Der doppelte Schäuble

Mit Wolfgang Schäuble verliert Deutschland einen Politiker der sich durch eine Reihe wichtiger Tugenden ausgezeichnet hat: Anstand, Handschlagqualität, Loyalität, Patriotismus und ein dennoch klares Bekenntnis zu einem vereinten Europa.

Leider schlägt sich die Tätigkeit in seiner mit Abstand wichtigsten Funktion als Finanzminister Angela Merkls und damit als Taktgeber der Fiskalpolitik der EU messbar in folgenden Zahlen nieder: Der Abstand zwischen dem realen Bruttoinlandsprodukt der EU, zu dem der USA, der 2008 nach der Finanzkrise 15 Prozent betragen hat, beträgt heute 31 Prozent und der noch aussagekräftigere Unterschied im realen  BIP pro Kopf hat sich von 9.000 auf 27.000 Dollar verdreifacht. Alle Krisen, von der Finanz- über zur Corona- Krise bis zur Ukraine-Krise wurden (werden) von der EU ungleich langsamer und ungleich unvollständiger als von den USA bewältigt.  Doch nichts konnte Schäuble eines Besseren belehren. Schon gar nicht eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds IWF, die zu dem Schluss kam, dass die Staatsschuldenbremse den beteiligten Staaten mehr geschadet als genutzt hat.

(Sie belehrte bekanntlich auch Sebastian Kurz  und seine Finanzminister oder Österreichs Öffentlichkeit nicht- auch hier wurde ein schwachsinniges Null-Defizit als Jahrhundertereignis gefeiert und wäre die Schuldenbremse beinahe in der Verfassung verankert worden)

Das Tragischste ist freilich, dass sich Deutschlands aktueller Finanzminister Christian Lindner voll zur Politik Wolfgang Schäubles bekennt, obwohl sie im Moment auch den Deutschen selbst auf den Kopf fällt, während sie ihn in der Vergangenheit  aus des Schlinge ziehen konnten, indem sie anderen Staaten durch Lohnzurückhaltung Marktanteile weggenommen haben, Derzeit bezahlen sie die Lohnzurückhaltung mit dem Wachstum der AfD und die Schuldenbremse mit einer kaputtgesparten Bundeswehr, einer nicht elektrifizierten Eisenbahn, vernachlässigten Schulen und Universitäten und desolaten Verkehrswegen. Aber Ökonomisch Umdenken ist für Deutsche offenbar unmöglich – sie sind fehlerfrei.

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Eine VP-interne Vision von Kanzler Kickl

Die ÖVP könnte Nehammer nach Brüssel wegloben und jemanden an ihre Spitze hieven, der Blau-Türkis für stimmiger als Rot-schwarz- grün/pink hält. Die SPÖ befördert das.

Bisher habe ich die Horrorvision, dass Herbert Kickl 2024 “Volkskanzler” wird, damit zur Seite geschoben, dass mir ausgeschlossen schien, dass Karl Nehammer ihn dazu macht, hat er doch denkbar eindringlich erklärt, dass das für ihn nicht in Frage kommt. Denn obwohl er sich schützend vor Wolfgang Sobotka stellt, halte ich ihn für einen anständigen Menschen: Was soll er tun, wenn der nicht geht? Dass es ihm  nicht und nicht gelingt, die ÖVP wenigstens ein Stück aus ihrem Umfragetief herauszuführen, lässt mich allerdings, je länger es andauert, eine Entwicklung für möglich halten, die mir ein intimer Kenner der ÖVP  so beschrieb: Nehammer wird die Wahlschlappe, der die ÖVP entgegengeht, nicht verantworten wollen; mit Österreichs Anspruch auf einen Kommissar in Brüssel böte sich ihm eine Alternative; massive Kräfte (auch Landeshauptleute)innerhalb der ÖVP planten daher, ihn dorthin weg zu loben und jemanden an die Spitze der Partei zu hieven, für den es ein Aufstieg und  kein Problem wäre, Vizekanzler(in) einer blau-türkisen Regierung zu sein. Zwar müssten die schwarzen Landeshauptleute damit einen Kanzler Herbert Kickl akzeptieren, aber da alles dafür spreche, dass sie andernfalls einen Kanzler Andreas Babler akzeptieren müssten, sei ihnen Ersterer lieber. Denn leider sei die innere Übereistimmung mit der FPÖ, die man unter Sebastian Kurz erlebt hat, viel größer als mit der SPÖ. Zudem kann die ÖVP in der möglichen Zweierkoalition mit der FPÖ weit mehr Ministerien für sich fordern als in einer Dreierkoalition mit SPÖ und Grünen oder Neos. Viele Funktionäre hielten das blau-türkise Bündnis daher leider für stimmig und erfolgversprechender. Ich habe eingewendet, dass Tirols Anton Mattle oder Vorarlbergs Markus Wallner das schwerlich so sehen und dass die FPÖ zwar grundsätzlich national, wirtschaftlich aber eher sozialistisch ticke, aber mein Gesprächspartner sah in Mattle und Wallner “leider Leichtgewichte” und wirtschaftlich, so sei man in der ÖVP überzeugt, würde sie das Sagen haben.

Nicht, dass ich den blau-türkisen “Volkskanzler” damit für wahrscheinlich hielte – aber für ganz unwahrscheinlich halte ich ihn nicht mehr.

Hans Rauscher hat im DerStandard ausgeführt, wie wichtig es ist, dass eine konservative Partei entscheidende Werte mit der Linken teilt und ich möchte das unterstreichen. Ich sehe eine Katstrophe darin, dass der ÖVP ihr christlich-soziales Fundament abhanden kommt. Am eindrücklichsten illustriert das die Haltung schwarzer Granden zu Sebastian Kurz: sie wollten sich von ihm nicht einmal distanzieren, als offenbar wurde, dass er alles unternommen hat, um zu verhindern, dass Reinhold Mitterlehner mit Christian Kern 1,5 Milliarden für die schulische Förderung von Kindern beschließt, obwohl das viel übler als selbst die Korruption ist, deren er verdächtigt wird.

Wenn ich mich frage, wie die jedenfalls gegebene Gefahr eines blau-türkisen Volkskanzlers im verbleibenden Jahr ausgeschlossen werden kann, fällt mir leider nicht viel ein: Die FPÖ wird ihr Umfragehoch in einen Wahlsieg verwandeln. Nehammer hat nur mehr wenige Möglichkeiten zu punkten: Schwarz-Grün wird irgendwann doch das Transparenzgesetz beschießen, das nur umstritten ist, weil es Bürgermeistern die Möglichkeit korrupter Baubewilligungen erschwert. Er hat ferner die vom Verfassungsgerichtshof eröffnete Möglichkeit, ein ORF- Gesetz zu beschließen, das den Einfluss der Parteien so einschränkt, dass Kickl nicht mehr behaupten kann, die Berichterstattung über die FPÖ sei parteiisch. Leider meint ein anderer diesbezüglicher Insider, die ÖVP wolle einen VP-nahen ORF und würde alles tun, ihn dazu zu machen, ehe ein neues ORF-Gesetz das verhindert. Schließlich könnte Nehammer mit dem größten Applaus das Gesetz beschließen, das eine parteiunabhängige Spitze der Staatsanwaltschaft sicherstellt. Aber daran zweifelt mein zweiter Gesprächspartner noch mehr: Derzeit wolle die ÖVP die WKSTA diffamieren und danach einen alleinigen Bundesanwalt installieren, der ihr nahesteht.

Theoretisch könnten die Grünen die ÖVP bei allen diesen Gesetzen zu Eile und Sauberkeit drängen, indem sie erklären, die Koalition andernfalls zu sprengen – nur dass sie die folgenden Neuwahlen in der Praxis kaum minder als diese zu fürchten haben. Ich meine freilich, dass das jedenfalls so ist, so dass sie auch energischer drängen und dieses Risiko in Kauf nehmen könnten.

Für absolut verfehlt  halte ich die Taktik der SPÖ und Andras Bablers, Nehammer genauso heftig zu kritisieren wie Kickl es tut. Erstens machen sie Kickl damit glaubwürdig und treiben ihm Wähler zu; zweitens muss die SPÖ mit Nehammer koalieren, wenn sie Schwarz-Blau abwenden will; drittens ist ihre aktuell zentrale Kritik – dass Schwarz-Grün die Teuerung so viel schlechter als andere Regierungen bekämpfe – höchst problematisch: Es waren vorangegangene Regierungen, die Österreich eine so extreme Abhängigkeit von russischem Gas bescherten, dass sie doppelt so hoch wie die Deutschlands ausfiel. Es ist absurd, Teuerungsraten zu vergleichen, ohne zu berücksichtigen, wie die Energieversorgung eines Landes beschaffen ist.

In Wirklichkeit sollte man in der SPÖ beten, dass ihr Nehammer als ÖVP-Obmann erhalten bleibt. Denn seine Ablehnung dessen, was ein Volkskanzler Kickl für Österreich bedeutete, ist ehrlich.

 

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Die heikle Einigung der Metaller

Eine späte Einigung kostet Geld – eine falsche kostet Jobs. 11,6 Prozent mehr Lohn verteuert Waren. Erhöht die EZB deshalb die Zinsen, vertieft sie die Rezession.

 Nach einer Woche Streik haben die Arbeitgeber der metalltechnischen Industrie und die Gewerkschaft vergangenen Montag ihre Verhandlungen wieder aufgenommen. Meines Erachtens wäre es keine Niederlage für die Gewerkschaft, wenn die Einigung in etwa zwischen ihrer Forderung nach 11,6 Prozent mehr Lohn und dem bisher letzten Angebot der Arbeitgeber über 6 Prozent plus 1.200 Euro Einmalzahlung läge, die sie mittlerweile offenbar als Lohnerhöhung über 8,2 Prozent auszuzahlen bereit ist. Weil das im Widerspruch zu Überlegungen steht, die ich hier mehrfach geäußert habe, will ich es ausführlich begründen.

Der erste Grund ist banal und illustriert die Argumentation des Verhandlungsführers der Arbeitgeber Stefan Ehrlich-Adám am “Runden Tisch” des ORF: Österreichs metallverarbeitende Industrie muss im Export, der 80 Prozent ihres Geschäfts ausmacht, mit der metallverarbeitenden Industrie anderer Länder, voran Deutschlands, konkurrieren. Dort fordert die Gewerkschaft soeben eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent, die sie, wenn auch nicht allzu energisch, mit der Forderung nach 32 statt 35 wöchentlichen Arbeitsstunden verknüpft. Die Arbeitgeber setzen dem ein Angebot von 3,1 Prozent mehr Lohn mit einer Laufzeit von 15 Monaten und eine Einmalzahlung entgegen und lehnen eine Arbeitszeitverkürzung angesichts des Fachkräftemangels kategorisch ab. Wenn ich den Kompromiss abschätze, den man in Deutschland finden dürfte, so wird er kaum viel anders aussehen als die eingangs von mir empfohlene Einigung in Österreich. Deutlich höhere Löhne als Deutschland können wir uns nämlich kaum leisten, denn in der metallverarbeitenden Industrie sind sie für 30 bis 40 Prozent der Kosten einer Ware verantwortlich.

