsprung errungen hat: unsere Metallunternehmen sind absolute Weltklasse.

Dennoch verlangen die zitierten Lohnabschlüsse ihnen in Konkurrenz zu erstklassigen deutschen Unternehmen Gewaltiges ab. Ich habe, als der Metaller- Abschluss verhandelt wurde, hier zwar richtig darauf hingewiesen, dass die Benya-Formel, wonach Löhne um den Produktivitätszuwachs plus Vorjahresinflation steigen sollen, nicht mehr angewendet werden darf, wenn die Inflation nicht auf den üblichen moderaten Lohnerhöhungen des Vorjahrs, sondern auf der außergewöhnlichen, extremen Verteuerung russischer Gasimporte beruht – aber ich habe  in den erzielten 8,6 Prozent bei erstmals zwei Jahren Laufzeit, ein gutes Resultat gesehen.  Das ist mir, seit ich die deutsche Vergleichszahl im Detail kenne, nicht mehr möglich: unser so viel höherer Lohnabschluss birgt, wie der Unterhändler der Metallindustrie Christian Knill und der Präsidenten der Industriellenvereinigung Georg Knill zu Recht befürchtet haben, das Risiko, uns Jobs zu kosten. Denn natürlich verteuert ein Lohnabschluss von 8,6 Prozent Waren erheblich mehr, als einer von 2,4 Prozent und kostet entsprechende Wettbewerbsfähigkeit. Dazu erhöht er im Inland die Inflationsrate und fordert damit womöglich den nächsten problematischen Lohnabschluss heraus.

Dass sich Deutschlands Waren auf Grund seiner so niedrigen Lohnabschlüsse am wenigsten verteuern, schafft aber nicht nur uns ein Problem, sondern verschärft auch das hier schon oft erörtertes Grundproblem des „Südens“ der  EU: Schon bisher haben ihn die niedrigen Lohnstückkosten, die Deutschland auf Grund seiner „Lohnzurückhaltung“ aufweist, massiv Marktanteile gekostet – das könnte auf Grund der niedrigen aktuellen deutschen Lohnabschlüsse noch mehr der Fall sein, denn in Frankreich lagen die Abschlüsse bei 4,8, in Italien bei 5,8 Prozent.

Insofern ist das Jammern der Deutschen über den angeblichen Niedergang ihres Industriestandorts verfehlt, auch wenn die niedrigen Löhne (= die niedrige Kaufkraft seiner Bevölkerung) Deutschland das Exportmodell aufgezwungen haben, das derzeit an Grenzen stößt.

Österreich kann sein so hoher Lohnabschluss zwar vielleicht ein blaues Auge aber keine Katastrophe bescheren, aber voran bei Italiens frage ich mich, wie lang es die so niedrigen deutschen Preise aushält.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Weiter am Trittbrett – zu höheren Kosten

Wir haben keine Sicherheitsdoktrin, kaufen aber Panzer für Milliarden. Neutrales Trittbrettfahren bleibt dennoch weiterhin relativ billig und relativ ungefährlich.

Eigentlich sollte die Regierung Österreichs neue Sicherheitsdoktrin bekanntgeben, die der Bedrohung durch Russland Rechnung trägt. Stattdessen gab sie bekannt, dass sie für 1,8 Milliarden Euro 225 Pandur- Radpanzer kauft. Allerdings sind das, vor allem mit zusätzlich gekauften Luftabwehrsystemen, Fahrzeuge, deren Eignung für konventionelle Kriegsführung außer Streit steht. Da sie von General Dynamics in Wien gefertigt werden, kommt ein Gutteil der Milliarden unserer Wirtschaft zu Gute. Leider ist nur NEOS- Chefin Beate Meinl Reisinger der Meinung, dass sie auch im Rahmen der Beistandspflicht der EU eingesetzt werden sollten – sie wären dazu jedenfalls geeignet.

Schon die bisher größte Investition in die Landesverteidigung, der Kauf der Eurofighter unter Wolfgang Schüssel, erfolgte ohne geklärte Sicherheitsdoktrin: Schüssels schwarzblaue Koalition spielte 2003 mit der Idee eines Nato-Beitritts, schreckte aber davor zurück, als Umfragen ihr zeigten, wie unverbrüchlich die Österreicher an der Neutralität hängen. Diesmal erklärte Karl Nehammer die Neutralität von vorherein für sakrosankt – Experten, die hofften, ein NATO-Beitritt würde zumindest diskutiert, hofften vergeblich. Darauf angesprochen meinte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, die Österreicher hätten durch ihr Bekenntnis zur Neutralität und ihre Haltung zum Bundesheer stets bestes Gespür für ihre Sicherheit bewiesen.

In meinen Augen beweist die Volksabstimmung gegen ein Berufsheer und der Applaus für die Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate im Gegenteil, wie sehr dieses Gespür ihnen fehlt. Denn um nicht bloßes Kanonenfutter zu sein, muss man moderne Waffensysteme bedienen können und das erlernt man nicht in sechs Monaten. Zurecht zweifelte Armin Wolf, dass wir auch nur genug Personal hätten, den Pandur zu bedienen- und selbst, wenn Wehrdiener es erlernen sollten, verlassen sie das Heer nach sechs Monaten wieder. Männern, die “Soldat“ als Beruf gewählt haben, ist auch am ehesten zuzumuten, ihr Leben zu riskieren – dafür sind sie entsprechend zu bezahlen, weshalb ein Berufsheer teurer als ein Heer Wehrpflichtiger kommt. Um wieviel effizienter es freilich ist, konnte man beim Falklandkrieg sehen: 5000 britische Marinesoldaten vermochten die Insel in sechs Wochen von der benachbarten riesigen Armee der argentinischen Junta zurückzuerobern.

Als reiches Land beim Heer zu sparen ist absurd, sofern man nicht die Möglichkeit des Trittbrettfahrens ins Auge fasst. Dass Österreich, wie die Schweiz, auch für sich ein ernsthafter Gegner eines Aggressors wäre, ist pure Illusion. Gleichzeitig strotzt die Vorstellung, dass Neutralität uns schütze, von Ahnungslosigkeit: Adolf Hitler überfiel nacheinander die neutralen Staaten Luxemburg, Belgien, Holland, Dänemark und Norwegen. Dass er die Schweiz nicht überfiel, lag nicht an ihrer Neutralität, sondern daran, dass die Generäle Manstein und Guderian ihn überzeugt hatten, dass es erfolgversprechender ist, Frankreich über die angeblich nicht panzergängigen belgischen Ardennen als auf dem Weg durch die Schweiz zu überfallen. Erst in der Folge spielte eine Rolle, dass Schweizer  Banken für Deutschland von Nutzen waren und dass die allfällige Eroberung der Schweiz militärisch aufwendig gewesen wäre, weil ihr Oberbefehlshaber Henry Guisan eine kleine Gebirgsregion (das „Reduit“) derart befestigt hatte, dass es lange gedauert hätte, bis die Schweiz kapituliert. Allerdinge hat sich auch Guisan nicht auf Schweizer Militär verlassen, sondern mit Frankreich vereinbart, dass es der Schweiz zu Hilfe kommt, wenn Hitler sie überfällt. Die offizielle Schweiz bestreitet diesen Neutralitätsbruch mit der Begründung, der Bundestag hätte diesen Vertrag des Volkshelden mit Frankreich nicht gekannt.

Dass die Schweiz bei ihrer Neutralität bleibt – diskutiert wird sie sehr wohl – hat auch bei ihr voran emotionale Gründe: immerhin geht es um eine Jahrhunderte alte Tradition. Dass es teurer ist, einem Feind allein und neutral erfolgreich die Stirn zu bieten als Teil eines funktionierenden Bündnisses zu sein, spielt für das reichste Land der Welt keine Rolle. Indem sie ein Vielfaches Österreichs in ihre Landesverteidigung investiert hat, besitzt die Schweiz ein hochgerüstetes Heer, in das sie jetzt nur massiver weiter investiert. Dazu liegen in ihren Banktresoren Milliarden aus den Ländern jedes potentiellen Aggressors, und nicht zuletzt ist sie von NATO-Staaten umgeben.

In Österreich entspringt die Heiligsprechung der Neutralität neben der historischen Unkenntnis dem Erlebnis, dass unser Wirtschaftswunder, wenn auch rein zufällig, ziemlich exakt mit dem Staatsvertrag und der dort ursprünglich widerwillig vereinbarten Neutralität einsetzte und dass sie uns mit so angesehen Staaten wie Schweden und Schweiz in eine Reihe stellte. Gleichzeitig erspart uns die Neutralität eigene Söhne dem Risiko eines Kampfeinsatzes auszusetzen und billiger – wenn auch unter grober Missachtung der Verpflichtungen eines neutralen Staates – ist Trittbrettfahren trotz nunmehr erhöhter Kosten allemal. Umgeben von lauter Nato-Staaten und der Schweiz ist Österreich auch in der Ära Wladimir Putins ziemlich sicher – nicht so sicher wie ein Nato-Staat, aber nicht so unsicher, dass man sich fürchten müsste. Österreichs militärische Unterentwicklung ist nicht lebensgefährlich – nur unsolidarisch.

 

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Wie Deutschland sich selbst ausbremst

Die deutsch dominierte EZB-Politik lässt das deutsche Exportmodell mit angezogener Schuldenbremse in die Rezession fahren. Wenn die EZB nichts ändert fahren wir mit.

Europas größte Volkswirtschaft, Deutschland, weist mit 0,3 Prozent das zweitniedrigste Wirtschaftswachstum der EU aus. Verständlich, dass das die Berichterstattung deutscher Medien beherrscht und in Österreich entsprechendes Echo findet, ist Deutschland doch unser wichtigster Handelspartner.

