Die EU will mit moderner Gentechnik hergestellte Nahrungsmittel nicht mehr diskriminieren. Österreich ist dagegen. Die Folgen können kostspielig sein.
Die EU-Kommission schlägt vor Agrarprodukte, die mit der Genschere CRISPR/Cas9 hergestellt
werden, in Zukunft nicht mehr anders als konventionell hergestellte zu behandeln. Sie begründet das
damit, dass es mit der Genschere ein neues gentechnisches Instrument von nie dagewesener Präzision
gibt, das es ermöglicht, die Gene von Nutzpflanzen so zu verändern, dass sie allen gewünschten
Anforderungen genügen und sich nicht von natürlich gezüchteten unterscheiden. Diese Möglichkeit sei
angesichts des Klimawandels von überragender Bedeutung, um die wachsende Weltbevölkerung zu
ernähren. In Österreich, wo jedes Nahrungsmittel als „gentechnikfrei“ beworben wird, musste das auf massiven Widerstand stoßen. Umwelt-Ministerin Leonore Gewessler sieht keine Möglichkeit, der Kommission zuzustimmen und nennt deren Argumente „vorgeschoben“ – ich halte sie mit Deutschlands Forschungsministerin Bettina Schwarz Watzinger (FDP) für zutreffend.
Normalerweise warnen die Grünen zu Recht eindringlich vor der Veränderung der landwirtschaftlichen Bedingungen durch den Klimawandel: Die Böden werden trockener, die Schädlinge nehmen zu. Dass das negativen Einfluss auf Ernteerträge hat, scheint mir kein gewagter Fehlschluss. Eine aktuelle Studie im Fachblatt „Nature Food“ kommt zu dem Ergebnis, dass Dürren und veränderte Regenmuster schon in den nächsten 20 Jahren zu Ertragseinbrüchen bei Grundnahrungsmitteln wie Mais oder Reis führen werden. Ich bin seit den Vorhersagen des Club of Rome, was Zeiträume betrifft vorsichtiger, aber dass das grundsätzlich zutrifft, bezweifle ich nicht.
Die Menschen haben aber auch schon vor dem industriebedingten Klimawandel zu Recht versucht,
den Ertrag ihrer Nutzpflanzen zu steigern. Durch Jahrhunderte gelang das nur sehr langsam und mühsam: Man musste nach Pflanzen suchen, die durch zufällige Mutationen, wie sie in der Natur ständig vorkommen, vorteilhafte Eigenschaften, etwa besonders viele Körner in der Ähre eines Getreides aufwiesen, um sie miteinander zu kreuzen. In der Neuzeit ging es um Einiges schneller, indem man durch radioaktive Bestrahlung Mutationen beförderte und dann die Pflanzen zur Kreuzung auswählte, die eine der gesuchten Eigenschaften zeigten. Jetzt erledigt die Genschere dergleichen viel schneller und präziser, indem man das gewünschte Gen einfügt. Man kann Pflanzen sowohl ertragreicher wie widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder höhere Temperaturen machen. Gleichzeitig gibt es keinen logischen Grund, exakt gezielte Eingriffe in die Genetik für gefährlicher zu halten als Mutationen, wie sie in der Natur ständig und durch natürliche Radioaktivität oder aktive radioaktive Bestrahlung gehäuft, stattfinden. Das Horrorszenario der Gentechnik-Gegner – eine ungenießbare gentechnisch veränderte Pflanze, die alle anderen Pflanzen verdrängt, wird schwerlich mit der Genschere entstehen, von der man genau weiß, wo sie ansetzt – viel eher kann eine eine zufällige natürliche Mutationen eine solche Pflanze hervorbringen.
