Ohne neue Ideen im Kampf gegen Globalisierung und Digitalisierung werden alle traditionellen Parteien gewaltige Probleme bekommen – die SPÖ hat sie bereits.
Der SPÖ geht es schlecht – wie fast allen sozialistischen Parteien.
Ihre aktuelle Wahlniederlage dankt sie zwar dem „Flüchtlingseffekt“ und Tal Silberstein, aber langfristig ist eine andere Entwicklung viel wesentlicher: Von den Österreichern die die Gegenwart „eher ungerecht“ finden, wählen 53% die FPÖ – nur 4% die SPÖ. Fast 60 % der Arbeiter haben FPÖ gewählt. Wie sehr Geringverdiener von der SPÖ enttäuscht sind machen zwei Zahlen verständlich: Seit 1997 stieg Österreichs Wertschöpfung (BIP) real um 40% – Arbeiter -Löhne sanken um 4 Prozent. Langfristig wird die SPÖ nur dann Wahlen gewinnen, wenn sie wieder als die Partei wahrgenommen wird, die „Geringverdienern“ ermöglicht, Österreich als „eher gerecht“ zu empfinden.
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Historisch ist die Sozialdemokratie ökonomischer Ungerechtigkeit auf zwei Wegen entgegengetreten: Mit der Wirtschaftstheorie Karl Marx und mit den Gewerkschaften (die er ablehnte, weil sie in seinen Augen den Zusammenbruch des Kapitalismus verzögerten).
Nachdem Karl Popper Marx´ Theorie entzaubert und die Entwicklung in der UdSSR sie desavouiert hatte 1), blieben die Gewerkschaften alleine übrig. Der Marxismus lebte als etwas fort das ich „Vulgärmarxismus“ nenne: Eine Marx völlig missverstehende Animosität gegen „Profite“ und „Konzerne“ und eine absurde Liebe zur Verstaatlichung, die ahnungslos mit seiner „Vergesellschaftung“ verwechselt wurde. 2)
„Verstaatlichung “ blieb damit zur Linken bis heute Marxismus -Ersatz und Ersatz für neues, linkes Wirtschaftsdenken.
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Das hätte sich im Rahmen der Gewerkschaften entwickeln müssen.
Die sind freilich nichts genuin sozialistisches, sondern entstanden in den USA, wo es keine sozialistische Partei gab, nicht anders als in Europa gemäß durchaus kapitalistischer Logik: So wie Betriebe an Stärke gewinnen, wenn sie sich zu Konzernen zusammenschließen, tun das auch Arbeitnehmer, wenn sie ihre Kampfkraft in Gewerkschaften bündeln. Diese Erkenntnis verband sich der Erkenntnis des Kapitalisten Henry Ford, dass seine Arbeiter besser verdienen müssen, wenn sie seine Autos kaufen sollen. Auf dieser breiten Basis konnten Gewerkschaften all die Erfolge erringen, die wir „Sozialstaat“ nennen.
Die Rolle sozialistischer Parteien bestand darin, ihn in Gesetzen zu verankern. 3)
Doch diese starke Stellung der Gewerkschaft ist angeknackst und die Sozialdemokratie mit ihr.
Der Knackpunkt datiert m.E. zwischen 1970 und 80 als gerade noch Vollbeschäftigung herrschte. Statt diese durch Verkürzung der Arbeitszeit zu erhalten, vertraten die Gewerkschaften nur das Interesse der Beschäftigten an steigenden Löhnen. So gab es kein Land, in dem die zunehmende Arbeitslosigkeit nicht zur Entstehung einer „Industriellen Reservearmee“ neuer Art geführt hätte: Einer wachsenden Gruppe von Arbeitnehmern, die zu immer geringeren Reallöhnen zu arbeiten bereit war um ihren Arbeitsplatz zu erhalten
Damit war die Macht der Gewerkschaften gebrochen. Ernsthafte Streiks waren kaum mehr möglich.
Gleichzeitig durchdrang der Neoliberalismus auch in Europa das Wirtschaftsdenken und erfüllte den leeren Raum. Selbst die Sozialdemokratie zweifelt, ob nicht vielleicht stimmt, was der Neoliberalismus behauptet: Dass es den Arbeitnehmern umso besser ginge, je weniger den Unternehmern abverlangt würde. So beschloss sie in Deutschland Hartz4-Regelungen, die Arbeitnehmer zwingen, blitzartig wieder einen Job zu akzeptieren, was am ehesten bei Leiharbeitsfirmen gelingt und so das Lohnniveau entsprechend deutlich senkte. Fast alle Länder mussten folgen.
Höherqualifizierte Arbeitskräfte vertreten ihre Interessen längt lieber in Eigenregie. Geringqualifiziere sind in ihren neuen, kurzfristigen, isolierten Jobs kaum gewerkschaftlich zu organisieren.
So geschwächt stehen die Gewerkschaften der Herausforderung der Globalisierung gegenüber.
Es ist für Betriebsräte schon sehr schwer, vor der Belegschaft zu vertreten, dass Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, um nationaler Konkurrenz stand zu halten – aber wie schwer erst kann man ihr erklären, dass ein Betrieb schließen muss, weil die Arbeitskräfte in Ungarn oder China billiger sind.