Nicht nur CDU-CSU oder AfD, sondern auch Deutschlands Bevölkerung, schreiben Deutschlands Problem der aktuellen Regierung aus SPD, Grünen und FDP zu. Das stimmt freilich, wie in Österreich, nur sehr ungefähr. Die Wurzeln des Problems reichen bis ins Jahr 2000 zurück, als die SPD-Regierung Gerhard Schröders mittels Hartz IV „Lohnzurückhaltung“ sicherstellte: Seit damals fiel die Kaufkraft der deutschen Bevölkerung immer weiter hinter die Menge der in Deutschland produzierten Waren zurück– es musste immer mehr davon im Export verkaufen. Das gelang, weil „Lohnzurückhaltung“ die Waren zu Lasten der Arbeitnehmer verbilligte und weil andre Regionen, von der EU über die USA bis China, sich gegenüber Deutschland verschuldeten. Derzeit ist das nur mehr begrenzt der Fall: Den EU-Ländern erlaubt der Spar-Pakt nur begrenzte Verschuldung; die USA begünstigen eigene Waren durch geringere Besteuerung, nicht anders als Deutschland, das seine durch inadäquate Löhne begünstigt. Zugleich lahmt Chinas Wirtschaft. Das deutsche “Modell” zwingender Exportüberschüsse ist somit an Grenzen gelangt.

Gleichzeitig hat Angela Merkel 2012 mit dem „Austerity-Pakt“ nicht nur alle anderen EU- Mitglieder gezwungen, die Grenzen, die der Maastricht-Vertrag der Staatsverschuldung setzt, auch tatsächlich einzuhalten, sondern Deutschlands eigenes Wachstum hat darunter zunehmend gelitten, verlangt die „Staatsschuldenbremse“ doch, die Staatsschuld mit 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen, obwohl es keine vernünftige Begründung für diese Grenze gibt: Staaten die sie nicht einhalten, fahren wie Japan um nichts schlechter oder wie die USA sogar wesentlich besser. Die Berechnungen des Ökonomen Kenneth Rogoff mit der sie begründet wird, erwiesen sich schlicht als falsch und die 60 Prozent kommen selbst bei ihm nicht vor.

Zwar litt die gesamte EU im Zuge der diversen Krisen, die es zu überwinden galt (von der Finanzkrise über die Corona und Energie-Krise bis zu aktuellen Teuerung) besonders unter der „Schuldenbremse“, aber kein Land versuchte im Ausmaß Deutschlands, sie einzuhalten, dessen aktueller Finanzminister Christian Lindner sie zum Markenzeichen der FDP erhoben hat. Keine Koalition, an der die FDP teilhätte, schon gar nicht eine mit der kaum minder schuldenkritischen CDU-CSU, könnte das Problem beseitigen, das daraus resultiert: Wenn der deutsche Staat seine Einkäufe grundsätzlich einschränkt, können Unternehmen in Deutschland unmöglich mehr verkaufen. Gleichzeitig musste die deutsche Infrastruktur verfallen: Auch die konservativsten Zeitungen bestreiten nicht mehr, dass Bundeswehr oder die Bundesbahnen kaputtgespart wurden, dass Straßen und Brücken verkommen und Schulen immer schlechter funktionieren, was künftig Leistung kosten wird. Dennoch konnte auch Lindner nicht anders, als die Schuldenbremse auszutricksen, um wenigstens in den Klimaschutz zu investieren: er verwendete bekanntlich unzulässig Geld, das seinem Vorgänger zur Bewältigung der Pandemie bewilligt worden war. Und natürlich ist auch ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden zur Sanierung der Bundeswehr nichts anderes als ein Aussetzen der Schuldenbremse.

Das Problem ist, dass weder FDP, noch CDU/CSU, noch die führenden Ökonomen des Landes erkennen, dass die Staatsschuldenbremse grundsätzlich unsinnig ist, indem sie Wirtschaftswachstum grundsätzlich hemmt. Irgendwann sollte es doch Sorge bereiten, dass sich der Abstand zum BIP pro Kopf der USA, die keine Schuldenbremse kennen, in zwanzig Jahren verdreifacht hat. Natürlich mögen auch übertriebene Bürokratie und konkrete Fehler der Regierung Scholz Anteil am niedrigen deutschen Wirtschaftswachstum haben – aber ohne die Staatsschuldenbremse zu lösen werden weder Deutschland noch Europa kräftig wachsen.

Dass es sogar zur Rezession kam, ist der EZB zu danken. Obwohl die 2021 in der EU einsetzende Teuerung ausschließlich durch die extreme Verteuerung russischen Erdgases zustande kam, und, anders als in den USA, nicht das Geringste mit steigenden Löhnen zu tun hat -die deutsche „Lohnzurückhaltung“ ließ sie nirgends in der EU so dramatisch steigen- steigerte die EZB ihren Zinssatz dramatisch und rascher als es selbst bei echter Lohnbedingter Inflation sinnvoll gewesen wäre.

Auch daran hat Deutschland wesentlichen Anteil. Denn während EZB-Chefin Christin Lagarde die Zinsen ursprünglich allenfalls ganz langsam anheben wollte, drängten deutsche Ökonomen, oder auch Österreichs Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann, innerhalb und außerhalb der EZB immer heftiger, auf deren drastisches Eingreifen, und ahnungslose Wirtschaftsjournalisten drängten mit.

Obwohl die Teuerung mittlerweile, wie erwartet längst abflaut, weil Norwegen und die USA ihre Erdgasproduktion erhöht haben, stemmt sich das deutsche Mitglied des EZB- Rates Isabelle Schnabel gegen eine Zinssenkung, ja meint, dass die EZB sich auf den letzten Metern besonders anstrengen müsse, ihr Zwei-Prozent- Inflationsziel zu erreichen. Sollte Schnabel sich durchsetzen, wird das die Rezession vertiefen – noch aber hoffe ich, dass ökonomische Vernunft zu einer baldigen Zinssenkung führt.

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Die unterbewertete Regierung

Jede Leistung der Regierung verblasst neben der „überdurchschnittlichen Inflation“, für die sie nichts kann. Dergleichen hat Tradition und liegt am Versagen der Medien.

 Die schwarzgrüne Regierung bleibt im Umfragetief. Der falsche Vorwurf, sie verantwortete Österreichs weit überdurchschnittliche Inflation erschlägt, was immer sie leistet.

Die Fehlbewertung insbesondere ökonomischer Vorgänge hat Tradition. Die erste, die ich erlebt habe, galt der ÖVP-Alleinregierung Josef Klaus: Finanzminister Stephan Koren versetzte ihr den Todesstoß, indem er eine europaweite Konjunkturdelle lehrbuchmäßig mittels Defizit-Spending überwand und das Budget danach mit Luxussteuern und der Neuwagenabgabe gleich wiedersanierte.[1]  Damit bescherte er der Regierung Klaus die Erdrutschniederlage von 1970. Denn die Opposition unter Bruno Kreisky geißelte wortgewaltig eine „Teuerungslawine“ und kein Wirtschaftsjournalist kam der ÖVP zur Hilfe, indem er auf die Lehre von John Maynard Keynes verwiesen hätte, obwohl Klaus auf der Basis eines von allen Zeitungen vertretenen Volksbegehrens einen unabhängigen, qualifizierten ORF verwirklicht hatte.

Vergleichbar ungerecht wurde der Ruf der rotschwarzen Regierung Werner Faymann- Michael Spindelegger ruiniert. Obwohl sie die Finanzkrise mit besonders wenig Wachstumsverlust und geringer Mehrverschuldung bewältig hatte, behauptete der Chef der Bundeswirtschaftskammer Christoph Leitl, der Wirtschaftsstandort Österreich sei „abgesandelt“. Dabei belegten alle Wirtschaftsdaten das Gegenteil: Österreichs Industrieproduktion war stärker als die deutsche gewachsen, der Abstand zum höheren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf Hollands war geschrumpft, die OECD hatte Österreichs Politik offiziell gelobt. Aber der ÖVP Mann in Leitl war nicht nur bereit, die Leistung seiner Kammer zu diffamieren, sondern auch Österreichs Ruf zu beschädigen, um dem Regierungspartner SPÖ eins auszuwischen. Nachdem Christian Kern Faymann abgelöst hatte und nachdem Wolfgang Mitterlehner, der Spindelegger gefolgt war, entnervt das Handtuch geworfen hatte, mündete die rot-schwarze Koalition bekanntlich in den ersten Wahlsieg Sebastian Kurz`. Leitl war Kurz` in Wahrheit wichtigster Wahlhelfer.

Mindestens so sehr aber waren es die Medien, voran der ORF. Denn deren Aufgabe wäre es gewesen, auf den diametralen Widerspruch zwischen den Behauptungen Leitls und den Wirtschaftsdaten hinzuweisen. Doch die „Zeit im Bild“ befasste sich zwar ausgiebig mit Leitls „Abgesandelt“-Sager, nie aber mit der der Frage, ob er zutrifft und wollte zuletzt täglich wissen, wie lang die Regierung Kern-Mitterlehner noch hält.

