So macht man Kickl zum Kanzler

So macht man Kickl zum Kanzler indem man die Regierung für eine hohe Teuerung prügelt, für die sie wenig kann, maximiert man den Erfolg der FPÖ und schafft Herbert Kickl die Chance, Kanzler zu werden.

Wie zu erwarten gibt es keinen „Babler-Effekt“: Die SPÖ liegt wie zuvor abgeschlagen am dritten Platz. Dass die ÖVP nicht viel besser dasteht, sollte die SPÖ allerdings nicht trösten, sondern ängstigen: Je schlechter die ÖVP in der Gunst der Wähler abschneidet, desto eher ist denkbar, dass sie Karl Nehammer durch jemanden ersetzt, der bereit ist, mit der FPÖ zu koalieren, wenn sie der ÖVP das Finanz- und des Wirtschaftsministerium überlässt.

Woher kommt die hohe Teuerung

 Dass die regierende ÖVP in der Gunst der Wähler derzeit derart schlecht dasteht, obwohl die Regierung mit der Inflationsanpassung der Beihilfen, der Abschaffung der kalten Progression oder dem Klimaticket einiges auf den Weg gebracht hat, hat einen zweifelsfreien Grund: die  in Österreich mit 7,5 Prozent  zuletzt höchste Teuerung der Eurozone, während sie in Deutschland nur 6,4 in Frankreich nur 5,7, oder in Spanien nur 2,4 Prozent beträgt. Nur ist das nicht voran die Schuld dieser Regierung, sondern die ihrer Vorgängerinnen, die Österreich die innerhalb der Eurozone mit Abstand größte Abhängigkeit von russischem Gas beschert haben. Eine einseitige Abhängigkeit, die von den Regierungen Werner Faymanns befördert und von der türkis-blauen Regierung Sebastian Kurz` bekanntlich um einen Vertrag erweitert wurde, der die OMV bis 2040 an russisches Gas bindet (was ursprünglich freilich als gutes Geschäft erscheinen konnte).

Die Teuerungsraten von Ländern zu vergleichen, ohne zu berücksichtigen, wie sie zu ihrer Energie kommen, ist absurd.  Die Schweiz beklagt nur 1,6 Prozent Teuerung – aber nicht, weil sie die so brillant managt, sondern weil sie ihren Energiebedarf komplett mittels Atom- und Wasserkraft deckt. Deutschland, mit der nach Österreich zweithöchsten Abhängigkeit von russischem Gas, hat die diesem Umstand entsprechende zweithöchste Teuerung nachdem es auch seine letzten drei Atomkraftwerke stillgelegt hat. Frankreich, das trotz diverser Defekte über die meiste Atomkraft verfügt, steht entsprechend besser da. Spanien hat die Teuerung zwar tatsächlich auch gut gemanagt, aber Basis seiner extrem geringen Teuerung ist dennoch, dass es über Atomkraft verfügt, dass man dort im Winter kaum heizen muss und dass es sein Gas seit jeher und derzeit günstiger als aus Russland aus Algerien und Marokko bezieht.

Die Medien informieren nicht besser

Sein gutes ökonomisches Management hat der Regierung Pedro Sanchez` allerdings dennoch wenig gebracht: Sie erlitt bei den Kommunalwahlen eine herbe Niederlage und erreichte bei den jüngsten Wahlen keine regierungstaugliche Mehrheit. Das liegt daran, dass die Bevölkerung selten korrekte internationale Vergleiche anstellt, und dass es insbesondere einer populistischen Opposition des Öfteren gelingt, die gerade aktuellen Probleme, wodurch immer sie verursacht wurden, voran der Regierung anzulasten. Denn die Medien, deren Aufgabe es wäre, die korrekten internationalen Vergleiche wirtschaftlicher Leistungen  vorzunehmen und eingehend darüber zu informieren, kommen ihr selten nach: In Spaniens Berichterstattung ging  Sanchez` auch sonst glänzende  ökonomische Performance völlig neben der Aufregung unter, die ein gut gemeintes, schlecht gemachtes Gesetz hervorrief, das Frauen vor Gewalt schützen sollte. In Österreich ging völlig unter, dass die Regierung mehr Wirtschaftswachstum als anderswo generiert hat, denn auch in jeder zweiten ZIB wurde sie von den Moderatoren nur mit der überdurchschnittlichen Teuerung Österreichs konfrontiert, ohne dass darauf hingewiesen worden wäre, dass deren zentralen Ursache nicht von dieser Regierung zu verantworten ist.

Natürlich berücksichtigt die Opposition das schon gar nicht. Andreas Babler oder ÖGB- Präsident Wolfgang Katzian wissen es vermutlich nicht besser, von Hebert Kickl kann es niemand erwarten, nur bei Beate Meinl Reisinger wundert es mich etwas.

Natürlich hat die Regierung die Teuerung nicht perfekt gemanagt (ich habe sie hier im Detail oft genug kritisiert), aber ihr, wie die SPÖ das soeben getan hat, das Misstrauen auszusprechen, weil sie im Kampf gegen die Teuerung völlig versagt habe, ist eine Verzerrung der Wahrheit. Dieses Misstrauensvotum ist nicht gekonnte Oppositionspolitik, sondern nur die optimale Unterstützung des gleichlautenden Vorwurfs der FPÖ, von der niemand faire Argumentation erwarten konnte.

Nur mit der ÖVP geht es ohne FPÖ

Andreas Babler, aber auch Beate Meinl-Reisinger sollten sich überlegen, dass eine künftige Regierung, die ohne die FPÖ auskommen will, nur zusammen mit der ÖVP gebildet werden kann und dass es dazu einer nicht völlig zerstörten Gesprächsbasis bedarf.

Dass es dazu eine anderen Kultur der Kritik braucht, ist deshalb so dringend, weil demnächst ein ähnlich schmerzhaftes Problem auf die Regierung zukommt, für das sie noch viel weniger als für die hohe Teuerung kann: Die raschen Zinsanhebungen der EZB haben eine Rezession herbeigeführt und vertieft, von der Österreich auf Grund seiner intensiven Verflechtung mit dem deutschen Autoexport besonders betroffen sein wird. Auch das wird sich optimal zu unfairer Kritik eignen und dürfte der FPÖ weiteren Treibstoff liefern.

Die ÖVP als dominierende Regierungspartei mit unfairer Kritik sukzessive zum großen Verlierer der Wahlen von 2024 zu machen, gibt Herbert Kickl die in Wirklichkeit einzige Chance Kanzler zu werden, indem die ÖVP sich vom „Versager“  Nehammer trennt und einen ihrer Rechtausleger die eingangs beschriebene Regierung mit der FPÖ bilden lässt.

Österreich auf allen Linien vor Deutschland

PS: noch besser schneidet die grünschwarze Regierung an, wenn man einen längeren Zeitraum und die wirtschaftliche Gesamtperformance betrachtet: Über 12 Monate hinweg betrug die durchschnittliche Teuerung in Österreich 10 Prozent und war damit nur um 0.6 Prozent höher als die deutsche von 10.6 Prozent, obwohl Österreich doppelt so stark wie Deutschland von russischem Gas abhing. Dazu hat Deutschland dramatische kostspielige Fehler gemacht. Di Österreich vereiden konnte: Weil die Bevölkerung es forderte hat der ahnungslose deutsche Finanzminister Christian Linder die Steuern auf Benzin und Dieselgesenkt, mit dem Erfolg, dass ihm 30 Milliarden Euro an Steuern entgingen, ohne dass der Preis der Treibstoffe merklich sank – die 30 Milliarden kassierte der Treibstoffhandel. In Österreich würde die gleiche Steuern der ahnungslosen Bevölkerung, von Pamela Rendi-Wagner und insbesondere Herbert Kickl zwar auch vehement gefordert aber Finanzminister Magnus Brunner gab dem Gott sei Dank nicht nach. Er weigerte sich auf Grunde der deutschen Erfahrung auch, der weiterhin vehement  geforderten Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel nachzukommen obwohl die in Spanien Erfolg hatte. Aber in Spanien gibt es eine Vielzahl voneinander unabhängiger Anbieter von Nahrungsmitteln, so dass sicher einer davon versucht hätte, Marktanteile zu gewinnen, indem er die Preise Tatsächlich senkt. In Österreich dagegen beherrschen nur zwei Unternehmen den Nahrungsmittelmarkt, so dass die Gefahr groß ist, dass sie gesenkten Steuern in ihrer Tasche bleiben zumal wir keine starke Wettbewerbsbehörde haben.

Entscheidend aber ist es, Österreichs wirtschaftliche Gesamtperformance in Zeiten der Teuerung zu betrachten:  Österreichs Wirtschaft wuchs 2022 um 4,7 Prozent, die Deutschlands nur um 1,8 Prozent gewachsen und im 1. Quartal 1023 bereits um 0.3 Prozent geschrumpft, während  Österreichs sogar noch um 1,9 Prozent wuchs. Seither schrumpfen beide Wirtschaften, aber die deutsche weit stärker als die österreichische. Nicht dass ich der schwarzgrünen Regierung einen Lorbeerkranz flechten möchte, aber sie wie keine Regierung davor zu verdammen zeugt  vom wirtschaftlicher Ahnungslosigkeit.

 

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Ist die Energiewende schon geschafft?

Der Welt führende Energieexperte behauptet, dass die Erzeug grüner Energie alle Erwartungen übertrifft und noch in diesem Jahrzehnt zum Ende der fossilen Ära führt.

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: „Die Welt steht am Anfang vom Ende der Ära der fossilen Brennstoffe. Das scheinbar unaufhaltsame Nachfragewachstum nach Kohle, Öl und Gas wird noch in diesem Jahrzehnt zu Ende gehen“, erklärte der Exekutivdirektor der „Internationalen Energie Agentur“ (IEA) Fatih Birol vergangene Woche der Financial Times. Und Birol ist nicht irgendwer: Time zählt ihn zu den hundert einflussreichsten Menschen weltweit und was „Energie“ betrifft, ist er zweifellos der weltweit führende Experte. In Istanbul studierte er Volkswirtschaft und Kraftwerksingenieurwesen, an der Technischen Universität Wien promovierte er zu „Energiewirtschaft“, um danach sechs Jahre lang im Sekretariat der OPEC zu erleben, wie Fördermengen und Preise fossiler Energie zustande kommen. Es folgten 20 Jahre als Chefökonom der Energieagentur der OECD, ehe er 2015 Direktor der IEA wurde und dort jedes Jahr den denkbar einflussreichen „Weltenergiebericht“ („world energy outlook“) verantwortet.

Dass dessen jüngste Prognose derart positiv ausfällt, begründet er mit den in jüngster Zeit ungeahnten Fortschritten bei der Herstellung grüner Energie, voran durch Photovoltaik, durch Wind- und in China forcierte Atomkraft. Gleichzeitig hätte sich die Struktur der Wirtschaft nicht nur in der EU und den USA, sondern auch in China dahin verändert, nicht mehr auf fossile Brennstoffe, sondern voran auf „grüne Energie“ zu setzen. Es sei zwar, so Birol, schon öfter von einem „Peak Oil“ gesprochen worden und das hätte sich immer wieder als falsch hausgestellt – im abgelaufenen Jahr sind mehr fossile Brennstoffe denn je zum Einsatz gekommen – aber jetzt deute alles darauf hin, dass diese Entwicklung innerhalb des kommenden Jahrzehnts ihren Höhepunkt und damit einen „historischen Wendepunkt“ erreicht: Danach würde der Verbrauch fossiler Energie kontinuierlich sinken und das würde zwangsläufig gewaltige Rückwirkungen auf den Klimawandel haben. Wenn zutrifft, was Birol der Financial Times sagt, wäre er Kampf gegen die Klimakatastrophe im Prinzip gewonnen.

Natürlich gibt es gegenteilige Ansichten: Ohne sie zu kennen, übte der Ex-Chef des deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts  Hans Werner Sinn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, (die kurz darauf die Birol-Prognose der Financial Times zitierte) heftige Kritik an einer Klimapolitik, die, wie die deutsche, die internationale Entwicklung außer Acht lasse, denn diese sei dadurch gekennzeichnet, dass die OPEC ihre Förderkapazitäten erhöhen wolle. Schon zuvor habe ich hier den deutschen Ökonomen Heiner Flassbeck zitiert, der ebenfalls die Ansicht vertrat, dass nur eine internationale Vereinbarung über die kontinuierliche Drosselung der Ölförderung den Klimawandel abwenden würde – andernfalls würde alles Öl/Gas, das die EU oder USA weniger verbrauchen, sofort und ökonomisch unvermeidlich von China, Indien & Co aufgekauft und eben dort verbrannt, womit der Welt- CO2- Ausstoß vorerst unverändert bliebe.