In beiden Ländern kämpft die exportorientierte Industrie, für die der Abschluss der Metaller noch dazu Vorbild ist, zudem mit einer Rezession: Die Auftragseingänge sind massiv zurückgegangen. Natürlich muss es die Chefökonomin des ÖGB Helene Schuberth empören, dass Unternehmen, die im zurückliegenden sehr guten Jahr, in dem sie die Inflation nicht selten zur Ausweitung ihrer Gewinnmargen nutzten, hohe Dividenden zahlten, nun erklären, die geforderte Lohnerhöhung nicht zu verkraften. Aber dann waren die vergangenen Lohnforderungen der Gewerkschaft leider nicht energisch genug – für das gegenwertige Konkurrenz- Problem ist das irrelevant: Wenn die Lohnstückkosten bei uns deutlich höher als in Deutschland oder der Schweiz ausfallen, wird das Problem der Betriebe unweigerlich zum Problem entlassener Arbeitnehmer.

Anders bei den Bäckern, die nur im Inland mit inländischen Bäckern konkurrieren

Es gibt aber einen zweiten Grund, warum die von mir sonst so geschätzte Benya-Formel in der aktuellen Situation nicht ausschließliche Basis der Lohnforderung sein kann. Sie lautet bekanntlich, dass eine Lohnerhöhung das Ausmaß der durchschnittlichen Inflation des zurückliegenden Jahres zuzüglich des erzielten Produktivitätszuwachses haben soll und das hat folgenden ökonomischen Sinn: Die Bevölkerung erzielt auf diese Weise einen Lohn- und Kaufkraftzuwachs, der sie theoretisch in die Lage versetzte, alle Waren, die ihre Volkswirtschaft auf Grund des Produktivitätszuwachses in Summe mehr erzeugt hat, auch zu kaufen, obwohl sie sich im Ausmaß der Lohnerhöhungen des abgelaufenen Jahres verteuert haben. Praktisch kauft sie natürlich auch Waren fremder Volkswirtschaften, aber wenn alle Volkswirtschaften gemäß der Benya-Formel agieren, gleicht sich das aus. Dass Österreich, Deutschland, Holland und die Schweiz seit 2000 nicht mehr so agieren, habe ich hier als eines der existentiellen ökonomischen Probleme der EU gebrandmarkt und insofern machten hohe Lohnabschlüsse in Österreich und Deutschland durchaus Sinn.

Dass es dennoch problematisch ist, ihre Höhe nach der Benya-Formel zu berechnen, indem man zu 2 Prozent Produktivitätszuwachs 9,6 Prozent Teuerung des abgelaufenen Jahres addiert, liegt daran, dass diese Teuerung nicht wie in der Vergangenheit aus Lohnerhöhungen resultiert und damit im Idealfall bei rund zwei Prozent lag, sondern aus der außergewöhnlichen Verteuerung der Energie durch Wladimir Putin. Nur ist diese Teuerung, nicht zuletzt weil es sich um ein so untypisches, fast einmaliges Ereignis gehandelt hat, Gott sei Dank mittlerweile EU-weit schon wieder auf 2,9 Prozent, in Österreich auf 5,4 Prozent gesunken. (Letzteres liegt an Österreichs extremer Abhängigkeit von russischem Gas – allenfalls am Rande an mangelnder Inflationsbekämpfung durch die schwarz-grüne Regierung.)

Daher macht es mehr Sinn als sonst, den Verlust, den die Metall-Arbeitnehmer im abgelaufenen Jahr durch die extreme Teuerung erlitten haben, durch eine beträchtliche Einmalzahlung der Arbeitgeber abzufedern, die sich zu den Zahlungen der Regierung (abgeschaffte kalte Progression, erhöhte Absetzbeträge, Einmalzahlungen) addiert. Dagegen stellt es ein Problem dar, die Löhne um 11,6 Prozent zu erhöhen, weil es die Inflation doch neuerlich befeuerte, auch wenn sie die Waren derzeit nur mehr um höchstens 5,4 Prozent, wahrscheinlich aber weit weniger, verteuert.

Das aber nähme die ökonomisch leider verwirrte EZB mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Anlass, die Zinsen, die derzeit Gott sei Dank pausieren, doch wieder anzuheben. Damit aber vertiefte sie die Rezession, in die sie uns bereits gestürzt hat, dramatisch.

 

 

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Die Renaissance des Antisemitismus

Der mit Flüchtlingen aus der arabischen Welt importierte  Israel- Hass kann das feste Fundament des heimischen Antisemitismus nutzen. Auschwitz hat es nicht unterspült.

 Der Extremismus-Forscher Peter Neumann warnte im Gespräch mit Armin Wolf,  dass die Ereignisse in Gaza eine neue Welle islamistischen Terrors in Europa auslösen könnten, die gefährlicher als die der Jahre 2015/16 mit den Attentaten auf die Zeitschrift  Charlie Hebdo, das Theater Bataclan oder den Berliner Weihnachtsmarkt sein könnte. Seine Argumente: Das Netz strotze von Videos, die mit den Bilden verletzter Kinder in Gaza maximal zu radikalisieren vermögen; Israel des “Völkermordes” zu beschuldigen biete die Möglichkeit, maximale Gegengewalt zu fordern; “Gefährder”, die sich zum “Islamischen Staat” bekennen, hätten plötzlich wieder ein Thema, das ihnen ermöglicht, jeden Moslem zum Dschihad aufzurufen: Zum Endkampf der islamischen Welt gegen Israel als Inkarnation des “Westens”. Er, Neumann fürchte, dass die Rückwirkung dieses Dschihad gegen Israel in Europa dazu führt, dass Juden sich hier nicht mehr sicher fühlen können. Jüngste Vorfälle an Schulen scheinen ihn zu bestätigen.

Dass Europa dem Antisemitismus mit der Aufnahme so vieler muslimischer Flüchtlinge neue Nahrung verschafft hat, entpuppt sich damit als unerwartet gefährlich, obwohl der Islam “Juden” primär neutraler als das Christentum gegenübersteht: Sie sind für den Koran zwar “Ungläubig” mit entsprechend  negativen Eigenschaften, aber es wird ihnen nicht, wie vom zweiten Vatikanischen Konzil, vorgeworfen, “auf den Tod Jesu gedrungen” zu haben. Es blieb dem Christentum vorbehalten, diese emotionale Grundlage für den Holocaust zu schaffen.

Der alltägliche heimische Antisemitismus war noch vor kurzem ein ganz ungenierter: Mein Religionslehrer klagte, “dass es hier fast wie in einer “Judenschule” zugeht; jemand war “jüdisch, aber gar nicht geizig” oder “ein Jude, aber ein netter Mensch”. Wie viel die Bevölkerung bei Kriegsende sehr wohl von “Auschwitz” ahnte, geht daraus hervor, dass “bis zur Vergasung” eine populäre Redewendung ist. Zu glauben, dass dieser Antisemitismus mit “Auschwitz” endet, war eine Illusion: In Wirklichkeit musste das schlechte Gewissen, das der Holocaust voran Deutschen und Österreichern bescherte, sie veranlassen, im Verhalten von Juden unverändert nach Eigenschaften zu suchen, die verständlicher machen, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern zu m größten Teil zwar nur mittelbar, aber gar nicht so selten auch unmittelbar, am Holocaust beteiligt war. Schließlich gab es tausende Bewacher der Vernichtungslager, Tausende, die in Wehrmachts- oder SS-Einheiten an Massenerschießungen mitwirkten, Tausende die Verhaftungen vornahmen oder die Deportation nach Polen organisierten. Wenn man diese Abertausend Deutschen und Österreicher, mit denen man womöglich verwandt war, nicht wie Daniel Goldhagen im gleichnamigen Buch unter “Hitlers willige Vollstrecker” reihen wollte, musste man psychologisch das Bedürfnis haben, den Juden durch ihr Verhalten zumindest eine leise Mitschuld an dem zuzuschreiben, was ihnen zugestoßen ist. Voran in Österreich glaubt man, dieses angeblich “jüdische” Verhalten sogar seit jeher zu kennen und sah sich darin bestätigt, dass man es den Juden in so vielen anderen Ländern nachsagt.

Es gibt also genug genuinen Antisemitismus, aber es gab auch Fortschritte: So erlebte ich etwa die Wahl-Großmutter eines Bekannten als geeichte Antisemitin, auch wenn sie meinte, man hätte die Juden “nicht gleich umbringen müssen”; als die Israelis die von ihr als Untermenschen betrachteten Araber in nur sechs Tagen besiegten, fand sie es “toll wie die kämpfen”;  als jemand ihr zu sagen wagte, dass sie die Juden doch immer für feig gehalten hätte, wies sie ihn entrüstet zurecht: “Die Israelis sind doch keine Juden!!!”. Die Gründung Israels, so sieht man, hat die Juden gestärkt. Ihr Enkel, und das krönt die Entwicklung, verliebte sich in eine Jüdin, trat ihr zuliebe zum Judentum über und trägt die Kippa. Juden persönlich zu kennen vermindert Antisemitismus am meisten. Dass ziemlich viele Österreicher Israel bereisten war diesbezüglich nützlich.

Dass der mittlerweile zumindest nicht mehr ganz so virulente heimische Antisemitismus durch die Zuwanderung arabischer Muslime neue Nahrung erhielt war zum Teil schlicht historisches Pech: Syrienkrieg und Irakkrieg lösten zwingend Flüchtlingswellen aus. Aber leider vermögen heimischer und zugewanderter Antisemitismus einander gegenseitig zu stärken: “Die Israelis behandeln die Palästinenser genau wie die Nazis die Juden behandelt haben”, ist die dafür typische Formulierung, die seit dem 7. Oktober  zum Sieg der Hamas im Informationskrieg geführt hat: Persönlicher, brutalster Mord wird vielfach weniger geächtet, als vielleicht zu massives israelisches Bombardement, das leider unschuldige Opfer fordert, und das aus humanitären Gründen zu unterbrechen meines Erachtens schon früher richtig gewesen wäre, auch wenn es der Hamas ermöglichte sich neu zu formieren. Nur war es auch nicht absurd, die Pause wie Benjamin Netanjahu mit der Forderung nach der Freilassung von Geiseln zu verknüpfen.

Ich hege zwar den Verdacht, dass er den Krieg so führt wie er ihn führt, weil er den totalen Sieg braucht, um der Absetzung und einem Strafverfahren wegen Korruption zu entgehen – aber wenn man kein Antisemit ist, erwartet man von einem Juden nicht automatisch, dass er sich anders als die meisten Menschen benimmt.