Wieso das so war, verstehe Ich nicht, denn ich halte die Nachrichtenredaktion des ORF nicht für parteiisch – am ehesten sehe ich ökonomisch versierte Mitarbeiter dort unterrepräsentiert oder zu wenig engagiert. Denn auch in der aktuellen Debatte über das „Totalversagen“ (Herbert Kickl, SPÖ, ÖGB)) der schwarzgrünen Regierung im Kampf gegen Österreichs „überdurchschnittliche Inflation“ wurde vom ORF nie kritisch berichtet. Dabei erlauben die Daten der OECD denkbar einfach, eine Rangliste der Abhängigkeit der EU- Staaten von russischem Gas zu erstellen und sie mit einer Rangliste ihrer Inflation zu vergleichen: Alle sechs Staaten die  unterdurchschnittlich (unter 39Prozent) von russischem Gas abhängen, (etwa Spanien mit nur 8 Prozent) haben bis heute eine unterdurchschnittliche Inflation –  alle 21 Staaten, die überdurchschnittlich von russischem Gas abhängen, haben eine überdurchschnittliche. Ex-kommunistische Staaten von Tschechien bis Lettland, die zu 100 Prozent von russischem Gas abhängen, haben die höchste, Österreich, das dank vergangener Regierungen zu 80 Prozent mit dem Doppelten des Durchschnitts von russischem Gas abhängt, hat zwangsläufig eine „weit überdurchschnittliche.“

Wie gut oder schlecht die jeweilige Regierung die Inflation bekämpft, ist gemessen an ihrer Abhängigkeit von russischem Gas sekundär.

Dass die Opposition dennoch die Chance wahrgenommen hat, der Regierung „totales Versagen“ vorzuwerfen, hat mich bei der FPÖ nicht gewundert, bei SPÖ und ÖGB eher schon, denn im Momentum-Institut hat man qualifizierte Ökonomen zur Verfügung. Nicht gewundert hat mich, dass die ÖVP sich nie mit den angeführten Statistiken verteidigt hat, denn ein ökonomisch ahnungsloserer Politiker als ihr Sprecher Christian Stocker ist mir selten begegnet.

Dabei steht die schwarz-grüne Regierung weit besser da, sobald man aufhört, Ihr zu Unrecht die überdurchschnittliche Inflation anzulasten: Sie hat die kalte Progression abgeschafft und – viel wichtiger – Beihilfen an die Inflation gebunden, wie das für die meisten Leistungen zum Prinzip werden sollte. Das Erneuerbare Wärme Gesetz ist dank stark erhöhter Förderungen zumindest nicht schlecht, wenn auch unvollständig, und das Informationsfreiheitsgesetz ist ein großer Fortschritt, auch wenn kleine Gemeinden nur auf Anfrage Auskunft geben müssen. Zugleich gibt es mit Karoline Edtstadler, Leonore Gewessler, Alexander Schallenberg oder Martin Kocher fünf jedenfalls vergleichsweise kompetente Minister und mit Alma Zadic und Johannes Rauch zwei, die sich zudem durch außergewöhnliche Tatkraft auszeichnen: Sie hat das System Pilnacek souverän überwunden, er die Ärztekammer in die Schranken gewiesen.

 [1]  Eine so rasche Steuererhöhung etwa nach der Finanzkrise wäre tatsächlich problematisch gewesen, weil sie unmittelbar in  Covid- und  Ukrainekrise überging- damals  war sie ebenso lehrbuchmäßig, denn sie erfolgte in einer Phase guter Konjunktur.

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Wie wird Babler wirtschaftsfreundlich?

Der einflussreiche Gewerkschafter Josef Muchitsch rät SP-Chef Andreas Babler zu einem „wirtschaftsfreundlicheren“ Profil:

Er möge nicht auf Vermögenssteuern beharren, die mit der ÖVP auf keinen Fall durchführbar wären. Richtig daran ist, dass man Verhandlungen nicht damit beginnen kann zu erklären, dass sie aussichtslos wären, wenn die ÖVP keine Vermögenssteuern akzeptiere, sonst passiert, was in Niederösterreich passiert ist: Johanna Mickl Leitner blieb nur die FPÖ als Partner, wenn sie eine regierungsfähige Mehrheit haben wollte.

Babler zu raten, dass er deshalb von der Forderung nach Vermögenssteuern abgehen soll, um sich „wirtschaftsfreundlicher“ zu zeigen, ist hingegen absurd: Höhere Vermögenssteuern im Abtausch gegen niedrigere Steuern auf Arbeit sind nach Ansicht jedes kompetenten Ökonomen denkbar wirtschaftsfreundlich und die entsprechende, im übrigen auch von der Gewerkschaft seit jeher vertretene Forderung hat bei Umfragen mittlerweile auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Dass die ÖVP dennoch dagegen ist, spricht entweder für ihre rasende ökonomische Inkompetenz oder dafür, dass sie sich von einigen superreichen Parteispendern kaufen ließ. Um es so einfach wie möglich zu erklären: Geld schafft Wohlstand, indem es arbeitet. Vermögen ist Geld, das, wenn es in Österreich etwa im Eigentum an riesigen Wäldern oder anderen Grundstücken besteht wie nicht zuletzt diverse eingebürgerte Milliardäre sie besitzen, durch lange Zeiträume überhaupt nicht arbeitet, sondern brachliegt und allenfalls Wohnungen verteuert, weil Grundstücke angesichts der niedrigen Grundsteuern immer nur zum Zeitpunkt ihres Höchstpreises verkauft werden.

Niedrigere Steuern auf Arbeit verbilligen hingegen jedes Produkt, erhöhen die Zahl der Beschäftigten und die Konkurrenzfähigkeit österreichischer Unternehmen. Deshalb gibt es keinen ökonomischen Think-Tank, der Österreich diesen Abtausch nicht empfiehlt. Gerade wenn die ÖVP die hohen Lohnnebenkosten ständig als wirtschaftsfeindlich brandmarkt, obwohl es sich voran um die Kosten einer Sozialversicherung handelt, müsste sie geradezu begeistert sein, die Abschaffung der Lohnnebenkosten durch eine Erhöhung der Vermögenssteuern gegen zu finanzieren.

Die aktuellen Granden der ÖVP sind möglicherweise ökonomisch so ahnungslos oder so gekauft, dass sie das alles nicht verstehen – aber dann muss Babler dennoch alles tun, der Öffentlichkeit diese rasende Ahnungslosigkeit der ÖVP- Granden vor Augen zuführen und bewusst zu machen. Auch der ORF könnte seinem Auftrag zur Volksbildung nachkommen, indem er die Steuer-Expertin des WIFO Margit Schratzenstaller zu diesem Thema interviewte.

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Der ÖGB-Chef kann Geschichte schreiben

Wolfgang Katzian kann helfen die Schuldenbremse zu lösen und lag lohnpolitisch richtig. Karl Nehammer wirft er die hohe Inflation zu Unrecht vor, will aber Rot-Schwarz.

In seiner Pressestunde hat ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian vor zweiWochen seine Ziele definiert. Das wichtigste: Er will als Präsident des europäischen Gewerkschaftsbundes dafür kämpfen, dass die Staatsschuldenbremse Investitionen „in die Zukunft“, in Klimaschutz oder Digitalisierung als notwendig zulässt. Stimmen Europas Gewerkschaften darin überein, so lebt die Chance auf Erfolg, denn erstmals gibt es in Deutschland, das der EU die Schuldenbremse unter Angela Merkel aufzwang, zunehmenden Widerstand dagegen.

Ökonomen, die Zahlen lesen können, müssten sie sowieso verdammen, hat sich der Abstand des realen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der EU zu dem der nicht schuldengebremsten USA doch seit Merkels Spar-Pakt verdreifacht. Katzians zweites wichtiges Anliegen, die Senkung unserer überdurchschnittlichen Inflation, ist zwar ebenso berechtigt, nur dass Medien, SPÖ und ÖGB sie zu Unrecht voran der schwarz-grünen Regierung anlasten: Ihre Ursache ist voran Österreichs überdurchschnittliche Abhängigkeit von russischem Gas, die unter SP-geführten Regierungen begann. Wobei freilich festzuhalten ist, dass billiges, russisches Gas wesentlich zu unserem Wohlstand beitrug und dass etwa schon Deutschlands Kanzler Helmut Schmidt glaubte, dass Handelsbeziehungen dem Frieden dienen, „weil man auf Handelspartner nicht schießt.“ Als die türkis-blaue Regierung Sebastian Kurz` Österreich 2018 bis zum Jahr 2040 an russisches Gas band, hatte Russland freilich bereits die Krim überfallen und war das Problem einseitiger Abhängigkeit klar.

Ein „Statista“- Schaubild zeigt, in welchem Ausmaß Europas Staaten 2018 von russischem Gas abhingen: Im Durchschnitt zu 39 Prozent – aber gegen 100 Prozent in ex-kommunistischen Staaten von Bulgarien über Rumänien bis Lettland oder Tschechien, die prompt die höchste Inflation aufweisen, während Staaten mit geringer Abhängigkeit von russischem Gas, von Spanien, über Malta bis Dänemark, die geringste Inflation verzeichnen. Österreich und die Schweiz sind im Statista-Schaubild leider ausgespart, aber unsere mit 80 Prozent weit überdurchschnittliche Abhängigkeit von russischem Gas stimmt so exakt mit unserer überdurchschnittlichen Inflation überein wie die Null-Inflation der Gas- unabhängigen Schweiz. Diese OECD-Daten zu kennen, hätte die sonntägliche Diskussion „Im Zentrum“ um einiges seröser gemacht. Denn wie die jeweiligen Regierungen die Inflation bekämpfen, hat zwar auch einen Einfluss auf die Inflation, aber verglichen mit der Gasabhängigkeit von Russland ist er weit geringer und schwer zu bewerten: „Deckel“ etwa kosten den Staat sehr viel Geld und verhindern, dass der Energie-Konsum im Interesse des Klimas maximal sinkt. Dass Deutschland die Steuer auf Treibstoff so senkte, wie das auch bei uns gefordert wurde, hat den deutschen Staat drei Milliarden Euro gekostet und deutschen Treibstoff kaum verbilligt. Nicht zuletzt blieb Österreichs Wirtschaftswachstum weit höher als das deutsche.
Nicht dass unsere Regierung entfernt perfekt agiert hätte, aber wenn Katzian zu Recht mehr Einvernehmen mit der ÖVP
sucht, sollte man sie weniger ungerecht prügeln.

