Überlebt der Euro „Italien“?

Die sich überschlagenden  Ereignisse in Italien haben meinen Falter Kommentar zwar bereits überholt – aber alle hier behandelten  Fragen sind die gleichen geblieben:

Der „Spar-Pakt“ ist in Italien so krachend wie in Griechenland gescheitert. Die EU hat die letzte Chance einer vernünftigen Lösung des Euro-Problems vorerst verpasst.

Staatspräsident Sergio Mattarella ein Jurist, hat es abgelehnt, Paolo Savona, einen führenden bürgerlichen Ökonomen, als Wirtschaftsminister einer Lega-Sterne- Regierung zu akzeptieren, weil er Italiens Austritt aus dem Euro in Erwägung ziehe.

Ich zweifle, dass das den Euro rettet. Eher werden Neuwahlen im Herbst die rechtspopulistische Lega, die Savona nominiert hat, stärken. Die Krise der EU und des Euro, die ich hier mehrfach prophezeit habe -„Der abgehängte Süden“, „Deutschland als Sprengmeister Europas“- ist nur kurz aufgeschoben.

Gewiss sind nur die Zahlen des italienischen Desasters: 2007 betrug Italiens BIP 2,2 Billionen Dollar, 2017 waren es inflationsbereinigt nur noch 1,9 Billionen. Die globale Wirtschaft ist im selben Zeitraum um 34 Prozent, die der EU um 14 Prozent gewachsen – in Italien ist sie um 16 Prozent geschrumpft.“

Dieses geschrumpfte BIP, nicht „Schuldenmacherei“, hat Italiens Staatsschuldenquote (Staatsschuld pro BIP) auf 131 Prozent erhöht.

Die Wirtschaftspolitik der EU – die deutsche Spar-Politik – ist in Italien krachend gescheitert.

Wütende Ablehnung durch eine ahnungslose EU

Lega&Sterne wollten sie daher so dringend über Bord werfen, wie Deutschland, und seit Emanuel Macron auch Frankreich, sie beibehalten wollen. „Falls die neue Regierung Italiens Verpflichtungen zu Staatsschuld und Defizit nicht einhält, ist die finanzielle Stabilität der Eurozone gefährdet“, warnte Frankreichs Finanzminister ganz im Sinne seines deutschen Kollegen. Auch in den Medien der EU herrscht Einmütigkeit bis hin zum rosa Standard: Selbst dort sah Dominik Straub im Lega-Sterne-Programm „den Weg in den Staatsbankrott.“

Ausgerechnet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ war im Gespräch mit dem Ökonomen Alexander Grasse milder: Er durfte Sterne-Lega-Forderungen „nicht falsch“, eine gar „überfällig“ nennen. Nur FAZ-Kommentator Tobias Piller erfüllte die Erwartungen und nannte sie „eine Zumutung aus Rom“

Die Regierung hätte das richtige Programm

Was also muteten Lega&Sterne EU und Euro ökonomisch zu?

  1. Gemeinsam forderten sie ursprünglich, dass Italien 250 Milliarden Euro Schulden erlassen werden – fast die Summe der drei Rettungspakete für Griechenland. Dem folgte die Idee einer Parallelwährung durch die Ausgabe eigener Schuldscheine, die den Euro auf Knopfdruck ablösen könnten. Beides wurde ob des Aufruhrs im letzten Moment zurückgezogen. Aber was tun, wenn der Euro taumeln sollte? Die Einführung einer Parallelwährung stellte etwa auch der angesehene Ökonom Hans Werner Sinn im Falle Griechenlands zur Diskussion. Und ein Schuldenerlass wäre dort m.E. billiger als drei „Rettungspakete“ gewesen. Dass Deutschland Hauptleidtragender jedes Schuldenerlasses wäre, scheint mir so gerecht, wie den Deutschen ungerecht: Merkel&Schäubles merkantilistische Exportpolitik – wir halten unsere Löhne zu Gunsten unschlagbarer Lohnstückkosten zurück, die anderen sollen sich verschulden, um unsere Waren zu kaufen- hat entscheidend zu Italiens Schulden beigetragen. Deutschlands Lohnstückkosten lagen auf diese Weise um 30 Prozent unter den italienischen.
  2. Lega wie Sterne forderten Steuersenkungen: Einkommens- und Gesellschaftssteuern von maximal 20 Prozent sollten die Kaufkraft erhöhen und Investitionen fördern. Grasse hielt die Steuersenkung für „nicht falsch“, wunderte sich aber über das Fehlen von Vermögenssteuern; ich auch.
  3. Voran die Sterne fordern, das auf 68 Jahre erhöhte Pensionsalter wieder zu reduzieren, vor allem aber (von der Lega auf zwei Jahre befristet) ein „Grundgehalt“ von 780 Euro, das sich freilich in nichts von unserer „Mindestsicherung“ unterscheidet: Es wäre daran gebunden, einen angebotenen Job anzunehmen. Grasse hielt das für ökonomisch „sinnvoll“ und sozial „überfällig“. Ich auch.
  4. Am meisten empört (wohl auch Hartwig Löger) die Forderung nach Lockerung des „Spar-Pakts“. Ursprünglich forderten Lega&Sterne seine „Überwindung“- jetzt nur mehr die „Anpassung“ der Defizit-Regeln durch „verhältnismäßigen und begrenzten Rückgriff auf das Instrument der Neuverschuldung.“