 

 

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Etwas “Sahra Wagenknecht” nutzte auch uns

Die Ikone der “Linken” will nicht auf Putins Gas verzichten, weniger Zuwanderung, mehr Umverteilung und Wettbewerb. Vieles davon schadete der FPÖ nicht anders als der AfD.

Umfragen prophezeien der Partei, die in Berlin mit dem “Bündnis Sahra Wagenknecht” aus der Taufe gehoben wurde, aus dem Stand 12 Prozent Stimmen, die sie voran der AfD wegnehmen würde. Ich teile diese Annahme und meine, dass es der SPÖ leichter fiele, der FPÖ Stimmen wegzunehmen, wenn sie ihre Forderungen ähnlich wie Sahra Wagenknecht formulierte.

Wagenknechts größter Vorteil ist freilich ortsgebunden: Ihr Bekanntheitsgrad reicht weit über ihre Ex-Partei, “Die Linke”, hinaus. Ständiger Stargast politischer Talkshows, vertritt sie politische Thesen nicht nur eloquent, sondern macht dabei in jedem Sinne dieser Formulierung auch blendende Figur. Das einzige Mal, dass sie – freilich nicht bei AfD-Sympathisanten – schlecht abschnitt, war eine Talkshow, in der es um Deutschlands Verhalten gegenüber Wladimir Putin ging: Sie blieb bei ihrer aus dem Manifest mit Alice Schwarzer bekannten Ansicht, dass man auf Verhandlungen drängen, statt der Ukraine Waffen liefern sollte. Ich halte diese Alternative bekanntlich für grob falsch – nur indem man der Ukraine Waffen liefert, kann man auf Verhandlungen hoffen – und auch für die Partei Wagenknechts wird ihre Russland-Position die größte Schwachstelle sein: Man wird sie zur “Putin-Versteherin” stempeln, auch wenn sie das nicht wirklich ist – sie hält sein Regime sehr wohl für autoritär und seinen Krieg für einen Überfall – nur glaubt sie an die Mitschuld der NATO und übersieht seine Großmachtallüren.

Zugleich ist Wagenknecht wie AfD und FPÖ der Meinung, dass es falsch ist, auf russisches Gas zu verzichten und das meine ich auch. Es stimmt zwar nicht, wie Herbert Kickl behauptet, dass Russland Öl und Gas  als Reaktion auf die Sanktionen der EU verteuert hat, sondern Putin und OPEC haben die Drosselung der Förderung ein gutes Jahr davor beschlossen, aber Deutschland wie Österreich schaden sich selbst mehr als Russland, wenn sie hektisch auf russisches Gas verzichten, ehe alternative Energie vergleichbar preiswert ist.

Im wichtigsten Punkt ihres Parteiprogramms gebe ich Wagenknecht uneingeschränkt recht: Es gilt, der neoliberalen Struktur der Wirtschaft den Kampf anzusagen. Die Umverteilung von unten nach oben muss einer Umverteilung von oben nach unten weichen und dazu sind höhere Unternehmens- und Vermögenssteuern unverzichtbar. Natürlich setzt auch Wagenknecht die Grenze für eine Erbschaftssteuer wie die SPÖ weit über dem Wert eines Eigenheims an, ist aber als Nationalökonomin sehr viel besser als bisherige SP-Granden in der Lage, ihre Forderung gegen Einwände zu verteidigen. Gleichzeitig tritt sie für die Zerschlagung von Oligopolen ein und weiß das als Unterstützung des Mittelstandes zu verkaufen und auch das funktionierte in Österreich: Natürlich hängen Greissler-Sterben und hohe Teuerungsraten gleichermaßen mit unserem Nahrungsmittel- Oligopol zusammen.

Mit den Grünen liegt Wagenknecht im Clinch, indem sie fordert, “von einem blinden, planlosen Öko-Aktivismus wegzukommen, der das Leben der Menschen zusätzlich verteuert, die Reichen bevorzugt und dem Klima überhaupt nicht nützt“. Ich halte “überhaupt nicht” zwar für eine fahrlässige Übertreibung, aber tatsächlich gilt bei jeder Aktivität zu bedenken, dass jeder Liter Öl, den nicht wir selbst verbrennen, sofort anderswo erworben und verbrannt wird und was das für unsere Wirtschaft bedeutet. Zugleich hat die teure Förderung der E-Mobilität derzeit tatsächlich voran die Zahl der Tesla-Limousinen in Nobelbezirken erhöht. Geringverdiener hingegen erfüllt der Preis eines E-Autos oder einer Wärmepumpe unverändert mit Schrecken, und auch bei Menschen meiner Generation, die von der Nachkriegsarmut geprägt und auf Sparsamkeit programmiert sind, erzeugte die plötzliche Forderung nach so hohen Ausgaben emotionale Abwehr, die sich hier in dem Satz “Ich werde mein Auto sicher nicht gleich gegen ein E-Auto tauschen” niederschlug und nicht ganz ohne rationale Begründung ist: Auch die vorzeitige Nachschaffung längst nicht kaputter Geräte erzeugt CO2. Auch aus diesem Grund halte ich bekanntlich für weise, dass Leonore Gewessler den Zeitdruck vermindert und die Förderungen erhöht. Im Zuge der Begutachtung des Erneuerbare Wärme Gesetzes sollte freilich berücksichtigt werden, wie weit Haus- und Wohnungseigentümer gezwungen werden können, dem Wunsch einer Mehrheit nach grüner Beheizung stattzugeben.

Die größte Differenz zu den Grünen – und die größte Übereinstimmung mit AfD und FPÖ – ergibt sich dort, wo Wagenknecht fordert, die Zuwanderung auf Personen zu beschränken, die Anspruch auf Asyl haben. “Entwicklungshilfe statt Bürgergeld” formuliert sie diese Forderung denkbar geschickt. Ich teile sie in der Theorie und es ist schwer mir Fremdenfeindlichkeit vorzuwerfen, habe ich doch zeitlebens Flüchtlinge in meine Wohnung aufgenommen. Aber wir können unmöglich auch die aufnehmen, die als Wirtschaftsflüchtlinge auf ein besseres Leben hoffen. Das sollte man so unmissverständlich wie Wagenknecht klarstellen. Nur besteht das eigentliche Problem natürlich in der Praxis: Man darf “subsidiär Schutzberechtigte” so wenig wie “Geduldete”  abschieben und kein Land nimmt Flüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl zurück. Dass man diese Gruppen in  die Kriminalität drängte, so sobald man ihnen im Sinne der AfD jede finanzielle Unterstützung versagte, weiß Wagenknecht vermutlich, spricht es aber nicht aus.

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Gewesslers Bremsen vermied die Kollision

Das “Erneuerbare- Wärme- Gesetz” in seiner ursprünglichen Form hätte der FPÖ 2024 die absolute Mehrheit beschert. Man kann die Menschen tatsächlich nicht überfordern.

“Global 2000”, dessen Chefin Leonore Gewessler war, ehe die Grünen sie zur Ministerin machten, nannte das “Erneuerbare- Wärme- Gesetz”, das sie jetzt zur Beschlussfassung vorlegt, bekanntlich einen “Kniefall vor der Öl- und Gasindustrie” und einen “Zwergenschritt”. Die SPÖ, die ihm zustimmen müsste, weil es wegen seines Eingreifens in die Verfassung einer Zweidrittelmehrheit bedarf, die sie von der FPÖ sicher nicht erhält, nannte es eine “Bankrotterklärung”.

Ich halte die Kritik von Global 2000 für die (verständliche) Pflichtübung einer Organisation, die keine Wählermehrheit hinter sich versammeln muss und die “Bankrotterklärung” seitens der SPÖ für ein voreiliges Wahlkampfmanöver, dem hoffentlich bessere Einsicht folgt: Jede Partei, die die Österreicher verpflichtete, fossile Heizungen in kürzester Zeit durch “grüne” Heizungen zu ersetzen, provozierte einen Volksaufstand. Leonore Gewessler hält es zu Recht für kontraproduktiv, die Menschen in einem Ausmaß zu überfordern, das sie den Klimaschutz zur Gänze ablehnen lässt und, so füge ich an, der FPÖ die absolute Mehrheit bescherte.

So wie das Gesetz jetzt beschaffen ist, findet es Akzeptanz: Dass in Neubauten nur mehr “grüne” Heizungen eingebaut werden dürfen, versteht jeder; dass der Tausch  fossiler gegen “grüne” Heizungen in Zukunft zu 75 Prozent, bei Einkommensschwachen zu 100 Prozent gefördert wird, wird, wenn Einkommensschwäche nicht sinnwidrig erst ab Armutsgefährdung angenommen wird, dazu führen, dass man diese Möglichkeit spätestens dann in Anspruch nehmen wird, wenn bei der bisherigen Heizung die geringste Reparatur anfällt – was durchaus vor 2035 der Fall sein wird. Natürlich kostet diese Lösung den Staat sehr viel Geld, doch sie erspart dauerhaft, was er sonst für verteuertes Gas ausgeben müsste. Vor allem aber sollten die hohen Investitionen in Wärmepumpen und Solarpanele gemäß Keynes helfen, die aktuelle Rezession zu begrenzen. Dennoch wird es letztlich adäquater Vermögenssteuern bedürfen, die so gewaltige Umgestaltung der Hauhaltenergie budgetär zu bewältigen. Nur glaube ich, dass sie auf weniger Widerstand stoßen werden als die Verpflichtung, fossile Heizungen blitzartig zu ersetzen. Zudem gewinnt die technologische Entwicklung etwas Zeit: Derzeit weiß niemand, wie man Häuser mit klassizistischer Fassade, an der man keine Wärmepumpe anbringen kann, in Zukunft ohne Gastherme beheizen soll? Vielleicht doch, indem mehr Biogas erzeugt wird? Vielleicht, indem mehr Fernwärme angeliefert wird, auch wenn man Heizkörper dann durch Heizwände ersetzen muss. Manchmal löst auch Zeit Probleme.

Leonore Gewessler argumentiert zu Recht, dass voran die hohe Inflation sie zum Umdenken gezwungen hat. Man könne Menschen, die gerade  mit der Teuerung kämpfen, nur sehr schwer mit hohen Kosten für den Tausch ihrer Heizung belasten. Der Ukrainekrieg, der uns durch die Verteuerung fossiler Energie einerseits am stärksten dazu antreibt, sie durch grüne Energie zu ersetzen, bremst diesen Ersatz andererseits, indem er die entsprechenden Investitionen erschwert. Es ist leider unendlich schwer, einen erfolgreichen Mittelweg zu finden: Natürlich soll der Klimawandel so rasch wie möglich gebremst werden – aber zu großer Druck aufs Tempo kann sich dabei als Mega- Bremse erweisen.

Pilnaceks Jahrhundertwerk?

