Die Zählebigkeit ökonomische Irrtümer

Kenneth Rogoffs denkbar problematische Studie, wonach hohe Staatsschulden Wachstum kosten, kosteten die EU viel Wachstum. Ihre neuen Schuldenregeln sind kaum besser.

Die EU modifiziert ihre Staatsschuldenregeln: Zwar dürfen Budgetdefizite unverändert drei Prozent nicht überschreiten und ist weiter eine Staatsschuldenquote von 60Prozent anzustreben, aber die Staaten können eigene Pläne vorlegen, wie sie in maximal 7 Jahren dorthin gelangen. Damit haben sich die “Sparer” der EU, angeführt von Deutschland und Österreich klar durchgesetzt- dagegen waren fast nur Grüne, die meinen, so wären erhöhte Ausgaben für den Klimaschutz nicht zu bewältigen.

Anlass für die längerfristige Lösung gab Frankreich, dessen Staatsschuld bis Ende des Jahres mit 2,3 Billionen Euro die in absolute höchste der EU sein dürfte. „Frankreich droht wie Griechenland zu einem finanzpolitischen Problem für Europa zu werden. Nur viel größer“, titelte die “Neue Zürcher Zeitung”. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” vermied zwar den Vergleich mit Griechenland, forderte aber umso dringender, die Staatsschuldenbremse einzuhalten.

Dabei sollte man sich dringend Griechenlands erinnern: Bekanntlich versuchte eine von Deutschland angeführte Troika, Griechenlands beträchtliche wirtschaftliche Probleme zu lösen, indem sie es zu massivem Sparen zwang. Der Erfolg: Griechenlands BIP pro Kopf stürzte von 32.280 Dollar auf 17,900 Dollar ab, seine Staatsschuldenquote stieg von 146 auf 181 Prozent. Sparen des Staates ist, anders als Sparsamkeit des Staates, alles eher als ein ökonomisches Heilmittel. Denn auch der Austerity-Pakt, der die EU seit 2012 via Strafe zum Sparen zwingt, kostete nur Wachstum: Das BIP pro Kopf der EU, das 2012 um 18.565 Dollar unter dem der USA lag, liegt 2022, (dem Zeitpunkt der letzten gesicherter Zahlen) um 38.898 Dollar darunter.

Es lohnt daher, die Studie Kenneth Rogoffs, die dazu führte, Staatsschulden für so nachteilig zu halten, näher anzusehen: Rogoff hat zusammen mit der Ökonomin Carmen Reinhart 40 Volkswirtschaften durch 200 Jahre bezüglich ihrer Verschuldungs- und Wachstumsdaten zurückverfolgt und will dabei entdeckt haben, dass die Wirtschaft zwischen einer Verschuldung von mit 60 bis 90 Prozent des BIP um 2.8 Prozent wachse, über dieser magischen Grenze sacke das Wachstum aber ab. Bei jeder anderen Wissenschaft wäre das schon empirisch restlos falsifiziert: das Wachstum der mit 123 Prozent verschuldeten USA ist in keiner Weise abgesackt sondern weit höher als das der sparenden EU mit nur 83 Prozent Schulden. Aber auch die Studie als solche ist wissenschaftlich denkbar problematisch. So zeigten Ökonomen der Universität Massachusetts, dass Rogoff einige Daten sehr merkwürdig gewichtet und einzelne Länder, die trotz hoher Schulden kräftig gewachsen waren, ausgeklammert hatte. Nach ihrer Berechnung wuchs die Wirtshaft auch oberhalb der 90 Prozentgrenze noch um 2.1 Prozent. Zudem deckten sie einen peinlichen Rechenfehler auf: Rogoff und Steinhart hatten eine Formel im Tabellenkalkulationsprogramm Excel falsch programmiert. Diesen Rechenfehler, der seinerzeit einen Skandal auslöste und den Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, der Rogoffs Behauptung immer verworfen hatte, veranlasste, über eine von Rogoff entdeckte “Exel -Depression” zu spotten,  haben die Autoren eingeräumt, aber behauptet, er alleine hätte das Ergebnis bloß minimal verändert. Doch auch für das von ihnen errechnete Endergebnis ist nur ein einziges Ereignis – die Wirtschaftskrise Neuseelands im Jahre 1951- verantwortlich. “Ein einziges Ereignis vor 60 über für die aktuelle Wirtschaftspolitik entscheiden zu lassen, macht einfach keinen Sinn “, schrieb dazu der Ökonom Gavyn Davies in der “Financial Times” und Andrew Hughes Hallet, von der George Mason University nennt Rogoffs Studie schlicht “simplistisch”: Der Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftsprodukt und dem öffentlichem Schuldenstand biete nie ein vollständiges Bild, denn er lasse völlig außer Acht, wie produktiv die staatlichen Investitionen sind.

