Die verspielte Chance des Christian Kern

Die SPÖ dürfte dank „Flüchtlingseffekt“ und „Tal Silberstein“ unter Christian Kern das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfahren, obwohl er versucht hat, Sebastian Kurz in der Flüchtlingsfrage an Härte einzuholen und der „Affäre Silberstein“ die „Affäre Fleischmann“ gegenüberzustellen.

Die dramatische rote Niederlage wird für die SPÖ insofern unverdient sein, als die von ihr geführte Regierung wirtschaftlich weit besser als ihr Ruf gewesen ist: Sie hat die Krise von 2009 besser als andere Regierungen überwunden; Österreich besitzt hinter den Steueroasen Luxemburg und Irland nach Holland das vierhöchst BIP pro Kopf der Eurozone und der Abstand zu Holland ist geschrumpft; die Arbeitslosigkeit ist trotz Rekordbeschäftigung vor allem aus demografischen Gründen größer als in Deutschland (unsere Bevölkerung wächst, die deutsche schrumpft); und das einzige grobe wirtschaftliche Versagen, die Hypo-Alpe Adria, wurde maßgeblich von der FPÖ grundgelegt und von den ÖVP-Finanzministern Josef Pröll und Maria Fekter zum Milliardenverlust gesteigert.

Aber wenn ein grenzenlos unseriöser Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl den Wirtschaftsstandort „abgesandelt“ nennt, kann man einer wirtschaftsunkundigen Bevölkerung schwer erklären, dass dem nicht so ist. (Siehe auch: „Die zu Tode geschimpfte Regierung“)

„Wirklich auf Kerns Kappe geht nur die Affäre Silberstein, die die SPÖ den zweiten Platz kosten wird.“

Auch für Christian Kern wird die Niederlage insofern unverdient sein, als er den aktuellen Aufschwung (Österreich wächst stärker als Deutschland) in seiner kurzen Regierungszeit sicher nicht herbeigeführt, wohl aber erfolgreich unterstützt hat.

Aber Kurz` Vorsprung dank „Schließung der Balkanroute“ war uneinholbar und eine SPÖ, die sich zuwanderungsfreundlicher gezeigt hätte, schnitte noch viel schlechter ab.

Wirklich auf Kerns Kappe geht nur die Affäre Silberstein, die die SPÖ – wenn ihr nicht im letzten Moment ein Mitleidseffekt zugute kommt- den zweiten Platz kosten dürfte

Ich habe schon geschrieben, dass ich von Alfred Gusenbauer keinen Gebrauchtwagen kaufte- einen Wahlkampfberater übernähme ich von ihm schon gar nicht. Aber Kern war, auch wenn er seine Wirtschaftsfunktionen der Politik dankt, ein Neuling auf dem politischen Parkett. Verdiente Funktionäre werden ihm, mit Verweis auf seine Leistungen im Gusenbauer-Wahlkampf massiv dazu geraten haben den Israeli zu engagieren. (Obwohl ich persönlich glaube, dass Gusenbauer damals eher gewonnen hat, weil die ÖVP sich ihres Erfolgs zu sicher war und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Wolfgang Schüssel´s (durchaus sinnvoller) Pensionsreform unterschätzt hat).

Auch die NEOS haben Tal Silberstein bekanntlich engagiert und er hat dort zweifellos kein „Dirty Campaigning“ betrieben.

Auch Kern hat Silberstein sicher nicht mit der Absicht des Dirty Campaigning engagiert.

Aber er hat nicht verhindert, dass es betrieben wurde.

Kern verteidigt sich damit, dass er nicht gewusst habe, dass die ominösen gegen Kurz gerichteten Facebook-Seiten auf eine Initiative Silbersteins zurückgehen. Aber selbst wenn man ihm das für einen gewissen Zeitraum abnimmt, hätte er diese Frage spätestens in dem Augenblick nachgehen müssen, in dem die ÖVP ihn mit diesem Verdacht konfrontiert hat, und schon gar, in dem Silberstein verhaftet und der Vertrag mit ihm gelöst wurde.

Es gilt tatsächlich was man ihm vorwirft: Entweder Kern hatte den Parteiapparat und seinen Wahlkampf überhaupt nicht im Griff oder er verantwortet das Dirty Campaigning auch ganz persönlich.

„Kern hätte noch etwas retten können, indem er sich unmissverständlich entschuldigt“

Sein Umgang mit diesem Vorwurf war denn auch der denkbar ungeschickteste. Er hätte vielleicht noch etwas retten können, indem er sich unmissverständlich entschuldigt hätte- etwa mit folgenden Worten: „Sehr geehrter Herr Kurz, ich hatte sicher nicht die Absicht, Sie mittels Dirty Campaigning zu bekämpfen, sondern wollte das mit wirtschaftspolitischen Argumenten tun. Leider habe ich in Tal Silberstein einen Wahlkampfhelfer engagiert, der in Eigeninitiative zwei Facebook-Seiten entwickelt hat, die sich sozusagen selbstständig gemacht und auf grausliche Weise in den Wahlkampf eingegriffen haben. Ich hätte das schon früher abstellen müssen und entschuldige mich bei Ihnen und der Öffentlichkeit, dass es erst jetzt passiert ist.“

In den USA oder England wäre die Angelegenheit mit so einer eindeutigen, klaren Entschuldigung erledigt gewesen – in Österreich hätte die ÖVP sie zumindest nicht so lange ausschlachten können.