PS: Der tragische Selbstmord von Sektionschef Christian Pilnacek, nachdem er alkoholisiert, aber Gott sei Dank ohne einen Unfall zu verursachen, als Geisterfahrer von der Polizei gestellt wurde, hat in den “asozialen” Medien allen Ernsten dazu geführt, dass Justizministerin Alma Zadić die Schuld an seinem Tod gegeben wurde, weil sie ihn entmachtet hat. Freilich erst, nachdem er von der WKSTA gefordert hatte, das Eurofighter-Verfahren zu “daschlogn”, zwei der Untreue verdächtigte VP-Politiker zum Gespräch ins Ministerium gebeten hatte, mit der Frage “Wer  vorbereitet Gernot?” berühmt geworden war und eine Geldstrafe von einem Disziplinarsenat erhalten hatte. So sehr Hinterbliebene Beileid verdienen, darf das nicht ausschließen, Pilnaceks Tätigkeit zu kritisieren. So loben alle Berichte seine Strafprozessrechtsreform jetzt als “Jahrhundertwerk”. Ich möchte dennoch Zweifel anmelden, dass es so ideal ist, dass sie die Tätigkeit bisheriger Untersuchungsrichter zur Gänze Staatsanwälten übertrug und die Ratskammer als richterliches Gremium für Streitfälle abschaffte. So wäre der AKH-Skandal nie zur Anklage gekommen, wenn eine Untersuchungsrichterin nicht von der Ratskammer Recht bekommen hätte, ihre Ermittlungen entgegen dem Wunsch der Staatsanwaltschaft fortzusetzen. Auch der Prozess gegen zwei Ganoven, die Wiens Bürgermeister Felix Slavik (SPÖ) gefälschte Dokumente verkauften, in denen Oscar Bronner bestätigte, von der ÖVP drei Millionen Schilling für Anti- Slavik- Berichterstattung erhalten zu haben, wäre ohne Ratskammer unterblieben, weil die Staatsanwaltschaft unter Justizminister Christian Broda (SPÖ) das Verfahren mit der Begründung eigestellt hatte, dass Slavik sich nicht betrogen fühlt. Jedenfalls erschien mir nicht ganz so schlecht, dass die alte Strafprozessordnung nicht nur weisungsgebundenen Staatsanwälten, sondern auch unabhängigen Richtern erheblich Einfluss auf die Strafverfolgung gewährte. Das bleibt bedeutsam, auch wenn es in Zukunft eine parteiunabhängige Spitze der Staatsanwaltschaft gibt.

 

 

 

 

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In eigener Sache

Peter Michael Lingens:

Zeitzeuge eines Jahrhunderts


ISBN: 9783205218104

Eine Familiengeschichte zwischen Adolf Hitler, Bruno Kreisky, Donald Trump und Wladimir Putin: Die Familiengeschichte Peter Michael Lingens’ ist aufs Engste mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verzahnt. Sein Buch ist ein Plädoyer gegen den Neoliberalismus, von dem er fürchtet, dass er die EU sprengen und einen neuen Faschismus herbeiführen könnte. Der Doyen des österreichischen Qualitätsjournalismus zeigt sich in diesem Parcours durch die österreichische Medien- und Zeitgeschichte klarsichtig wie je und überraschend selbstkritisch.

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Wie Zögern Kriege verlängert

Die Ukraine braucht deutsche Marschflugkörper so rasch wie möglich.

Hätte sie schwere Panzer so rasch wie möglich erhalten, gäbe es vielleicht schon Friedensverhandlungen.

 US-Präsident Joe Biden liefert der Ukraine Raketen, die auch Ziele in Russland erreichen – er verlässt sich auf Wolodymyr Selenskyjs Versprechen, innerrussischen Ziele nie ernsthaft anzugreifen, zumal er den kleinsten Verstoß damit ahnden könnte, ihm jede weitere Unterstützung zu entziehen. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz zögert dennoch Selenskyj Taurus-Marschflugköper zu liefern, die Russland erreichen, obwohl er aus dem gleichen Grund genauso sicher sein kann, dass Selenskyj sein Versprechen hält. Er braucht Marschflugköper und Raketen nur so dringend, um den russischen Nachschub im Donbass zu unterbinden. Doch Scholz hat einmal mehr Angst vor jenem Flügel seiner Partei, der mit Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht meint, mehr Waffen brächten keinen Frieden.

Waffen bringen Frieden!

Ich stelle hier eine provokante Gegenthese auf: Es würde vielleicht schon über Frieden verhandelt, wenn Scholz nicht so lange gezögert hätte, der Ukraine schwere Panzer zu liefern. Denn das erlaubte Putin, im Donbass schwer befestigte Verteidigungslinien aufzubauen, die Slenskyjs Armee nun, nachdem sie die schweren Panzer endlich erhalten hat, nur an einem einzigen Punkt zu überwinden vermochte und im Winter auch kaum ausreichend überwinden dürft. Hätte sie die schweren Panzer früher erhalten, so hätte sie demgegenüber vermutlich gute Chancen gehabt, die ursprünglich viel schwächeren Verteidigungslinien rasch genug so ausreichend zu überwinden, dass eine faire Chance auf Rückeroberung des Donbass bestanden hätte. Die aber hätte am ehesten zu Friedensverhandlungen auf einer Basis geführt, die Selnskyj ursprünglich stets angedeutet hat: Die Krim bleibt bei Russland; die Ukraine wird auf eine Weise „neutral“, die sie fast wie ein NATO-Beitritt absichert. Das hätte Putin erlaubt, zu Hause gesichtswahrend von einem Erfolg zu sprechen, auch wenn das Donbass ukrainisch und Selenskyj Staatschef geblieben wäre. Scholz` Zögern hat Putin dagegen die berechtigte Hoffnung belassen, doch einen vollen Erfolg auf dem Schlachtfeld zu erringen, statt ihn genau daran zweifeln zu lassen und sich zu sagen: Besser ich akzeptiere diese Friedenslösung, als dass weitere militärische Erfolge Selenskyjs mich womöglich um die Krim bringen.

Nur wenn Selenskyj dank Raketen und Taurus- Marschflugkörpern in Zukunft vielleicht eine solche für Putin kritische militärische Lage herbeiführen kann, haben Friedensverhandlungen eine Chance. Zögerliches, ratenweises militärisches Vorgehen ist immer nur Kriegsverlängernd – da kann es besser sein, es ganz zu lassen. Je massiver der Einsatz, desto kürzer dagegen der Krieg: US-Oberbefehlshaber Collin Powell zog 1990 nie dagewesene Truppenmassen zusammen, um dem Überfall Saddam Husseins auf Kuweit zu begegnen – es dauerte nur bis 1991, bis dessen starke Armee sich zurückzog.

Das Zeitfenster, das der „Westen“ in der Ukraine zur Verfügung hat, kann im Übrigen sehr klein sein: Sollte Donald Trump im September 2024 die US- Wahlen gewinnen, was zwar nicht wahrscheinlich aber keineswegs ausgeschlossen ist, so wird er den Krieg in der Ukraine tatsächlich blitzartig beenden: indem er sie Putin überlässt. Denn der hat ihn in der Hand: Er kann jederzeit wasserdicht beweisen, dass er in Absprache mit Trump entscheidend zu dessen Sieg über Hillary Clinton beigetragen hat und er kann wahrscheinlich beweisen, dass Trump mit Geld des KGB vor der Pleite bewahrt wurde.

Elektromobilität

PS: Korrekter Journalismus gebietet, glaubwürdige Informationen, die gegen eigene Texte sprechen, präzise wiederzugeben, sobald man sie erhält. Ich habe kürzlich  schon berichtet, dass der jüngste „World Energy Outlook“ (Welt- Energie-Ausblick) des hoch angesehenen Energie-Experten Fatih Birol, über den enormen Fortschritt bei der Herstellung billiger und besserer Solarpanele spricht massiv gegen meine Befürchtung,  dass die Erzeugung grünen Stroms nicht mit dem Bedarf Schritt hält, den immer mehr E- Autos und Wärmepumpen bedingen. Soeben entnehme ich einem Interview des ÖAMTC mit dem ähnlich angesehenen Batterie-Experten Maximilian Fichtner, dass der enorme Fortschritt bei der Herstellung billigerer, besserer Batterien mindestens so sehr für gesicherte E-Mobilität spricht: Kleinwagen des chinesischen Batterieerzeugers BYD erzielen mit neuartigen, sehr viel billigeren Lithium-Ionen-Batterien Reichweiten um die 300 km, die für Käufer, die fast nur in der Stadt fahren, völlig genügen. Zugleich ermöglichen neu konzipierte reine Lithium-Akkus bereits 1.000 Km Reichweite und brauchen nur noch 10 Minuten zum Laden. In Luxuslimousinen werden auch sie demnächst auf den Markt kommen. Tesla verbaut in der Hälfte seiner Limousinen schon jetzt Lithium-Eisen Akkus, die ohne seltenes, teures und giftiges Kobalt auskommen und Reichweiten um die 600 Km erlauben. Bisher erhöhten diese Akkus voran Teslas Gewinnmarge, aber demnächst sollten sie Teslas Autos deutlich verbilligen, denn von BYD & Co droht ihnen preisgünstige, hochwertige Konkurrenz.

In Summe: Weiterentwickelte Verbrenner dürften nur noch in den, freilich zahlreichen, Ländern breiten Absatz finden, in denen eine ausreichende E-Ladestruktur noch weit entfernt ist.

PPS: Bürgerinitiativen gegen die Nutzung des angeblich größtem Lithium-Vorkommens Europas in der Koralpe scheinen mir nur mäßig durchdacht.

 

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Nur Staatsausgaben stoppen Rezessionen

Die Teuerung ist auch ohne erhöhte EZB- Zinsen zurückgegangen, aber sie haben der EU eine überflüssige Rezession beschert, die dringend höhere Staatsausgaben erfordert.

Mittlerweile ist klar, dass die Wirtschaft der EU, Österreichs und voran Deutschlands weiter schrumpfen wird. Die Europäische Zentralbank (EZB) geht dennoch, wie die US-Notenbank FED von weiteren Zinsanhebungen aus. Sollte die EZB sie tatsächlich durchführen, wird es die durch sie schon bisher bewirkte Rezession weiter verschärfen.