Noch weniger, so zeigt die Gegenüberstellung von Gas-Abhängigkeit und Inflation, hat die herrschende Inflation mit der EZB zu tun, so sehr sie den aktuellen Rückgang ihrer nunmehr so restriktiven Geldpolitik zuschreibt. Denn viel leichter lässt er sich damit erklären, dass forciertes Fracking und höhere Förderung in Norwegen Gas verbilligt haben. Sicher verantwortlich ist die EZB nur für die aktuelle Rezession. Allerdings wird ihr nicht anzulasten sein, wenn sich die Inflation demnächst vielleicht deutlich erhöht: Die Huthi-Rebellen beschießen bekanntlich Containerschiffe, die ihre Waren durch den Suezkanal transportieren wollen, so dass sie einen unglaublich teuren Umweg von 4000 Kilometer ums Cap der Guten Hoffnung machen müssen. Ob Kriegsschiffe von USA und EU das abstellen können, ist mindestens fraglich.

Ein dadurch bewirkter Anstieg der Inflation könnte verdecken, dass vielleicht auch Lohnabschlüsse um die 9 Prozent sie erhöhen. Geht man von der Benya-Formel aus, wonach Löhne im Ausmaß der Inflation des abgelaufenen Jahres zuzüglich des Produktivitätszuwachses steigen sollen, so waren die vom ÖGB durchgesetzten 9 Prozent mehr als maßvoll, aber die Benya-Formel wurde erdacht, als die Inflation von den Lohnsteigerungen des abgelaufenen Jahres, nicht aber von der extremen Steigerung des Gaspreises abhing. Die Gegenwart ist daher mit der Vergangenheit nicht vergleichbar. Daher haben sich die deutschen Gewerkschaften mit hohen Einmalzahlungen und längeren Laufzeiten begnügt, während Katzian beides energisch abgelehnt hat. Irrte er damit, so litte die Wettbewerbsfähigkeit unserer Metallindustrie, verteuerten sich ihre Waren und erhöhte sich die Inflation. Doch die jüngste Berechnung von Eurostat weist Österreichs Arbeitskosten als sogar niedriger als die deutschen aus: Katzian scheint richtig gelegen zu sein. Jetzt hofft er, dass die erhöhte Kaufkraft unsere Konjunktur beflügeln wird. Nicht anders als die hohen schwarzgrünen Zahlungen an die Bevölkerung 2023 mit 4,5 Prozent zu überdurchschnittlichem Wachstum geführt, vielleicht aber auch zur Inflation beigetragen haben.

Eines sollte jedenfalls klar sein: Es kann uns unmöglich so gut wie früher gehen, wenn Krieg Güter massiv verteuert.

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Wenn der Mörder seinen Mord untersucht

Wladimir Putin liefert derzeit eindrückliche Beweise seiner Glaubwürdigkeit:

Anfang der Woche erklärte er, dass auch er sich wie die Europäer einen Sieg Joe Bidens bei den Präsidentschaftswahlen der USA wünscht und soeben ordnete er an, den Tod des Regimekritikers von Alexej Nawalny im Straflager bei der Gefängnisverwaltung zu untersuchen.

Die EU erklärte, dass Russland zahlreiche Fragen zu beantworten hätte. Ich gehe davon aus, dass Putin sie demnächst geben wird: Alle Bemühungen der Ärzte hätten den Tod Nawalnys durch einen Herzinfarkt leider nicht verhindern können.

In Russland wird das von der Bevölkerung kaum anders hingenommen werden als Putins Behauptung, er habe eine „Spezialoperation“ in Gang setzen müssen, um die Ukraine von der Nazi-Diktatur des Juden Wolodymyr Selenskyj zu befreien und sein Land vor einem Angriff der NATO zu schützen.

In Österreich wollen derzeit laut Umfrage 30 Prozent der Wähler für eine Partei stimmen, die Sanktionen gegen Wladimir Putin ablehnt und einen Freundschaftspakt mit seiner Partei geschlossen hatte. Alexander Van der Bellen meint immer wieder, dass wir „nicht so sind“ wie man meinen könnte- ich fürchte, dass wir zu einem verdammt großen Teil sehr wohl so sind.

 

 

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Ahnungslos in der Sendung “Im Zentrum”

Die ORF Sendung “Im Zentrum” am vergangenen Sonntag war in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Die ÖVP scheint absolut entschlossen, die einzige realistische Möglichkeit, die Steuern auf Arbeit zu senken indem man diese Senkung durch erhöhte Vermögenssteuern gegenfinanziert, auszuschließen.

Die Dummheit der dabei vorgebrachten Argumente übersteigt alles, was sie bisher zu diesem Thema vorgebracht hat – etwa, dass der erzielbare Ertrag den Aufwand nicht lohnt. So krönte VP-Generalsekretär Christian Stocker die ahnungslose Behauptung, dass höhere Vermögensteuern, wie sie die USA oder die Schweiz vorweisen, der „linken Mottenkiste“ entstammen, mit der grotesken Behauptung, dass sie Reiche und Leistungsträger aus Österreich vertrieben, obwohl sie niedrigere Vermögenssteuern nur noch in der Slowakei fänden, und obwohl USA oder die Schweiz sich ja wahrhaftig nicht dadurch auszeichnen, dass Reiche und Leistungsträger diese Länder fluchtartig verlassen.

Die einzige, die in dieser Sendung ökonomische Kenntnisse verriet und verständlich “kapitalistisch“ zu argumentieren wusste, warum höhere Vermögensteuern Sinn machen war ausgerechnet die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. Von Beate Meinl- Reisinger hatte ich mir aus früheren Äußerungen – wenn die höheren Vermögenssteuern zu niedrigeren Einkommenssteuern führen, könne man darüber reden – eigentlich auch ein gewisse ökonomisches Verständnis erwartet, aber „Im Zentrum“ strafte sie mich Lügen. Außer dass alle Parteien mit Ausnahme der Neos unehrlich wären, fiel ihr nichts ein. Das hat mich deshalb so bekümmert, weil ich sie ob ihrer Ehrlichkeit tatsächlich besonders schätze und vor allem bewundere, wie offen sie Österreichs teuren Föderalismus kritisiert, dass sie einsam wagt, an Österreichs überholten Neutralität zu zweifeln und nicht zuletzt, dass die Neos ebenso einsam für eine EU-Armee eintreten.

PS: Mit Marianne Engelhardt habe ich in meinen Kommentar der Vorwoche natürlich Marlene Engelhorn. gemeint.

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Die ökonomische Ahnungslosigkeit der ÖVP

Die EZB ortet in Österreich „extreme Vermögenskonzentration“. Die ÖVP ordnet Vermögensteuern der „linken Mottenkiste“ zu. Die Schweiz reduziert mit ihnen die Lohnsteuern

Zwei Ereignisse haben die Diskussion über Vermögenssteuern aktualisiert:

  • Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) belegten erneut Österreichs extreme Vermögenskonzentration: Die reichsten 5 Prozent besitzen mehr als die Hälfte allen Vermögens. Dennoch liegen wir bei den Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern unter 38 OECD-Staaten an fünftletzter Stelle: Nur 1,5 Prozent des Steueraufkommens stammen aus ihnen – gegenüber 5,6 Prozent im Schnitt der OECD.
  • und Marlene Engelhardt überließ einem, der Gesellschaft Österreichs nachgebildeten Gremium tatsächlich 25 Millionen Euro ihres Erbes zur Verteilung, um zu demonstrieren, wie ungerecht es sei, dass sie dieses Gel ohne die geringste Leistung erhielt.

Mir wäre lieber gewesen, sie hätte wie das SPÖ-Modell vorsieht, 1,5 Millionen für sich behalten, denn die Österreicher hätten sich dann eher damit identifiziert: Vermögenssteuern verlangen von der überwältigen Mehrheit keineswegs Selbstlosigkeit – bringen aber größten ökonomischen Profit. Stattdessen identifizieren sie sich mehrheitlich mit dem Generalsekretär der angeblichen Wirtschaftspartei ÖVP, Christian Stocker, der behauptete, dass Vermögenssteuern „aus der linken Mottenkiste“ stammten.

Bisher haben VP- Granden nur behauptet, dass Vermögenssteuern nichts einbrächten, so absurd das angesichts der EZB- Daten auch ist. Aber Stocker krönte die schwarze Ahnungslosigkeit: Während Österreich dank der ökonomischen Weisheit der ÖVP nur 1,5 Prozent seines Steueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern bezieht, sind es in der „linken“ Schweiz 7,7 und in den „linkslinken“ USA gar 11,4 Prozent. Einziger Vorteil dieser für Stocker offenbar schwachsinnigen linken Steuerpolitik: Diese Staaten besteuern Arbeit vergleichsweise niedrig und weisen ein besonders hohes Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf, obwohl (in Wahrheit weil) vermögensbezogene Steuern in den USA volle 3,5 Prozent des BIP ausmachen.

Jedenfalls ist die besondere Wirtschaftsfreundlichkeit vermögensbezogener Steuern der Grund dafür, dass OECD, IWF oder Wirtschaftsforschungsinstitut Österreich seit Jahren raten, seine vermögensbezogenen Steuern zu erhöhen und die Steuern auf Arbeit zu senken.