Der deutsche Ökonomen Heiner Flassbeck nennt sie Studie daher “grundsätzlich unsinnig”: “Es ist ihr theoretischer Grundfehler, dass man sich empirische Reihen anschaut und dann sagt: Ei sieh da, als der Staat höhere Defizite gemacht hat, ist das Wachstum zurückgegangen. Denn vielleicht war es genau umgekehrt: vielleicht hat er höhere Defizite gemacht, weil das Wachstum zurückgegangen ist. Auch 2008 sind die Staatsschulden gestiegen – aber nicht, weil die Staaten ihre Schulden dümmlich erhöhten, sondern weil sie ihre Banken retten und die eingebrochene Konjunktur mit Investitionen stabilisieren mussten. Wenn man diese Zusammenhänge nur von außen anschaut, kann man dennoch eine Korrelation von steigenden Staatsdefiziten und schwachem Wirtschaftswachstum finden”. Mich warnte Karl Popper vor Jahrzehnten vor etwas, was er die “Kübelmethode” angeblicher Wissenschaften nannte: “Man erstellt Statistiken und sucht eine Korrelation mit anderen Statistiken, ohne um einen inneren Zusammenhang zu wissen- so kann man auch entdecken, dass die Geburtenrate von der Zahl der Störche abhängt.”

Nur die Saldenmechanik formuliert ein gültiges ökonomische Gesetz: Unternehmen können nur soviel verkaufen, wie andere Marktteilnehmer einkaufen – wenn der sparende Staat weniger einkauft, können sie zwingend weniger verkaufen, sofern kein anderer Einkäufer an seine Stelle tritt. Deshalb ist die Staatsschuldenbremse in Zeiten, in denen das ausbleibt immer eine Wachstumsbremse.

 

 

 

 

 

 

 

 

5 Kommentare

  1. Also wenn ich dem ewig gleiche Kommentar von Herrn Lingens konsequent folge bedeutet das – je mehr Schulden ein Land macht desto besser entwickelt sich die Wirtschaft! Oder?

    Griechenland hat sich aber wirtschaftlich erst positiv entwickelt als es im Gegensatz dazu angefangen hat das eigene Budget in den Griff zu bekommen – gegen den Ratschlag von Herrn Lingens und seinem eigenen Finanzminister

    1. “Vollständig erholt hat sich Griechenland von der Krise der Jahre 2010 bis 2016 allerdings noch nicht. Damals ging rund ein Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren. Mit 208 Milliarden Euro lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2022 nach wie vor deutlich unter dem Niveau von 242 Milliarden Euro im Jahr 2008. Das geht auch an den Unternehmen und privaten Haushalten im Land nicht spurlos vorbei. Laut Schätzungen der griechischen Statistikbehörde ELSTAT erreichten die Reallöhne im Jahr 2022 gerade einmal 71 Prozent des Vorkrisenniveaus.” Die Staatsschuldenquote ist bis 2022 weiter gestiegen und das Wirtschaftdswachstum hat sich erst ab 2020 von seiner jahrelangen Malaise erholt (Quelle: Deutsche Bank). Diese “Erholung” auf die Austeritätsmaßnahmen zurückzuführen, ist gewagt. Übrigens, anderes Beispiel: Italien – auch so ein “Schuldenkaiser” – hatte seit den 1990er Jahren bis zur Covid-Krise mit Ausnahme von 2 Jahren immer Primärüberschüsse im Haushalt erzielt und hat sich infolge der dadurch bedingten Wirtschaftsschwäche steigende Schuldenquoten eingehandelt.

      1. Sie haben recht, und deswegen habe ich auch “aus makroökonomischer Sicht” gesagt. Auf der Mikroebene hat sich der Erfolg noch nicht auf die breite Bevölkerung durchgeschlagen. Viele Griechen müssen mit sehr niedrigen Einkommen durchkommen, vor allem, wenn viele Preise auf mitteleuropäischem Niveau sind. Bei Vergleichen mit 2008 muss man vorsichtig sein. In den letzten Jahren vor der Krise war alles ziemlich aufgebläht: unrealistisch hohe Einkommen (v. a. Pensionen und Staatsgehälter), unrealistisch hohe Preise und demzufolge ein unrealistisch hohes GDP. Natürlich ist Griechenlands Erfolgsgeschichte nicht ‘nur’ auf die Austeritätsmaßnahmen zurückzuführen. Alexis Tsipras hatte Spaß daran gefunden, in der Weltpolitik geschätzt zu werden und hat so ziemlich alles ohne Vorbehalt unterschrieben, was ihm die Troika vorlegte. So wichtig war es ihm, in Berlin, Brüssel, Paris, etc. beliebt zu sein. Er hinterließ ein Land, das über alle Maßen ‘ausgespart’ war und somit die besten Vorraussetzungen hatte, auf eine Wachstumspolitik positiv zu reagieren. Und der begnadete Kosmopolit Kyriakos Mitsotakis hat sein Land international so gut verkauft, dass nun schon seit Jahren Unmengen von Geld ins Land fließen (größtenteils als Schulden). Ich schätze aber, dass es noch dauern wird, bis dieser Erfolg in der breiten Bevölkerung ankommt und das könnte bei der nächsten Wahl Mitsotakis sein Amt kosten.