Es war nämlich immer verfehlt, die wirtschaftliche Situation der EU mit der der USA gleichzusetzen, denn dort können die massiven Lohnerhöhungen unter Trump wie Biden tatsächlich zu echter Inflation – einer sich selbst verstärkenden Abfolge von Lohn- und Preiserhöhungen -beigetragen haben. In der größtenteils “lohnzurückhaltenden” EU ist das ausgeschlossen. Es gibt in der EU keine echte, sich selbst verstärkende Inflation, sondern nur eine voran durch die Drosselung der Gasförderung seitens der OPEC und Russland bedingte temporäre Teuerung. Die aber flacht sukzessive ab, weil Russland nicht so wenig Gas lieferte, Norwegen mehr davon fördert, der Winter warm war und die EU die Photovoltaik stark ausbaute. Obwohl EZB-Chefin Christin Lagarde selbst erklärte, dass ihre Zinserhöhungen die Inflation frühestens in einem Jahr  dämpfen würden, sanken die Erzeugerpreise in Spanien oder Italien schon seit Monaten und im Juli betrugt das Minus auch in Deutschland sechs Prozent. Damit trifft exakt zu, wovon die Ökonomen Paul Schulmeister oder Heiner Flassbeck immer ausgegangen sind: Es war Unsinn anzunehmen, dass die lockere Geldpolitik der EZB, die durch zehn Jahre fast von Deflation begleitet war, plötzlich Inflation bewirkt hätte. Auch wenn es ökonomisch verfehlt ist, wenn Geld nichts kostet, weil das zu Blasen bei Aktien und Immobilien führt, muss man dieses Problem anders lösen, indem man seinen Ursprung erkennt: EZB-Chef Mario Draghi hat die nach der Finanzkrise lehrbuchmäßige massive Verbilligung des Geldes nur deshalb fortgesetzt, weil Europas Staaten, voran Deutschland, wegen der Maastricht- Kriterien ihre Staatsausgaben gedrosselt und das Wirtschaftswachstum damit gefährlich gebremst haben. Die EU wird die aktuelle Rezession daher nur dann in absehbarer Zeit überwinden, wenn sie die Staatsausgaben deutlich erhöht – nur dann werden die erhöhten EZB -Zinsen nicht jedes Wirtschaftswachstum ersticken. Leider plant Deutschlands Finanzminister Christian Lindner im Gegenteil ein Sparbudget.

Grüner Strom

Als ich im Dezember 2022 schrieb, die Erzeugung grünen Stroms in der Wüste könnte wesentlich zur Lösung des CO2-Problems beitragen, wussten ein Leser und ein Kollege ganz sicher, dass das verfehlt ist, weil die Übertragungsverluste durch tausende Kilometer lange Leitungen viel zu groß wären. Mittlerweile wurden die Arbeiten an einer Leitung von Wüstenstrom aus Australien nach Singapur begonnen und wird in China eine Leitung demnächst fertiggestellt, die Strom über 2000 Kilometer nach Shanghai transportiert. “Hochspannungsgleichstromübertragung” (HGÜ) ist laut Asea Brown Boveri, das diesbezüglich führendend ist, ein technologisch gelöstes Problem.

Derzeit wissen einige Leser ganz sicher, dass jeder Zweifel an der Überlegenheit der E-Mobilität verfehlt ist und der Falter hat ihrer Kritik zu Recht viel Platz eingeräumt. Ich kann unmöglich auf alle vorgebrachten Argumente eingehen, obwohl ich mich eingehend mit ihnen befasst habe, möchte meine Haltung zur E- Mobilität aber ein letztes Mal präzisieren, um offenkundige Missverständnisse abzubauen: Ich bin nicht gegen E- Autos. Ich habe nie daran gezweifelt, dass E -Motoren einen optimalen Wirkungsgrad besitzen und dass E-Autos dann einen großen Beitrag zur CO2-Minderung leisten, wenn ihre Batterien mit weitgehend “grünem” Strom” geladen werden. Meine Zweifel beziehen sich ausschließlich darauf, ob das möglich ist. Denn dieser Strom (und der Strom für immer mehr Wärmepumpen) muss über den laufenden Bedarf hinaus erzeugt werden, und solange wir keinen Wüstenstrom haben, halte ich die Gefahr, dass das mittels Kohlekraftwerken geschieht, für relativ groß. Denn schon jetzt wird der Bedarf bei wetterbedingt verringerter Stromerzeugung durch Sonne, Wind und Wasser selbst in Österreich mittels kalorischer Kraftwerke gedeckt.

Österreich hat dank vieler Wasserkraft die vergleichsweise besten Chancen, seine Photovoltaik so rasch auszubauen, dass sie mit der Zunahme der E-Autos Schritt hält, zumal die sich stark verlangsamt hat. Dennoch bewundere ich jeden, der dessen so sicher wie Leonore Gewessler ist. Viele Länder verfügen aber über viel weniger Wasserkraft als Österreich, daher bin ich in seltener Übereinstimmung mit dem Ex-Chef des deutschen IFO – Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn,  nicht so sicher, dass die CO2- Gesamtbilanz der E- Mobilität eine so perfekte sein wird. Das wieder ist der Grund dafür, dass ich in ebenso seltener Übereinstimmung mit Karl Nehammer für Technik-Offenheit plädiere: Sollte es möglich sein, einen Verbrenner-Motor zu bauen, der nur ein Liter E-Fuel auf 100 Kilometer verbraucht, so böte der E-Motoren Paroli. Noch gibt es diesen Motor nicht und vielleicht wird es ihn auch nie geben- aber ihn zu verbieten wäre mir als leninistische Planwirtschaft erschienen. Im Gegensatz zur herrschenden Meinung zweifle ich auch am Sinn der Fördermilliarden für E-Autos: Mit diesem Geld in der Wüste Spaniens grüne Energie für Europa zu erzeugen, erschiene mir effizienter.

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Deutschland als Europas “kranker Mann”

Der britische “Economist” diagnostiziert ein deutsches “Formtief”. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” stimmt zu und ignoriert die eigene Mitschuld.

Im Juli schrieb ich hier die EU kranke an Deutschlands Wirtschaftspolitik – jetzt schreibt der britische “Economist” Deutschland selbst sei zum “kranken Mann” Europas geworden. Die Wirtschaft stagniere, die Inflation sei weiter hoch, laut Prognose des Internationalen Währungsfonds sei Deutschland das einzige Land der G-7-Gruppe, dessen Wirtschaft heuer schrumpfe. Sie litte unter hohen Energiepreisen, Fachkräftemangel, mangelnden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in Zukunftstechnologien wie die Digitalisierung, habe sich bei der verkorksten Energiewende mit dem Atomausstieg ein Eigentor geschossen und sehe einer sich rapide verschlechternden Demographie entgegen: Zwei Millionen Arbeitskräfte gehen in den nächsten fünf Jahren in Pension. Bezüglich jener Länder, die wirtschaftlich besonders eng mit Deutschland verflochten sind – voran die Schweiz und Österreich – hegt der Economist (wie ich) wenig Zweifel, dass die rezessive deutsche Entwicklung demnächst auf sie durchschlägt.

Erstaunlicherweise schloss sich die auf Wirtschaft spezialisierte “Frankfurter Allgemeine Zeitung” (FAZ) dieser Economist-Diagnose in einem großen Kommentar weitgehend an. In der Schweiz, so führte sie aus, sei man “beunruhigt über Deutschlands Formtief”- schließlich seien die Deutschland-Exporte der Schweizer Tech-Industrie im zweiten Quartal um 5,5 Prozent gesunken. Noch größere Sorge müsse das deutsche Formtief Österreich bereiten. Schließlich machten deutsche Urlauber die mit Abstand größte Gruppe seiner Touristen aus und sei es der größte Zulieferer der deutschen Autoindustrie. Allerdings, so vermerkt die FAZ Deutschlandkritisch, kopple es sich ab: Seit Ende 2017 ist die Industrieproduktion in Deutschland um 11 Prozent zurückgegangen, in Österreich aber um 8 Prozent gestiegen. Dennoch gehen 30 Prozent aller österreichischen Exporte Österreichs nach Deutschland und so lange man sich auch über dieses bessere Wachstum freute, sei es damit mit Vorliegen der Daten fürs 2. Quartal vorbei:„Der deutsche Abstieg sollte ein Weckruf für Österreich sein.“

Schadenfreude wecke das deutsche Formtief auch bei Österreichs Nachbarn nicht, ist die deutsche Autoindustrie doch auch in Ungarn und vor allem Tschechien der größte Arbeitgeber und hat die einstige deutsche Paradeindustrie doch die größten Probleme: Hat sie schon die Hybridtechnik verschlafen, so begriff sie auch erst mit Verspätung, welche Konkurrenz Mercedes, BMW oder Audi in Tesla erwachsen ist. VW, das bisher in China einen Absatzrekord nach dem anderen erzielte, wurde heuer vom chinesischen Autobauer Byd bei Verbrennern wie E- Autos überholt und das bedeutet vor allem für die Zukunft nichts Gutes: China  baut mit Byd oder Nio exzellente preiswerte E-Autos, die den deutschen E-Autos demnächst weltweit massive Konkurrenz machen werden. Die Summe dieser Entwicklungen sei zweifellos geeignet, die Rezession in Deutschland zu vertiefen und das müsse zwangsläufig massiv auf Österreich abfärben.

Zwar ist der so Deutschland kritische Artikel der FAZ  wohl davon beeinflusst, dass Deutschland nicht mehr von einer CDU-Kanzlerin, sondern einem SPD-Kanzler regiert wird, aber es bleibt doch keinem Leser verborgen, dass das “Formtief” nicht erst mit ihm begonnen hat. Noch mehr erstaunt mich freilich, dass die FAZ so völlig zu ignorieren vermag, worin  frühere Texte des Economist die zentrale Ursache des deutschen und europäischen Formtiefs sehen: In Angela Merkels “Austerity-Politik”, die als Staatsschuldenbremse im deutschen Grundgesetz verankert ist und via Spar -Pakt der gesamten EU verordnet wurde. Zwar erwähnt die FAZ die rechte italienische Zeitung Verità, die diese Sparpolitik einen “deutschen Selbstmord” nennt- “die ordoliberale (Spar)-Doktrin von Walter Eucken ist Vergangenheit, der Traum vom friedlichen Außenhandel mit aller Welt ist ausgeträumt”- aber sie tut diesen Hinweis als Ausrede für mangelnde italienische Fiskaldisziplin ab, statt sich mit ihm auseinanderzusetzen. In Wirklichkeit trifft genau das zu, was Verità behauptet: Mangelnde Staatsausgaben verhinderten nicht nur, dass sich die Wirtschaft der EU nach der Finanz- und der Corona- Krise  so vollständig wie die  Wirtschaft der USA erholte, sondern sie veranlassten die EZB auch dazu, das zurückbleibende Wirtschaftswachstum mittels billigen Geldes zu befördern. (So sehr EZB-Chef Mario Draghi darin immer einen Notbehelf zum Ausgleich der Austerity- gebremsten Fiskalpolitik gesehen hat – von ihm vergeblich geforderte vermehrte Staatsausgaben wären ihm weit lieber gewesen). Zu Recht vermutet Verità auch, dass die Behauptung, die lockere Geldpolitik der EZB hätte die aktuelle Inflation ausgelöst, jetzt  dazu geführt hat, dass die EZB die Zinsen drastisch erhöht und damit die aktuelle Rezession ausgelöst hat.

