Für Arbeitnehmer und Pensionisten war es falsch, sich bei ihren Einkommen an der extremen Inflation von 2023 zu orientieren. Für Rumänien oder Kroatien ist es ein Fiasko.
Die Pensionisten-Verbände von SPÖ und ÖVP murren über eine Pensionsregelung, die bekanntlich vorsieht, dass Pensionen bis 2.500 Euro die volle Inflationsabgeltung von 2,7 Prozent erhalten, während Pensionen darüber nur um einen Fixbetrag von 67,50 Euro erhöht werden. Zwar erleiden zwei Drittel der Pensionisten damit keinen Verlust durch unsere weiterhin überdurchschnittliche Inflation, aber die Kaufkraft der Pensionisten insgesamt sinkt derzeit und bedeutet weniger Verkäufe für unsere Unternehmen. Doch da man sich der widersinnigen Forderung der EU nach Milliardeneinsparungen des Staates beugen muss, war es eine gute und sogar faire Lösung, denn die Erhöhung der Pensionen davor ist etwas zu hoch ausgefallen, indem sie sich an der extremen Inflation des Jahres 2023 orientierte.
Die jetzt von der Regierung erzielte Einsparung ist groß, und da künftige Pensionserhöhungen auf dem aktuellen Niveau aufsetzen, wirkt sie fort. Die NEOS drängen daher, auch den Gehaltsabschluss mit den Beamten aufzuschnüren, und Finanzminister Markus Marterbauer will es versuchen. Hat er Erfolg, verringert es derzeit einmal mehr die Kaufkraft eines Teils der Bevölkerung, aber auch die Beamten haben 2023/24 zu hohe Gehaltsabschlüsse erreicht, weil ihnen zu Unrecht die Benya-Formel zu Grunde gelegt wurde, für die die Inflation eine entscheidende Rolle spielt. Noch viel mehr galt das allerdings für die noch viel größere Gruppe der Arbeitnehmer technischer Industrien, deren Einkommen in Kollektivertragsverhandlungen mit den Arbeitgebern fixiert wurden: Diese Abschlüsse waren, voran bei den Metallern, zu hoch- unsere Lohnstückkosten zählen plötzlich zu den höchsten der EU.
Die Benya-Formel, Lohnerhöhung = Produktivitätsfortschritt+ Inflation des abgelaufenen Jahres, ist nämlich nur dann richtig, wenn die Inflationsrate tatsächlich auf den Lohnerhöhungen des abgelaufenen Jahres beruht: Sie liegt dann im Idealfall um die zwei Prozent. Aber die Inflationsrate 2023 hatte nicht wie sonst Lohnerhöhungen, sondern die extreme Verteuerung russischen Gases zur Ursache und war damit als Basis der Benya-Formel ungeeignet. Die deutschen Gewerkschaften, die leider durch 25 Jahre negierten, dass man die Löhne aus Fairness gegenüber anderen Ländern, normaler Weis stets gemäß der Benya-Formel erhöhen muss, begriffen ausgerechnet 2023/24 richtig, dass sich die Benya-Formel diesmal nicht zur Basis von Lohnverhandlungen eignet, zumal die Verteuerung russischen Gases ein befristetes Phänomen ist: Sie begnügten sich mit einer 2,4-prozentigen Erhöhung der Kollektivvertragslöhne zuzüglich einer Einmalzahlung. Unsere sonst so vernünftigen Gewerkschaften begnügten sich nicht damit und so ist es zu einem kritischen Wettbewerbsnachteil gegenüber unserem wichtigsten Konkurrenten gekommen. Nur wenn Deutschland, wie das grundsätzlich richtig wäre, seine Löhne gewaltig erhöhte, könnten andere Länder sie endlich auch erhöhen und es ginge allen besser.
So hingegen sind unsere etwas zu großen Lohnerhöhungen derzeit auch Ursache unserer weiterhin überdurchschnittlichen Inflation: Es bleibt unseren Unternehmen nichts anders übrig, als ihre Lohn-Mehrkosten auf die Preise zu überwälzen. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass sich der ÖGB bei den nächsten Lohnverhandlungen an unserer internationalen Konkurrenzfähigkeit orientieren wird.
Grundgelegt wurde das Missverständnis in Bezug auf die Inflation leider durch die EZB: Auch sie begriff nicht, dass die Teuerung 2023 durch die Explosion des russischen Gaspreises ausgelöst wurde und reagierte bekanntlich mit einer harschen Zinserhöhung, wie das Lehrbuch sie nur für eine lohngetriebene Inflation empfiehlt – dieser Reaktion verdanken wir die Rezession und insbesondere die Probleme der Bauwirtschaft. Es ist das zentrale Problem der EU, dass zentrale Wirtschaftsprobleme von ihren Spitzengremien, sei es die EZB, sei es die Kommission, nicht verstanden werden. Die Kommission versteht nicht, dass die Wirtschaft nicht wachsen kann, wenn der Staat spart, obwohl auch Konsumenten und Unternehmen sparen, oder dass Frankreich und Italien sich schwer verschulden mussten, weil Deutschland ihnen dank Lohnzurückhaltung Marktanteile abjagte. Derzeit sehen weder EZB noch Kommission, dass sich bereits ein nächstes Fiasko anbahnt: So erhöhte etwa Rumänien seine Löhne zuletzt um 18,1 und 16,6 Prozent, und auch das neu aufgenommene Kroatien liegt mit 15,9 und 11,2 Prozent in einem Bereich, der unmöglich den Produktivitätszuwächsen entsprechen kann. Während Österreich die Chancen hat, dass sein künftiger Produktivitätszuwachs seine Lohnerhöhungen aushält, haben diese Staaten sie sicher nicht: Zum kritischen Nord -Süd -Gefälle kommt es in der EU zu einem auch politisch denkbar kritischen West-Ost- Gefälle.