„Das musste der FPÖ jenen Auftrieb verleihen, mit dem sie die SPÖ überflügeln dürfte. „

Kern ist stattdessen zur Gegenoffensive übergegangen. Der Verwalter der Facebook-Seiten, Peter Puller hat Kurz` Sprecher Gerald Fleischmann bekanntlich bezichtig, ihm 100.000 Euro für einen Seitenwechsel und Spitzeldienste angeboten zu haben. Fleischmann und die ÖVP bestreitet das, aber ich halte nicht für ausgeschlossen, dass sich bei dem von der SPÖ angestrengten Prozess herausstellt, dass an diesem Vorwurf etwas dran ist.

Nur ist, selbst wenn er zutrifft, das versuchte Abwerben eines Mitarbeiters von dem man sich interne Informationen erhofft, nicht mit Silbersteins durch Monate verwirklichtem Dirty-Campaigning zu vergleichen. Es ist zwar eine weiterer Beleg für die Verrohung der politischen Sitten, aber zwischen den beiden Handlungsweisen besteht nicht nur ein quantitativer sondern ein qualitativer Unterschied. (Siehe auch: „Fleischmann ist nicht Silberstein“. Ein ebensolcher qualitativer Unterschied besteht zwischen dem Blog eines der ÖVP nahestehenden Journalisten, der sich rühmt Frau Kern überwacht zu haben und den Aktivitäten, des von der SPÖ engagierten Tal Silberstein.

Die Österreicher haben allerdings besonders wenig Gespür für Unterschiede, die unterhalb des Schwarz-Weiß-Schemas angesiedelt sind. So ist durch die Gegenoffensive der SPÖ einmal mehr der öffentliche Eindruck entstanden: Rote und Schwarze haben den gleichen Wahlkampf-Dreck am Stecken.

Das aber musste der FPÖ jenen Auftrieb verleihen, mit dem sie die SPÖ überflügeln dürfte.

Kern hat seine Chance verspielt. Schade, denn er hätte das Zeug zu einem zukunftsweisenden Parteiobmann besessen.

(Ich schreibe das ohne jedes Gefühl überlegenen moralischen Besserwissens: Ich habe meine Chance, in Österreich eine gewisse Rolle als Gewissen der Nation zu spielen, auch durch einen einzigen Satz gegenüber einem ungeeigneten Bekannten verspielt, den ich sicher auch nicht zu dem verleiten wollte, was er dann tatsächlich getan hat.)

9 Kommentare

    1. Ich erbringe gewissermaßen als Weggefährte Herrn Lingens gegenüber eine wirklich hohe Wertschätzung, sowohl in journalistischer als auch in sportlicher Weise; er war (oder ist noch immer?) ein begnadeter Tennisspieler.

      Ich habe – obzwar er mich mit Sicherheit nicht persönlich kennt – mit ihm auch in seinen dunkelsten Stunden mitgelitten, als er wegen einer Betrügerei eines ehemaligen Autovermieters auch als Angeklagter vor dem Straflandesgericht stand, wo ich seinetwegen sogar als Gerichtskiebitz anwesend war.

      Und auch seine Standhaftigkeit gegenüber Bruno Kreisky bewunderte ich, nämlich als Simon Wiesenthal von Kreisky auf das Gröbste beflegelt wurde und Herr Lingens eindeutig und nachvollziehbar für Wiesenthal Partei ergriff.

      Bevor das hier zu einer Huldigungs-Laudatio ausartet: Was ich an Herrn Lingens überhaupt nicht bewundere ist seine Linkslastigkeit. Er wird immer, auch bei den schlimmsten Gaunereien der SPÖ (zuletzt die Herstellung von gefälschten Facebook-Seiten mit antisemitischer Hetze nur um den politischen Gegner zu schaden), in mir unverständlicher Nibelungentreue zu „seiner“ SPÖ stehen.

      Und das kann ich nicht verstehen!

  1. „Fakten, bitte! Keine Fake-News!“ So hören wir. Aber sind Politiker und Politikerinnen und ist das Wahlvolk an Fakten tatsächlich interessiert?

    Dort, wo Fakten klar auf dem Tisch liegen, offenbar nicht wirklich:

    Die Wirtschaftsdaten der Regierung sind gut, Mitterlehner und Faymann, dann Kern, haben ihre Arbeit in wirtschaftlichen Bereichen bewundernswert diszipliniert erledigt, Mitterlehner in besonders konsequenter, dem Lande dienlicher Weise.

    Die Sozialversicherungen sind, trotz ihrer Organisationsform, geradezu erstaunlich effektiv, wie hier vor Wochen mit Fakten = einem unabhängigen Gutachten dargestellt wurde:
    https://www.lingens.online/2017/08/29/funktionierende-sozialversicherungen-teure-spitaeler/

    Traurig, wenn das sonst von niemand öffentlich gewürdigt wird, auch nicht von Prominenten im Wahlkampf, denen viele zuhören.

