Die unterbewertete Regierung

Jede Leistung der Regierung verblasst neben der „überdurchschnittlichen Inflation“, für die sie nichts kann. Dergleichen hat Tradition und liegt am Versagen der Medien.

 Die schwarzgrüne Regierung bleibt im Umfragetief. Der falsche Vorwurf, sie verantwortete Österreichs weit überdurchschnittliche Inflation erschlägt, was immer sie leistet.

Die Fehlbewertung insbesondere ökonomischer Vorgänge hat Tradition. Die erste, die ich erlebt habe, galt der ÖVP-Alleinregierung Josef Klaus: Finanzminister Stephan Koren versetzte ihr den Todesstoß, indem er eine europaweite Konjunkturdelle lehrbuchmäßig mittels Defizit-Spending überwand und das Budget danach mit Luxussteuern und der Neuwagenabgabe gleich wiedersanierte.[1]  Damit bescherte er der Regierung Klaus die Erdrutschniederlage von 1970. Denn die Opposition unter Bruno Kreisky geißelte wortgewaltig eine „Teuerungslawine“ und kein Wirtschaftsjournalist kam der ÖVP zur Hilfe, indem er auf die Lehre von John Maynard Keynes verwiesen hätte, obwohl Klaus auf der Basis eines von allen Zeitungen vertretenen Volksbegehrens einen unabhängigen, qualifizierten ORF verwirklicht hatte.

Vergleichbar ungerecht wurde der Ruf der rotschwarzen Regierung Werner Faymann- Michael Spindelegger ruiniert. Obwohl sie die Finanzkrise mit besonders wenig Wachstumsverlust und geringer Mehrverschuldung bewältig hatte, behauptete der Chef der Bundeswirtschaftskammer Christoph Leitl, der Wirtschaftsstandort Österreich sei „abgesandelt“. Dabei belegten alle Wirtschaftsdaten das Gegenteil: Österreichs Industrieproduktion war stärker als die deutsche gewachsen, der Abstand zum höheren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf Hollands war geschrumpft, die OECD hatte Österreichs Politik offiziell gelobt. Aber der ÖVP Mann in Leitl war nicht nur bereit, die Leistung seiner Kammer zu diffamieren, sondern auch Österreichs Ruf zu beschädigen, um dem Regierungspartner SPÖ eins auszuwischen. Nachdem Christian Kern Faymann abgelöst hatte und nachdem Wolfgang Mitterlehner, der Spindelegger gefolgt war, entnervt das Handtuch geworfen hatte, mündete die rot-schwarze Koalition bekanntlich in den ersten Wahlsieg Sebastian Kurz`. Leitl war Kurz` in Wahrheit wichtigster Wahlhelfer.

Mindestens so sehr aber waren es die Medien, voran der ORF. Denn deren Aufgabe wäre es gewesen, auf den diametralen Widerspruch zwischen den Behauptungen Leitls und den Wirtschaftsdaten hinzuweisen. Doch die „Zeit im Bild“ befasste sich zwar ausgiebig mit Leitls „Abgesandelt“-Sager, nie aber mit der der Frage, ob er zutrifft und wollte zuletzt täglich wissen, wie lang die Regierung Kern-Mitterlehner noch hält.

