Die Autoindustrie regiert Deutschland
Deutschlands Bundesverwaltungsgerichtshof hat korrekt entschieden, dass Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge zulässig sind, wenn Stickoxyd-Grenzwerte anders nicht eingehalten werden können.
Fünfzehn Millionen deutsche Diesel-Autos, die nur die Euro-5-Norm erfüllen sind direkt betroffen. Der bloße Umstand, dass solche Fahrverbote in Städten wie München, Stuttgart oder Düsseldorf ausgesprochen werden könnte, hat ihren durch den Dieselskandal bereits angeknacksten Wert garantiert um weitere 20 Prozent gesenkt.
In den USA, mit ihrem angeblich so miserablen Schutz gegen die „Macht der Konzerne“, hat VW den Kunden diesen Schaden mit Milliardenzahlungen ersetzen müssen und Mercedes wird nicht umhinkommen, ähnliches zu tun. In der EU mit ihren angeblich viel höheren Standards müssen die deutschen Autohersteller gar nichts. Sie weigern sich weiterhin, Fahrzeuge auch nur auf ihre Kosten nachzurüsten.
Der enorme Vorteil von Sammelklagen
In Wirklichkeit sollten wir endlich zu Kenntnis nehmen: Der Verbraucherschutz der USA ist vor allem dank der Möglichkeit von „Sammelklagen“ ungleich besser als der der EU entwickelt. Und zumindest bis zu Donald Trump sind auch die Umweltbehörden besser entwickelt: Es besteht kein Zweifel, dass Stickoxyd, wie es Diesel mehr als Benziner produzieren, gesundheitsschädlicher als CO² ist, dessen Ausstoß beim Diesel geringer ausfällt und uns vor allem auf dem Umweg über den Klimawandel schädigt.
Die niedrigeren Stickoxyd-Grenzwerte der USA lassen sich nicht, wie Deutsche (und auch viele Österreicher) überzeugt sind, mit dem Kampf gegen die „überlegene deutsche Autoindustrie“ begründen – sie haben ausreichend Begründung in unserem medizinischen Wissen. Es gibt seriöse Schätzungen der Stickoxyd-Toten, auch wenn natürlich nicht Diesel-Autos alleine sie verursachen.
Der Autoindustrie in den Auspuff gekrochen
Die Reaktion der deutschen Politik zeigt das Ausmaß, indem die politischen Führer der Auto-Industrie in den Auspuff kriechen.
Am deutlichsten wird das bei Christian Lindner von der FDP: Er sieht in dem Gerichtsurteil einen „Schlag gegen das Eigentum“ – aber nicht vielleicht durch den Betrug der Autoindustrie, sondern „weil wir uns zu Gefangenen menschengemachter Grenzwerte machen“.
Das unterscheidet sich in nichts von Donald Trumps Zweifel am Klimawandel, dessen Existenz und Schädlichkeit auch „längst nicht erwiesen“ sei.
In Wirklichkeit sind die so viel günstigeren Stickoxyd-Normen der EU nur dadurch zu erklären, dass Deutschland als deren stärkste Kraft sie unter vergangenen FDP- gestützten Regierungen so und nicht härter haben wollte.
Angela Merkel, die noch zuletzt in Brüssel vorgesprochen hat, die neuen Abgas-Prüfbestimmungen nicht zu hart zu gestalten und zu rasch in Gang zu setzen, verdeckt die gleiche Abhängigkeit von der Auto-Industrie indem sie sich- wie überall- diffuser äußert und abzuwiegeln versucht: “Es geht um einzelne Städte, in denen noch mehr gehandelt werden muss, aber es geht wirklich nicht um die gesamte Fläche und alle Autobesitzer in Deutschland.“ Die Überschreitungen – gelegentlich um das 20fache -seien auch „nicht sehr groß“ und könnten durch das neue Milliardenprogramm zur Förderung des öffentlichen Verkehrs und Maßnahmen der besseren Verkehrslenkung in Grenzen gehalten werden.
Betroffene Kommunen würden dafür Zuschüsse erhalten.
Die Disziplin fehlt immer den anderen
Zu Deutsch: Man wird der Autoindustrie mit Milliarden Steuermitteln zur Hilfe eilen, statt sie zur Kasse zu bitten. Und Deutschland wird die Stickoxyd-Grenzwerte auf längere Zeit hinaus trotzdem kaum weniger als bisher überschreiten.