Dass ich lieber von „vermögensbezogenen“ Steuern schreibe, liegt daran, dass „Vermögenssteuer“ in der Einzahl eine Steuer bezeichnet, die jedes Vermögen bis hin zur Briefmarkensammlung besteuert und die es meines Wissens nur mehr in der Schweiz gibt, weil die Ehrlichkeit der Bürger den Verwaltungsaufwand begrenzt. Das hat die ÖVP nie gehindert, missverständlich zu behaupten, dass es ja kaum mehr Vermögenssteuern gäbe und dass der rote Finanzminister Ferdinand Lacina sie bei uns abgeschafft hätte. In Wirklichkeit lehnte Lacina nur das Schweizer Modell ab und die Erbschaftssteuer endete mit einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs, der es gleichheitswidrig befand, dass jemand, der ein Grundstück im Verkehrswert von einer Million Euro erbte, ungleich weniger Steuer bezahlen musste, als jemand, der diese Million in bar erbte, weil Grundstücke gemäß ihrem „Einheitswert“ bewertet werden, obwohl der mittlerweile zehnmal niedriger als ihr Verkehrswert ist. Allerdings trug der VfGH der Regierung auf, diesen Fehler zu beheben und setzte dafür eine Frist. Die verstrich, weil die ÖVP zu keiner Reparatur bereit war. Seither haben wir keine Erbschaftsteuer mehr und weiterhin nur eine lächerliche Grundsteuer, während sie in den meisten Staaten die wichtigste vermögensbezogene Steuer ist. Dass sie bei uns so niedrig ist, ist einmal mehr ökonomisch von Nachteil: es ermöglicht, Grundstücke zu horten, während man sie in den USA schnellstens verkaufen oder verbauen muss.

Der entscheidende Vorteil höherer vermögensbezogener Steuern ist freilich, dass sie niedrigere Lohn- und Einkommenssteuern erlaubten, die der überwältigenden Mehrheit zu Gute kommen, die Arbeitskosten der Unternehmen senken und die Beschäftigung erhöhen. Einziger winziger Vorteil extrem niedriger Vermögenssteuern: Sie führten dazu, dass einige Superreiche zu Österreichern wurden und hier voran Grundstücke kauften. Das entzieht, wie jede Steueroase ihrem Herkunftsland, meist Deutschland, Steuern, ohne unser Steueraufkommen sonderlich zu erhöhen, weil unsere Grundsteuer ja extrem niedrig ist. Ansonsten investieren sie bei uns so viel oder so wenig wie zuvor. Nur Parteispenden an die ÖVP sind für sie eine beinahe zwingende Investition.

Der SPÖ oder den Grünen ist der verteilungspolitische Vorteil Vermögensbezogener Steuern zwar klar – ihre spezifischen ökomischen Vorteile betonen sie meines Erachtens aber viel zu wenig. Sie haben diese Steuern immer nur allgemein gefordert, statt zu trommeln, dass sie die Steuern auf Arbeit entsprechend senken werden. Dabei wäre der Grüne Werner Kogler als Ökonom dafür prädestiniert gewesen – nur koaliert er leider mit der ÖVP.

Auch NEOS- Chefin Beate Meinl -Reisinger schien mir den Vorteil des Abtauschs höherer Vermögenssteuern gegen niedrigere Einkommenssteuern zu verstehen – jedenfalls hat sie sich einmal dahingehend geäußert. Jüngst allerdings hat auch sie wieder „Nein“ zu Vermögensteuern gesagt. Sollte das darauf beruhen, dass ihr Wirtschaftssprecher sie zurückgepfiffen hat, so versteht er von Wirtschaft so wenig wie Christian Stocker oder Herbert Kickl für den Vermögenssteuern auch nicht in Frage kommen.

 

 

 

 

 

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Kein gutes Neues Jahr für die Welt

Wladimir Putin schafft 2024 das größte Blutbad seit Adolf Hitler. Der Welt droht das Comeback Donald Trumps und Österreich ein Kanzler Herbert Kickl

Es fällt schwer, dem neuen Jahr optimistisch entgegenzusehen. Bisher verantwortete Iraks Saddam Hussein bei seinem Überfall auf den Iran mit geschätzten fünfhunderttausend Kriegstoten das größte Blutbad seit Adolf Hitler – 2024 wird ihn Wladimir Putin in der Ukraine um Leichenberge übertreffen. Und sollte Donald Trump tatsächlich wieder zum Präsidenten der USA gewählt werden, so hören nicht nur sie auf, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein, sondern alle halbwegs demokratischen Staaten verlieren die weltstärkste Armee als sicheren oder zumindest denkbaren Schutz vor den Diktaturen Russlands, China und des Iran.

Für die Ukraine bedeutete ein Wahlsieg Donald Trumps die fast sichere Niederlage: Reduziert auf die Unterstützung der EU, die Viktor Orban jederzeit torpedieren kann, hielte sie Russlands Übermacht kaum weiter stand. Nur, dass Putin riesige Truppen brauchte, um das riesige Land unter Kontrolle zu halten, hindert ihn vielleicht, sofort Georgien zu kassieren und in Moldawien vorzustoßen. Ein Nato-Land griffe er meines Erachtens nicht an, weil ich nicht glaube, dass Trump die Nato tatsächlich auflöste, wenn sie die USA nichts kostet. Am ehesten lockerte er freilich die Beistandspflicht, was gefährlich genug wäre. Entgegen stünde dem, dass sichere Verbündete in der Konfrontation mit China auch für Trump von Vorteil sind – aber denkt er so weit?

Anders als die Ukraine profitierte Israel von Trumps Sieg: Der unterstütze, was immer es im Westjordanland und in Gaza täte. Ein Rechtsstaat blieb es dann kaum und auch einen Flächenbrand in Nahost schlösse ich nicht völlig aus.

Ich glaube, dass es nötig ist, so weit in die Zukunft zu spekulieren, weil Umfragen Trump derzeit in 5 von 6 der bisher stets wahlentscheidenden Swing-States vor Joe Biden sehen, auch wenn ich hoffe, dass die gute Wirtschaftslage und der insgeheime Widerstand der Frauen gegen die Abtreibungsgesetze der Republikaner diese Umfragen Lügen strafen.

Was wird aus Kickl?

In Österreich wird die Umfrage-Führung der FPÖ so gut wie sicher in ihren Wahlsieg münden, zumal die Rezession, die uns die Geldpolitik der EZB bescherte, Herbert Kickl weiter Stoff für wüste Kritik liefern wird, obwohl diese Regierung dafür keinerlei Verantwortung trägt.

Allerdings bleibe ich zuversichtlich, dass Kickl keinen Partner findet, um tatsächlich zu regieren, selbst wenn die ÖVP sich von Karl Nehammer trennt. Zum einen, weil ihr christlich-sozialer Flügel nicht völlig abgedankt hat, zum anderen, weil ihr auch ein Kanzler Andreas Babler das Finanzministerium überließe und weil mir ihre Chance, Babler dereinst durch einen schwarzen Kanzler abzulösen, größer scheint als die Chance auf die Ablöse Kickls, wenn der sich etabliert hat.

Ich rechne daher relativ fest mit einer Koalition aus SPÖ, ÖVP und NEOS oder Grünen, denn eine rote Minderheitsregierung zu dulden hat die ÖVP keinen Anlass und Kickl dürfte Babler kaum die Chance einräumen, die Friedrich Peter Bruno Kreisky eingeräumt hat. Denn Kickls größte Chance besteht darin, fünf Jahre zuzuwarten, um dann allein zu regieren – das wünschen auch seine Wähler.

Deshalb muss die wahrscheinliche Dreierkoalition unbedingt begreifen, dass sie sich augenscheinlich bewähren muss, wenn sie Kickl = Österreichs Orbanisierung nachhaltig verhindern will. Dazu ist unverzichtbar, dass die beteiligten Parteichefs ein brauchbares Verhältnis zueinander haben. Babler hat mittlerweile begriffen, dass er politische Profis zu seiner Unterstützung braucht – vielleicht begreift er auch, wie kontraproduktiv es ist, wenn er Karl Nehammer im Einklang mit Kickl beschimpft: Er treibt damit nur Wähler zur FPÖ.

Bei der Frage, welche wesentliche wirtschaftliche Verbesserung die künftige Koalition bewirken könnte, drängt sich auf, endlich, wie von OECD, IWF oder WIFO-Steuerexpertin Margit Schratzenstaller und allen einigermaßen kundigen Ökonomen seit langem gefordert, die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß zu senken, in dem man die Steuern auf Vermögen auf ein Mittelmaß anhebt. Für Babler ist die Forderung nach höheren Vermögenssteuern bekanntlich Wahlprogramm und eine Erbschaftssteuer mit hohen Freigrenzen erfüllte es am einfachsten. Nur darf er keine Zweifel lassen, dass er die Steuern auf Arbeit im gleichen Ausmaß senkt, denn dann hat er nicht nur Grünen-Chef Werner Kogler, sondern auch Neos-Chefin Beate Meinl Reisinger auf seiner Seite und macht es der ÖVP um Vieles schwerer, bei ihrem sturen „Nein“ zu bleiben.