Wieso das so war, verstehe Ich nicht, denn ich halte die Nachrichtenredaktion des ORF nicht für parteiisch – am ehesten sehe ich ökonomisch versierte Mitarbeiter dort unterrepräsentiert oder zu wenig engagiert. Denn auch in der aktuellen Debatte über das „Totalversagen“ (Herbert Kickl, SPÖ, ÖGB)) der schwarzgrünen Regierung im Kampf gegen Österreichs „überdurchschnittliche Inflation“ wurde vom ORF nie kritisch berichtet. Dabei erlauben die Daten der OECD denkbar einfach, eine Rangliste der Abhängigkeit der EU- Staaten von russischem Gas zu erstellen und sie mit einer Rangliste ihrer Inflation zu vergleichen: Alle sechs Staaten die  unterdurchschnittlich (unter 39Prozent) von russischem Gas abhängen, (etwa Spanien mit nur 8 Prozent) haben bis heute eine unterdurchschnittliche Inflation –  alle 21 Staaten, die überdurchschnittlich von russischem Gas abhängen, haben eine überdurchschnittliche. Ex-kommunistische Staaten von Tschechien bis Lettland, die zu 100 Prozent von russischem Gas abhängen, haben die höchste, Österreich, das dank vergangener Regierungen zu 80 Prozent mit dem Doppelten des Durchschnitts von russischem Gas abhängt, hat zwangsläufig eine „weit überdurchschnittliche.“

Wie gut oder schlecht die jeweilige Regierung die Inflation bekämpft, ist gemessen an ihrer Abhängigkeit von russischem Gas sekundär.

Dass die Opposition dennoch die Chance wahrgenommen hat, der Regierung „totales Versagen“ vorzuwerfen, hat mich bei der FPÖ nicht gewundert, bei SPÖ und ÖGB eher schon, denn im Momentum-Institut hat man qualifizierte Ökonomen zur Verfügung. Nicht gewundert hat mich, dass die ÖVP sich nie mit den angeführten Statistiken verteidigt hat, denn ein ökonomisch ahnungsloserer Politiker als ihr Sprecher Christian Stocker ist mir selten begegnet.

Dabei steht die schwarz-grüne Regierung weit besser da, sobald man aufhört, Ihr zu Unrecht die überdurchschnittliche Inflation anzulasten: Sie hat die kalte Progression abgeschafft und – viel wichtiger – Beihilfen an die Inflation gebunden, wie das für die meisten Leistungen zum Prinzip werden sollte. Das Erneuerbare Wärme Gesetz ist dank stark erhöhter Förderungen zumindest nicht schlecht, wenn auch unvollständig, und das Informationsfreiheitsgesetz ist ein großer Fortschritt, auch wenn kleine Gemeinden nur auf Anfrage Auskunft geben müssen. Zugleich gibt es mit Karoline Edtstadler, Leonore Gewessler, Alexander Schallenberg oder Martin Kocher fünf jedenfalls vergleichsweise kompetente Minister und mit Alma Zadic und Johannes Rauch zwei, die sich zudem durch außergewöhnliche Tatkraft auszeichnen: Sie hat das System Pilnacek souverän überwunden, er die Ärztekammer in die Schranken gewiesen.

 [1]  Eine so rasche Steuererhöhung etwa nach der Finanzkrise wäre tatsächlich problematisch gewesen, weil sie unmittelbar in  Covid- und  Ukrainekrise überging- damals  war sie ebenso lehrbuchmäßig, denn sie erfolgte in einer Phase guter Konjunktur.

2 Kommentare

  1. S.g. Herr Lingens,

    so sehr ich Ihre politische Grundkontante schätze, aber eine Inflation die seit Monaten doppelt so hoch ist wie der EU-Schnitt und das bei einer vormals guten BIP-Performance und die meines Wissens zweitschlechteste der westeuropäischen EU-Staaten darf getrost über weite Strecken auf mangelndes Krisenmanagement der Inflationswelle durch die Regierungsmannschaft erklärt werden. Die russischen Gaslieferungen wurden von der EU nie sanktioniert und wer hat den Knebelungsvertrag mit Gazprom als Erfolg bejubelt obwohl damals schon Kritik daran geübt wurde. Eine anhaltende Verdreifachung des Gaspreises für den Konsumenten kann also mit den Kriegssanktionen nicht erklärt werden. Eine 4-5malige Mietpreissteigerung innert eines knappen Jahres ist defacto Raubbau an einer Lebensgrundlage der Bevölkerung. Die regierungsseitig vielbeschworenen Einmalzahlungen sind defacto ecxtrem teure und längerfristig wirkungslose Keinmalzahlungen, wenn doch die Inflation speziell im Energie (Strom und Gas), Treibstoff und Mietkosten anhaltend hoch bleibt und somit die Mehrkosten bleiben aber die Einmalzahlung längst verbraucht wurde. Ich verschone Sie mit Details aber wenn Sie der Meinung sind die inflation ist fremdgesteuert, wieso haben dann nahezu alle westeuropäischen Länder es geschafft die Inflation einzudämmen und Ö ist auf der halben Strecke liegengeblieben. babler hat schon recht, die Regierung hat über weite Strecken die Inflation “durchrauschen lassen” und Marketingsschmäh mit Einwegzahlungen betrieben. Betriebe sperren zu weil nicht preisdämpfend in den Energiemarkt eingegriffen wurde. Die gepriesene 5%-Preisbremse wird defacto nicht schlagend weil sie aktuell viel zu hoch anesetzt ist, das ist Augenauswischerei. Angenehmen Aufenthalt in Spanien.