Ich habe diese Befürchtung geteilt und muss sie revidieren, wenn Birols Behauptungen zutreffen. Ebenso revidieren müsste ich meine Befürchtung, dass die Erzeugung grünen Stroms zum Laden der Batterien von E-Autos nicht mit dem durch sie verursachten steigenden Bedarf an grünem Strom Schritt hält, so dass er mit Kohle-Strom gedeckt würde. Batterieelektrisch betriebene Autos wären, wenn Birol Recht hat, dank des optimalen Wirkungsgrades von E-Motoren Verbrenner-Autos zwingend überlegen. (Vorausgesetzt, dass auch die Gewinnung der Materialien zur Herstellung von Batterien nicht mit mehr CO2-Ausstoß belastet ist, als bisher auf Grund dürftigen Zahlenmaterials aus China oder dem Kongo angenommen wird.)

Anders als Flassbeck oder Sinn vermuten, hätte sich die Wirtschaft laut Birol dank der Einsicht in die extreme Verbesserung und Verbilligung grüner Technologie in die ökologisch richtige Richtung entwickelt. In Europa hat freilich auch Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine und die damit verbundene drastische Erhöhung des Öl und Gaspreises wesentlich zur besseren Einsicht und dem von Birol diagnostizierten rasanten Fortschritt bei der Verbreitung der Photovoltaik  beigetragen – der mörderische Krieg könnte tatsächlich ein ungewollter „Segen für den Planeten“ gewesen sein.

Natürlich störte es mich nicht im geringsten, mich in meiner pessimistischen Annahme hinsichtlich der E-Mobilität geirrt zu haben, sondern ich wäre auch darüber denkbar glücklich. Nur bin ich nach sechzig Jahren journalistischer Beobachtung des Weltgeschehens vorsichtig und warte ab, ob sich Birols Annahmen in den nächsten Jahren auch bestätigen. Noch fällt es mir nämlich schwer mir vorzustellen, dass Inder, Südamerikaner oder gar Afrikaner nicht noch lange viel mehr zusätzliche Mengen fossiler Energie brauchen als Amerikaner, Europäer oder Chinesen dank besserer Einsicht einsparen. Aber ich will es mit größerem Optimismus als bisher für möglich halten, zumal wir durch technologische Unterstützung unterentwickelter Volkswirtschaften erheblich dazu beitragen können.

PS: Die neuerliche Zinsanhebung der EZB wird die durch sie ausgelöste Rezession vertiefen. Die Teuerung (Inflation passt als Bezeichnung schlechter), die schon bisher zurückgegangen ist, wird das weiter um so mehr tun, je mehr Photovoltaik und Windkraft russisches Gas ersetzen.

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Nur Staatsausgaben stoppen Rezessionen

Die Teuerung ist auch ohne erhöhte EZB- Zinsen zurückgegangen, aber sie haben der EU eine überflüssige Rezession beschert, die dringend höhere Staatsausgaben erfordert.

Mittlerweile ist klar, dass die Wirtschaft der EU, Österreichs und voran Deutschlands weiter schrumpfen wird. Die Europäische Zentralbank (EZB) geht dennoch, wie die US-Notenbank FED von weiteren Zinsanhebungen aus. Sollte die EZB sie tatsächlich durchführen, wird es die durch sie schon bisher bewirkte Rezession weiter verschärfen.

Es war nämlich immer verfehlt, die wirtschaftliche Situation der EU mit der der USA gleichzusetzen, denn dort können die massiven Lohnerhöhungen unter Trump wie Biden tatsächlich zu echter Inflation – einer sich selbst verstärkenden Abfolge von Lohn- und Preiserhöhungen -beigetragen haben. In der größtenteils „lohnzurückhaltenden“ EU ist das ausgeschlossen. Es gibt in der EU keine echte, sich selbst verstärkende Inflation, sondern nur eine voran durch die Drosselung der Gasförderung seitens der OPEC und Russland bedingte temporäre Teuerung. Die aber flacht sukzessive ab, weil Russland nicht so wenig Gas lieferte, Norwegen mehr davon fördert, der Winter warm war und die EU die Photovoltaik stark ausbaute. Obwohl EZB-Chefin Christin Lagarde selbst erklärte, dass ihre Zinserhöhungen die Inflation frühestens in einem Jahr  dämpfen würden, sanken die Erzeugerpreise in Spanien oder Italien schon seit Monaten und im Juli betrugt das Minus auch in Deutschland sechs Prozent. Damit trifft exakt zu, wovon die Ökonomen Paul Schulmeister oder Heiner Flassbeck immer ausgegangen sind: Es war Unsinn anzunehmen, dass die lockere Geldpolitik der EZB, die durch zehn Jahre fast von Deflation begleitet war, plötzlich Inflation bewirkt hätte. Auch wenn es ökonomisch verfehlt ist, wenn Geld nichts kostet, weil das zu Blasen bei Aktien und Immobilien führt, muss man dieses Problem anders lösen, indem man seinen Ursprung erkennt: EZB-Chef Mario Draghi hat die nach der Finanzkrise lehrbuchmäßige massive Verbilligung des Geldes nur deshalb fortgesetzt, weil Europas Staaten, voran Deutschland, wegen der Maastricht- Kriterien ihre Staatsausgaben gedrosselt und das Wirtschaftswachstum damit gefährlich gebremst haben. Die EU wird die aktuelle Rezession daher nur dann in absehbarer Zeit überwinden, wenn sie die Staatsausgaben deutlich erhöht – nur dann werden die erhöhten EZB -Zinsen nicht jedes Wirtschaftswachstum ersticken. Leider plant Deutschlands Finanzminister Christian Lindner im Gegenteil ein Sparbudget.

Grüner Strom

Als ich im Dezember 2022 schrieb, die Erzeugung grünen Stroms in der Wüste könnte wesentlich zur Lösung des CO2-Problems beitragen, wussten ein Leser und ein Kollege ganz sicher, dass das verfehlt ist, weil die Übertragungsverluste durch tausende Kilometer lange Leitungen viel zu groß wären. Mittlerweile wurden die Arbeiten an einer Leitung von Wüstenstrom aus Australien nach Singapur begonnen und wird in China eine Leitung demnächst fertiggestellt, die Strom über 2000 Kilometer nach Shanghai transportiert. „Hochspannungsgleichstromübertragung“ (HGÜ) ist laut Asea Brown Boveri, das diesbezüglich führendend ist, ein technologisch gelöstes Problem.

Derzeit wissen einige Leser ganz sicher, dass jeder Zweifel an der Überlegenheit der E-Mobilität verfehlt ist und der Falter hat ihrer Kritik zu Recht viel Platz eingeräumt. Ich kann unmöglich auf alle vorgebrachten Argumente eingehen, obwohl ich mich eingehend mit ihnen befasst habe, möchte meine Haltung zur E- Mobilität aber ein letztes Mal präzisieren, um offenkundige Missverständnisse abzubauen: Ich bin nicht gegen E- Autos. Ich habe nie daran gezweifelt, dass E -Motoren einen optimalen Wirkungsgrad besitzen und dass E-Autos dann einen großen Beitrag zur CO2-Minderung leisten, wenn ihre Batterien mit weitgehend „grünem“ Strom“ geladen werden. Meine Zweifel beziehen sich ausschließlich darauf, ob das möglich ist. Denn dieser Strom (und der Strom für immer mehr Wärmepumpen) muss über den laufenden Bedarf hinaus erzeugt werden, und solange wir keinen Wüstenstrom haben, halte ich die Gefahr, dass das mittels Kohlekraftwerken geschieht, für relativ groß. Denn schon jetzt wird der Bedarf bei wetterbedingt verringerter Stromerzeugung durch Sonne, Wind und Wasser selbst in Österreich mittels kalorischer Kraftwerke gedeckt.

Österreich hat dank vieler Wasserkraft die vergleichsweise besten Chancen, seine Photovoltaik so rasch auszubauen, dass sie mit der Zunahme der E-Autos Schritt hält, zumal die sich stark verlangsamt hat. Dennoch bewundere ich jeden, der dessen so sicher wie Leonore Gewessler ist. Viele Länder verfügen aber über viel weniger Wasserkraft als Österreich, daher bin ich in seltener Übereinstimmung mit dem Ex-Chef des deutschen IFO – Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn,  nicht so sicher, dass die CO2- Gesamtbilanz der E- Mobilität eine so perfekte sein wird. Das wieder ist der Grund dafür, dass ich in ebenso seltener Übereinstimmung mit Karl Nehammer für Technik-Offenheit plädiere: Sollte es möglich sein, einen Verbrenner-Motor zu bauen, der nur ein Liter E-Fuel auf 100 Kilometer verbraucht, so böte der E-Motoren Paroli. Noch gibt es diesen Motor nicht und vielleicht wird es ihn auch nie geben- aber ihn zu verbieten wäre mir als leninistische Planwirtschaft erschienen. Im Gegensatz zur herrschenden Meinung zweifle ich auch am Sinn der Fördermilliarden für E-Autos: Mit diesem Geld in der Wüste Spaniens grüne Energie für Europa zu erzeugen, erschiene mir effizienter.

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Sex in Spanien: die gespaltene Nation

Dass ein Kuss zur hochpolitischen Staatsaffäre werden konnte, zählt zu den Spätfolgen der klerikal faschistischen Diktatur Francos.

Dass die amtierende Links-Regierung Pedro Sanchez` beim Sportgericht Klage erhoben hat, um den Fußballverband zur Entlassung seines Präsidenten Luis Rubiales zu drängen, nachdem er anlässlich des Sieges bei der Weltmeisterschaft die Stürmerin Jennifer Hermoso auf den Mund geküsst hat, war auch Teil eines Wahlkampfes: Sollte es zu Neuwahlen kommen, weil es weder Alberto Feijóo von der konservativen Partido Popular noch Sanchez gelingt, eine Regierung zu bilden, so hätten sich dessen Chancen drastisch vermindert, wenn er in der Kuss-Affäre nicht eindeutig Stellung gegen Rubiales genommen hätte. Der Umgang mit Frauen ist in Spanien zu Recht ein Thema, mit dem man Wahlen gewinnen oder verlieren kann, auch wenn die Nation diesbezüglich extrem gespalten ist.

Während 70 Prozent der Spanier, Hermoso und alle Mitspielerinnen Rubiales Rücktritt fordern, will seine Mutter solange die Nahrung verweigern, „bis Hermoso die Wahrheit sagt und zugibt, dass der Kuss eivernehmlich war“. Sie hat sich, um ihrem Protest Glaubwürdigkeit zu verleihen, demonstrativ in einer Kirche ihrer Heimatgemeinde Motril eingeschlossen und erfährt dort durchaus Zuspruch. Die Sorge um den Sohn ist insofern berechtigt, als die Staatsanwaltschaft den Kuss gleich als schweres Verbrechens werte. Freilich ist Rubiales im Ort auch kein unbeschriebenes Blatt: Vor drei Jahren soll er versucht haben, dem Verband eine Sex-Party in Rechnung zu stellen.

Ich kenne Motril so gut, weil es an die Siedlung grenzt, in der ich durch Jahre lebte. Nach der Ortstafel wartet ein erstes Bordell, vor der Ausfahrt ein zweites. Das gilt für fast alle spanischen Ortschaften: Nur Kirchen sind zahlreicher als Bordelle.  Im Sexualleben älterer Spanier spielen Machogehabe und Bordell denn auch eine prägende Rolle: Dem im Bordell gewährten Vergnügen steht idealtypisch eine Ehefrau gegenüber, die bis zur Heirat Jungfrau war. Familienplanung, so könnte man überspitzt formulieren, besteht auch darin, nicht zu oft mit ihr zu schlafen, denn Verhütung ist Sünde. Natürlich ist diese gesamte Darstellung überspitzt –  aber für das von Francisco Franco geprägte Spanien eben doch nicht ganz falsch.