Die ÖVP ist leider Gefangene ihrer speziellen Klientel von Superreichen und Großspendern, die natürlich vorzieht in einem Land zu leben, das nach Mexiko und der Slowakei die niedrigsten Vermögenssteuern der Welt hat – aber die Gruppe derer, die von niedrigeren Steuern auf Arbeit profitierten, ist natürlich auch unter VP- Wählern die viel größere – sie hat nur anders als die Superreichen keine Lobby. Deshalb muss es Babler, Meinl Reisinger und Kogler gelingen, der ÖVP klarzumachen, dass sie in dieser Frage die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hat und dass das in der jüngsten Umfrage schon offenbar so war. Bei Finanzminister Magnus Brunner sollten auch Gespräche mit Margit Schratzenstaller helfen und selbst bei Karl Nehammer gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass er erkennt, dass hohe Steuern auf Arbeit die Wirtschaft mehr belasten als durchschnittliche Steuern auf Vermögen

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Der doppelte Schäuble

Mit Wolfgang Schäuble verliert Deutschland einen Politiker der sich durch eine Reihe wichtiger Tugenden ausgezeichnet hat: Anstand, Handschlagqualität, Loyalität, Patriotismus und ein dennoch klares Bekenntnis zu einem vereinten Europa.

Leider schlägt sich die Tätigkeit in seiner mit Abstand wichtigsten Funktion als Finanzminister Angela Merkls und damit als Taktgeber der Fiskalpolitik der EU messbar in folgenden Zahlen nieder: Der Abstand zwischen dem realen Bruttoinlandsprodukt der EU, zu dem der USA, der 2008 nach der Finanzkrise 15 Prozent betragen hat, beträgt heute 31 Prozent und der noch aussagekräftigere Unterschied im realen  BIP pro Kopf hat sich von 9.000 auf 27.000 Dollar verdreifacht. Alle Krisen, von der Finanz- über zur Corona- Krise bis zur Ukraine-Krise wurden (werden) von der EU ungleich langsamer und ungleich unvollständiger als von den USA bewältigt.  Doch nichts konnte Schäuble eines Besseren belehren. Schon gar nicht eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds IWF, die zu dem Schluss kam, dass die Staatsschuldenbremse den beteiligten Staaten mehr geschadet als genutzt hat.

(Sie belehrte bekanntlich auch Sebastian Kurz  und seine Finanzminister oder Österreichs Öffentlichkeit nicht- auch hier wurde ein schwachsinniges Null-Defizit als Jahrhundertereignis gefeiert und wäre die Schuldenbremse beinahe in der Verfassung verankert worden)

Das Tragischste ist freilich, dass sich Deutschlands aktueller Finanzminister Christian Lindner voll zur Politik Wolfgang Schäubles bekennt, obwohl sie im Moment auch den Deutschen selbst auf den Kopf fällt, während sie ihn in der Vergangenheit  aus des Schlinge ziehen konnten, indem sie anderen Staaten durch Lohnzurückhaltung Marktanteile weggenommen haben, Derzeit bezahlen sie die Lohnzurückhaltung mit dem Wachstum der AfD und die Schuldenbremse mit einer kaputtgesparten Bundeswehr, einer nicht elektrifizierten Eisenbahn, vernachlässigten Schulen und Universitäten und desolaten Verkehrswegen. Aber Ökonomisch Umdenken ist für Deutsche offenbar unmöglich – sie sind fehlerfrei.

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Eine VP-interne Vision von Kanzler Kickl

Die ÖVP könnte Nehammer nach Brüssel wegloben und jemanden an ihre Spitze hieven, der Blau-Türkis für stimmiger als Rot-schwarz- grün/pink hält. Die SPÖ befördert das.

Bisher habe ich die Horrorvision, dass Herbert Kickl 2024 “Volkskanzler” wird, damit zur Seite geschoben, dass mir ausgeschlossen schien, dass Karl Nehammer ihn dazu macht, hat er doch denkbar eindringlich erklärt, dass das für ihn nicht in Frage kommt. Denn obwohl er sich schützend vor Wolfgang Sobotka stellt, halte ich ihn für einen anständigen Menschen: Was soll er tun, wenn der nicht geht? Dass es ihm  nicht und nicht gelingt, die ÖVP wenigstens ein Stück aus ihrem Umfragetief herauszuführen, lässt mich allerdings, je länger es andauert, eine Entwicklung für möglich halten, die mir ein intimer Kenner der ÖVP  so beschrieb: Nehammer wird die Wahlschlappe, der die ÖVP entgegengeht, nicht verantworten wollen; mit Österreichs Anspruch auf einen Kommissar in Brüssel böte sich ihm eine Alternative; massive Kräfte (auch Landeshauptleute)innerhalb der ÖVP planten daher, ihn dorthin weg zu loben und jemanden an die Spitze der Partei zu hieven, für den es ein Aufstieg und  kein Problem wäre, Vizekanzler(in) einer blau-türkisen Regierung zu sein. Zwar müssten die schwarzen Landeshauptleute damit einen Kanzler Herbert Kickl akzeptieren, aber da alles dafür spreche, dass sie andernfalls einen Kanzler Andreas Babler akzeptieren müssten, sei ihnen Ersterer lieber. Denn leider sei die innere Übereistimmung mit der FPÖ, die man unter Sebastian Kurz erlebt hat, viel größer als mit der SPÖ. Zudem kann die ÖVP in der möglichen Zweierkoalition mit der FPÖ weit mehr Ministerien für sich fordern als in einer Dreierkoalition mit SPÖ und Grünen oder Neos. Viele Funktionäre hielten das blau-türkise Bündnis daher leider für stimmig und erfolgversprechender. Ich habe eingewendet, dass Tirols Anton Mattle oder Vorarlbergs Markus Wallner das schwerlich so sehen und dass die FPÖ zwar grundsätzlich national, wirtschaftlich aber eher sozialistisch ticke, aber mein Gesprächspartner sah in Mattle und Wallner “leider Leichtgewichte” und wirtschaftlich, so sei man in der ÖVP überzeugt, würde sie das Sagen haben.

Nicht, dass ich den blau-türkisen “Volkskanzler” damit für wahrscheinlich hielte – aber für ganz unwahrscheinlich halte ich ihn nicht mehr.

Hans Rauscher hat im DerStandard ausgeführt, wie wichtig es ist, dass eine konservative Partei entscheidende Werte mit der Linken teilt und ich möchte das unterstreichen. Ich sehe eine Katstrophe darin, dass der ÖVP ihr christlich-soziales Fundament abhanden kommt. Am eindrücklichsten illustriert das die Haltung schwarzer Granden zu Sebastian Kurz: sie wollten sich von ihm nicht einmal distanzieren, als offenbar wurde, dass er alles unternommen hat, um zu verhindern, dass Reinhold Mitterlehner mit Christian Kern 1,5 Milliarden für die schulische Förderung von Kindern beschließt, obwohl das viel übler als selbst die Korruption ist, deren er verdächtigt wird.

Wenn ich mich frage, wie die jedenfalls gegebene Gefahr eines blau-türkisen Volkskanzlers im verbleibenden Jahr ausgeschlossen werden kann, fällt mir leider nicht viel ein: Die FPÖ wird ihr Umfragehoch in einen Wahlsieg verwandeln. Nehammer hat nur mehr wenige Möglichkeiten zu punkten: Schwarz-Grün wird irgendwann doch das Transparenzgesetz beschießen, das nur umstritten ist, weil es Bürgermeistern die Möglichkeit korrupter Baubewilligungen erschwert. Er hat ferner die vom Verfassungsgerichtshof eröffnete Möglichkeit, ein ORF- Gesetz zu beschließen, das den Einfluss der Parteien so einschränkt, dass Kickl nicht mehr behaupten kann, die Berichterstattung über die FPÖ sei parteiisch. Leider meint ein anderer diesbezüglicher Insider, die ÖVP wolle einen VP-nahen ORF und würde alles tun, ihn dazu zu machen, ehe ein neues ORF-Gesetz das verhindert. Schließlich könnte Nehammer mit dem größten Applaus das Gesetz beschließen, das eine parteiunabhängige Spitze der Staatsanwaltschaft sicherstellt. Aber daran zweifelt mein zweiter Gesprächspartner noch mehr: Derzeit wolle die ÖVP die WKSTA diffamieren und danach einen alleinigen Bundesanwalt installieren, der ihr nahesteht.

Theoretisch könnten die Grünen die ÖVP bei allen diesen Gesetzen zu Eile und Sauberkeit drängen, indem sie erklären, die Koalition andernfalls zu sprengen – nur dass sie die folgenden Neuwahlen in der Praxis kaum minder als diese zu fürchten haben. Ich meine freilich, dass das jedenfalls so ist, so dass sie auch energischer drängen und dieses Risiko in Kauf nehmen könnten.

Für absolut verfehlt  halte ich die Taktik der SPÖ und Andras Bablers, Nehammer genauso heftig zu kritisieren wie Kickl es tut. Erstens machen sie Kickl damit glaubwürdig und treiben ihm Wähler zu; zweitens muss die SPÖ mit Nehammer koalieren, wenn sie Schwarz-Blau abwenden will; drittens ist ihre aktuell zentrale Kritik – dass Schwarz-Grün die Teuerung so viel schlechter als andere Regierungen bekämpfe – höchst problematisch: Es waren vorangegangene Regierungen, die Österreich eine so extreme Abhängigkeit von russischem Gas bescherten, dass sie doppelt so hoch wie die Deutschlands ausfiel. Es ist absurd, Teuerungsraten zu vergleichen, ohne zu berücksichtigen, wie die Energieversorgung eines Landes beschaffen ist.

In Wirklichkeit sollte man in der SPÖ beten, dass ihr Nehammer als ÖVP-Obmann erhalten bleibt. Denn seine Ablehnung dessen, was ein Volkskanzler Kickl für Österreich bedeutete, ist ehrlich.

 

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Die heikle Einigung der Metaller

Eine späte Einigung kostet Geld – eine falsche kostet Jobs. 11,6 Prozent mehr Lohn verteuert Waren. Erhöht die EZB deshalb die Zinsen, vertieft sie die Rezession.