Die FAZ hat alle Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik entscheidend befördert: Sie vertrat und vertritt die Staatsschuldenbremse wie kein anderes Medium und sie feiert bis heute die Agenda 2010, die die deutsche “Lohnzurückhaltung” sicherstellte. Mit nunmehr auch in Deutschland ersichtlichen Folgen: Die damit zurückgehaltene Kaufkraft erschwert es mehr von den deutschen Waren, die sich nicht mehr so leicht im wirtschaftlich schwächelnden  China absetzen lassen, in Deutschland selbst abzusetzen; und die gewachsene Gruppe der Geringverdiener hat die AfD zur zweitstärksten Kraft des Landes gemacht.

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Unser k&k Beitrag zur Atombombe

Fürs Kino war J. Robert Oppenheimer der “Vater der Atombombe”. In Wirklichkeit war es mit Leó Szilárd, ein ungarischer Jude, der sich als Altösterreicher fühlte.

Das wohl aktuellste Kinoereignis des Sommers, der Thriller “Oppenheimer”, beschreibt die Entwicklung der Atombombe an Hand des Physikers J. Robert Oppenheimer, der einer 1888 in die USA ausgewanderten jüdisch-deutschen Familie entstammte und als amerikanischer Staatsbürger mit der Leitung des “Manhattan Project” betraut war. Dass dieses Projekt, dass Physiker verschiedenster Nation in Los Alamos (New Mexiko) vereinte, überhaupt zustande kam, geht freilich ebenso wie die wissenschaftliche Grundlage der Bombe nicht auf Oppenheimer, sondern auf den ungarischen Juden Leó Szilárd zurück, der sich, mit einer Wienerin verheiratet, zeitlebens als Altösterreicher fühlte. Da der Wiener Physiker Victor Weisskopf, den die Wissenschaftler zum Bürgermeister von Los Alamos gewählt hatten, Szilárds engster Freund war, waren die beiden nach dem Krieg einige Male gemeinsam in Wien, so dass die Chance bestand, sie zu treffen. (Zu begreifen, wen wir nicht mehr zu Bürgern hatten)

Unter Physikern wurde Szilard als “Marsianer” bezeichnet, weil seine Intelligenz  selbst ihnen außerirdisch erschien. Ursprünglich hatte er Elektrotechnik und Biologie studiert, leistete wesentliche Beiträge zur biologischen Forschung und meldete als Ingenieur unter anderem Patente für das Elektronenmikroskop an. Letztlich aber voran der theoretischen Physik zugewandt, war er der erste, der die Idee hatte, die laut Albert Einstein im Atomkern gebundene Energie praktisch zu nutzen. Er war damit “Vater der Atomkraftwerke”, für die er diverse Patente anmeldete, ehe er zum “Vater der Atombombe” wurde. Denn es war seine Überzeugung, dass sich mittels Kettenreaktion eine Waffe von nie da gewesener Sprengkraft entwickeln ließe, die das  “Manhattan-project” politisch ermöglichte: Er war es, der den in der Folge auch von Albert Einstein und andern unterschrieben Brief entwarf, mit dem US-Präsident Franklin D. Roosevelt gedrängt wurde, das Geld für die Entwicklung der Bombe freizugeben, um Hitler-Deutschland zuvor zu kommen. (In Kenntnis seiner deutschen Kollegen war Szilard der falschen Überzeugung, dass auch sie die Bombe entwickeln würden.)

Szilárds Vorstellung vom Einsatz der Bombe war freilich die eines Humanisten: Man sollte sie, wie beim ersten Versuch des Manhattan-Teams, irgendwo in der Wüste zünden, aber die Kriegsgegner einladen, die Folgen der Explosion zu studieren – das würde sie zum Einlenken bewegen. In einer an Roosevelt gerichteten Petition fordert er Vergleichbares vor dem Abwurf der ersten Atombombe auf Japan, aber das Schreiben kam Roosevelt nie zu Gesicht. Wohl aber trug es dazu bei, dass Szilárd in der Ära McCarthy die Berechtigung entzogen wurde, an weiteren kriegswichtigen Projekten mitzuarbeiten, was er letztlich mit Erleichterung quittierte. Ich habe jedenfalls wenige Menschen kennengelernt, die so sehr wie Szilárd auf eine gewaltlose Zukunft hofften und dabei von beinahe naiver Zuversicht waren. Unter anderem schrieb er das Kinderbuch “The Voice Of The Dolphins”, in dem weise Delphine friedliches Regieren lehren.

Während Weisskopf den Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima insofern verteidigte, als sie den Krieg mit Japan sofort beendete, so dass trotz der furchtbaren Folgen der Explosion letztlich viel weniger Menschen starben als bei der langwierigen Fortsetzung des Krieges mit Hitler-Deutschland den Tod gefunden haben, kritisierte ihn Szilárd mit der beschriebenen  Argumentation. Den zweiten Abwurf auf Nagasaki bezeichneten beide Männer als Kriegsverbrechen. Im Übrigen verband humanes Bewusstsein die überwältigende Mehrheit der in Los Alamos Tätigen: Sie waren überzeugt, mit der Bombe einen Beitrag zum Frieden zu leisten, und im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung ist sie das auch: Ohne die Angst vor dem Weltuntergang in einem Atomkrieg hätte es längst den großen, direkten Krieg zwischen den USA und der UdSSR oder zwischen Indien und Pakistan gegeben, und derzeit hält die Angst vor der Bombe den Ukraine-Krieg in Grenzen.

Weisskopf, nach dem Krieg “Head of Physics” des Massachusetts Institute of Technology (MIT), danach erster Chef des europäischen Kernforschungszentrums CERN und Berater Bruno Kreiskys in Fragen der Atomenergie, erklärte mir übrigens wie Szilárd bereits zu Ende der Fünfzigerjahre überzeugend, dass der Klimawandel durch den industriell verursachten Glashauseffekt die größte Herausforderung der Zukunft sei. Beide waren überzeugt, dass die Atomenergie als Brücken-Technologie einen entscheidenden Beitrag dazu leisten würde, sie zu bewältigen. Obwohl eine Leserin darüber erschüttert war, dergleichen im “Falter” zu lesen, teile ich diese Ansicht heute mehr denn je: Seit es möglich ist, Atom-Müll durch Elektronenbeschuss weit kostengünstiger und einfacher als bisher endzulagern, sind die Vorteile “grüner” Atomenergie größer als ihre Risiken. Ganz losgelöst davon, dass Bill Gates Patente für Atom-Kleinkraftwerke angemeldet hat, die diesen Müll unmittelbar für ihren Weiterbetrieb nutzen. Leider kann ich deren Konzeption nicht mehr mit Weisskopf oder Szilárd diskutieren: Szilárd starb 1964 an Krebs, obwohl er seinen Tod durch ein selbst entwickeltes hoch-radioaktives Implantat um Jahre hinauszuzögern vermochte, Weisskopf starb 2002.

PS: Ich will mir nicht vorstellen, was Szilárd und Weisskopf zur jüngsten Entwicklung Israels sagten.

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Die EZB hat die Rezession geschafft

Die raschen, massiven Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank verringern die Teuerung weit weniger als sie die Rezession befördert haben.

Die von mir ob der Zinspolitik der EZB prophezeite Rezession hat nach Deutschland auch Österreich erreicht. Ausgangspunkt des Übels waren die Maastricht-Kriterien, die den Ausgaben des Staates und damit auch seinen Investitionen in die Wirtschaft wachstumsfeindliche Grenzen setzen. Um dieses Manko zu lindern, fuhr die EZB eine Politik billigen Geldes und verstärkte sie in der Finanz- und der Corona-Krise mit Erfolg durch “Quantitative Easing” (QE): Strafzinsen zwangen Banken, rasch günstige Kredite zu gewähren. “Inflation” erzeugte QE durch zehn Jahre nie, weil es den von Milton Friedman behaupteten Zusammenhang zwischen ihr und erhöhter Geldmenge in dieser Form nicht gibt. Die Eurozone erholte sich von beiden Krisen solange kräftig, bis der “Maastricht” verschärfende Spar-Pakt die Erholung kräftig bremste. Als Russland Geld für den geplanten Ukraine-Krieg brauchte und sich 2020 mit der OPEC auf eine massive Drosselung der Ölförderung einigte, kam es jedoch zu der Verteuerung aller Güter mit der wir bis heute kämpfen. Eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds (IWF) weist nach, dass Unternehmen die Preise darüber hinaus zusätzlich erhöhten, um ihre Gewinnmargen zu wahren, oft auch kräftig auszuweiten.

EZB -Chefin Christin Lagarde fuhr die lockere Geldpolitik angesichts ihrer relativen Problemlosigkeit (dass sie die Preise von Gold, Aktien und City-Baugrund hochtrieb war ein tragbarer Nachteil) ursprünglich nur sehr vorsichtig zurück – noch 2021 warnte sie vor “Inflationspanik”. Doch Mitglieder des Direktoriums, voran aus Deutschland, und entsprechender medialer Druck verunsicherten sie derart, dass sie schließlich die Sicht ihrer Kritiker übernahm und sich von der geldpolitischen Taube zum Falken wandelte: sie hob die Zinsen rasch und deutlich an, obwohl rätselhaft ist, warum eine Geldpolitik, die durch zehn Jahre fast mit Deflation verbunden war, Inflation verursacht haben soll.

Doch die Kritik an Lagarde strapaziert mit Erfolg ein unbrauchbares Beispiel: Die US-Notenbank FED, die drei Jahre vor der EZB mit QE begann, fuhr diese Geldpolitik schon 2017 in kleinen Schritten zurück, denen 2020 große folgten. Nur dass man USA und Eurozone nicht vergleichen kann: im Gegensatz zur Eurozone haben die USA die Wirtschaftseinbrüche durch Finanz- und Corona-Krise restlos verdaut, ihre Wirtschaft boomte und vor allem die Löhne waren unter Donald Trump und Joe Biden massiv gestiegen – das mag tatsächlich Mit-Ursache der US- Inflation sein und wird laut Lehrbuch mit erhöhten Zinsen bekämpft, weil sie die Arbeitslosigkeit steigern und damit Lohnforderungen erschweren. In der Eurozone hingegen sind die Löhne dank deutscher “Lohnzurückhaltung” mehrheitlich zurückgeblieben und konnten daher unmöglich Motor einer Inflation sein. Dass die EZB die Zinsen sowohl unter einer falschen theoretischen Annahme, wie unter Voraussetzungen die sich von denen der USA total unterschieden, kräftig anhob, musste zu Rezession führen.

