Christian Lindner und Magnus Brunner sind gegen die von der EU geplante Lockerung der Staatsschuldenbremse und erhöhen das Risiko einer Rezession.
Die US-Notenbank FED erhöht die Zinsen nicht, nachdem die Teuerung von 8 auf 4 Prozent gesunken ist. In der EU sank sie von 10,6 auf 6 Prozent, um wieder auf 7 Prozent zu steigen und die EZB erhöht die Zinsen weiter. Wenn man meint, dass die lockere Geldpolitik an der Teuerung schuld ist, ist das logisch. Ich gehöre mit den Ökonomen Heiner Flassbeck und Paul Schulmeister zur Gruppe derer, die das bezweifeln und die Hauptursache der Teuerung im Ukrainekrieg und nebenher erhöhten Unternehmensgewinnen sehen. Zudem halten wir die Ausgangslage von EU und USA für nicht vergleichbar: Die USA haben Finanzkrise, Pandemie und Ukraine so gut verdaut, dass die Kurve ihres Wirtschaftswachstums so nach oben weist, als hätte es diese Ereignisse nicht gegeben: Die Löhne stiegen massiv, es herrscht Vollbeschäftigung und jetzt verbilligt neuerlich vermehrtes Fracking Gas bis hin zum erfolgreichen Exportschlager. In der EU blieb ein massiver Knick beim Wirtschaftswachturm, blieben die Löhne weiterhin zurück, gibt es immer noch 6 Prozent Arbeitslose und kommt Gas aus den USA weit teurer als aus Russland. Der Haupteffekt der Zinserhöhungen der EZB, so unsere Furcht, könnte darin bestehen, Rezession herbeizuführen: Bei unserem größten Handelspartner, Deutschland, schrumpft die Wirtschaft bereist das dritte Quartal geringfügig; beim zweitgrößten, Italien, das zweite Quartal aber heftig; in Österreich schrumpft sie erstmals.
Inmitten dieses Schrumpfens kämpfen die Finanzminister Österreichs und Deutschlands, Magnus Brunner und Christian Lindner für die möglichst rasche Wiederbelebung einer strengen „Staatsschuldenbremse“. Denn deren Ausgestaltung steht immerhin zur Diskussion. Es ist zwar nicht so, dass die EU-Kommission den Widersinn der Maastricht-Kriterien anerkennt, aber sie hat doch zur Kenntnis genommen, dass selbst der IWF den Austerity-Pakts „mehr schlecht als gut“ nennt und plant eine EU-typische Lösung: Der Pakt wird zwar nicht entsorgt, aber seine Einhaltung wird nicht wie bisher verfolgt sondern soll nur Langfristiges Ziel sein. Sofern Lindner und Brunner sich mit ihrer Opposition nicht durchsetzen, würde die Schuldenbremse damit zwar nicht abgeschafft aber immerhin deutlich gelockert.
Ich möchte kurz festalten, was sie bisher angerichtet hat: Sie hat Militär und Rüstungsindustrie der EU kaputtgespart. Sie lässt Spitäler rundum kränkeln, weil auch Gesundheitsausgaben sich für nicht gleich wahrnehmbares Sparen geeignet haben. Kaum minder gefährlich äußert sich staatliches Sparen im Rückstand bei Digitalisierung und KI. Entscheidend behindert hat sie natürlich das Wirtschaftswachstum: War die Wirtschaftsleistung (das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf) der Eurozone 2009 nach der Finanzkrise um 9.615 Dollar geringer als die der USA, so hat sich dieser Abstand mit dem Spar-Pakt bis 2021auf 27.797 Dollar fast verdreifacht. Und zwar als zwingende Folge mathematischer Zusammenhänge, die der deutsche Ökonomen Wolfgang Stützel aufgezeigt hat: Wirtschaft kann nur wachsen, wenn irgendwer sich verschuldet, um mehr als bisher einzukaufen, so dass mehr als bisher verkauft werden kann. Zwar ist es optimal, wenn die Konsumenten mehr einkaufen – nur steht dem in der EU die „Lohnzurückhaltung“ extrem im Weg. Lange haben auch Unternehmer mehr eingekauft – aber nur, wenn sie mehr Absatz erwarten konnten und das können sie nicht, wenn die Löhne zurückgehalten werden und der Spar-Pakt den Staat beim Einkaufen bremst.
