Ehrenrettung für die “Schließung der Balkanroute”

Michael Köhlmeiers Vergleich war in einem Ausmaß missverständlich, das die ÖVP zu Recht empörte. So grandios der Rest dieser Rede war. Ohne die Schließung der Balkanroute wäre die FPÖ heute die stärkste Partei.

Michael Köhlmeier hat bei Armin Wolf erklärt, dass er Sebastian Kurz nie nachgesagt hätte, sich bei den Schließung der Balkanroute so verhalten zu haben, wie bei der Schließung von Fluchtrouten in der Zeit des Holocaust. Sein Vorwurf hätte lediglich gelautet, man möge sich dieser Schließung nicht brüsten.

Vom puren Wortlaut her trifft das zu – Köhlmeier hat von “sich brüsten” gesprochen.

Aber in jedem Presse-Prozess würde seine Aussage anders gewertet: Der unbefangene Zuhörer musste seine Worte dahin verstehen, dass er die Sperre der Balkanroute damit verglich, dass die Schweiz ihre Grenzen schloss und damit die Rettung von Juden verhindert hat. Ja man konnte sogar meinen, dass Köhlmeier die Sperre der Balkanroute mit den Grenzsperren verglich, die das NS-Regime verhängte, um keinen Juden entkommen zu lassen. Die Empörung Kurz` wie der ÖVP über diesen Vergleich war berechtigt:

Der Unterschied ist gewaltig

Denn die Grenzsperren der NS-Zeit hatten einen völlig anderen Zweck: Mit ihnen wollte Adolf Eichmann sicherstellen, dass kein Jude der Ermordung entging. Aber auch zur Grenzsperre der Schweiz besteht ein substantieller Unterschied: Der Schweizer Regierung musste klar sein, dass jeder, der auf diese Weise an ihrer Grenze aufgehalten wurde, umkommt.

Die Sperre der Balkanroute hält vorwiegend Menschen auf, die großem Elend entfliehen wollen – die, die vor Tod und Verfolgung fliehen, können in Griechenland unverändert um Asyl ansuchen. Auch wenn das denkbar schwer ist, ist der Unterschied gewaltig.

Wobei Kurz von Beginn an darauf hingewiesen hat, dass Griechenland mehr finanzielle Unterstützung braucht. Nicht zuletzt hat er (und formal selbst Strache) sich immer dazu bekannt, dass Österreich Verfolgten natürlich Asyl gewähren muss. Durch Jahre wurden und werden etwa IS-Verfolgte ebenso aufgenommen, wie Syrer, die vor dem Krieg fliehen, obwohl Krieg gemäß der Genfer Konvention kein Asyl begründet. Selbst 2017 war Österreich unter den Ländern, in denen es pro Einwohner mehr Asylwerber als in Deutschland gab.

Die vergessene Vorgeschichte

Schließlich war auch die Vorgeschichte der Sperre der Balkanroute eine völlig andere, als die von Grenzsperren der NS-Zeit. So forderte Kurz die längste Zeit nur, die EU-Vorgaben einzuhalten, wonach Flüchtlinge ihr Asylansuchen in dem EU-Land stellen müssen, das sie als erstes betreten. Danach forderte er, wie jetzt George Soros, Aufnahmezentren vor Ort einzurichten, die sicherstellen, dass diejenigen legal in die EU einreisen dürfen, die des Schutzes am meisten bedürfen. Dazu gleichzeitig Hilfe vor Ort.

Als der Flüchtlingsstrom immer stärker wurde, forderte er mehr Unterstützung für die Grenzsicherung durch Griechenland und äußerte Verständnis für Staaten, die sich durch Zäune dagegen schützen, dass ihre Grenzen durchbrochen werden.

Die Zäsur brachte Angela Merkels Willkommenskultur, die ich ein „deutsches Märchen“ nannte und ihr bis heute menschlich hoch anrechne. Sachlich aber war sie unbedacht: sie musste dazu führen, dass sich in Afrika und Asien neben den vielen tatsächlich Asylberechtigten auch Hunderttausende auf den Weg nach Deutschland machten, die ihrem Elend entkommen wollen. Das wieder musste aus geografischen Gründen zu dem chaotischen Andrang an Österreichs Ostgrenze führen.

Ich habe zwar auch für die Wirtschaftsflüchtlinge unter den Flüchtlingen Verständnis (und in der Vergangenheit den einen oder anderen in meiner Wohnung untergebracht) – aber objektiv gesehen ist Wirtschaftsflucht ein Nachteil für das Fluchtland: Es verliert seine Initiativsten, meist auch am besten ausgebildeten Arbeitskräfte. Weitsichtige EU-Politiker müssen Wirtschaftsflucht daher im Interesse der Fluchtländer ablehnen – auch wenn sie es meist viel eher aus nationalem Eigeninteresse tun.

Ich weiß nicht, wie Sebastian Kurz Wirtschaftsflüchtlinge sieht – aber ich kann nicht ausschließen, dass er meine Sicht auf sie hat: Dass wir sie nicht aufnehmen sollen, weil sie ihren Heimatländern fehlen werden. Und dass wir sie nicht aufnehmen können, weil es zu viele sind, um sie zu integrieren und weil wir alle unsere Aufnahme-Kapazität für die Asylberechtigten Flüchtlinge brauchen.

