Polen: ein Sieg der Frauen für die Frauen

Wie schon die Nachwahlbefragung vermuten ließ, kann die liberalkonservative Opposition unter dem ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk in einem Bündnis mit einer christlichen Partei und einer Linkspartei Polens nächste Regierung bilden und die bisher regierende klerikal-konservative PIS ablösen.

Entscheidend für diese Rückkehr Polens zur liberalen Demokratie waren die Stimmen der Frauen: So wie Frauen in den USA bei den Midterm-Wahlen einen Triumph der Republikaner verhinderten, weil sie die lebensgefährliche Verschärfung der Abtreibungsgesetze unter republikanischer Führung nicht zu akzeptieren bereit waren, verhinderten Frauen auch einen neuerlichen Triumph der PIS, weil sie die lebensgefährliche Verschärfung der Abtreibungsgesetze unter deren Führung nicht zu akzeptieren bereit sind. Die höchste bisher verzeichnete Wahlbeteiligung kam zweifellos zustande, weil selbst Frauen, die in der Vergangenheit unter die Nichtwähler zählten, diesmal zur Wahl gingen und für die Opposition stimmten. Wahlhelfer Tusks hatten diese Chance richtig erkannt: Sie produzierten ein millionenfach angeklicktes Video, bei dem die zahllosen Frauen-verachtenden Äußerungen von PIS-Funktionären jeweils mit dem Bild einer Frau unterlegt waren, die ein Finger vor dem Mund zum Schweigen verdammte.

Die PIS bleibt zwar mit Sicherheit stärkste Partei, hätte aber selbst dann nicht genug Mandate, um zu regieren, wenn sie eine Koalition mit der rechtsextremen Kleinpartei Konfederacja einginge.

Wie sich Polen verändern wird

Tusk hat Polen schon einmal, 2007 bis 2014 als Regierungschef angeführt und insbesondere die Finanzkrise von 2008 sehr erfolgreich bewältigt. Er hat sich die Sympathien der Wähler allerdings verscherzt, indem er – ökonomisch richtig – das Pensionsalter angehoben hat. (Was angesichts der ständig steigenden Lebenserwartung auch für Österreich richtig wäre.)

Sich dessen erinnernd hat die PIS diesmal kurz vor den Wahlen neben der Kinderbeihilfe vor allem die Pensionen erhöht und behauptet, dass Tusk beides rückgängig machte, wenn er an die Regierung käme. Das hat er zwar zweifellos nicht vor – dennoch muss er aufpassen, nicht in den Fehler so vieler Liberaler zu verfallen, den Sozialstaat zu vernachlässigen, um die Staatsausgaben zu verringern, denn der erfolgreiche Ausbau des Sozialstaates war das Atout der PIS.

Zentrales Problem der PIS ist ihre Einstellung zum Rechtsstaat und zur Gleichberechtigung von Frauen und ihrem Recht zu entscheiden, ob sie ein Kind haben wollen.

Unter Tusk wird sich Polen vor allem in seiner Gesetzgebung entscheidend verändern: Er wird das Gesetzesvorhaben unterbinden, mit dem die PIS die Unabhängigkeit von Richtern beschneiden wollte, und die diesbezügliche Auseinandersetzung mit  der EU damit beenden. Und er wird Polen trotz seines christlichen Bündnispartners wieder ein humanes Abtreibungsgesetz bescheren.

Gleichzeitig wird Tusk bei Polens Hilfe für die Ukraine anders als die PIS nicht mehr auf den Widerstand der bäuerlichen Wählerschaft Rücksicht nehmen müssen, die sich vor ukrainischen Agrarimporten fürchtet.  Polen wird die EU wieder stärken, statt sie im Einvernehmen mit Viktor Orbans Ungar zu schwächen.

2 Kommentare

  1. Ist es nicht legitim, die eigene Landwirtschaft vor ukrainischen Agrarimporten zu schützen? Ist es nicht ein selbstverständliches Recht (oder sogar die Verpflichtung) eines Staates, die eigene Wirtschaft vor Verzerrungen zu schützen, die auf dem Weltmarkt wodurch auch immer zustande kommen? Müsste das situationsbedingte Überangebot an ukrainischem Getreide nicht gesamteuropäisch gelöst werden? Wie so manches Problem, das ein Land alleine nicht lösen kann?

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