  2. Die Minister Zadic und Rauch seien außer Streit gestellt, Gewessler kennen wir als vom größeren Koalitionspartner ausgebremste Politikerin, die eine Reihe von Projekten vorgestellt hat, aber an deren Umsetzung bislang an der ÖVP gescheitert ist und den Ausstieg aus dem Russland-Deal nicht zu schaffenb scheint, obwohl andere Staaten es bereits vorgemacht haben. Auch Zadics Plan einer Bundesstaatsanwaltschaft wird in dieser Koalition scheitern und das Gesetz, das das Amtsgeheimnis endgültig beenden sollte, wurde unter Edtstadler zur Minimalvariante abgespeckt. Dass Schallenberg kompetent sein soll, halte ich für ein Märchen – man braucht sich nur die Quoten der ADA-Hilfen am Budget und alles, was da noch immer als ‘Entwicklungshilfe’ mit hineingerechnet werden darf (jeder Euro, den Studierende hier in Österreich an Unterstützung erhalten!) ansehen. Und ob es gescheit war, die israelische Flagge neben der österreichischen auf dem Bundeskanzleramt zu hissen, ziehe ich auch in Zweifel, weil viele darin auch eine Solidarität mit der Bomben- und Zerstörungspolitik der rechts-rechten israelischen Regierung unter Premierminister Netanjahu erkannt haben wollen.
    Über die Kompetenz einzelner Mitglieder der Regierung Klaus kann man unterschiedlicher Auffassung sein, ich habe sie als Sechzehn- bis 20-Jähriger am Gymnasium und beim Bundesheer miterlebt: der damalige Unterrichtsminister Piffl-Percevic hatte den Spitznamen “Piffl-Palawatsch” und beim Bundesheer wurden wir noch dazu gezwungen alte Nazi-Landser-Lieder zu singen!
    Zu Herrn Leitl fällt mir auch einiges ein – vor allem das sture Festhalten an der “Koalitionsvereinbarung” der Forderung des FPÖ-Regierungspartners nach abgetrennten Raucherräumen in den Lokalen: das hat vielleicht den Gewerbebetrieben genutzt, die überall in den Lokalen Wände hochziehen durften, aber der Gastronomie geschadet, die diese Trennwände nach dem Ende der FPÖ-Regierungsbeteiligung wieder für viel Geld rausreissen lassen mussten. Für mich ist damit ziemlich klar, wo die Bremser, Verhinderer und Untätigen sitzen. Und um ein Zitat eines VP-Politikers zu verwenden: “Es reicht!” Nicht nur mir, sondern hoffentlich den meisten Österreicherinnen und Österreichern. Es wird nämlich allmählich Zeit, dass in Österreich wieder gewählt werden darf! Dann wird sich hoffentlich zeigen, wie intelliget oder unintelligent die Menschen in unserem Land sind – ob Blau-Schwarz (türkis) oder Rot-Schwarz (türkis) -Grün möglich wird.

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