Lindner und Brunner sehen das anders: Nach den hohen Staatsausgaben zur Bewältigung der Pandemie und Abfederung der Inflation müsse der Staat noch mehr sparen, weil auch die Zinsen für seine Schulden gestiegen sind. Dazu ist in Österreich zu sagen: Dass unsere Ausgaben für Pandemie- und Abfederung der Inflation besonders hoch sind, verdanken wir der ÖVP mit der COFAG und Brunner, die beides besonders kostspielig bekämpften, indem sie einer VP-Klientel Geschenke machten. „Sparsamkeit“ des Staates wäre diesbezüglich zweifelsfrei besser gewesen – nur ist die etwas völlig anderes als „Sparen des Staates“. Zweitens: selbst wenn man eine niedrige Staatsschuldenquote (Schulden pro BIP) für erfolgversprechend hält, obwohl Bulgarien mit traumhaften 22 Prozent und Japan mit katastrophalen 258 Prozent nicht gerade für diese These sprechen, muss einem das eigene Bruttoinlandsprodukt doch die wichtigere Größe sein. Und dieses Bruttoinlandsprodukt wächst, siehe Stützle und die USA, eben nicht durch Sparen, sondern durch Ausgeben des Staates.
Vielleicht hilft es Lindner und Brunner, ihre Schuldenphobie abzulegen, indem sie Meldungen des Jahres 2007 zur dramatischen Verschuldung der Stadt Frankfurt nachlesen. Sie wurden nämlich gefolgt von einer Meldung über das Eigentum der Stadt Frankfurt an Immobilen, aus der hervorging, dass alleine sie ein Vielfaches der Schulden wert sind. Man kann Schulden nämlich nicht nur im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung betrachten, sondern muss sie auch im Verhältnis zu dem sehen, was im Laufe der Jahre durch sie an Werten geschaffen wurde – sei es an Immobilien, sei es an funktionierenden Einrichtungen für Bildung, Energieversorgung, Gesundheitsversorgung oder Gewährleistung des Rechtstaates. Denn sie alle sind ein eminenter Vorteil beim Erzielen eines hohen BIP. Genau so wertvoll wie kampfkräftige statt kaputtgesparter Heere, die unseren Wohlstand vor Männern wie Wladimir Putin schützen.
Ein Kommentar
Es ist gänzlich unverständlich, dass es immer wieder gesagt werden muss, dass die ‚Verschuldung‘ des Staates doch im Verhältnis zum BIP zu sehen ist,
und dass das steigende BIP die für sinnvolle Investitionen aufgenommenen Schulden wieder ausgleicht und Werte schafft, statt Schulden.
Danke, dass Herr Lingens seit vielen Jahren versucht, aufzuklären, dass Sparen des Staates den Menschen teuer kommt.
Schwer zu verstehen ist allerdings, warum wir unseren Wohlstand ausgerechnet vor Herrn Putin schützen müssen. Wir haben bisher davon profitiert, dass wir günstige Energie aus Russland beziehen konnten und könnten in Europa noch mehr von einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland profitieren – würde sich jemand vom Schlag eines Außenministers Genscher oder ähnlicher Persönlichkeiten finden (oder heute sogar der 100-jährige Kissinger) die endlich Verhandlungen oder einen Interessensausgleich zwischen den kriegsführenden Ländern zustande bringen. Aber dazu wäre eine EU nötig die europäische Interessen und nicht die Agenda der USA vertritt.