Unter dem Titel ” Die EZB fährt die Wirtschaft an die Wand”, beschreibt der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck Deutschlands aktuelle Lage so: “Es gibt Indikatoren, die der deutschen Industrie ein ähnlich verheerendes Szenario wie zu Zeiten der Finanzkrise oder des Corona-Schocks vorhersagen. Der Bericht der EZB über die Kreditvergabe der Banken zeigt, wie rasant die Vergabe an Unternehmen sinkt. Doch die Verantwortlichen in Regierung und Zentralbank wollen nicht wahrhaben, wie fundamental sie mit ihren Prognosen daneben lagen.” In Österreich, das Deutschland zum größten Handelspartner hat, sieht die Industriellenvereinigung die wirtschaftliche Lage nicht anders. Gleichzeitig kritisiert nur Stephan Schulmeister die verfehlte Politik der EZB; wie Deutschlands Finanzminister Christian Lindner will Magnus Brunner nicht von der “Schuldenbremse” steigen; und hier wie dort träumen Wirtschaftsforscher grundlos von einer Erholung 2024: die USA werden mit erhöhten Zinsen keine Konjunkturlokomotive sein; China kämpft mit den Folgen der Corona-Politik Xi Jinpings; und in der EU wurde der Spar-Pakt nur insofern gelockert, als die Mitglieder ihr Sparziel nicht so schnell erreichen müssen. Nach Mega-Investitionen, wie Joe Biden sie zumindest teilweise durchsetzte, sieht das nicht aus.

Im ihrem neuen Irrglauben, nicht Russland- bedingte “Teuerung”, sondern echte Inflation, wie überhöhte Löhne sie verselbständigen, zu bekämpfen, erklärte Christine Lagarde im März, dass die von den Arbeitnehmern geforderten Lohnerhöhungen den Inflationsdruck erhöhten und sie zwingen könnten, die Zinsen weiter anzuheben – was sie soeben getan hat. Die gleiche Position vertrat der IWF, auch wenn der wusste, dass nur erhöhte Gewinne die EU-Teuerung verstärkten. Unter diesen Vorzeichen stehen die aktuellen Lohnverhandlungen. Unsere Gewerkschaften vermochten durch zwei Jahrzehnte keine adäquaten Löhne durchzusetzen, weil das lohnzurückhaltende Deutschland unser größter Handelspartner ist. Das ist es auch weiterhin, sodass WIFO -Chef Gabriel Felbermayr nicht Unrecht hat, wenn er meint, dass Deutschlands Lohnerhöhungen den unseren Grenzen setzen. Sie fallen dort derzeit im Verhältnis zur Vergangenheit relativ kräftig aus und vermeiden ein allfälliges Risiko Inflationsdruck zu erzeugen mittels zusätzlicher hoher Einmalzahlungen. Bei uns kann das kaum anders sein.

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Herbert Kickls berechtigte Ausgrenzung 

Auch der Fall Kellermayr lehrt: Kickl ist ein Sicherheitsrisiko. Dass er die stärkste Partei anführt, heißt nicht, dass er die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat.

Vielleicht haben Sie “Am Schauplatz” des ORF die Reportage über den Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr gesehen. Bekanntlich hat Kellermayr öffentlich Kritik an einer Corona- Demonstration geübt, die die Zufahrt zu einem Spital erschwerte; darauf wurde sie von Corona- Leugnern und Impfgegnern mit einer Flut von Beschimpfungen und Morddrohungen eingedeckt, der ihr Nervenkostüm nicht standhielt: Am 27. Juli 2022 beging sie Suizid.

Ihr Fall ist gleich mehrfach aktuell: Anders als Österreichs Polizei gelang es einer deutschen Aktivistin und der Redaktion von Puls4, im Netz Spuren zu entdecken, auf denen sich zwei der gegen Kellermayr ausgestoßenen Morddrohungen zurückverfolgen ließen. Entsprechend erneuerte Ermittlungen eröffnen jetzt die Chance, die Verfasser der Drohungen vor Gericht zu stellen. Das beweist nicht zuletzt den  Nutzen des 2021 beschlossenen Gesetzes gegen “Hass im Netz”, auch wenn  ihm nur dann nachhaltiger Erfolg beschieden ist, wenn die Polizei selbst imstande ist, Spuren im Netz zu verfolgen.

Dennoch scheint mir ein zweiter Aspekt unverändert gewichtiger: Die Szene der Corona-bLeugner und Impfgegner wäre nie so gefährlich angeschwollen, wenn sie in Deutschland nicht durch die AfD und in Österreich durch die FPÖ so massiv gefördert worden wäre. So erklärte FP- Obmann Herbert Kickl bekanntlich, dass das Immunsystem ausreichend vor Corona schütze und FP- Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch behauptete, dass auf Intensivstationen mehr Impfgeschädigte als Corona-Kranke lägen – das war die “wissenschaftliche” Basis, auf der die FPÖ zu Demonstrationen gegen die “Corona- Diktatur” aufrief. Herbert Kickl ist nicht erst seit seiner Ablehnung der Teilnahme Österreichs an Sky Shield ein “Sicherheitsrisiko”- auch seine Corona- Politik war lebensgefährlich.

Wenn kein Wunder wie “Ibiza” passiert, geht Kickls FPÖ 2024 dennoch als eindeutig stärkste Partei aus den Wahlen hervor. Es ist zwar ein gewaltiger Fortschritt, dass VP-Obmann Karl Nehammer  glaubwürdig versprochen hat, nicht mit der FPÖ zu koalieren, solange Kickl sie anführt – aber es gibt keine Garantie, dass Nehammer die ÖVP dauerhaft führt. Kanzler Kickl ist erst verhindert, wenn es  2024 wirklich eine Regierung ohne FPÖ gibt, der neben ÖVP und SPÖ vermutlich auch Grüne oder Neos angehören müssen, um eine Mehrheit zu haben.

Die Reportage “am Schauplatz” bot Anschauungsunterricht bezüglich ihrer Chancen: Einerseits war es beängstigend zu sehen, wie viele Männer und Frauen etwa im oberösterreichischen Steyr Seite an Seite mit dem Neonazi Gottfried Küssel mit absurden Parolen gegen die “Corona- Diktatur” demonstrierten – andererseits stimmte es optimistisch, dass die Mehrheit der Steyrer diese Parolen für unsinnig hielt und die ewigen Demonstrationen satt hatte. Das gilt es generell zu sehen: Herbert Kickl hat zwar aus den verschiedensten aktuellen Gründen – von “Corona” über “Asyl” bis zur  hohen Inflation – die größte Partei hinter sich  – aber er repräsentiert weder die politische Mehrheit noch gar das Volk.

Leider trägt nur Frankreichs Wahlrecht dieser Problematik Rechnung: Auch Marin le Pens “Rassemblement National” ist die stärkste Partei Frankreichs, dennoch war sie bei allen bisherigen Wahlen chancenlos. Denn in den 677 Wahlkreisen Frankreichs sind nur die Personen gleich Mandatare, die beim ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen; da das nur ganz selten der Fall ist, braucht es im zweiten Wahlgang fast immer  eine Stichwahl und bei der haben sich Bürgerliche, Linke, Liberale und Grüne, wie bei der Stichwahl Alexander van der Bellens zum Bundespräsidenten, fast durchwegs verbündet und Kandidaten der extremen Rechten verhindert (Frankreichs Wahlrecht hätte 1933 vermutlich auch Hitlers Sieg verhindert denn dessen Gegner waren gemeinsam immer viel zahlreicher als die Wähler der NSDAP). Wir haben (leider) kein vergleichbares Wahlrecht, dennoch kann man dessen zentralen Zweck begreifen: Demokratie muss nicht zuletzt das Ziel haben, die Herrschaft von Extremisten zu verhindern. Es ist nicht undemokratisch, Männer wie Kickl oder Frauen wie le Pen politisch auszugrenzen, sondern es entspricht fast immer dem Willen der Bevölkerungsmehrheit. Ich glaube, dass ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne begreifen sollten, dass es in den verbleibenden 16 Monaten vor allem anderen darum geht: Kickl als Kanzler zu verhindern und die FPÖ nicht noch weiter zu stärken. Dazu müssen die Funktionäre der anderen Parteien einender den nötigsten Respekt erweisen, statt durch unseriöses gegenseitiges Abqualifizieren Wasser auf Kickls Mühlen zu leiten. An einem Beispiel: Natürlich hat die schwarz- grüne Regierung bei der Bekämpfung der Inflation diverse (hier beschriebene) Fehler gemacht – aber immerhin hat sie den krassen Fehler der deutschen Regierung vermieden, die Treibstoffsteuer zu senken und dem Staat damit drei Milliarden Euro Mindereinnahmen zu bescheren ohne dass Benzin sich ernsthaft verbilligt hätte. Nehammer & Co “Totalversagen” vorzuwerfen, ist schon allein deshalb unseriös, und unverhältnismäßig, weil weder Karl Nehammer noch Werner Kogler die extreme Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas verantworten, die der zentrale Grund unserer besonders hohen Inflation ist. Die Aussage  hilft nur Herbert Kickl.

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Ein Orden für Karl Nehammer

Indem Karl Nehammer sich wie kein anderer festlegte, nicht mit Herbert Kickl zu koalieren, erwarb er nicht nur größte Verdienste um Österreich, sondern auch um die EU.

Für mich war der 12. Juli ein Staatsfeiertag: Was letzten Mittwoch geschah, erspart nicht nur Österreich eine Regierung, die unter einem “Volkskanzler” Herbert Kickl die Orbanisierung anstrebt, sondern auch der EU, dass dieser Kanzler in ihr mit Erfolg die Interessen Wladimir Putins vertritt. Karl Nehammer verdient dafür in meinen Augen einen Orden: Nichts hat ihn dazu gezwungen, eine Regierungskoalition mit der Kickl -FP auszuschließen – er hat sich damit vielmehr um die Möglichkeit gebracht, in den auf diese Weise unausweichlichen Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ jeden Wunsch durchzusetzen, indem er ihr die Zusammenarbeit mit der FPÖ androht. Das ist  für einen VP-Obmann neu.

Der 12. Juli verlief wie ein Krimi. In der 9 Uhr-ZIB ließ Nehammer bekanntlich nur wissen, dass er Kickl für ein “Sicherheitsrisiko” hält, weil er sich gegen die Teilnahme an “Sky-Shield” ausspricht, aber erst in der ZIB2 zog er daraus die Konsequenzen: Auch er schließe aus, mit der Kick-FPÖ zu koalieren. Armin Wolf tat durch 15 Minutenlang absolut alles, um diese Aussage in Stein zu meißeln. Er hielt ihm vor, dass ja auch Johanna Mickl Leitner versprochen hätte, nie mit der Landbauer -FPÖ zu koalieren und es doch getan hat – Nehammer pochte auf dem wesentlichen Unterschied zwischen Bund und Ländern; als er ihm zuletzt vorhielt, dass Kickls Einwände gegen Sky Shield  ja keineswegs das Abwegigste wären, das er geäußert hat, blieb Nehammmer zwar zu Recht dabei,  diese Ablehnung eine nicht hinnehmbare  Gefahr  zu nennen, aber ich glaube, dass er nur einen möglichst  einsichtigen Anlass gesucht hat, sich von Kickl zu distanzieren: Auch ihm graut vor diesem Mann. Die Rede, die er nach seinem Amtsantritt im KZ Mauthausen gehalten  hat, hat mich diesbezüglich immer mit einem gewissen Optimismus erfüllt: Nehammer ist, was immer man sonst gegen ihn einwenden mag, ein anständiger Mensch und nicht einmal ein “Feschist”.