Gewerkschaften sind immer national, die Weltwirtschaft ist global organisiert. Das Problem wird erst enden, wenn sich die Löhne weltweit angeglichen haben.
Liberale Ökonomen meinen, dass man diesen endlos langen, schmerzhaften Prozess am besten nur dem Markt überlässt.
Solange die Gewerkschaften keine Idee haben, wie sie ihn schmerzlindernd beschleunigen können, muss ihr Einfluss schwinden. Und er wird endgültig dahin sein, wenn sie keine Ideen entwickeln, wie man mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung fertig wird.
Die Arbeitswelt befindet sich in einer Zeitenwende. Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte- diese Wahl war nur ein Anfang davon.
Die SPÖ mag sich damit trösten, dass die ÖVP diese Wende noch viel weniger begreift.
1) In „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ zeigte Popper, dass das von Marx behauptete „eherne Gesetz der Geschichte“ wonach der Kapitalismus in den Klassenkampf und dieser in den Sieg des Sozialismus münden müsse, nicht nur falsch sondern gefährlich für Rechtsstaat und Demokratie ist.
2) Der bedeutendste Austro-Marxist Otto Bauer drehte sich im Grabe um: Er kritisierte Staatskapitalismus (durchaus im Sinne Marx`) als schlechteste Form des Wirtschaftens, weil ungeeignete Beamte tüchtige Manager ablösten.
3) Dass dies in den USA mangels einer „SPUSA“ weit weniger geschah, erklärt, dass der Sozialstaat dort soviel schwächer ist
4 Kommentare
Passt vielleicht dazu: http://derstandard.at/2000040151230/Zur-Neuerfindung-der-Sozialdemokratie
„Liberale Ökonomen meinen, dass man diesen endlos langen, schmerzhaften Prozess am besten nur dem Markt überlässt.“
Die widerlegenden Fakten sind allgemein bekannt, oder nicht? (Die Lösung ist es auch: Markt plus sparsame staatliche Regulierung, plus Mindestmaß an sozialer Ausgewogenheit: so entstanden die lebenswertesten, vitalsten Regionen des Planeten.)
Staat in der Vorbereitung des Markts:
Das iPhone und vieles anderes hätte es ohne die – immer staatlich bezahlte – Grundlagenforschung nie gegeben.
Staat als Regulator:
Der Markt funktioniert NUR, wenn sinnvolle staatliche Rahmenbedingungen gegeben sind. Sonst gibt es bald Kartelle, Zusammenschlüsse zum Ausschluss jeder Konkurrenz, Kunden ohne Rechte.
Staat als „Letzte Instanz“:
Wenn ein Großbetrieb scheitert, werden Lasten, Entgeltfortzahlungen, finanzielle Ausfälle für Krankenkassen, not-wendende Maßnahmen, vom Staat getragen.
Markt und Wirtschaft, sich selbst überlassen – das geht bis zu unfassbaren Skandalen, ein Beispiel: Österreich wirft Brot weg, frisches Brot wohlgemerkt – den Verbrauch von Graz, jeden Tag! NUR der Staat könnte hier eingreifen, ist derzeit aber – wie alle Parteien – zu schwach dazu. Schande über uns alle … weil die Lösung so einfach wäre. Eine winzige staatliche Regel, irgendeine würde schon reichen – im Wissen, dass ein einzelner Betrieb hier einfach nicht vorpreschen KANN.
Auch dieses mal wieder „treffender“ Text ,zur „Lage“ der Gewerkschaften & der SPÖ !
Gewerkschaften hin, Gewerkschaften her, wichtig wäre es zu erkennen, dass die Arbeitsgesellschaft (Hannah Arendt) Geschichte ist! Die noch herrschenden Paradigmen sind obsolet geworden und „Gewerkschaften“ strampeln in der Luft. Der Mensch wird im entfalteten Kapitalismus, wo die Kapitalsphäre ein Vielfaches der Realsphäre ausmacht, i.V.m. dem technischen Fortschritt in erster Linie als Konsument der im Überfluss angebotenen Güter u. Dienstleistungen benötigt und erst in zweiter Linie als Anbieter des Gebrauchswertes seiner Arbeitskraft gegen den Tauschwert in Form Arbeitslohn. Der Sozialismus und die Gewerkschaften haben nun aber das Problem, den Humus auf dem sie gedeihten, die Arbeitsgesellschaft, so einfach zu überwinden. Der Paradigmenwechsel wird durch die zunehmende Notwendigkeit eines BGE sichtbar werden, die Realwirtschaft, abhängig von der Nachfrage, erkennt das noch eher, weil die Exportweltmeisterschaften sich auch einmal totlaufen werden und damit die Inlandsnachfrage an Bedeutung gewinnen wird. Den Marktfetischisten unter den „Kapitalisten“ sei noch ins Stammbuch geschrieben, dass die Konzernbildung zwar die „Effizienz“ steigert aber den Markt überwindet und so den Widerspruch verdeutlicht, der „Markt“ also nur der Name des „Trojanischen Pferdes“ ist. „Ich bin kein Marxist“ müsste bereits Marx selbst erklären, um all dem Unsinn, der in seinem Namen produziert wird, entgegen zu treten.