Die tiefen Spuren, die seine katholisch-faschistische Diktatur hinterlassen hat, sieht man erst mit der Zeit. Ich wusste zwar, dass  Francos Regime dem Austrofaschismus unter Engelbert Dollfuss ähnelte, nicht aber, um wie viel enger die Verbindung zur katholischen Kirche war und wie groß auch andere Unterschiede sind: Zwar gab es auch unter Dollfuss einige Lager, in denen Gegner interniert waren – aber in Spanien gab es Dutzende davon. Eine Million Spanier waren eingesperrt, Hunderttausende wurden gefoltert und hingerichtet. Dennoch gibt es nach wie vor reichlich „Franquisten“, auch wenn sie in der rechtsextremen VOX erst jetzt so etwas wie ein politisches Sammelbecken gefunden haben. Bis dahin wählten sie die konservative „Partido Popular“ und fühlten sich dort vor allem in der Ära José Aznars gut aufgehoben. In Andalusien, wo die längste Zeit die Sozialdemokraten regierten, sind sie vergleichsweise seltener anzutreffen, aber die katholische Prägung der Region ist keine geringere: Jeder zweite Mann heißt Jesús oder José (Josef), auch wenn er Pepe gerufen wird. Frauen heißen bevorzugt María oder Dolores (die Schmerzensreiche), auch wenn man Loli zu ihnen sagt. Wenigstens „Novia“ (Braut) zu sein, ist unverändert von überragender gesellschaftlicher Bedeutung.

Allerdings hat diese massive katholische Prägung einen kaum minder massiven Widerstand gegen die Kirche erzeugt, der für mich erstmals sichtbar wurde, als die Regierung im Zuge des Beitritts zur EU die Straffreiheit der Homosexualität beschloss: Ursprünglich war eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung dagegen – aber ab dem Augenblick, in dem die Bischofskonferenz sich öffentlich gegen die Straffreiheit aussprach, verkehrte sich diese Gegnerschaft in kürzester Zeit in deutliche Zustimmung.  Gleichzeitig rebellieren auch jüngere spanische Frauen wie nirgendwo sonst gegen ihr von der Kirche vorgegebenes Rollenbild. Sie sprechen Männer, die ihnen gefallen, ungleich offensiver als hierzulande an: Einen meiner spanischen Freunde- als Kubaner ein besonders begehrtes Sexualobjekt- fragte eine ihm unbekannte Spaziergängerin in Tarifa  vor mir, ob er nicht mit ihr schlafen wollte. Ein anderer wurde in einem Restaurant in Sevilla von einer Runde kichernder Mädchen aufs WC verfolgte und handgreiflich aufgefordert, ihnen seinen Penis zu zeigen. Hochzeiten sind in dieser Generation von „Despediadas“ begleitet: Darbietungen eines männlichen Strippers, bei denen die Freundinnen der Braut, aber oft aber auch sie selbst, gleich erproben, ob er sich auch zum Liebhaber eignet.

„Die sexuelle Emanzipation der Frauen, die in allen westlichen Ländern mit der Erfindung der Pille begonnen hat, hat in Spanien auf Grund der Diktatur Francos  verspätet eingesetzt, ist aber durch einen noch viel größeren, extremen  Nachholbedarf gekennzeichnet. Das wiederum hat dazu geführt, dass sich der klassische spanische Macho, wie ihn die Ära Francos bevorzugt hervorgebracht hat, mehr als anderswo zu sexuellen Übergriffen berechtigt fühlt, indem er sie als einvernehmlich abtut. Spanien ist nach Franco mehr als andere Länder auf der Suche nach einer allgemein gültigen Formel für den problemlosen Umgang der Geschlechter miteinander.

Rubiales präsentierte zu seiner Verteidigung bekanntlich ein Video, in dem die spanischen Fußballerinnen, voran Jennifer Hermoso im Autobus in seiner Gegenwart lachend seinen Kuss  besingen und „Beso! Beso!“ (Kuss! Kuss!) rufen. Die Affäre kann dennoch nur damit enden, dass er abgesetzt wird. Was unter Franco zulässig war, muss unter Sanchez verboten sein.“

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Deutschland als Europas „kranker Mann“

Der britische „Economist“ diagnostiziert ein deutsches „Formtief“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ stimmt zu und ignoriert die eigene Mitschuld.

Im Juli schrieb ich hier die EU kranke an Deutschlands Wirtschaftspolitik – jetzt schreibt der britische „Economist“ Deutschland selbst sei zum „kranken Mann“ Europas geworden. Die Wirtschaft stagniere, die Inflation sei weiter hoch, laut Prognose des Internationalen Währungsfonds sei Deutschland das einzige Land der G-7-Gruppe, dessen Wirtschaft heuer schrumpfe. Sie litte unter hohen Energiepreisen, Fachkräftemangel, mangelnden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in Zukunftstechnologien wie die Digitalisierung, habe sich bei der verkorksten Energiewende mit dem Atomausstieg ein Eigentor geschossen und sehe einer sich rapide verschlechternden Demographie entgegen: Zwei Millionen Arbeitskräfte gehen in den nächsten fünf Jahren in Pension. Bezüglich jener Länder, die wirtschaftlich besonders eng mit Deutschland verflochten sind – voran die Schweiz und Österreich – hegt der Economist (wie ich) wenig Zweifel, dass die rezessive deutsche Entwicklung demnächst auf sie durchschlägt.

Erstaunlicherweise schloss sich die auf Wirtschaft spezialisierte „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) dieser Economist-Diagnose in einem großen Kommentar weitgehend an. In der Schweiz, so führte sie aus, sei man „beunruhigt über Deutschlands Formtief“- schließlich seien die Deutschland-Exporte der Schweizer Tech-Industrie im zweiten Quartal um 5,5 Prozent gesunken. Noch größere Sorge müsse das deutsche Formtief Österreich bereiten. Schließlich machten deutsche Urlauber die mit Abstand größte Gruppe seiner Touristen aus und sei es der größte Zulieferer der deutschen Autoindustrie. Allerdings, so vermerkt die FAZ Deutschlandkritisch, kopple es sich ab: Seit Ende 2017 ist die Industrieproduktion in Deutschland um 11 Prozent zurückgegangen, in Österreich aber um 8 Prozent gestiegen. Dennoch gehen 30 Prozent aller österreichischen Exporte Österreichs nach Deutschland und so lange man sich auch über dieses bessere Wachstum freute, sei es damit mit Vorliegen der Daten fürs 2. Quartal vorbei:„Der deutsche Abstieg sollte ein Weckruf für Österreich sein.“

Schadenfreude wecke das deutsche Formtief auch bei Österreichs Nachbarn nicht, ist die deutsche Autoindustrie doch auch in Ungarn und vor allem Tschechien der größte Arbeitgeber und hat die einstige deutsche Paradeindustrie doch die größten Probleme: Hat sie schon die Hybridtechnik verschlafen, so begriff sie auch erst mit Verspätung, welche Konkurrenz Mercedes, BMW oder Audi in Tesla erwachsen ist. VW, das bisher in China einen Absatzrekord nach dem anderen erzielte, wurde heuer vom chinesischen Autobauer Byd bei Verbrennern wie E- Autos überholt und das bedeutet vor allem für die Zukunft nichts Gutes: China  baut mit Byd oder Nio exzellente preiswerte E-Autos, die den deutschen E-Autos demnächst weltweit massive Konkurrenz machen werden. Die Summe dieser Entwicklungen sei zweifellos geeignet, die Rezession in Deutschland zu vertiefen und das müsse zwangsläufig massiv auf Österreich abfärben.

Zwar ist der so Deutschland kritische Artikel der FAZ  wohl davon beeinflusst, dass Deutschland nicht mehr von einer CDU-Kanzlerin, sondern einem SPD-Kanzler regiert wird, aber es bleibt doch keinem Leser verborgen, dass das „Formtief“ nicht erst mit ihm begonnen hat. Noch mehr erstaunt mich freilich, dass die FAZ so völlig zu ignorieren vermag, worin  frühere Texte des Economist die zentrale Ursache des deutschen und europäischen Formtiefs sehen: In Angela Merkels „Austerity-Politik“, die als Staatsschuldenbremse im deutschen Grundgesetz verankert ist und via Spar -Pakt der gesamten EU verordnet wurde. Zwar erwähnt die FAZ die rechte italienische Zeitung Verità, die diese Sparpolitik einen „deutschen Selbstmord“ nennt- „die ordoliberale (Spar)-Doktrin von Walter Eucken ist Vergangenheit, der Traum vom friedlichen Außenhandel mit aller Welt ist ausgeträumt“- aber sie tut diesen Hinweis als Ausrede für mangelnde italienische Fiskaldisziplin ab, statt sich mit ihm auseinanderzusetzen. In Wirklichkeit trifft genau das zu, was Verità behauptet: Mangelnde Staatsausgaben verhinderten nicht nur, dass sich die Wirtschaft der EU nach der Finanz- und der Corona- Krise  so vollständig wie die  Wirtschaft der USA erholte, sondern sie veranlassten die EZB auch dazu, das zurückbleibende Wirtschaftswachstum mittels billigen Geldes zu befördern. (So sehr EZB-Chef Mario Draghi darin immer einen Notbehelf zum Ausgleich der Austerity- gebremsten Fiskalpolitik gesehen hat – von ihm vergeblich geforderte vermehrte Staatsausgaben wären ihm weit lieber gewesen). Zu Recht vermutet Verità auch, dass die Behauptung, die lockere Geldpolitik der EZB hätte die aktuelle Inflation ausgelöst, jetzt  dazu geführt hat, dass die EZB die Zinsen drastisch erhöht und damit die aktuelle Rezession ausgelöst hat.

Die FAZ hat alle Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik entscheidend befördert: Sie vertrat und vertritt die Staatsschuldenbremse wie kein anderes Medium und sie feiert bis heute die Agenda 2010, die die deutsche „Lohnzurückhaltung“ sicherstellte. Mit nunmehr auch in Deutschland ersichtlichen Folgen: Die damit zurückgehaltene Kaufkraft erschwert es mehr von den deutschen Waren, die sich nicht mehr so leicht im wirtschaftlich schwächelnden  China absetzen lassen, in Deutschland selbst abzusetzen; und die gewachsene Gruppe der Geringverdiener hat die AfD zur zweitstärksten Kraft des Landes gemacht.

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Neue Zweifel am Nutzen der E-Mobilität

Aktuelle Vergleichstests bescheinigen dem E-Auto eine schlechtere CO2- Bilanz als dem Verbrenner, sofern man vom real verfügbaren Ladestrom ausgeht.

Das „Zweite Deutsche Fernsehen“, wie der ORF gesetzlich zu unparteiischer Berichterstattung verpflichtet, überraschte vergangene Woche mit einer Sendung, die die angestrebte Elektromobilität ziemlich unverhohlen als „Mogelpackung“ bezeichnete. Im Wesentlichen kommt sie zu den gleichen Schlüssen wie der Blogger Kai Ruhsert, der sie auf der Wirtschaftsplattform „Makroskop“ schon 2020 einen „Schwindel“ nannte. Sein zentrales Argument, das ich hier 2022 wiedergegeben habe: Zwar stoße ein E-Motor kein CO2 aus, aber seine CO2 -Bilanz sei nur dann besser als die eines Verbrenners, wenn seine Akkus mit „grünem“ (CO2-frei erzeugtem) Strom geladen würden. Das aber sei in der Realität nie der Fall: Der Strom für E-Autos müsse im Gegenteil über den aktuellen Strombedarf hinaus bereitgestellt werden und das geschähe voran mittels Kohlekraftwerken, in Deutschland auch mittels Braunkohle. Gehe man davon aus, so verkehrten sich die Resultate aller Studien, die dem E-Auto CO2-Verminderung bescheinigen, ins Gegenteil: der elektrische Renault Zoe erzeuge dann mehr CO2 als ein Renault Clio-Diesel, die CO2-Bilanz eines Tesla mit seiner starken, aber schweren Batterie sei miserabel.

Als einzige Rechtfertigung für meine Wiedergabe von Ruhserts Argumentation im Falter konnte ich damals auf die Aussage des emeritierten Professors für elektrische Messtechnik der TU Graz, Georg Brasseur verweisen: „Woher sollen wir genug Strom nehmen, um E-Autos sinnvoll zu betreiben? Es ist unverantwortlich von der Politik ein System durchsetzen zu wollen, von dem klar ist, dass es bei Vollausbau nicht funktionieren kann, da mehr Stromverbraucher ans Netz kommen, als grüne Kraftwerke gebaut werden“.