Auch das zählt zu den Besonderheiten deutscher Politik: Ungeheure Empörung über das Überschreiten von EU-Grenzwerten durch andere – größtes Verständnis für die eigene Überschreitung im Dienste der eigenen Industrie.
Die Parallele zur „großen“ Wirtschaftspolitik, ist verblüffend: Es gibt in der EU auch eine Vereinbarung darüber, die Inflation bei zwei Prozent zu halten. Das hätte die ganze Zeit über Gehaltserhöhungen im Ausmaß der Produktivitätssteigerung + Inflationsrate erfordert. Deutschland unterließ sie, weil das seiner Industrie einen Lohnstückkostenvorteil von ca. 20 Prozent gegenüber vergleichbaren Volkswirtschaften – etwa Frankreich oder Italien- beschert und sie zu deren Lasten Marktanteile gewinnen ließ.
Dass die betroffenen Länder unter diesen Umständen Probleme mit den von Deutschland vorgegebenen (außerdem teils sinnwidrigen) Staatsschulden- und Budgetzielen haben, lastet Deutschland deren “Disziplinlosigkeit” wenn nicht gar “Faulheit” an.
4 Kommentare
Ein guter Lingens! Wie immer ordentlich analysiert und festgestellt.
Ich erlaube mir hier anzufügen, daß nicht nur die Autoindustrie Nutznießer der angedeuteten Förderungen ist bzw. sein wird. Alle Steuerzahler denen das Geld für die Förderung abgespähnt wird sind Nutznießer. Sei es durch die auf den Autobahnen “rollene Lagerhaltung” die die Beschaffung der Güter durch “just in time” Lieferung verbilligt und sei es z.B. durch den Individualverkehr der Konsumenten direkt in die Stadtzentren bringt.
Und darüber hinaus sind es die Konsumenten die, ihre individuelle logistische Freiheit genießend durchwegs unnötig Treibstoff verbrauchen und damit beim Beschleunigen, Kuppeln und Bremsen Feinstaub erzeugen. Unnötig, weil über das notwendige Maß hinaus durch emotionales Beschleunigen und Abbremsen.
Ich nehme mich da nicht aus. Gelernt habe ich das beim Fahren mit dem Leihauto Car2Go, das im Eco-Anzeigemodus den Fahrer durch optische Anzeigen “belohnt” wenn er sich an bestimmte Fahrregeln hält. Sicherlich ist diese Anzeige im Sinne des Verleihers da er ja einen Pauschalpreis verlangt. Doch zeigt die Anzeige den Weg zu geringer Belastung.
Und wenn ich so fahre werde ich von ALLEN kopfschüttelnd überholt.
Mea maxima culpa wenn ich nicht so fahre!
[ZITAT AUS ARTIKEL ERGÄNZT + TEXT KLARER]
Empörung bei anderen, Verständnis bei sich selbst … und das hier, in einem wichtigen deutschen Medium.
Ein Artikel, den man als Häme lesen könnte, aber vielleicht ist er sogar fast heroisch. Lässt er doch der Automarke Ford ein wenig Gerechtigkeit werden: “Hut ab, wenn es Ford tatsächlich geschafft hat, ohne Tricks „sauber“ geblieben zu sein.”
Wo könnte ich Ford lobend erwähnen, dachte ich manchmal – hier passt’s. Es hat mich gefreut, das über Ford zu hören, diese ach so “normale” Marke.
Und Dank an die FAZ!
Der Artikel: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diesel-affaere/kein-skandal-fuer-ford-herausforderungen-gibt-es-trotzdem-15132196.html
So lange es immer noch eine Nachfrage nach diesen Stinkern gibt ,natürlich auch spielt der Preis an der “Zapfsäule” diesbezüglich eine wesentliche Rolle,so lange wird sich nicht viel ändern,die Autolobby & ihr “Anhang” bei Regierungen & Systemmedien,werden noch längere Zeit frohlocken können !”Floriani” Prinzip & “Vogel Strauss” Politik ,ein weiterer Grund zu darüber “nicht besorgt” zu sein! Ach ja….
Ein großartiger, scharfsinniger Kommentar. Schade, dass er nicht in einer Tageszeitung erscheint.