    Sie und wir alle sollten uns freuen und – ja! – dankbar sein für eine Situation, um die uns der Rest der Welt beneidet.

  2. Eine Frage, die ich nirgendwo gestellt sehe, ist: Ist Kern eine starke Führungspersönlichkeit? Die Antwort darauf könnte vielleicht seinen Absturz mindestens ebenso stark erklären wie die Silberstein-Affaire.

    Man erinnere sich, dass es ZWEI Kandidaten für die Faymann-Nachfolge gab: Christian Kern und Gerhard Zeiler. Kern war mir damals total unbekannt, Zeiler nicht. Zeiler war und ist für mich eine absolut charismatische Führungspersönlichkeit. Die Art von Führungspersönlichkeit, die sich mit einem Blick durch die Runde Respekt verschaffen kann. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass eine SPÖ unter Zeiler heute als Nr. 1 in die Wahl ginge, mit oder ohne Silberstein-Affaire.

    Kern hat zweifellos hervorragende kommunikative Fähigkeiten. Möglicherweise ist er auch intelligenter als Zeiler. Von seinem ersten Auftritt und seiner Antrittsrede war ich sehr beeindruckt. ABER: weder bei seinem ersten Auftritt und schon gar nicht in weiterer Folge sah ich in Kern die Art von charismatischer Führungspersönlichkeit eines Zeiler. Kern beeindruckte mich eher als eine Art extrem kompetenter Stabsabteilungsleiter. Jemand, der sich hauptsächlich Kraft seines Amtes Respekt verschafft. Würde man Kern im Urlaub treffen und nicht wissen, wer er ist – so mein Eindruck -, würde er wohl kaum auffallen. Zeiler schon (wie Kreisky oder Androsch eben auch).

    Kern wurde seinerzeit für seine grandiose Präsentation des Plans A gefeiert. Ich konnte das nicht nachvollziehen. Jemandem 2 Stunden lang zuzuhören war spannend, wenn der Redner Fidel Castro hieß. Bei Kern empfand ich es eher als Schlafmittel. Allein schon der Tonfall! (immer auf mehr oder weniger gleicher Ebene). Und das etwas linkische persönliche Gehabe, als wäre er seiner doch nicht ganz so sicher.

    Ich glaube, dass zwischen Kern & Zeiler Kern damals die falsche Wahl war und dass die Persönlichkeit Kerns seinen Niedergang besser erklärt als alles Andere. Allein schon der Umstand, wie angespannt der 51-jährige ex-CEO den 31-jährigen Studienabbrecher bei Debatten anschaut, rechtfertigt die Frage, wie dieser Mann als CEO knallharten Geschäftspartnern gegenüber aufgetreten ist. Man vergleiche das nur mit dem Gesichtsausdruck von Bruno Kreisky, als er dem ehrgeizigen, 20 Jahre jüngeren Josef Taus im Studio gegenüber saß. Vielleicht hätte es geholfen, wenn Kern einmal in überlegener Manier gesagt hätte: „Bitte nicht schulmeistern, Herr Kurz!“ Aber dann wäre wieder die Frage gewesen, ob er das in überlegener Manier rübergebracht hätte (wie damals Kreisky).

  3. Wer mit dem Teufel Tango tanzt darf sich nicht wundern in der Hölle zu landen.

    Wer mit dem Silberstein schmutzkübelt darf sich nicht wundern einen Bauchfleck zu landen!

  4. … Ein Kanzler, ein Parteivorsitzender dem der Überblick abhanden gekommen ist, was soll man da noch sagen? Schade, dass er nicht durch ein ehrliches Bekenntnis wenigstens noch Sympathien gerettet hat! Die KERN-Schichten werden ihm die Treue halten, wer sonst? …

    1. Wenn die Oppositionsarbeit gut verläuft und da habe ich zur Zeit keinen Grund daran zu zweifeln, dann wird in 5 Jahren ein Rückgriff „Ja, aber damals hat er Silberstein beschäftigt“ keine Wirkung mehr zeigen.

  5. Kern hat in der Silberstein-Affäre sicher Fehler gemacht, kein Zweifel. Allerdings würde ich 2 miese FB-Seiten nicht so viel schlimmer bewerten – und die zwei Seiten sind eigentlich das einzige, das man Silberstein vorwerfen muss, alles andere hat ja offiziell nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt – als Betriebsspionage. Hinsichtlich Fr. Steinberger-Kren ist weniger das Aufzählen ihrer Beteiligungen als vielmehr die Darstellung als ob es sich um kriminelle Machenschaften handeln würde, das eigentliche Problem. Und ein Bezirksobmann des Wirtschaftsbundes ist nun einmal Teil der ÖVP-Familie.

    Was Kern betrifft, hoffe ich, dass er bleibt. Er ist fü´r mich der mit Abstand der beste und wird sicher aus diesen Fehlern lernen. Sollte die SPÖ in eine Regierung als Juniorpartner eintreten, wäre eine Teilung von Vorsitz und Vizekanzler ernsthaft zu überlegen.

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