Jetzt kommt die angeführte Sendung des ZDF zum exakt gleichen Schluss wie Ruhsert: Im Vergleich eines Golf Diesel mit dem elektrischen ID4 von VW bescheinigt sie dem Verbrenner die deutlich günstigere CO2 Bilanz. Zumal mittlerweile zumindest für Deutschland klar ist, dass der aktuell zusätzlich gebrauchte Strom tatsächlich voran aus Kohlekraftwerken kommt.

Zum gleichen Resultat kam, wenn man Österreichs realen Strom-Mix zugrunde legt, schon im Mai auch die Zeitschrift Alles Auto beim Vergleich des Hyundai-Benziners „Bayon“ mit Hyundais E-Auto „Kona“: Der Kona produziere pro Kilometer um 149,8 Gramm mehr CO2 als der Bayon. Auch in Österreich braucht man für zusätzliche E-Autos und Wärmepumpen zusätzlichen Strom. Dass der schwerlich in ausreichendem Ausmaß „grün“ erzeugt werden kann, begründet Alles Auto-Autor Stefan Pabeschitz so: Insgesamt legen Österreichs Autos pro Jahr 77 Milliarden Kilometer zurück. Je 100 km braucht ein E- Auto 20 Kilowattstunden, für 77 Milliarden Kilometer also 15,4 Terrawattstunden Strom. Rechnet man die Verluste des Leitungsnetzes und beim Entladen und Speichern hinzu, so ergibt sich ein jährlicher Bedarf von 20 Terrawattstunden (TWh) für Österreichs PKW- Verkehr, wenn er komplett elektrisch ablaufen soll. Aktuell liefern 1.374 Windräder 9 TWh pro Jahr. Es braucht also weitere 3.050 Windräder, um die Akkus der E-Autos „grün“ zu laden. Derzeit werden pro Jahr 60 neue Windräder gebaut- steigert man sich auf 70, so hätte man 2067 genug grünen Strom. (Baute man statt Windrädern Photovoltaik- Anlagen, so brauchte man dafür rund 140 Quadratkilometer.) Auch wenn man vermutlich sowohl Photovoltaik wie Windräder ausbaut, hielte die Herstellung von grünem Strom also mit dem Bedarf nicht Schritt – und nur wenn das der Fall wäre, wäre E-Mobilität ein zweifelsfreier Fortschritt im Kampf gegen den Klimawandel. So hingegen sei zu fürchten, dass undifferenzierte E- Mobilität CO2 eher vermehrt als vermindert.

Kanzler Karl Nehammer hat bekanntlich furchtbare Schläge dafür kassiert, dass er sich im Wettstreit zwischen E-Auto und „Verbrenner“ für „Technikoffenheit“ einsetzte – das sei ein klassisches Beispiel seiner klimapolitischen und wirtschaftlichen Ahnungslosigkeit. Ich hielte seine Ablehnung vermögensbezogener Steuern für das sehr viel bessere Beispiel -Technikoffenheit scheint mir hingegen ein grundsätzliches Erfordernis im Umgang mit dem Klimawandel: So hält etwa der anerkannte Motorentechniker Fritz Indra für möglich, Motoren zu bauen, die nur mehr einen Liter „E-Fuel“ (künstlichen „grünen“ Treibstoff) auf hundert Kilometern verbrennen und damit sauberer als jedes E-Auto fahren. Umgekehrt sind freilich auch bei Batterien gewaltige Fortschritte möglich: Derzeit brauchen sie zu ihrer Herstellung seltene, teure Materialien wie Kobalt und Silizium – in Zukunft kann man sie statt mit Silizium vielleicht viel billiger mit Salzkristellen herstellen und damit einen der größten Nachteile des E-Autos – seine hohen Anschaffungskosten- beseitigen. Ich verstehe nicht genug von Technik, um zu wissen wie der Wettstreit zwischen E-Auto und Verbrenner letztlich ausgeht – es kann durchaus sein, dass E-Mobilität die Vorteile erzielt, die der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer behauptet und die EU sich von ihr erhofft. Aber nur wenn wir technologieoffen agieren, können wir es wissen: Die Autos, mit denen zu fahren wegen der CO2-Steuer unbezahlbar wird, werden vom Markt verschwinden.

Hingegen verstehe ich genug von Wirtschaft, um die massive Förderung schwerer Tesla-Limousinen mit jedenfalls dürftiger CO2 -Bilanz für nicht nur wettbewerbsverzerrend sondern absurd zu halten. „Tempo 100“ bremste den Klimawandel billiger und um Vieles wahrscheinlicher.

 

 

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Industrielle gegen Staatsschuldenbremse

Der wichtigste Industrie-finanzierte arbeitgebernahe deutsche Thinktank kritisiert die Staatsschuldenbremse. Doch das deutsche Budget 2024 sichert fortgesetzte Rezession.

 Noch werden Österreichs schrumpfender Wirtschaft fürs nächstes Jahr bessere Zahlen als der deutschen vorhergesagt. Aber das kann sich umkehren, weil sie im Allgemeinen phasenverzögert der Entwicklung unseres größten Handelspartners folgt und Deutschlands Rezession sich weiter vertiefen dürfte. Denn FDP-Finanzminister Christian Lindner verschärft die Bremsung, die durch die erhöhten Zinsen der EZB eingeleitet wurde, durch ein „Sparbudget“. Politischer Hintergrund sind die schlechten Umfragewerte der FDP, die ihn veranlassen sein Profil – „ich garantiere die Einhaltung der Schuldenbremse“ – zu schärfen. Weil eine Reihe von Ministern nicht sogleich sparen wollte, vergatterte er sie werbewirksam in persönlichen Briefen, das vorgegebene Sparziel einzuhalten: Im Budget 2024 sind für die nächsten Jahre nur Ausgaben von nur 445,7 Milliarden Euro vorgesehen – gegenüber 476,3 Milliarden Euro im Jahr 2023.

Nur das deutsche Militärbudget steigt dank der 100 Sondermilliarden, um die kaputtgesparte Bundeswehr notdürftig zu sanieren- sonstige Investitionen sinken. Am meisten das Sozialbudget: Bei der Gesundheitspolitik wird nach Corona mit einer gewissen Berechtigung gespart, aber Familienministerin Lisa Paus muss die geplante Kindergrundsicherung erheblich reduzieren, obwohl jedes fünfte deutsche Kind (wie jedes fünfte österreichische Kind) armutsgefährdet ist. SPD- Kanzler Olaf Scholz setzt dem keinen Widerstand entgegen, sondern unterstützt Lindner, hat er doch schon als Finanzminister Angela Merkls nicht verstanden, dass Sparen zwar eine private Tugend, aber laut Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson volkswirtschaftlicher Unsinn ist. (Jedenfalls solange der Staat durch seine Ausgaben nicht Bürgern und Unternehmen Geld und Ressourcen streitig macht, was derzeit weit und breit nicht der Fall ist.) Letztlich wird Scholz` Regierung ihr Sparen mit einer denkwürdigen Wahlschlappe bezahlen und denkwürdige Wahltriumpfe der AfD erleben. Denn natürlich ist deren Aufstieg voran wirtschaftlich bedingt: In Zeiten gestiegener Inflation muss sich die „Lohnzurückhaltung“ bei Geringverdienern, zu der die Mehrheit ihrer Wähler zählt, besonders schmerzlich auswirken, und der Rückgang des allgemeinen Wohlstandes durch verminderte Aufträge und verminderte Leistungen des sparenden Staates muss sie abermals am meisten treffen.

Aber der ökonomische Schwachsinn ist selbst in Deutschland nicht allgegenwärtig: Erstmals hat mit Michael Hüther der Direktor des Industrie- finanzierten, arbeitgebernahen „Institut der deutschen Wirtschaft Köln“ (IW) massive Kritik an der Staatsschuldenbremse geübt: „Die traditionalistische Auffassung, wonach staatliche Schulden grundsätzlich die Inflation befördern und immer schlechte Schulden sind, ist ökonomisches Denken der Neunzigerjahre“, kritisiert er. (Denn bis etwa in die Neunzigerjahre verschuldeten sich die Unternehmen in ausreichendem Maße, während sie jetzt Nettosparer sind.) Vielmehr brauche es, so Hüther „eine Investitionsoffensive in Straßen, Brücken, Kommunikations- und Energienetze und in die Klimawende in der Industrie.“ Gleichzeitig widersprach Hüther auch der so unsinnigen wie populären Behauptung von Lindner & Co, dass Staatsschulden zu Lasten der kommenden Generationen gingen: Das Gegenteil stimme, „es liegt im Interesse der nächsten Generation, dass wir ihnen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, eine moderne Infrastruktur und einen lebenswerten Kontinent hinterlassen.“ Wenn Deutschland viel zu wenig Geld in seine Schulen, Verkehrsverbindungen oder die Digitalisierung stecke, wären es die nächsten Generationen, die am meisten darunter litten, während sie von getätigten Investitionen am meisten profitierten.

Alles von A bis Z richtig, nur hätte Hüther es seit Jahren sagen müssen – aber da wurde die Politik der schwäbischen Hausfrau in Deutschland von keinem führenden Wirtschaftsforschungsinstitut in Frage gestellt. Einzig der „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger teilte Paul Samuelsons Meinung, dass Sparen (nicht Sparsamkeit) des Staates volkswirtschaftlicher Unfug ist. Aber erst jetzt, da dieser Unfug, (der im Vergleich mit den USA stets messbar war,) schmerzhaft spürbar wird, wagen Ökonomen ihn entsprechend zu benennen.

In Summe wird sich Lindners Sparbudget in Zeiten erhöhter Zinsen in einem deutlichen Minus des deutschen Wirtschaftsoutputs niederschlagen und das wird Österreich entsprechend spüren. Wie sehr, wird von unserem Budget abhängen. Erfreulicher Weise hat Karl Nehammer erklärt, dass er Sparbudgets in Zeiten nicht ausgestandener Krisen für verfehlt hält – aber Finanzminister Magnus Brunner hat bisher wie Lindner stets die rasche Rückkehr zum Sparen gefordert. Auch Österreichs Industrielle hinken ihren deutschen Kollegen hinterher: Sie halten die „Agenda Austria“ für einen Thinktank, der ihre Interessen optimal vertritt. In Wirklichkeit ist die von der „Agenda Austria“ vehement vertretene Staatsschuldenbremse für die Industrie exakt so hinderlich wie Hüther es beschreibt: Der Staat ist einer ihrer größten Auftraggeber – wenn er ihr, um zu sparen, weniger Aufträge gibt, muss es ihr schaden.

PS: Der „Vater der Atombombe“, Leó Szilárd, ist nicht, wie ich vorige Woche schrieb, an Krebs gestorben. Den vermochte er dank selbst ersonnener Kobaltbestrahlung zu besiegen, doch erlag kurz darauf einem Herzinfarkt.

 

 

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Unser k&k Beitrag zur Atombombe

Fürs Kino war J. Robert Oppenheimer der „Vater der Atombombe“. In Wirklichkeit war es mit Leó Szilárd, ein ungarischer Jude, der sich als Altösterreicher fühlte.

Das wohl aktuellste Kinoereignis des Sommers, der Thriller „Oppenheimer“, beschreibt die Entwicklung der Atombombe an Hand des Physikers J. Robert Oppenheimer, der einer 1888 in die USA ausgewanderten jüdisch-deutschen Familie entstammte und als amerikanischer Staatsbürger mit der Leitung des „Manhattan Project“ betraut war. Dass dieses Projekt, dass Physiker verschiedenster Nation in Los Alamos (New Mexiko) vereinte, überhaupt zustande kam, geht freilich ebenso wie die wissenschaftliche Grundlage der Bombe nicht auf Oppenheimer, sondern auf den ungarischen Juden Leó Szilárd zurück, der sich, mit einer Wienerin verheiratet, zeitlebens als Altösterreicher fühlte. Da der Wiener Physiker Victor Weisskopf, den die Wissenschaftler zum Bürgermeister von Los Alamos gewählt hatten, Szilárds engster Freund war, waren die beiden nach dem Krieg einige Male gemeinsam in Wien, so dass die Chance bestand, sie zu treffen. (Zu begreifen, wen wir nicht mehr zu Bürgern hatten)

Unter Physikern wurde Szilard als „Marsianer“ bezeichnet, weil seine Intelligenz  selbst ihnen außerirdisch erschien. Ursprünglich hatte er Elektrotechnik und Biologie studiert, leistete wesentliche Beiträge zur biologischen Forschung und meldete als Ingenieur unter anderem Patente für das Elektronenmikroskop an. Letztlich aber voran der theoretischen Physik zugewandt, war er der erste, der die Idee hatte, die laut Albert Einstein im Atomkern gebundene Energie praktisch zu nutzen. Er war damit „Vater der Atomkraftwerke“, für die er diverse Patente anmeldete, ehe er zum „Vater der Atombombe“ wurde. Denn es war seine Überzeugung, dass sich mittels Kettenreaktion eine Waffe von nie da gewesener Sprengkraft entwickeln ließe, die das  „Manhattan-project“ politisch ermöglichte: Er war es, der den in der Folge auch von Albert Einstein und andern unterschrieben Brief entwarf, mit dem US-Präsident Franklin D. Roosevelt gedrängt wurde, das Geld für die Entwicklung der Bombe freizugeben, um Hitler-Deutschland zuvor zu kommen. (In Kenntnis seiner deutschen Kollegen war Szilard der falschen Überzeugung, dass auch sie die Bombe entwickeln würden.)