  2. Zu den ökonomischen Irrtümer zählt auch die Bechreibung unserer Wirtschaft als Marktwirtschaft. Tatsächlich leben wir im Kapitalismus. Denn das Erklärugsmuster der Merktwirtschaft beginnt erst am Markr, wo bereits fertige Güter mit Hilfe des Geldes asugetauscht wird. Woher das Geld aber kommt, wiie diese Güter erzeugt werden können, und was dazu in einer Eigentumsgesellschaft erforderlich ist, wird nirgends gesagt.

    Tatsächlich muss ja das Erklärungsmsuter der Wirtschaft bereits bei der Herstellung der Waren beginnen, in der in unserer Wirtschaft mit Privateigentum ganz vorwiegend auf ein solches zugegriffen werden muss. Damit aber kommt e zur Verschuldung. Und dise Schuld wird mit Geld gelöscht, das selbst wieder aus Verschuldung durch Aufnahme von Krediten und Anleihen ensteht. Diese Kredite & Anleihen aber müssen durch reales Vermögen besicert werden. Geld setzt also bereits Eigentum voraus.

    Und hiererst beginnt die Geld&Investitionswirtschaft, in der wir leben, und nicht erst am Markt. Und während im Erklärungsmuster der Marktwirtschaft das Geld ganz einfach da ist, zeigt der Kapitalismus, dass das Geld durch Verschuldung entssteht, Und was das bedeutet, erklärt Katharin Petifor in ihrem Buch “Der Code des Kapitals”.

    Während nun aber die Wirtschaft selbst in ihrem Innenverhältnis der ganzen Wertschöpfungskette nach dem nach einander folgenden und aufbauenden Muster der Wertschöpfunskette organisiert ist, ist das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft nicht ein Ablauf mit einem Anfang und einem Ende, an dem der Konsum steht, sondern eine in allen Stufen gleiche Voraussetzung in Form von überall gleich geltenden Regeln. Diese machen das gedeihlichen Wirtschaften durch das Gewaltmonopol des Staates erst möglich. Hier also findet das, was wir Marktwirtschaft nennen, seinen Platz.

    Darasu aber folgt, dass das Zusammenspiel von Wirtschaft und dem Staatshaushalt ein marktwirtschaftkiches ist, das nichts von der Wirtschaft vorfinanziert werden mit aus Verschuldung entstandenem Geld vorfinaziert werden muss, sondern mit einem vom Staat bereitgsetlltem reinem Verrechnungsmittel organiert wird. DerStat wird damit unabhängig von der Wirtschaft, die ihn heute alimentieren muss. Womit aber dieWirtschaft den Staat mehr als dominirert ,
    stll
    Hie ist also durch Befreiung des Stataes aus dieser Abhängigkeit und stillen Korumoierung zu beginnen.

    Ernst Dorfner

  3. Natürlich kann man Frankreich nicht mit Griechenland vergleichen, aber wenn man aufgerufen wird, „sich dingend Griechenlands zu erinnern“, dann sollte man sich in der Tat an Griechenland erinnern.

    Aus makroökonomischer Sicht war die Politik der ‚Troika‘ eine reine Erfolgsstory; eine Bestätigung, dass in extremen Situationen nur eine Schocktherapie nachhaltig erfolgreich ist (Argentinien könnte ein weiteres Beispiel dafür werden). Griechenland boomt jetzt schon seit ein paar Jahren: eine der höchsten Wachstumsraten in der EU und eine der niedrigsten Inflationsraten. Arbeitslosigkeit um die 10% (zur Spitze war sie 30% gewesen). Exportrekorde am laufenden Bank. Auslandsinvestitionen über 5 Mrd. jährlich. Vielzahl erfolgreicher Techno-Start-Up’s. Volle Akzeptanz auf den Kapitalmärkten (Investment Grade). Etc.

    Dies soll keine Rechtfertigung der Maastricht-Kriterien sein; lediglich ein Hinweis, dass eine solide staatliche Finanzgebarung nicht vor vorneherein abgelehnt werden sollte. Betreffend Maastricht: ich bezweifle, dass auch nur irgendein EU-Spitzenpolitiker faktenbasiert erklären könnte, warum 3% und 60% und nicht, beispielsweise, 6% und 90%. Dies alleine erlaubt schon Schlüsse auf die Sinnhaftigkeit solcher Kriterien.

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