Mit Deutschland regiert der ökonomische Widersinn

Ich habe hier mehrfach ausgeführt, warum ich den Spar-Pakt in einer Nachfrage-Krise für widersinnig halte: Er bringt Volkswirtschaften um die Möglichkeit durch Investitionen des Staates in Bildung, öffentliche Verkehrsmittel, sozialen Wohnbau, Datennetze usw. fehlende Nachfrage zu generieren. Seine „Überwindung“ wäre ein Segen für die EU wie für Deutschland, weil mehr Staatsausgaben saldenmechanisch zwingend auch mehr Einnahmen für Unternehmen bedeuten. Aber solange Deutschland die EU dominiert, dominiert der ökonomische Widersinn.

Obwohl Beppe Grillo die keineswegs absurde Idee eines geordneten Übergangs zu einem Nord- und einem Süd-Euro ins Spiel gebracht hat, wollten Lega&Sterne dieses Risiko nicht eingehen und im gemeinsamen Euro bleiben. Freilich – das war mit Savonas Nominierung klar- nur unter der Bedingung eines gelockerten Sparpaktes.

Wie das gehen könnte hat 2015 Portugal vorgeführt: Es hat seine Steuern deutlich gesenkt und, mit Signalwirkung für alle Gehaltsverhandlungen, seine Beamtengehälter erhöht. Beides, so empörten sich Wolfgang Schäuble & Co auch damals, würde Portugals Defizite gefährlich erhöhen. Stattdessen hat es die Konjunktur belebt, die Staatsschuldenquote leicht und die Arbeitslosigkeit drastisch gesenkt.

Staatliches Sparen ist in einem Maße widersinnig, dass bereits die geringste Abweichung davon sich positiv bemerkbar macht.

In Italien hätte die primär starke Industrie des Nordens einen solchen Erfolg sogar etwas erleichtert. Aber diese letzte Chance einer vernünftigen Lösung des Euro-Problems wurde verpasst.

5 Kommentare

  1. Ein echter Lingens-Kommentar: ohne Rücksichtnahme auf Vorurteile. Danke. Ich bin es schon so leid, immer von „Populisten“ zu lesen, wenn eine Person oder Partei nicht in das von Merkel und Co vorgefertigte Schema passt. Die vorschnelle Aburteilung der derzeitigen italienischen Regierung ist ein Skandal sondergleichen.

  2. Jean-Claude Juncker hat die Lösung für das italienische Problem entdeckt. The Guardian: „Jean-Claude Juncker has said Italians need to work harder, be less corrupt and stop looking to the EU to rescue the country’s poor regions.“

    Na dann!

  3. „Das Projekt Währungsunion erzieht die Länder zu deutschem Verhalten, aber nicht alle Länder wollen sich so verhalten wie Deutschland. Für Italien sind gelegentliche Abwertungen viel nützlicher als feste Wechselkurse, und für Frankreich sind höhere Staatsausgaben viel sinnvoller als starres Festhalten an einem Stabilitätskriterium, das vor allem Deutschland nützt … Wenn sie (die Währungsunion) platzt, wenn also ein Schlüsselland – Frankreich oder Deutschland – nicht mitmacht, wird es in Europa eine große Erleichterung geben. Das wird ganz ähnlich sein wie 1954, als im Grunde auch niemand die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wollte und alle an dem Tag aufatmeten, an dem sie in der französischen Nationalversammlung durchfiel … Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, ein abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet.“

    Lord Ralf Dahrendorf, DER SPIEGEL, 11.12.1995

  4. „Wir schaffen das“ – Deutschland liegt in vielen Punkten falsch.
    Und die Geschichte wird es wieder einmal zeigen …

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