Szilárds Vorstellung vom Einsatz der Bombe war freilich die eines Humanisten: Man sollte sie, wie beim ersten Versuch des Manhattan-Teams, irgendwo in der Wüste zünden, aber die Kriegsgegner einladen, die Folgen der Explosion zu studieren – das würde sie zum Einlenken bewegen. In einer an Roosevelt gerichteten Petition fordert er Vergleichbares vor dem Abwurf der ersten Atombombe auf Japan, aber das Schreiben kam Roosevelt nie zu Gesicht. Wohl aber trug es dazu bei, dass Szilárd in der Ära McCarthy die Berechtigung entzogen wurde, an weiteren kriegswichtigen Projekten mitzuarbeiten, was er letztlich mit Erleichterung quittierte. Ich habe jedenfalls wenige Menschen kennengelernt, die so sehr wie Szilárd auf eine gewaltlose Zukunft hofften und dabei von beinahe naiver Zuversicht waren. Unter anderem schrieb er das Kinderbuch „The Voice Of The Dolphins“, in dem weise Delphine friedliches Regieren lehren.

Während Weisskopf den Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima insofern verteidigte, als sie den Krieg mit Japan sofort beendete, so dass trotz der furchtbaren Folgen der Explosion letztlich viel weniger Menschen starben als bei der langwierigen Fortsetzung des Krieges mit Hitler-Deutschland den Tod gefunden haben, kritisierte ihn Szilárd mit der beschriebenen  Argumentation. Den zweiten Abwurf auf Nagasaki bezeichneten beide Männer als Kriegsverbrechen. Im Übrigen verband humanes Bewusstsein die überwältigende Mehrheit der in Los Alamos Tätigen: Sie waren überzeugt, mit der Bombe einen Beitrag zum Frieden zu leisten, und im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung ist sie das auch: Ohne die Angst vor dem Weltuntergang in einem Atomkrieg hätte es längst den großen, direkten Krieg zwischen den USA und der UdSSR oder zwischen Indien und Pakistan gegeben, und derzeit hält die Angst vor der Bombe den Ukraine-Krieg in Grenzen.

Weisskopf, nach dem Krieg „Head of Physics“ des Massachusetts Institute of Technology (MIT), danach erster Chef des europäischen Kernforschungszentrums CERN und Berater Bruno Kreiskys in Fragen der Atomenergie, erklärte mir übrigens wie Szilárd bereits zu Ende der Fünfzigerjahre überzeugend, dass der Klimawandel durch den industriell verursachten Glashauseffekt die größte Herausforderung der Zukunft sei. Beide waren überzeugt, dass die Atomenergie als Brücken-Technologie einen entscheidenden Beitrag dazu leisten würde, sie zu bewältigen. Obwohl eine Leserin darüber erschüttert war, dergleichen im „Falter“ zu lesen, teile ich diese Ansicht heute mehr denn je: Seit es möglich ist, Atom-Müll durch Elektronenbeschuss weit kostengünstiger und einfacher als bisher endzulagern, sind die Vorteile „grüner“ Atomenergie größer als ihre Risiken. Ganz losgelöst davon, dass Bill Gates Patente für Atom-Kleinkraftwerke angemeldet hat, die diesen Müll unmittelbar für ihren Weiterbetrieb nutzen. Leider kann ich deren Konzeption nicht mehr mit Weisskopf oder Szilárd diskutieren: Szilárd starb 1964 an Krebs, obwohl er seinen Tod durch ein selbst entwickeltes hoch-radioaktives Implantat um Jahre hinauszuzögern vermochte, Weisskopf starb 2002.

PS: Ich will mir nicht vorstellen, was Szilárd und Weisskopf zur jüngsten Entwicklung Israels sagten.

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Die EZB hat die Rezession geschafft

Die raschen, massiven Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank verringern die Teuerung weit weniger als sie die Rezession befördert haben.

Die von mir ob der Zinspolitik der EZB prophezeite Rezession hat nach Deutschland auch Österreich erreicht. Ausgangspunkt des Übels waren die Maastricht-Kriterien, die den Ausgaben des Staates und damit auch seinen Investitionen in die Wirtschaft wachstumsfeindliche Grenzen setzen. Um dieses Manko zu lindern, fuhr die EZB eine Politik billigen Geldes und verstärkte sie in der Finanz- und der Corona-Krise mit Erfolg durch „Quantitative Easing“ (QE): Strafzinsen zwangen Banken, rasch günstige Kredite zu gewähren. „Inflation“ erzeugte QE durch zehn Jahre nie, weil es den von Milton Friedman behaupteten Zusammenhang zwischen ihr und erhöhter Geldmenge in dieser Form nicht gibt. Die Eurozone erholte sich von beiden Krisen solange kräftig, bis der „Maastricht“ verschärfende Spar-Pakt die Erholung kräftig bremste. Als Russland Geld für den geplanten Ukraine-Krieg brauchte und sich 2020 mit der OPEC auf eine massive Drosselung der Ölförderung einigte, kam es jedoch zu der Verteuerung aller Güter mit der wir bis heute kämpfen. Eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds (IWF) weist nach, dass Unternehmen die Preise darüber hinaus zusätzlich erhöhten, um ihre Gewinnmargen zu wahren, oft auch kräftig auszuweiten.

EZB -Chefin Christin Lagarde fuhr die lockere Geldpolitik angesichts ihrer relativen Problemlosigkeit (dass sie die Preise von Gold, Aktien und City-Baugrund hochtrieb war ein tragbarer Nachteil) ursprünglich nur sehr vorsichtig zurück – noch 2021 warnte sie vor „Inflationspanik“. Doch Mitglieder des Direktoriums, voran aus Deutschland, und entsprechender medialer Druck verunsicherten sie derart, dass sie schließlich die Sicht ihrer Kritiker übernahm und sich von der geldpolitischen Taube zum Falken wandelte: sie hob die Zinsen rasch und deutlich an, obwohl rätselhaft ist, warum eine Geldpolitik, die durch zehn Jahre fast mit Deflation verbunden war, Inflation verursacht haben soll.

Doch die Kritik an Lagarde strapaziert mit Erfolg ein unbrauchbares Beispiel: Die US-Notenbank FED, die drei Jahre vor der EZB mit QE begann, fuhr diese Geldpolitik schon 2017 in kleinen Schritten zurück, denen 2020 große folgten. Nur dass man USA und Eurozone nicht vergleichen kann: im Gegensatz zur Eurozone haben die USA die Wirtschaftseinbrüche durch Finanz- und Corona-Krise restlos verdaut, ihre Wirtschaft boomte und vor allem die Löhne waren unter Donald Trump und Joe Biden massiv gestiegen – das mag tatsächlich Mit-Ursache der US- Inflation sein und wird laut Lehrbuch mit erhöhten Zinsen bekämpft, weil sie die Arbeitslosigkeit steigern und damit Lohnforderungen erschweren. In der Eurozone hingegen sind die Löhne dank deutscher „Lohnzurückhaltung“ mehrheitlich zurückgeblieben und konnten daher unmöglich Motor einer Inflation sein. Dass die EZB die Zinsen sowohl unter einer falschen theoretischen Annahme, wie unter Voraussetzungen die sich von denen der USA total unterschieden, kräftig anhob, musste zu Rezession führen.

Unter dem Titel “ Die EZB fährt die Wirtschaft an die Wand“, beschreibt der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck Deutschlands aktuelle Lage so: „Es gibt Indikatoren, die der deutschen Industrie ein ähnlich verheerendes Szenario wie zu Zeiten der Finanzkrise oder des Corona-Schocks vorhersagen. Der Bericht der EZB über die Kreditvergabe der Banken zeigt, wie rasant die Vergabe an Unternehmen sinkt. Doch die Verantwortlichen in Regierung und Zentralbank wollen nicht wahrhaben, wie fundamental sie mit ihren Prognosen daneben lagen.“ In Österreich, das Deutschland zum größten Handelspartner hat, sieht die Industriellenvereinigung die wirtschaftliche Lage nicht anders. Gleichzeitig kritisiert nur Stephan Schulmeister die verfehlte Politik der EZB; wie Deutschlands Finanzminister Christian Lindner will Magnus Brunner nicht von der „Schuldenbremse“ steigen; und hier wie dort träumen Wirtschaftsforscher grundlos von einer Erholung 2024: die USA werden mit erhöhten Zinsen keine Konjunkturlokomotive sein; China kämpft mit den Folgen der Corona-Politik Xi Jinpings; und in der EU wurde der Spar-Pakt nur insofern gelockert, als die Mitglieder ihr Sparziel nicht so schnell erreichen müssen. Nach Mega-Investitionen, wie Joe Biden sie zumindest teilweise durchsetzte, sieht das nicht aus.

Im ihrem neuen Irrglauben, nicht Russland- bedingte „Teuerung“, sondern echte Inflation, wie überhöhte Löhne sie verselbständigen, zu bekämpfen, erklärte Christine Lagarde im März, dass die von den Arbeitnehmern geforderten Lohnerhöhungen den Inflationsdruck erhöhten und sie zwingen könnten, die Zinsen weiter anzuheben – was sie soeben getan hat. Die gleiche Position vertrat der IWF, auch wenn der wusste, dass nur erhöhte Gewinne die EU-Teuerung verstärkten. Unter diesen Vorzeichen stehen die aktuellen Lohnverhandlungen. Unsere Gewerkschaften vermochten durch zwei Jahrzehnte keine adäquaten Löhne durchzusetzen, weil das lohnzurückhaltende Deutschland unser größter Handelspartner ist. Das ist es auch weiterhin, sodass WIFO -Chef Gabriel Felbermayr nicht Unrecht hat, wenn er meint, dass Deutschlands Lohnerhöhungen den unseren Grenzen setzen. Sie fallen dort derzeit im Verhältnis zur Vergangenheit relativ kräftig aus und vermeiden ein allfälliges Risiko Inflationsdruck zu erzeugen mittels zusätzlicher hoher Einmalzahlungen. Bei uns kann das kaum anders sein.

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Herbert Kickls berechtigte Ausgrenzung 

Auch der Fall Kellermayr lehrt: Kickl ist ein Sicherheitsrisiko. Dass er die stärkste Partei anführt, heißt nicht, dass er die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat.

Vielleicht haben Sie „Am Schauplatz“ des ORF die Reportage über den Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr gesehen. Bekanntlich hat Kellermayr öffentlich Kritik an einer Corona- Demonstration geübt, die die Zufahrt zu einem Spital erschwerte; darauf wurde sie von Corona- Leugnern und Impfgegnern mit einer Flut von Beschimpfungen und Morddrohungen eingedeckt, der ihr Nervenkostüm nicht standhielt: Am 27. Juli 2022 beging sie Suizid.

Ihr Fall ist gleich mehrfach aktuell: Anders als Österreichs Polizei gelang es einer deutschen Aktivistin und der Redaktion von Puls4, im Netz Spuren zu entdecken, auf denen sich zwei der gegen Kellermayr ausgestoßenen Morddrohungen zurückverfolgen ließen. Entsprechend erneuerte Ermittlungen eröffnen jetzt die Chance, die Verfasser der Drohungen vor Gericht zu stellen. Das beweist nicht zuletzt den  Nutzen des 2021 beschlossenen Gesetzes gegen „Hass im Netz“, auch wenn  ihm nur dann nachhaltiger Erfolg beschieden ist, wenn die Polizei selbst imstande ist, Spuren im Netz zu verfolgen.