„Es ist längst machbar, Mais, Soja oder Reispflanzen so herzustellen, dass sie weniger Pestizide zu ihrem Schutz brauchen und gleichzeitig ertragreicher und gehaltvoller sind“, urteilt die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten -Scheid vom Gregor-Mendel-Institut der österreichischen Akademie der Wissenschaften exakt wie die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie spricht von einer
regelrechten Revolution der Biologie: „Die Liste der Kulturpflanzen, die dank CRISPR verbesserte
Eigenschaften aufweisen, wird jeden Monat länger.“ Es gibt bereits Reispflanzen, die immun gegen
Schädlinge sind, aber man versucht auch sehr Spezielles: Japanische Forscher arbeiten an Tomaten, die gesundheitsfördernde Antioxydanten produzieren. „CRISPR wird zudem ein demokratisierendesWerkzeug sein“, sagt die Molekularbiologin Jennifer Doudna, die gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier für die Entdeckung der Genschere den Nobelpreis erhielt: "Wir entwickeln Möglichkeiten, CRISPR auch bei Pflanzen einzusetzen, die in kleinen Betrieben oder nur in bestimmten Teilen der Welt angebaut werden. So lassen sich auch lokal Probleme angehen."
All dem stehen in der EU restriktive rechtliche Regelungen entgegen. Nach einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs aus 2018 unterliegen Pflanzen, die mit Hilfe von CRISPR gezüchtet wurden, auch wenn sie keine artfremden Gene enthalten, strengsten Anbau – Auflagen. Die genetische
Veränderung einer Pflanze mittels Röntgenbestrahlung wurde hingegen als unbedenklich eingestuft, obwohl sie weit weniger präzise ist: Radioaktiv genetisch veränderte Nahrungsmittel werden in
Österreich daher seit Jahren problemlos verkauft. „Diese Unterscheidung ist wissenschaftlich nicht
haltbar“, kritisiert Mittelsten -Scheid. „Wir sollten uns nicht mehr fragen, was die Folgen der Nutzung
von CRISPR sein könnten, sondern was passiert, wenn wir dieses Werkzeug nicht nutzen.“
Sollte Gewessler mit ihrem Widerstand EU-weit Erfolg haben, droht Europas Agrarindustrie in
absehbarer Zeit mangelnde Konkurrenzfähigkeit. Sollte sie nur erreichen, dass Österreich weiterhin
darauf bestehen kann, dass gentechnisch hergestellte Nutzpflanzen hierzulande nicht angebaut werden
dürfen und dass Nahrungsmittel, die sie enthalten, gekennzeichnet werden müssen, so werden sie nur
etwas teurer als bisher sein.
2 Kommentare
Die Verarbeitung und das Verstehen von GEN Technik erinnert in manchen Fällen an Roseggers Waldheimat, wo eine Lokomotive, vom Teufel gelenkt, geradewegs in die Hölle fährt. Da war die Dampflock und die damit verbundene Geschwindigkeit ein Monstrum, dass nach der damaligen Volksmeinung, die Menschheit in den Abgrund stürzen wird. Unwissenheit und Glaubensabhängigkeit verhindern oftmals technische Errungenschaften die helfen könnten das Leben auf unserer Erde sicherer zu machen. Wobei ich aber der Ansicht bin, dass wir, bevor wir mit Techniken die wir nicht verstehen und nicht beherrschen, über die Probleme der Überbevölkerung nachdenken und handeln sollten.
Genialer Artikel, ganz im Sinne der letzten Generation. Wir werden den Anschluss verlieren, die Konkurrenzfähigkeit am Weltmark schwindet, wir werden vielleicht alle verhungern. Gut gebrüllt Löwe. Die Konzerne brauchen gute, brave Vorbeter. Die Impfgeschädigten bejubeln sicher das nächste unreglementierte Genexperiment. Mit den Neonicotinoiden wurden 75% der Insekten vernichtet. Das Wundersaatgut hilft beim Klimaschutz. Weniger Scheibenreiniger, weniger Pestiziede, weniger Fungiziede. Die Windschutzscheiben verkleben nicht mehr. Das erhöht auch die Verkehrssicherheit. Den Tunnelblickwissenschaftern* gehört die Welt. Eine interessante Doku auf Arte verärgert vielleicht die Leichtgläubigen und die Hoffnugsfrohen. https://youtu.be/tKUmzwCrQu0