Jedenfalls sagte Kurz: „Wenn Deutschland seine Grenze schließt, muss auch Österreich sie schließen.“ Hätte er das nicht gesagt und getan, hätten wir nicht 100.000, sondern viele Hunderttausende Flüchtlinge in Österreich.

Ohne Schließung der Balkanroute regierte die FPÖ

Ab diesem Moment bemühte sich Kurz um die Schließung der Balkanroute und initiierte sie bei einem Treffen der betroffenen Länder. Dass sie gelang, war dem Abkommen Merkels mit der Türkei zu danken.

Wäre die Schließung nicht gelungen, so hätten wir heute oder spätestens in einem Jahr keine VP-FP sondern eine FP-Alleinregierung. Deshalb glaube ich, dass es ein grober Fehler war, die Schließung der Balkanroute in irgendeinen Zusammenhang mit der NS-Zeit zu bringen.

Man muss, gerade und vor allem von einem großen Schriftsteller erwarten, dass er in einer derart heiklen Frage so sorgfältig mit der Sprache umgeht, dass ein derart gewaltiges Missverständnis ausgeschlossen ist.

Bezüglich seiner Reserven gegenüber der FPÖ hat Köhlmeier das gekonnt – ich will seine diesbezüglich grandiose Rede mit meiner Kritik nicht entwerten- aber ich halte die Kritik für nötig.

Kritik an Kurz müsste anders aussehen

PS: Wenn ich meine Kritik an Kurz formulieren müsste, formulierte ich sie so: Er hat “Hilfe vor Ort” längst nicht mit der Intensität betrieben, die ihn bei der „Sperre“ ausgezeichnet hat: Österreichs Entwicklungshilfe ist die niedrigste von Seiten reicher Länder. Er hat auch nichts für “Aufnahmezentren vor Ort“ getan: Mit etwas mehr Geld ausgestattet, könnten Österreichs Botschaften zumindest damit beginnen, legale Ausreisen zu ermöglichen. Und er lässt innerhalb Österreichs die FPÖ den Ton in der Flüchtlingsfrage angeben und unterstützt die falsche Tonlage tatsächlich, indem er sich ständig mit der Schließung der Balkanroute brüstet.

4 Kommentare

  1. es gibt dem Kommentar von Bgmstr. Häupl nichts hinzuzufügen 99% war die Rede OK aber der Vergleich ging in die Hose.

  2. “Gutmensch” Köhlmeier ,hat sich da etwas weit “aus dem Fenster gelehnt “!Moralprediger haben,hatten wir schon genug ,hinsichtlich :”das Boot ist noch nicht voll”!Es wird noch sehr lange dauern ,wenn überhaupt,dass eventuell wieder einmal ein “Sozialdemokrat” den Kanzler stellen wird können!

  3. Sehr geehrter Herr Lingens, diesen Beitrag – zur Ehrenrettung für die Schließung der Balkanroute und den Vergleich, der die ÖVP und Kurz zur Recht empörte und die Aussage, die in jedem Presse-Prozess anders gewertet werden würde und das Verständnis der unbefangenen Zuhörer und das Nichtwissen über die Sicht Sebastian Kurz’ über Wirtschaftsflüchtlinge und die Möglichkeit der Übereinstimmung seiner Sicht mit der Ihren und dass ohne Schließung der Balkanroute die FPÖ regieren würde und wie die Kritik an Kurz anders aussehen müsste – hätten Sie sich echt sparen können, denn Sie haben die Rede von Herrn Köhlmeier leider nicht verstanden oder wollten sie nicht verstehen. Und mehr habe ich nicht zu sagen. Danke.

  4. Wie viele Menschen verträgt unser Planet?
    Die Geburtenrate in Afrika ist immer noch gewaltig hoch, die dortige medizinische Versorgung und die Ernährungsmöglichkeiten sind relativ besser geworden, sodass diese vielen Menschen auch älter werden. Unruhen und Kriege sind dort auf der Tagesordnung – mit und ohne dem “Westen”. Es wird daher infolge immer wieder Migrationsschübe Richtung Norden geben.

    Aufgrund fortschreitender technischer Entwicklungen (Hauptsächlich durch Digitalisierung) werden wir immer weniger Arbeitskräfte brauchen und “südliche Zuwanderer” werden kaum Jobs bekommen und daher nicht benötigt.

    Das sind die großen zukünftigen Herausforderungen! Ich habe von der “Eliten” (u. a. Köhlmeier) in diese Richtung noch keine praktikablen Überlegungen vernommen.
    Mit Verlaub: Die gewaltigen bestialischen Tragödien haben in einigen wenigen Jahrzehnten eine Hundertjährige Vergangenheit – und werden sich sicher nicht 1:1 wiederholen. Nur eines darf man nie vergessen: Die ganze Hitlerei kam nicht aus dem Nichts genau so wenig wie heute der Niedergang der Sozialdemokratie in Europa …

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