Dennoch scheint mir ein zweiter Aspekt unverändert gewichtiger: Die Szene der Corona-bLeugner und Impfgegner wäre nie so gefährlich angeschwollen, wenn sie in Deutschland nicht durch die AfD und in Österreich durch die FPÖ so massiv gefördert worden wäre. So erklärte FP- Obmann Herbert Kickl bekanntlich, dass das Immunsystem ausreichend vor Corona schütze und FP- Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch behauptete, dass auf Intensivstationen mehr Impfgeschädigte als Corona-Kranke lägen – das war die „wissenschaftliche“ Basis, auf der die FPÖ zu Demonstrationen gegen die „Corona- Diktatur“ aufrief. Herbert Kickl ist nicht erst seit seiner Ablehnung der Teilnahme Österreichs an Sky Shield ein „Sicherheitsrisiko“- auch seine Corona- Politik war lebensgefährlich.

Wenn kein Wunder wie „Ibiza“ passiert, geht Kickls FPÖ 2024 dennoch als eindeutig stärkste Partei aus den Wahlen hervor. Es ist zwar ein gewaltiger Fortschritt, dass VP-Obmann Karl Nehammer  glaubwürdig versprochen hat, nicht mit der FPÖ zu koalieren, solange Kickl sie anführt – aber es gibt keine Garantie, dass Nehammer die ÖVP dauerhaft führt. Kanzler Kickl ist erst verhindert, wenn es  2024 wirklich eine Regierung ohne FPÖ gibt, der neben ÖVP und SPÖ vermutlich auch Grüne oder Neos angehören müssen, um eine Mehrheit zu haben.

Die Reportage „am Schauplatz“ bot Anschauungsunterricht bezüglich ihrer Chancen: Einerseits war es beängstigend zu sehen, wie viele Männer und Frauen etwa im oberösterreichischen Steyr Seite an Seite mit dem Neonazi Gottfried Küssel mit absurden Parolen gegen die „Corona- Diktatur“ demonstrierten – andererseits stimmte es optimistisch, dass die Mehrheit der Steyrer diese Parolen für unsinnig hielt und die ewigen Demonstrationen satt hatte. Das gilt es generell zu sehen: Herbert Kickl hat zwar aus den verschiedensten aktuellen Gründen – von „Corona“ über „Asyl“ bis zur  hohen Inflation – die größte Partei hinter sich  – aber er repräsentiert weder die politische Mehrheit noch gar das Volk.

Leider trägt nur Frankreichs Wahlrecht dieser Problematik Rechnung: Auch Marin le Pens „Rassemblement National“ ist die stärkste Partei Frankreichs, dennoch war sie bei allen bisherigen Wahlen chancenlos. Denn in den 677 Wahlkreisen Frankreichs sind nur die Personen gleich Mandatare, die beim ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen; da das nur ganz selten der Fall ist, braucht es im zweiten Wahlgang fast immer  eine Stichwahl und bei der haben sich Bürgerliche, Linke, Liberale und Grüne, wie bei der Stichwahl Alexander van der Bellens zum Bundespräsidenten, fast durchwegs verbündet und Kandidaten der extremen Rechten verhindert (Frankreichs Wahlrecht hätte 1933 vermutlich auch Hitlers Sieg verhindert denn dessen Gegner waren gemeinsam immer viel zahlreicher als die Wähler der NSDAP). Wir haben (leider) kein vergleichbares Wahlrecht, dennoch kann man dessen zentralen Zweck begreifen: Demokratie muss nicht zuletzt das Ziel haben, die Herrschaft von Extremisten zu verhindern. Es ist nicht undemokratisch, Männer wie Kickl oder Frauen wie le Pen politisch auszugrenzen, sondern es entspricht fast immer dem Willen der Bevölkerungsmehrheit. Ich glaube, dass ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne begreifen sollten, dass es in den verbleibenden 16 Monaten vor allem anderen darum geht: Kickl als Kanzler zu verhindern und die FPÖ nicht noch weiter zu stärken. Dazu müssen die Funktionäre der anderen Parteien einender den nötigsten Respekt erweisen, statt durch unseriöses gegenseitiges Abqualifizieren Wasser auf Kickls Mühlen zu leiten. An einem Beispiel: Natürlich hat die schwarz- grüne Regierung bei der Bekämpfung der Inflation diverse (hier beschriebene) Fehler gemacht – aber immerhin hat sie den krassen Fehler der deutschen Regierung vermieden, die Treibstoffsteuer zu senken und dem Staat damit drei Milliarden Euro Mindereinnahmen zu bescheren ohne dass Benzin sich ernsthaft verbilligt hätte. Nehammer & Co „Totalversagen“ vorzuwerfen, ist schon allein deshalb unseriös, und unverhältnismäßig, weil weder Karl Nehammer noch Werner Kogler die extreme Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas verantworten, die der zentrale Grund unserer besonders hohen Inflation ist. Die Aussage  hilft nur Herbert Kickl.

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Ein Orden für Karl Nehammer

Indem Karl Nehammer sich wie kein anderer festlegte, nicht mit Herbert Kickl zu koalieren, erwarb er nicht nur größte Verdienste um Österreich, sondern auch um die EU.

Für mich war der 12. Juli ein Staatsfeiertag: Was letzten Mittwoch geschah, erspart nicht nur Österreich eine Regierung, die unter einem „Volkskanzler“ Herbert Kickl die Orbanisierung anstrebt, sondern auch der EU, dass dieser Kanzler in ihr mit Erfolg die Interessen Wladimir Putins vertritt. Karl Nehammer verdient dafür in meinen Augen einen Orden: Nichts hat ihn dazu gezwungen, eine Regierungskoalition mit der Kickl -FP auszuschließen – er hat sich damit vielmehr um die Möglichkeit gebracht, in den auf diese Weise unausweichlichen Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ jeden Wunsch durchzusetzen, indem er ihr die Zusammenarbeit mit der FPÖ androht. Das ist  für einen VP-Obmann neu.

Der 12. Juli verlief wie ein Krimi. In der 9 Uhr-ZIB ließ Nehammer bekanntlich nur wissen, dass er Kickl für ein „Sicherheitsrisiko“ hält, weil er sich gegen die Teilnahme an „Sky-Shield“ ausspricht, aber erst in der ZIB2 zog er daraus die Konsequenzen: Auch er schließe aus, mit der Kick-FPÖ zu koalieren. Armin Wolf tat durch 15 Minutenlang absolut alles, um diese Aussage in Stein zu meißeln. Er hielt ihm vor, dass ja auch Johanna Mickl Leitner versprochen hätte, nie mit der Landbauer -FPÖ zu koalieren und es doch getan hat – Nehammer pochte auf dem wesentlichen Unterschied zwischen Bund und Ländern; als er ihm zuletzt vorhielt, dass Kickls Einwände gegen Sky Shield  ja keineswegs das Abwegigste wären, das er geäußert hat, blieb Nehammmer zwar zu Recht dabei,  diese Ablehnung eine nicht hinnehmbare  Gefahr  zu nennen, aber ich glaube, dass er nur einen möglichst  einsichtigen Anlass gesucht hat, sich von Kickl zu distanzieren: Auch ihm graut vor diesem Mann. Die Rede, die er nach seinem Amtsantritt im KZ Mauthausen gehalten  hat, hat mich diesbezüglich immer mit einem gewissen Optimismus erfüllt: Nehammer ist, was immer man sonst gegen ihn einwenden mag, ein anständiger Mensch und nicht einmal ein „Feschist“.

Und natürlich waren Kickls Einwände gegen Sky Shield einmal mehr nur Liebesdienst für Wladimir Putin: Die Teilnahme an der von Deutschland initiierten  Beschaffungsgemeinschaft, die es ermöglichen, Drohen, Raketen oder Marschflugkörper, die auf eines der beteiligten Länder abgefeuert werden, rechtzeitig abzufangen, indem alle beteiligten Beobachtungsstationen einander ihre Daten übermitteln, so dass die Flugbahn des eindringenden Objekts präzise zu erkennen ist und der Abschuss möglich wird, verstößt in keiner Weise gegen die Neutralität: denn  befohlen würde dieser  Abschuss immer durch die Regierung des betroffenen Landes und Österreich geht auch, anderes als bei einem Bündnis, keine Verpflichtung ein, auf den Beschuss eines anderen Mitglieds militärisch zu reagieren – daher ist selbstverständlich auch die neutrale Schweiz Sky Shield beigetreten.

Um Kickl für ein Sicherheitsrisiko zu halten, hätte es freilich nicht erst der Auseinandersetzung um Sky Shield bedurft: Kickl und seine FPÖ sind in jeder Hinsicht die fünfte Kolonne Wladimir Putins, so sehr der dabei ist, Saddam Hussein den Rang als größter Kriegsverbrecher seit Adolf Hitler streitig zu machen. Noch untere H.C. Strache unterzeichnete die FPÖ bekanntlich einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“ und FP-Politiker unterstützten ihn konkret in seinem Angriffskrieg, indem sie nach seinem Einmarsch in die Krim bestätigtem, dass die ihm folgende Volksabstimmung korrekt verlaufen sei.

Seit Kickl Obmann der FPÖ ist, ist er gemeinsam mit Ungarns Viktor Orban der Politiker, der sich am heftigsten gegen die Sanktionen der EU gegen Russland ausspricht. Ich will fair sein und ihm zugestehen, dass auch ich nur die Sperre der Lieferung von Hochtechnologie für eine unverzichtbare Sanktion halte, aber es geht um die Grundhaltung gegenüber einem eindeutigen Aggressor: Wenn Kickl Österreich in Brüssel repräsentierte, hätte er jeder Sanktionen gegen Russland die Zustimmung verweigert.

Nehammers jetzt so eindeutige Festlegung macht es restlos unsinnig, dass sich Andreas Babler  darauf festgelegt hat, nicht mit der ÖVP zu koalieren. Man sollte sich innerhalb der SPÖ doch darüber im Klaren sein, dass die Variante einer rot-grün- pinken Koalition in Wahrheit so gut wie ausgeschlossen ist. Wenn die Babler -SPÖ Stimmen dazu gewinnt, dann in erster Linie von den Grünen und das ist von einer Koalition her ein  Nullsummenspiel.

Ich gebe zu, dass es sehr schwer fällt, sich einen Kompromiss zwischen Bablers Reichensteuer  und der Ablehnung jeder vermögensbezogenen Steuer durch die ÖVP vorzustellen, aber  der Weg zu jedem Kompromiss ist versperrt, wenn man, wie Sven Hergovich von der SP-Niederösterreich droht, sich die Hand abzuhacken, wenn es nicht zu Vermögenssteuern kommt – so kann man in keine Verhandlung gehen. Ich hätte mir zwar erhofft, dass Mikl Leitner die Koalition mit der FPÖ dennoch ablehnt und wartet, bis Hergovich seine Selbstverstümmelungsphantasien revidiert – aber die SPÖ hat es ihr denkbar schwer gemacht, so zu handeln.

Babler sollte es Nehammer nicht so schwer machen. Ich gebe nämlich auch die Hoffnung nicht auf, dass Nehammer ökonomisch lernfähig ist: Wenn Babler keinen Zweifel daran lässt, dass Lohn und Einkommenssteuern vollumfänglich um den Betrag reduziert werden, den die vermögensbezogenen Steuern einbringen, wird es Nehammer schwer fallen, sich dem zu verweigern.

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Immerwährend gentechnikfrei?

Die EU will mit moderner Gentechnik hergestellte Nahrungsmittel nicht mehr diskriminieren. Österreich ist dagegen. Die Folgen können kostspielig sein.