 Nach einer Woche Streik haben die Arbeitgeber der metalltechnischen Industrie und die Gewerkschaft vergangenen Montag ihre Verhandlungen wieder aufgenommen. Meines Erachtens wäre es keine Niederlage für die Gewerkschaft, wenn die Einigung in etwa zwischen ihrer Forderung nach 11,6 Prozent mehr Lohn und dem bisher letzten Angebot der Arbeitgeber über 6 Prozent plus 1.200 Euro Einmalzahlung läge, die sie mittlerweile offenbar als Lohnerhöhung über 8,2 Prozent auszuzahlen bereit ist. Weil das im Widerspruch zu Überlegungen steht, die ich hier mehrfach geäußert habe, will ich es ausführlich begründen.

Der erste Grund ist banal und illustriert die Argumentation des Verhandlungsführers der Arbeitgeber Stefan Ehrlich-Adám am “Runden Tisch” des ORF: Österreichs metallverarbeitende Industrie muss im Export, der 80 Prozent ihres Geschäfts ausmacht, mit der metallverarbeitenden Industrie anderer Länder, voran Deutschlands, konkurrieren. Dort fordert die Gewerkschaft soeben eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent, die sie, wenn auch nicht allzu energisch, mit der Forderung nach 32 statt 35 wöchentlichen Arbeitsstunden verknüpft. Die Arbeitgeber setzen dem ein Angebot von 3,1 Prozent mehr Lohn mit einer Laufzeit von 15 Monaten und eine Einmalzahlung entgegen und lehnen eine Arbeitszeitverkürzung angesichts des Fachkräftemangels kategorisch ab. Wenn ich den Kompromiss abschätze, den man in Deutschland finden dürfte, so wird er kaum viel anders aussehen als die eingangs von mir empfohlene Einigung in Österreich. Deutlich höhere Löhne als Deutschland können wir uns nämlich kaum leisten, denn in der metallverarbeitenden Industrie sind sie für 30 bis 40 Prozent der Kosten einer Ware verantwortlich.

In beiden Ländern kämpft die exportorientierte Industrie, für die der Abschluss der Metaller noch dazu Vorbild ist, zudem mit einer Rezession: Die Auftragseingänge sind massiv zurückgegangen. Natürlich muss es die Chefökonomin des ÖGB Helene Schuberth empören, dass Unternehmen, die im zurückliegenden sehr guten Jahr, in dem sie die Inflation nicht selten zur Ausweitung ihrer Gewinnmargen nutzten, hohe Dividenden zahlten, nun erklären, die geforderte Lohnerhöhung nicht zu verkraften. Aber dann waren die vergangenen Lohnforderungen der Gewerkschaft leider nicht energisch genug – für das gegenwertige Konkurrenz- Problem ist das irrelevant: Wenn die Lohnstückkosten bei uns deutlich höher als in Deutschland oder der Schweiz ausfallen, wird das Problem der Betriebe unweigerlich zum Problem entlassener Arbeitnehmer.

Anders bei den Bäckern, die nur im Inland mit inländischen Bäckern konkurrieren

Es gibt aber einen zweiten Grund, warum die von mir sonst so geschätzte Benya-Formel in der aktuellen Situation nicht ausschließliche Basis der Lohnforderung sein kann. Sie lautet bekanntlich, dass eine Lohnerhöhung das Ausmaß der durchschnittlichen Inflation des zurückliegenden Jahres zuzüglich des erzielten Produktivitätszuwachses haben soll und das hat folgenden ökonomischen Sinn: Die Bevölkerung erzielt auf diese Weise einen Lohn- und Kaufkraftzuwachs, der sie theoretisch in die Lage versetzte, alle Waren, die ihre Volkswirtschaft auf Grund des Produktivitätszuwachses in Summe mehr erzeugt hat, auch zu kaufen, obwohl sie sich im Ausmaß der Lohnerhöhungen des abgelaufenen Jahres verteuert haben. Praktisch kauft sie natürlich auch Waren fremder Volkswirtschaften, aber wenn alle Volkswirtschaften gemäß der Benya-Formel agieren, gleicht sich das aus. Dass Österreich, Deutschland, Holland und die Schweiz seit 2000 nicht mehr so agieren, habe ich hier als eines der existentiellen ökonomischen Probleme der EU gebrandmarkt und insofern machten hohe Lohnabschlüsse in Österreich und Deutschland durchaus Sinn.

Dass es dennoch problematisch ist, ihre Höhe nach der Benya-Formel zu berechnen, indem man zu 2 Prozent Produktivitätszuwachs 9,6 Prozent Teuerung des abgelaufenen Jahres addiert, liegt daran, dass diese Teuerung nicht wie in der Vergangenheit aus Lohnerhöhungen resultiert und damit im Idealfall bei rund zwei Prozent lag, sondern aus der außergewöhnlichen Verteuerung der Energie durch Wladimir Putin. Nur ist diese Teuerung, nicht zuletzt weil es sich um ein so untypisches, fast einmaliges Ereignis gehandelt hat, Gott sei Dank mittlerweile EU-weit schon wieder auf 2,9 Prozent, in Österreich auf 5,4 Prozent gesunken. (Letzteres liegt an Österreichs extremer Abhängigkeit von russischem Gas – allenfalls am Rande an mangelnder Inflationsbekämpfung durch die schwarz-grüne Regierung.)

Daher macht es mehr Sinn als sonst, den Verlust, den die Metall-Arbeitnehmer im abgelaufenen Jahr durch die extreme Teuerung erlitten haben, durch eine beträchtliche Einmalzahlung der Arbeitgeber abzufedern, die sich zu den Zahlungen der Regierung (abgeschaffte kalte Progression, erhöhte Absetzbeträge, Einmalzahlungen) addiert. Dagegen stellt es ein Problem dar, die Löhne um 11,6 Prozent zu erhöhen, weil es die Inflation doch neuerlich befeuerte, auch wenn sie die Waren derzeit nur mehr um höchstens 5,4 Prozent, wahrscheinlich aber weit weniger, verteuert.

Das aber nähme die ökonomisch leider verwirrte EZB mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Anlass, die Zinsen, die derzeit Gott sei Dank pausieren, doch wieder anzuheben. Damit aber vertiefte sie die Rezession, in die sie uns bereits gestürzt hat, dramatisch.

 

 

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Die Renaissance des Antisemitismus

Der mit Flüchtlingen aus der arabischen Welt importierte  Israel- Hass kann das feste Fundament des heimischen Antisemitismus nutzen. Auschwitz hat es nicht unterspült.

 Der Extremismus-Forscher Peter Neumann warnte im Gespräch mit Armin Wolf,  dass die Ereignisse in Gaza eine neue Welle islamistischen Terrors in Europa auslösen könnten, die gefährlicher als die der Jahre 2015/16 mit den Attentaten auf die Zeitschrift  Charlie Hebdo, das Theater Bataclan oder den Berliner Weihnachtsmarkt sein könnte. Seine Argumente: Das Netz strotze von Videos, die mit den Bilden verletzter Kinder in Gaza maximal zu radikalisieren vermögen; Israel des “Völkermordes” zu beschuldigen biete die Möglichkeit, maximale Gegengewalt zu fordern; “Gefährder”, die sich zum “Islamischen Staat” bekennen, hätten plötzlich wieder ein Thema, das ihnen ermöglicht, jeden Moslem zum Dschihad aufzurufen: Zum Endkampf der islamischen Welt gegen Israel als Inkarnation des “Westens”. Er, Neumann fürchte, dass die Rückwirkung dieses Dschihad gegen Israel in Europa dazu führt, dass Juden sich hier nicht mehr sicher fühlen können. Jüngste Vorfälle an Schulen scheinen ihn zu bestätigen.

Dass Europa dem Antisemitismus mit der Aufnahme so vieler muslimischer Flüchtlinge neue Nahrung verschafft hat, entpuppt sich damit als unerwartet gefährlich, obwohl der Islam “Juden” primär neutraler als das Christentum gegenübersteht: Sie sind für den Koran zwar “Ungläubig” mit entsprechend  negativen Eigenschaften, aber es wird ihnen nicht, wie vom zweiten Vatikanischen Konzil, vorgeworfen, “auf den Tod Jesu gedrungen” zu haben. Es blieb dem Christentum vorbehalten, diese emotionale Grundlage für den Holocaust zu schaffen.

Der alltägliche heimische Antisemitismus war noch vor kurzem ein ganz ungenierter: Mein Religionslehrer klagte, “dass es hier fast wie in einer “Judenschule” zugeht; jemand war “jüdisch, aber gar nicht geizig” oder “ein Jude, aber ein netter Mensch”. Wie viel die Bevölkerung bei Kriegsende sehr wohl von “Auschwitz” ahnte, geht daraus hervor, dass “bis zur Vergasung” eine populäre Redewendung ist. Zu glauben, dass dieser Antisemitismus mit “Auschwitz” endet, war eine Illusion: In Wirklichkeit musste das schlechte Gewissen, das der Holocaust voran Deutschen und Österreichern bescherte, sie veranlassen, im Verhalten von Juden unverändert nach Eigenschaften zu suchen, die verständlicher machen, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern zu m größten Teil zwar nur mittelbar, aber gar nicht so selten auch unmittelbar, am Holocaust beteiligt war. Schließlich gab es tausende Bewacher der Vernichtungslager, Tausende, die in Wehrmachts- oder SS-Einheiten an Massenerschießungen mitwirkten, Tausende die Verhaftungen vornahmen oder die Deportation nach Polen organisierten. Wenn man diese Abertausend Deutschen und Österreicher, mit denen man womöglich verwandt war, nicht wie Daniel Goldhagen im gleichnamigen Buch unter “Hitlers willige Vollstrecker” reihen wollte, musste man psychologisch das Bedürfnis haben, den Juden durch ihr Verhalten zumindest eine leise Mitschuld an dem zuzuschreiben, was ihnen zugestoßen ist. Voran in Österreich glaubt man, dieses angeblich “jüdische” Verhalten sogar seit jeher zu kennen und sah sich darin bestätigt, dass man es den Juden in so vielen anderen Ländern nachsagt.