Und natürlich waren Kickls Einwände gegen Sky Shield einmal mehr nur Liebesdienst für Wladimir Putin: Die Teilnahme an der von Deutschland initiierten  Beschaffungsgemeinschaft, die es ermöglichen, Drohen, Raketen oder Marschflugkörper, die auf eines der beteiligten Länder abgefeuert werden, rechtzeitig abzufangen, indem alle beteiligten Beobachtungsstationen einander ihre Daten übermitteln, so dass die Flugbahn des eindringenden Objekts präzise zu erkennen ist und der Abschuss möglich wird, verstößt in keiner Weise gegen die Neutralität: denn  befohlen würde dieser  Abschuss immer durch die Regierung des betroffenen Landes und Österreich geht auch, anderes als bei einem Bündnis, keine Verpflichtung ein, auf den Beschuss eines anderen Mitglieds militärisch zu reagieren – daher ist selbstverständlich auch die neutrale Schweiz Sky Shield beigetreten.

Um Kickl für ein Sicherheitsrisiko zu halten, hätte es freilich nicht erst der Auseinandersetzung um Sky Shield bedurft: Kickl und seine FPÖ sind in jeder Hinsicht die fünfte Kolonne Wladimir Putins, so sehr der dabei ist, Saddam Hussein den Rang als größter Kriegsverbrecher seit Adolf Hitler streitig zu machen. Noch untere H.C. Strache unterzeichnete die FPÖ bekanntlich einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei “Einiges Russland” und FP-Politiker unterstützten ihn konkret in seinem Angriffskrieg, indem sie nach seinem Einmarsch in die Krim bestätigtem, dass die ihm folgende Volksabstimmung korrekt verlaufen sei.

Seit Kickl Obmann der FPÖ ist, ist er gemeinsam mit Ungarns Viktor Orban der Politiker, der sich am heftigsten gegen die Sanktionen der EU gegen Russland ausspricht. Ich will fair sein und ihm zugestehen, dass auch ich nur die Sperre der Lieferung von Hochtechnologie für eine unverzichtbare Sanktion halte, aber es geht um die Grundhaltung gegenüber einem eindeutigen Aggressor: Wenn Kickl Österreich in Brüssel repräsentierte, hätte er jeder Sanktionen gegen Russland die Zustimmung verweigert.

Nehammers jetzt so eindeutige Festlegung macht es restlos unsinnig, dass sich Andreas Babler  darauf festgelegt hat, nicht mit der ÖVP zu koalieren. Man sollte sich innerhalb der SPÖ doch darüber im Klaren sein, dass die Variante einer rot-grün- pinken Koalition in Wahrheit so gut wie ausgeschlossen ist. Wenn die Babler -SPÖ Stimmen dazu gewinnt, dann in erster Linie von den Grünen und das ist von einer Koalition her ein  Nullsummenspiel.

Ich gebe zu, dass es sehr schwer fällt, sich einen Kompromiss zwischen Bablers Reichensteuer  und der Ablehnung jeder vermögensbezogenen Steuer durch die ÖVP vorzustellen, aber  der Weg zu jedem Kompromiss ist versperrt, wenn man, wie Sven Hergovich von der SP-Niederösterreich droht, sich die Hand abzuhacken, wenn es nicht zu Vermögenssteuern kommt – so kann man in keine Verhandlung gehen. Ich hätte mir zwar erhofft, dass Mikl Leitner die Koalition mit der FPÖ dennoch ablehnt und wartet, bis Hergovich seine Selbstverstümmelungsphantasien revidiert – aber die SPÖ hat es ihr denkbar schwer gemacht, so zu handeln.

Babler sollte es Nehammer nicht so schwer machen. Ich gebe nämlich auch die Hoffnung nicht auf, dass Nehammer ökonomisch lernfähig ist: Wenn Babler keinen Zweifel daran lässt, dass Lohn und Einkommenssteuern vollumfänglich um den Betrag reduziert werden, den die vermögensbezogenen Steuern einbringen, wird es Nehammer schwer fallen, sich dem zu verweigern.

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Immerwährend gentechnikfrei?

Die EU will mit moderner Gentechnik hergestellte Nahrungsmittel nicht mehr diskriminieren. Österreich ist dagegen. Die Folgen können kostspielig sein.

Die EU-Kommission schlägt vor Agrarprodukte, die mit der Genschere CRISPR/Cas9 hergestellt
werden, in Zukunft nicht mehr anders als konventionell hergestellte zu behandeln. Sie begründet das
damit, dass es mit der Genschere ein neues gentechnisches Instrument von nie dagewesener Präzision
gibt, das es ermöglicht, die Gene von Nutzpflanzen so zu verändern, dass sie allen gewünschten
Anforderungen genügen und sich nicht von natürlich gezüchteten unterscheiden. Diese Möglichkeit sei
angesichts des Klimawandels von überragender Bedeutung, um die wachsende Weltbevölkerung zu
ernähren. In Österreich, wo jedes Nahrungsmittel als “gentechnikfrei” beworben wird, musste das auf massiven Widerstand stoßen. Umwelt-Ministerin Leonore Gewessler sieht keine Möglichkeit, der Kommission zuzustimmen und nennt deren Argumente “vorgeschoben” – ich halte sie mit Deutschlands Forschungsministerin Bettina Schwarz Watzinger (FDP) für zutreffend.
Normalerweise warnen die Grünen zu Recht eindringlich vor der Veränderung der landwirtschaftlichen Bedingungen durch den Klimawandel: Die Böden werden trockener, die Schädlinge nehmen zu. Dass das negativen Einfluss auf Ernteerträge hat, scheint mir kein gewagter  Fehlschluss. Eine aktuelle Studie im Fachblatt “Nature Food” kommt zu dem Ergebnis, dass Dürren und veränderte Regenmuster schon in den nächsten 20 Jahren zu Ertragseinbrüchen bei Grundnahrungsmitteln wie Mais oder Reis führen werden. Ich bin seit den Vorhersagen des Club of Rome, was Zeiträume betrifft vorsichtiger, aber dass das grundsätzlich zutrifft, bezweifle ich nicht.
Die Menschen haben aber auch schon vor dem industriebedingten Klimawandel zu Recht versucht,
den Ertrag ihrer Nutzpflanzen zu steigern. Durch Jahrhunderte gelang das nur sehr langsam und mühsam: Man musste nach Pflanzen suchen, die durch zufällige Mutationen, wie sie in der Natur ständig vorkommen, vorteilhafte Eigenschaften, etwa besonders viele Körner in der Ähre eines Getreides aufwiesen, um sie miteinander zu kreuzen. In der Neuzeit ging es um Einiges schneller, indem man durch radioaktive Bestrahlung Mutationen beförderte und dann die Pflanzen zur Kreuzung auswählte, die eine der gesuchten Eigenschaften zeigten. Jetzt erledigt die Genschere dergleichen viel schneller und präziser, indem man das gewünschte Gen einfügt. Man kann Pflanzen sowohl ertragreicher wie widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder höhere Temperaturen machen. Gleichzeitig gibt es keinen logischen Grund, exakt gezielte Eingriffe in die Genetik für gefährlicher zu halten als Mutationen, wie sie in der Natur ständig und durch natürliche Radioaktivität oder aktive radioaktive Bestrahlung gehäuft, stattfinden. Das Horrorszenario der Gentechnik-Gegner – eine ungenießbare gentechnisch veränderte Pflanze, die alle anderen Pflanzen verdrängt, wird schwerlich mit der Genschere entstehen, von der man genau weiß, wo sie ansetzt – viel eher kann eine eine zufällige natürliche Mutationen eine solche Pflanze hervorbringen.
“Es ist längst machbar, Mais, Soja oder Reispflanzen so herzustellen, dass sie weniger Pestizide zu ihrem Schutz brauchen und gleichzeitig ertragreicher und gehaltvoller sind”, urteilt die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten -Scheid vom Gregor-Mendel-Institut der österreichischen Akademie der Wissenschaften exakt wie die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie spricht von einer
regelrechten Revolution der Biologie: “Die Liste der Kulturpflanzen, die dank CRISPR verbesserte
Eigenschaften aufweisen, wird jeden Monat länger.” Es gibt bereits Reispflanzen, die immun gegen
Schädlinge sind, aber man versucht auch sehr Spezielles: Japanische Forscher arbeiten an Tomaten, die gesundheitsfördernde Antioxydanten produzieren. “CRISPR wird zudem ein demokratisierendesWerkzeug sein”, sagt die Molekularbiologin Jennifer Doudna, die gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier für die Entdeckung der Genschere den Nobelpreis erhielt: "Wir entwickeln Möglichkeiten, CRISPR auch bei Pflanzen einzusetzen, die in kleinen Betrieben oder nur in bestimmten Teilen der Welt angebaut werden. So lassen sich auch lokal Probleme angehen."
All dem stehen in der EU restriktive rechtliche Regelungen entgegen. Nach einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs aus 2018 unterliegen Pflanzen, die mit Hilfe von CRISPR gezüchtet wurden, auch wenn sie keine artfremden Gene enthalten, strengsten Anbau – Auflagen. Die genetische
Veränderung einer Pflanze mittels Röntgenbestrahlung wurde hingegen als unbedenklich eingestuft, obwohl sie weit weniger präzise ist: Radioaktiv genetisch veränderte Nahrungsmittel werden in
Österreich daher seit Jahren problemlos verkauft. “Diese Unterscheidung ist wissenschaftlich nicht
haltbar”, kritisiert Mittelsten -Scheid. “Wir sollten uns nicht mehr fragen, was die Folgen der Nutzung
von CRISPR sein könnten, sondern was passiert, wenn wir dieses Werkzeug nicht nutzen.”
Sollte Gewessler mit ihrem Widerstand EU-weit Erfolg haben, droht Europas Agrarindustrie in
absehbarer Zeit mangelnde Konkurrenzfähigkeit. Sollte sie nur erreichen, dass Österreich weiterhin
darauf bestehen kann, dass gentechnisch hergestellte Nutzpflanzen hierzulande nicht angebaut werden
dürfen und dass Nahrungsmittel, die sie enthalten, gekennzeichnet werden müssen, so werden sie nur
etwas teurer als bisher sein.

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