Die EU-Kommission schlägt vor Agrarprodukte, die mit der Genschere CRISPR/Cas9 hergestellt
werden, in Zukunft nicht mehr anders als konventionell hergestellte zu behandeln. Sie begründet das
damit, dass es mit der Genschere ein neues gentechnisches Instrument von nie dagewesener Präzision
gibt, das es ermöglicht, die Gene von Nutzpflanzen so zu verändern, dass sie allen gewünschten
Anforderungen genügen und sich nicht von natürlich gezüchteten unterscheiden. Diese Möglichkeit sei
angesichts des Klimawandels von überragender Bedeutung, um die wachsende Weltbevölkerung zu
ernähren. In Österreich, wo jedes Nahrungsmittel als „gentechnikfrei“ beworben wird, musste das auf massiven Widerstand stoßen. Umwelt-Ministerin Leonore Gewessler sieht keine Möglichkeit, der Kommission zuzustimmen und nennt deren Argumente „vorgeschoben“ – ich halte sie mit Deutschlands Forschungsministerin Bettina Schwarz Watzinger (FDP) für zutreffend.
Normalerweise warnen die Grünen zu Recht eindringlich vor der Veränderung der landwirtschaftlichen Bedingungen durch den Klimawandel: Die Böden werden trockener, die Schädlinge nehmen zu. Dass das negativen Einfluss auf Ernteerträge hat, scheint mir kein gewagter  Fehlschluss. Eine aktuelle Studie im Fachblatt „Nature Food“ kommt zu dem Ergebnis, dass Dürren und veränderte Regenmuster schon in den nächsten 20 Jahren zu Ertragseinbrüchen bei Grundnahrungsmitteln wie Mais oder Reis führen werden. Ich bin seit den Vorhersagen des Club of Rome, was Zeiträume betrifft vorsichtiger, aber dass das grundsätzlich zutrifft, bezweifle ich nicht.
Die Menschen haben aber auch schon vor dem industriebedingten Klimawandel zu Recht versucht,
den Ertrag ihrer Nutzpflanzen zu steigern. Durch Jahrhunderte gelang das nur sehr langsam und mühsam: Man musste nach Pflanzen suchen, die durch zufällige Mutationen, wie sie in der Natur ständig vorkommen, vorteilhafte Eigenschaften, etwa besonders viele Körner in der Ähre eines Getreides aufwiesen, um sie miteinander zu kreuzen. In der Neuzeit ging es um Einiges schneller, indem man durch radioaktive Bestrahlung Mutationen beförderte und dann die Pflanzen zur Kreuzung auswählte, die eine der gesuchten Eigenschaften zeigten. Jetzt erledigt die Genschere dergleichen viel schneller und präziser, indem man das gewünschte Gen einfügt. Man kann Pflanzen sowohl ertragreicher wie widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder höhere Temperaturen machen. Gleichzeitig gibt es keinen logischen Grund, exakt gezielte Eingriffe in die Genetik für gefährlicher zu halten als Mutationen, wie sie in der Natur ständig und durch natürliche Radioaktivität oder aktive radioaktive Bestrahlung gehäuft, stattfinden. Das Horrorszenario der Gentechnik-Gegner – eine ungenießbare gentechnisch veränderte Pflanze, die alle anderen Pflanzen verdrängt, wird schwerlich mit der Genschere entstehen, von der man genau weiß, wo sie ansetzt – viel eher kann eine eine zufällige natürliche Mutationen eine solche Pflanze hervorbringen.
„Es ist längst machbar, Mais, Soja oder Reispflanzen so herzustellen, dass sie weniger Pestizide zu ihrem Schutz brauchen und gleichzeitig ertragreicher und gehaltvoller sind“, urteilt die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten -Scheid vom Gregor-Mendel-Institut der österreichischen Akademie der Wissenschaften exakt wie die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie spricht von einer
regelrechten Revolution der Biologie: „Die Liste der Kulturpflanzen, die dank CRISPR verbesserte
Eigenschaften aufweisen, wird jeden Monat länger.“ Es gibt bereits Reispflanzen, die immun gegen
Schädlinge sind, aber man versucht auch sehr Spezielles: Japanische Forscher arbeiten an Tomaten, die gesundheitsfördernde Antioxydanten produzieren. „CRISPR wird zudem ein demokratisierendesWerkzeug sein“, sagt die Molekularbiologin Jennifer Doudna, die gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier für die Entdeckung der Genschere den Nobelpreis erhielt: "Wir entwickeln Möglichkeiten, CRISPR auch bei Pflanzen einzusetzen, die in kleinen Betrieben oder nur in bestimmten Teilen der Welt angebaut werden. So lassen sich auch lokal Probleme angehen."
All dem stehen in der EU restriktive rechtliche Regelungen entgegen. Nach einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs aus 2018 unterliegen Pflanzen, die mit Hilfe von CRISPR gezüchtet wurden, auch wenn sie keine artfremden Gene enthalten, strengsten Anbau – Auflagen. Die genetische
Veränderung einer Pflanze mittels Röntgenbestrahlung wurde hingegen als unbedenklich eingestuft, obwohl sie weit weniger präzise ist: Radioaktiv genetisch veränderte Nahrungsmittel werden in
Österreich daher seit Jahren problemlos verkauft. „Diese Unterscheidung ist wissenschaftlich nicht
haltbar“, kritisiert Mittelsten -Scheid. „Wir sollten uns nicht mehr fragen, was die Folgen der Nutzung
von CRISPR sein könnten, sondern was passiert, wenn wir dieses Werkzeug nicht nutzen.“
Sollte Gewessler mit ihrem Widerstand EU-weit Erfolg haben, droht Europas Agrarindustrie in
absehbarer Zeit mangelnde Konkurrenzfähigkeit. Sollte sie nur erreichen, dass Österreich weiterhin
darauf bestehen kann, dass gentechnisch hergestellte Nutzpflanzen hierzulande nicht angebaut werden
dürfen und dass Nahrungsmittel, die sie enthalten, gekennzeichnet werden müssen, so werden sie nur
etwas teurer als bisher sein.

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EU und Frankreich leiden an Deutschland

Die Unruhen in Frankreich und der Aufstieg der AfD in Deutschland oder der FPÖ bei uns spielen vor dem selben, von deutscher Politik geschaffenen ökonomischen Hintergrund

 Natürlich haben die brennenden Autos in Frankreich mehrere Gründe. Die Tradition, Konflikte auf der Straße auszutragen, reicht bis zur französischen Revolution zurück; der Abstand zwischen Volk und Elite war schon vor Emanuel Macron ein sehr großer; Frankreichs Geschichte als Kolonialmacht hat ihm immer schon ein Rassen – und Zuwanderungsproblem beschert. Aber der zentrale Grund für die von Randalierern angezündeten Autos ist Frankreichs Jugendarbeitslosigkeit von 18,4 Prozent. Und deren Hintergrund ist, wie überall im Süden der EU, ein deutscher.

Ich weiß nicht, welche Zahlen ich noch anführen muss, um klar zu machen, wie sehr die von Deutschland durchgesetzten Maastricht- Kriterien der EU wirtschaftlich schaden. Nur das durch sie erzwungene Sparen des Staates erklärt den hier schon einmal angeführten Tatbestand: Das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Eurozone war 2009 nach der Finanzkrise nur um 9.615 Dollar geringer als das der USA – doch mit dem Spar-Pakt hat sich dieser Abstand bis 2021auf 27.797 Dollar fast verdreifacht. Mein nur von Ex-Notenbank-Chef Ewald Nowotny für lesenswert befundenes Buch über die fortgesetzte „Zerstörung der EU“ zeigt an Hand von Grafiken zum Wirtschaftswachstum diverser EU -Länder, wie es 2012 mit der Verschärfung der Maastricht-Kriterien durch den Spar-Pakt regelrecht einbrach, und mit der Saldenmechanik gibt es eine schlüssige ökonomische Theorie, die das mathematisch erklärt. Aber von Angela Merkels Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über Olaf Scholz` Finanzminister Christian Lindner (FDP) bis zu unserem Magnus Brunner (ÖVP) gibt es niemanden in diesem Amt, der daraus rationale Schlüsse zieht. Für die EU- Kommission bleibt er beschlossene Politik.

Eine seiner Folgen – die „kaputtgesparte Bundeswehr“- ist immerhin in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen, eine andere, die vernachlässigte deutsche Bahn, wird ihrer Verspätungen wegen zumindest diskutiert. Gefordert wird jetzt sogar der Bau von 400.000 Sozial-Wohnungen pro Jahr, die der sparende deutsche Staat unterließ. Voran in Paris mit seinen unerschwinglichen Wohnungen unterließ er in den Vororten neben dem sozialen Wohnbau auch die notwendigsten Investitionen in Einrichtungen sozialen Ausgleichs: Die dort seit jeher bestehenden Gettos mussten wie Geschwüre wachsen und sich verfestigen. Bei 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in diesen Regionen musste Kriminalität zur vorrangigen Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufstieg werden.

Die zweite Frankreich und der EU von Deutschland aufgebürdete Plage ist seine „Lohnzurückhaltung“. Dass die deutschen Löhne seit 2000 nicht mehr mit der Produktivität wuchsen, während französische Löhne das weiterhin taten, musste dazu führen, dass Frankreich die Marktanteile verlor, die Deutschland gewann. (Nicht anders war es in Italien oder Spanien, wo die Lohnstückkosten noch stärker über den deutschen liegen.) Weniger Marktanteil bedeuten in allen Sektoren der Wirtschaft weniger Verkäufe und damit eine geringere Auslastung der französischen (spanischen, italienischen) Industrie = höhere Arbeitslosigkeit, voran bei Jungen. Der „Süden“ hat die Arbeitslosigkeit, die Deutschland, Österreich, Holland und die Schweiz durch ihre Lohnzurückhaltung vermeiden.

Gäbe es keinen gemeinsamen Euro, so wertete die deutsche, holländische und österreichische Währung dramatisch auf, (so tut es nur der Schweizer Franken) und auf den Märkten herrschte wieder Chancengleichheit – so gab und gibt es ihn und die innereuropäische Ungleichheit wuchs und wächst und wird angesichts der jüngsten EZB-Beschlüsse auch noch durch höher Zinsen für den „Süden“ befördert.

Im „Norden“ bleibt man bei der fatalen Lohnpolitik, weil es ihm relativ zum „Süden“ natürlich gut geht- absolut gesehen geht es wachsenden Teilen seiner Bevölkerung schlecht: Es nutzt ihr wenig, dass das Bruttoinlandsprodukt ständig steigt, wenn ihr Lohnanteil daran immer geringer und nur der Gewinnanteil der Aktionäre immer größer wurde. Eine immer größere Gruppe beklagt sinkende Reallöhne und mit ihnen schon vor der aktuellen Teuerung sinkende Kaufkraft = sinkender Wohlstand. In Wirklichkeit ist diese Wirtschaftspolitik surreal: In der stärksten Volkswirtschaft des Nordens, in Deutschland, ist wie bei uns jedes fünfte Kind armutsgefährdet. Und da wundert man sich, dass immer mehr finanziell Zurückleibende in Regionen, die der sparende Staat meist außerdem vernachlässigt, AfD und FPÖ wählen? Dass EU-kritische Parteien in allen Mitgliedsländern immer stärker werden?

Letzter, kaum wahrgenommener, künftig denkbar kritischer Nachteil der Lohnzurückhaltung ist die immer geringere Zunahme der Produktivität in der EU: Holland verzeichnet das geringste Produktivitätswachstum seit vierzig Jahren, auch in Deutschland und Österreich wächst sie immer langsamer und damit in der gesamten EU so langsam wie nie: Angesichts immer geringerer Lohnerhöhungen in ihren wirtschaftsstärksten Ländern fehlt die Peitsche, die Unternehmen zur Modernisierung = Rationalisierung ihrer Anlagen, etwa durch Digitalisierung, antreibt. So wuchs das reale BIP pro Kopf in Holland im letzten Jahrzehnt nur um 1.477 Dollar, in Österreich um 3.211 und in Deutschland um 6.401, in der EU als Ganzes um 1.523 Dollar – gegenüber den erwähnten 27.797 Dollar in den USA.

Aber Zahlenvergleiche interessieren die Spitzen der EU-Politik nicht wirklich. Sie stehen darüber.

 

 

 

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Die gefährliche Rückkehr zu Spar-Budgets

Christian Lindner und Magnus Brunner sind gegen die von der EU geplante Lockerung der Staatsschuldenbremse und erhöhen das Risiko einer Rezession.