Es gibt also genug genuinen Antisemitismus, aber es gab auch Fortschritte: So erlebte ich etwa die Wahl-Großmutter eines Bekannten als geeichte Antisemitin, auch wenn sie meinte, man hätte die Juden “nicht gleich umbringen müssen”; als die Israelis die von ihr als Untermenschen betrachteten Araber in nur sechs Tagen besiegten, fand sie es “toll wie die kämpfen”;  als jemand ihr zu sagen wagte, dass sie die Juden doch immer für feig gehalten hätte, wies sie ihn entrüstet zurecht: “Die Israelis sind doch keine Juden!!!”. Die Gründung Israels, so sieht man, hat die Juden gestärkt. Ihr Enkel, und das krönt die Entwicklung, verliebte sich in eine Jüdin, trat ihr zuliebe zum Judentum über und trägt die Kippa. Juden persönlich zu kennen vermindert Antisemitismus am meisten. Dass ziemlich viele Österreicher Israel bereisten war diesbezüglich nützlich.

Dass der mittlerweile zumindest nicht mehr ganz so virulente heimische Antisemitismus durch die Zuwanderung arabischer Muslime neue Nahrung erhielt war zum Teil schlicht historisches Pech: Syrienkrieg und Irakkrieg lösten zwingend Flüchtlingswellen aus. Aber leider vermögen heimischer und zugewanderter Antisemitismus einander gegenseitig zu stärken: “Die Israelis behandeln die Palästinenser genau wie die Nazis die Juden behandelt haben”, ist die dafür typische Formulierung, die seit dem 7. Oktober  zum Sieg der Hamas im Informationskrieg geführt hat: Persönlicher, brutalster Mord wird vielfach weniger geächtet, als vielleicht zu massives israelisches Bombardement, das leider unschuldige Opfer fordert, und das aus humanitären Gründen zu unterbrechen meines Erachtens schon früher richtig gewesen wäre, auch wenn es der Hamas ermöglichte sich neu zu formieren. Nur war es auch nicht absurd, die Pause wie Benjamin Netanjahu mit der Forderung nach der Freilassung von Geiseln zu verknüpfen.

Ich hege zwar den Verdacht, dass er den Krieg so führt wie er ihn führt, weil er den totalen Sieg braucht, um der Absetzung und einem Strafverfahren wegen Korruption zu entgehen – aber wenn man kein Antisemit ist, erwartet man von einem Juden nicht automatisch, dass er sich anders als die meisten Menschen benimmt.

 

 

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Etwas “Sahra Wagenknecht” nutzte auch uns

Die Ikone der “Linken” will nicht auf Putins Gas verzichten, weniger Zuwanderung, mehr Umverteilung und Wettbewerb. Vieles davon schadete der FPÖ nicht anders als der AfD.

Umfragen prophezeien der Partei, die in Berlin mit dem “Bündnis Sahra Wagenknecht” aus der Taufe gehoben wurde, aus dem Stand 12 Prozent Stimmen, die sie voran der AfD wegnehmen würde. Ich teile diese Annahme und meine, dass es der SPÖ leichter fiele, der FPÖ Stimmen wegzunehmen, wenn sie ihre Forderungen ähnlich wie Sahra Wagenknecht formulierte.

Wagenknechts größter Vorteil ist freilich ortsgebunden: Ihr Bekanntheitsgrad reicht weit über ihre Ex-Partei, “Die Linke”, hinaus. Ständiger Stargast politischer Talkshows, vertritt sie politische Thesen nicht nur eloquent, sondern macht dabei in jedem Sinne dieser Formulierung auch blendende Figur. Das einzige Mal, dass sie – freilich nicht bei AfD-Sympathisanten – schlecht abschnitt, war eine Talkshow, in der es um Deutschlands Verhalten gegenüber Wladimir Putin ging: Sie blieb bei ihrer aus dem Manifest mit Alice Schwarzer bekannten Ansicht, dass man auf Verhandlungen drängen, statt der Ukraine Waffen liefern sollte. Ich halte diese Alternative bekanntlich für grob falsch – nur indem man der Ukraine Waffen liefert, kann man auf Verhandlungen hoffen – und auch für die Partei Wagenknechts wird ihre Russland-Position die größte Schwachstelle sein: Man wird sie zur “Putin-Versteherin” stempeln, auch wenn sie das nicht wirklich ist – sie hält sein Regime sehr wohl für autoritär und seinen Krieg für einen Überfall – nur glaubt sie an die Mitschuld der NATO und übersieht seine Großmachtallüren.

Zugleich ist Wagenknecht wie AfD und FPÖ der Meinung, dass es falsch ist, auf russisches Gas zu verzichten und das meine ich auch. Es stimmt zwar nicht, wie Herbert Kickl behauptet, dass Russland Öl und Gas  als Reaktion auf die Sanktionen der EU verteuert hat, sondern Putin und OPEC haben die Drosselung der Förderung ein gutes Jahr davor beschlossen, aber Deutschland wie Österreich schaden sich selbst mehr als Russland, wenn sie hektisch auf russisches Gas verzichten, ehe alternative Energie vergleichbar preiswert ist.

Im wichtigsten Punkt ihres Parteiprogramms gebe ich Wagenknecht uneingeschränkt recht: Es gilt, der neoliberalen Struktur der Wirtschaft den Kampf anzusagen. Die Umverteilung von unten nach oben muss einer Umverteilung von oben nach unten weichen und dazu sind höhere Unternehmens- und Vermögenssteuern unverzichtbar. Natürlich setzt auch Wagenknecht die Grenze für eine Erbschaftssteuer wie die SPÖ weit über dem Wert eines Eigenheims an, ist aber als Nationalökonomin sehr viel besser als bisherige SP-Granden in der Lage, ihre Forderung gegen Einwände zu verteidigen. Gleichzeitig tritt sie für die Zerschlagung von Oligopolen ein und weiß das als Unterstützung des Mittelstandes zu verkaufen und auch das funktionierte in Österreich: Natürlich hängen Greissler-Sterben und hohe Teuerungsraten gleichermaßen mit unserem Nahrungsmittel- Oligopol zusammen.

Mit den Grünen liegt Wagenknecht im Clinch, indem sie fordert, “von einem blinden, planlosen Öko-Aktivismus wegzukommen, der das Leben der Menschen zusätzlich verteuert, die Reichen bevorzugt und dem Klima überhaupt nicht nützt“. Ich halte “überhaupt nicht” zwar für eine fahrlässige Übertreibung, aber tatsächlich gilt bei jeder Aktivität zu bedenken, dass jeder Liter Öl, den nicht wir selbst verbrennen, sofort anderswo erworben und verbrannt wird und was das für unsere Wirtschaft bedeutet. Zugleich hat die teure Förderung der E-Mobilität derzeit tatsächlich voran die Zahl der Tesla-Limousinen in Nobelbezirken erhöht. Geringverdiener hingegen erfüllt der Preis eines E-Autos oder einer Wärmepumpe unverändert mit Schrecken, und auch bei Menschen meiner Generation, die von der Nachkriegsarmut geprägt und auf Sparsamkeit programmiert sind, erzeugte die plötzliche Forderung nach so hohen Ausgaben emotionale Abwehr, die sich hier in dem Satz “Ich werde mein Auto sicher nicht gleich gegen ein E-Auto tauschen” niederschlug und nicht ganz ohne rationale Begründung ist: Auch die vorzeitige Nachschaffung längst nicht kaputter Geräte erzeugt CO2. Auch aus diesem Grund halte ich bekanntlich für weise, dass Leonore Gewessler den Zeitdruck vermindert und die Förderungen erhöht. Im Zuge der Begutachtung des Erneuerbare Wärme Gesetzes sollte freilich berücksichtigt werden, wie weit Haus- und Wohnungseigentümer gezwungen werden können, dem Wunsch einer Mehrheit nach grüner Beheizung stattzugeben.

Die größte Differenz zu den Grünen – und die größte Übereinstimmung mit AfD und FPÖ – ergibt sich dort, wo Wagenknecht fordert, die Zuwanderung auf Personen zu beschränken, die Anspruch auf Asyl haben. “Entwicklungshilfe statt Bürgergeld” formuliert sie diese Forderung denkbar geschickt. Ich teile sie in der Theorie und es ist schwer mir Fremdenfeindlichkeit vorzuwerfen, habe ich doch zeitlebens Flüchtlinge in meine Wohnung aufgenommen. Aber wir können unmöglich auch die aufnehmen, die als Wirtschaftsflüchtlinge auf ein besseres Leben hoffen. Das sollte man so unmissverständlich wie Wagenknecht klarstellen. Nur besteht das eigentliche Problem natürlich in der Praxis: Man darf “subsidiär Schutzberechtigte” so wenig wie “Geduldete”  abschieben und kein Land nimmt Flüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl zurück. Dass man diese Gruppen in  die Kriminalität drängte, so sobald man ihnen im Sinne der AfD jede finanzielle Unterstützung versagte, weiß Wagenknecht vermutlich, spricht es aber nicht aus.

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