Die US-Notenbank FED erhöht die Zinsen nicht, nachdem die Teuerung von 8 auf 4 Prozent gesunken ist. In der EU sank sie von 10,6 auf 6 Prozent, um wieder auf 7 Prozent zu steigen und die EZB erhöht die Zinsen weiter. Wenn man meint, dass die lockere Geldpolitik an der Teuerung schuld ist, ist das logisch. Ich gehöre mit den Ökonomen Heiner Flassbeck und Paul Schulmeister zur Gruppe derer, die das bezweifeln und die Hauptursache der Teuerung im Ukrainekrieg und nebenher erhöhten Unternehmensgewinnen sehen. Zudem halten wir die Ausgangslage von EU und USA für nicht vergleichbar: Die USA haben Finanzkrise, Pandemie und Ukraine so gut verdaut, dass die Kurve ihres Wirtschaftswachstums so nach oben weist, als hätte es diese Ereignisse nicht gegeben: Die Löhne stiegen massiv, es herrscht Vollbeschäftigung und jetzt verbilligt neuerlich vermehrtes Fracking Gas bis hin zum erfolgreichen Exportschlager. In der EU blieb ein massiver Knick beim Wirtschaftswachturm, blieben die Löhne weiterhin zurück, gibt es immer noch 6 Prozent Arbeitslose und kommt Gas aus den USA weit teurer als aus Russland. Der Haupteffekt der Zinserhöhungen der EZB, so unsere Furcht, könnte darin bestehen, Rezession herbeizuführen: Bei unserem größten Handelspartner, Deutschland, schrumpft die Wirtschaft bereist das dritte Quartal geringfügig; beim zweitgrößten, Italien, das zweite Quartal aber heftig; in Österreich schrumpft sie erstmals.

Inmitten dieses Schrumpfens kämpfen die Finanzminister Österreichs und Deutschlands, Magnus Brunner und Christian Lindner für die möglichst rasche Wiederbelebung einer strengen „Staatsschuldenbremse“. Denn deren Ausgestaltung steht immerhin zur Diskussion. Es ist zwar nicht so, dass die EU-Kommission den Widersinn der Maastricht-Kriterien anerkennt, aber sie hat doch zur Kenntnis genommen, dass selbst der IWF den Austerity-Pakts „mehr schlecht als gut“ nennt und plant eine EU-typische Lösung: Der Pakt wird zwar nicht entsorgt, aber seine Einhaltung wird nicht wie bisher verfolgt sondern soll nur Langfristiges Ziel sein. Sofern Lindner und Brunner sich mit ihrer Opposition nicht durchsetzen, würde die Schuldenbremse damit zwar nicht abgeschafft aber immerhin deutlich gelockert.

Ich möchte kurz festalten, was sie bisher angerichtet hat: Sie hat Militär und Rüstungsindustrie der EU kaputtgespart. Sie lässt Spitäler rundum kränkeln, weil auch Gesundheitsausgaben sich für nicht gleich wahrnehmbares Sparen geeignet haben. Kaum minder gefährlich äußert sich staatliches Sparen im Rückstand bei Digitalisierung und KI. Entscheidend behindert hat sie natürlich das Wirtschaftswachstum: War die Wirtschaftsleistung (das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf) der Eurozone 2009 nach der Finanzkrise um 9.615 Dollar geringer als die der USA, so hat sich dieser Abstand mit dem Spar-Pakt bis 2021auf 27.797 Dollar fast verdreifacht. Und zwar als zwingende Folge mathematischer Zusammenhänge, die der deutsche Ökonomen Wolfgang Stützel aufgezeigt hat: Wirtschaft kann nur wachsen, wenn irgendwer sich verschuldet, um mehr als bisher einzukaufen, so dass mehr als bisher verkauft werden kann. Zwar ist es optimal, wenn die Konsumenten mehr einkaufen – nur steht dem in der EU die „Lohnzurückhaltung“ extrem im Weg. Lange haben auch Unternehmer mehr eingekauft – aber nur, wenn sie mehr Absatz erwarten konnten und das können sie nicht, wenn die Löhne zurückgehalten werden und der Spar-Pakt den Staat beim Einkaufen bremst.

Lindner und Brunner sehen das anders: Nach den hohen Staatsausgaben zur Bewältigung der Pandemie und Abfederung der Inflation müsse der Staat noch mehr sparen, weil auch die Zinsen für seine Schulden gestiegen sind. Dazu ist in Österreich zu sagen: Dass unsere Ausgaben für Pandemie- und Abfederung der Inflation besonders hoch sind, verdanken wir der ÖVP mit der COFAG und Brunner, die beides besonders kostspielig bekämpften, indem sie einer VP-Klientel Geschenke machten. „Sparsamkeit“ des Staates wäre diesbezüglich zweifelsfrei besser gewesen – nur ist die etwas völlig anderes als „Sparen des Staates“. Zweitens: selbst wenn man eine niedrige Staatsschuldenquote (Schulden pro BIP) für erfolgversprechend hält, obwohl Bulgarien mit traumhaften 22 Prozent und Japan mit katastrophalen 258 Prozent nicht gerade für diese These sprechen, muss einem das eigene Bruttoinlandsprodukt doch die wichtigere Größe sein. Und dieses Bruttoinlandsprodukt wächst, siehe Stützle und die USA, eben nicht durch Sparen, sondern durch Ausgeben des Staates.

Vielleicht hilft es Lindner und Brunner, ihre Schuldenphobie abzulegen, indem sie Meldungen des Jahres 2007 zur dramatischen Verschuldung der Stadt Frankfurt nachlesen. Sie wurden nämlich gefolgt von einer Meldung über das Eigentum der Stadt Frankfurt an Immobilen, aus der hervorging, dass alleine sie ein Vielfaches der Schulden wert sind. Man kann Schulden nämlich nicht nur im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung betrachten, sondern muss sie auch im Verhältnis zu dem sehen, was im Laufe der Jahre durch sie an Werten geschaffen wurde – sei es an Immobilien, sei es an funktionierenden Einrichtungen für Bildung, Energieversorgung, Gesundheitsversorgung oder Gewährleistung des Rechtstaates. Denn sie alle sind ein eminenter Vorteil beim Erzielen eines hohen BIP. Genau so wertvoll wie kampfkräftige statt kaputtgesparter Heere, die unseren Wohlstand vor Männern wie Wladimir Putin schützen.

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Was macht den Kommunismus salonfähig?

Die historische Belastung des realen Kommunismus mit Blut und Elend wiegt erstaunlich wenig. Traditionelle linke Politik angeblicher Kommunisten beeindruckt zu Recht.

Es gibt eine kurze Antwort auf die im Titel gestellte Frage: Die Schere zwischen hyperreich und relativ arm war lange nicht so groß, und Ahnungslose meinen, dass das im Kommunismus anders war. Gemäß einer Gallup Umfrage können sich daher 24 Prozent der Österreicher vorstellen die Kommunistische Partei (KPÖ) zu wählen. Am ehesten mit 29 Prozent Sympathisanten der SPÖ, aber mit 27 Prozent auch Grün-Affine. Am meisten verblüfft, dass sich selbst 25 Prozent Neos-Affiner vorstellen können, kommunistisch zu wählen, während es unter ÖVP-Affinen nur 13 Prozent sind. Weniger verblüffend: Dass die Bereitschaft bei unter 30-Jährigen mit 33 Prozent am höchsten ist – dies entspricht der Qualität unseres Geschichtsunterrichts – und dass sie bei Freiheitlichen mit 16 Prozent ähnlich niedrig wie bei VP-Affinen ist; Neo-Faschismus liegt ihnen vermutlich näher als Neo-Kommunismus.

Am Rande erklären diese Zahlen, warum eine „linke“ SPÖ unter Andreas Babler laut Umfragen mehr Stimmen als eine „rechte“ unter Hans Peter Doskozil erhielte: Sie nähme Grünen und Neos am ehesten Stimmen weg. Dadurch wird aber die von Babler erhoffte rot-grün-pinke Koalition um nichts wahrscheinlicher.

Obwohl das der realpolitisch bedeutsamste Schluss ist, den man aus der überraschenden Kommunismus-Akzeptanz der Österreicher ziehen muss, beeindruckt mich einmal mehr, wie wenig die historische Belastung einer Weltanschauung wiegt. Immerhin sind in der kommunistischen Sowjetunion allein aufgrund der „Zwangskollektivierung“ (Enteignung der Bauern zugunsten staatlicher Agrar-Kombinate) schätzungsweise  sieben Millionen Menschen verhungert und wurden bis zu Stalins Tod im Jahr 1953 mindestens 18 Millionen Menschen als angebliche „Konterrevolutionäre“ verhaftet, von denen 2,5 Millionen im „Archipel Gulag“ starben und weiter 700.000 hingerichtet wurden. Gleichzeitig entstand die ungerechteste Gesellschaft, die man sich vorstellen kann: Parteifunktionäre besaßen zwar nichts, verfügten aber über absolut alles – prachtvollen Datschen bis zur eigenen Autobahn. Gleichzeitig war die Bevölkerung nicht nur relativ, sondern absolut arm. Kommunismus war und ist in jedem Land, in dem er herrschte – von Kuba über Kambodscha bis China -, mit Elend und Folter verbunden: Auch geflohene Kubaner haben Folternarben; dass es der Masse der Chinesen trotz Folter ökonomisch immer besser geht, liegt daran, dass ihre Wirtschaft immer weniger mit Kommunismus zu tun hat. Auch die Forderung der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) oder des Salzburger KPÖ-Shootingstars Kay-Michael Dankl haben nichts mitKommunismus zu tun.

Die historische Belastung des realen Kommunismus mit

Blut und Elend wiegt erstaunlich wenig. Traditionelle

linke Politik angeblicher Kommunisten beeindruckt zu recht

Beide fordern nur glaubwürdiger als andere normle linke Politik ein, die natürlich sinnvolle staatliche Eingriffe umfasst. Dass sie sich Kommunisten nennen, ist ihr privates Steckenpferd, auch wenn es zweifellos am meisten zur öffentlichen Akzeptanz der KPÖ beträgt

Der historische Kommunismus ist etwas anderes und lässt sich nicht vom Marxismus trennen, zu dem sich der neue SPÖ Chef Andreas Babler aus Privatvergnügen – sicher nicht aus Kenntnis – bekennt. Bablers Unterstützer wandten ein, dass selbst Karl Popper, Auto von „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, einst Kommunist war – aber im Jahr 1922 mit 20 Jahren, nicht wie Babler 2023 mit 50 Jahren.

1922 wusste man noch nicht vom Elend und den Verbrechen, die der Kommunismus hervorgebracht hatte. Der Journalist Arthur Köstler hatte Folter und Schauprozesse in Russland noch nicht beschrieben. Marxismus war 1922, als Karl Popper sich ihm hingab noch nicht blutbefleckt, sondern eine faszinierende ökonomische Theorie, die die überragende Bedeutung von Eigentum und Profit erstmals in den Mittelpunkt stellte. Für Popper Generation galt das Bonmot: Wer mit 20 kein Marxist war, war nicht anständig – wer es mit 50 noch immer ist, ist nicht intelligent.

Aus seiner Kenntnis des Marxismus heraus hat Popper dessen kardinale Schwächen aufgezeigt: Marx, der viele große Risiken des Kapitalismus richtig sah, vermeinte fälschlich, aus ihnen ein „ehernes Gesetz“ ableiten zu können, wonach sie zwingend zum Zusammenbruch des Kapitalismus führen müssen, der wiederum mit dem Sieg des Sozialismus enden muss. Wenn dem so ist, bräuchte es keine Gewerkschaften, um den Kapitalismus zu zähmen. Marx lehnte Gewerkschaften ab und warf ihnen vor, durch „Scheinerfolge“ den Zusammenbruch des Kapitalismus und den Sieg des Sozialismus hinauszuzögern. Folgerichtig gab es in kommunistischen Staaten keine Gewerkschaften, die den Kapitalismus in allen anderen Staaten in gewisse Schranken wiesen (die Gewerkschaft Solidarność entstand in Polen 1980gegen den Willen des damaligen KP-Regimes). Gleichzeitig war die Überzeugung, dass der Sozialismus siegen müsse, eine willkommene Rechtfertigung, dafür, diesem Zweifel durch Folter nachzuhelfen.

Die zweite Schwäche der Marx´schen Theorie bestand darin, dass sie zwar lehrte, der siegreiche Sozialismus bestehe in der „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“, nicht aber, worin „Vergesellschaftung“ bestehe, denn das bescherte der Kommunistischen Partei die maximale Macht. Allerdings lehrte Otto Bauer diese Auslegung. Durch „Verstaatlichung“, so spottete er, hätten statt versierter Kaufleute ahnungslose Beamte das Sagen in Unternehmen. Es ist sicher nicht Kenntnis“, die SPÖ und Babler „Verstaatlichung“ dennoch für „sozialistisch“ halten lässt.

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