Zwischen Brexit und Italexit

Millionen gegen den Brexit erleichtern den Brexit. Er ist längst nicht die schwerste Prüfung, die in diesem Jahr auf die EU zukommt.

In der EU hofft man (hinter vorgehaltener Hand) dass das britische Unterhaus den aktuellen Scheidungsvertrag jetzt doch annehmen und die verlängerte Frist nutzen wird, um die Gesetze bis zum 22. April – also noch vor der EU-Wahl- den Notwendigkeiten eines geregelten Austritts anzupassen. Für diesen Szenario spricht:

  • Der geregelte Austritt wirft primär weniger Probleme als der ungeregelte auf.
  • Die überwältigende Mehrheit der Briten will wenigstens einen geregelten Austritt.
  • Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten will einen geregelten Austritt. Das gilt für die opponierende Labour-Party noch mehr als für die Tories.
  • Theresa May kann behaupten, bis zuletzt für den Austritt gekämpft zu haben.
  • Und nicht zuletzt haben die Millionen, die im Internet für den Verbleib in der EU unterschrieben und am Wochenende für ein zweites Referendum demonstriert haben, May geholfen: die Hardliner unter den Brexitiers müssten begriffen haben, wie leicht es mit dem Austritt vorbei sein könnte, wenn sie den aktuellen Scheidungsvertrag nicht akzeptieren,

Gegen die geregelte Scheidung spricht, dass das Unterhaus den Vertrag schon zweimal zurückgewiesen hat und einmal den geteilten Vertrag. Dass also unverändert die Möglichkeit besteht, dass eine Mehrheit der britischen Abgeordneten auf der Zurückweisung beharrt weil sie mit dem aktuellen Scheidungsvertrag bis auf weiteres an eine EU-Zollunion gebunden sind, auf deren Regelungen sie keinen Einfluss mehr haben. (Entgegen der Meinung vieler Kollegen hielte ich die ungeregelte Scheidung nicht für den Weltuntergang: Großbritannien vermiede in Zukunft eben jegliche Zölle und das verhinderte gravierende Probleme an der Grenze wischen Irland und Nordirland. Auch den Erhalt von Landerechten haben Fluglinien und Flughäfen längst abgesprochen.)

Die EU wird schon demnächst ein viel existentielleres Problem als den Brexit haben. EZB-Chef Mario Draghi verbirgt schon lange nicht, dass es um sie als Volkswirtschaftszone längst nicht so prächtig steht, wie deutschsprachige Medien glauben machen. Und zwar keineswegs erst seit dem chinesisch- amerikanischen „Handelskrieg“, der die Abschwächung jetzt zusätzlich verschärft, sondern weil ihr „Norden“ und ihr „Süden“ gewaltig auseinander gedriftet sind. So wird sehr bald klar sein, dass die drittgrößte verbliebene EU-Volkswirtschaft- Italien- unter den gegebenen budgetären Voraussetzungen auf keinen Fall aus der Rezession herauskommt. Die EU kann dann Strafmaßnahmen setzen, die Italien sicher negiert, weil sie das Problem nicht linderten, sondern verschärften- oder endlich den Spar-Pakt begraben, was unter deutscher Führung nicht leicht sein wird. Vor allem aber wird es nicht reichen, weil das noch viel gravierendere Problem Italiens in seinen Marktanteilsverlusten an Deutschland besteht, dessen Lohnstückkosten dank „Lohnzurückhaltung“ 30 Prozent unter den italienischen liegen. Die EU wird dieses Problem nicht länger negieren können, weil es in Frankreich mit 20 Prozent Lohnstückkosten-Differenz nur relativ geringer ist. Matteo Salvini wird die nahen italienischen Wahlen nämlich mit Sicherheit hoch gewinnen, und in Frankreich wird Marine Le Pen in Umfragen immer weiter vor Emanuel Macron liegen.

Die EU wird also weit stärker als durch den Brexit gefordert sein. Das soll man wissen, wenn man im Mai ihr Parlament wählt

Der Einfluss des Parlaments ist zwar begrenzt, aber im Zusammenwirken mit einem neuen Kommissionspräsidenten kann daraus doch ein wesentlicher Unterschied zur bisherigen Politik resultieren. Stärkste Fraktion wird zweifellos unverändert die EVP sein. Ihr Spitzenkandidat Manfred Weber hat sich zwar weder zum Sparpakt noch zur Lohnzurückhaltung geäußert, doch es wäre ein Wunder, wenn er von der bisherigen deutschen Position- wir machen alles richtig- abrückte. Wer ÖVP oder die NEOS wählt, stärkt Webers Position. Europas Sozialdemokraten werden zweifellos massiv geschwächt aus den Wahlen hervorgehen. Wie Grüne und Liberale nehmen sie keine klare wirtschaftliche Gegenposition zu Weber ein. Die vertritt – so erfolglos wie einsam- „die Linke“ und die SPÖ in ihrem neuen Programm.

Massiv gestärkt werden zweifellos die EU-kritischen Rechtsparteien aus den Wahlen hervorgehen- voran Matteo Slvinis Lega Nord, die RN Marine Le Pens, die AfD und die FPÖ. Wenn es Salvini gemeinsam mit Harald Vilimsky gelingt, daraus einen Rechtsblock zu schmieden, könnte auch Viktor Orbans Fidesz sich ihm inhaltlich anschließen.

So absurd es auch ist, aber wahrscheinlich kann nur der Druck dieser gestärkten rechtsextremen Fraktion Manfred Weber (die CDU) zum Nachdenken über die deutsche Wirtschaftspolitik zwingen. Denn es ist diese Politik, die den Rechtsaußen-Parteien allenthalben derartige Zuwächse beschert. Zwar ist der emotionale Treibsatz ihres Wachstums das Migrationsproblem, aber in prosperierenden Volkswirtschaften, die niemanden abhängen, lässt es sich bewältigen – in schwächelnden Volkswirtschaften, in denen eine wachsende Zahl Abgehängter mit den Migranten um Jobs, Wohnraum und Sozialleistungen konkurriert, erstarken zwingend rechtsextreme Parteien, die „Abschiebung“ als Lösung versprechen. Wer will, dass die Salvinis, Le Pens, oder Vilimskys, in weiteren fünf Jahren die stärkste EU-Fraktion anführen, macht wirtschaftspolitisch so weiter, wie Deutschland es vorgibt.

PS: Im Scala-Theater läuft Schillers „Maria Stewart“ in einer atemberaubenden Inszenierung. Frauen an der Spitze Großbritanniens waren meist kampfstark und immer einsam.

 

Ein Kommentar

  1. Sie schreiben: „… doch es wäre ein Wunder, wenn er (Weber) von der bisherigen deutschen Position – wir machen alles richtig – abrückte.“
    Meine Beobachtung über Jahrzehnte: der wirtschaftlich stärkere Teil übervorteilt den schwächeren immer. Einfach situationsbedingt, weil er in allem den größeren Hebel bewegt. Nur wenn
    der stärkere Teil aktiv darauf achtet, den schwächeren gerecht zu behandeln (aus Seriosität, oder weil er einen starken Partner erhalten will, etc.), passiert das nicht.

    Für Deutschland ist es so am besten: ordentlich Geld in der Kassa, Leute immer noch zufrieden, die Chancen am schwieriger werdenden Weltmarkt am größten. Die deutsche Politik müsste für das größere Ganze eines gemeinsam stärkeren Europa denken – doch Gedanken wie diese scheinen heute selten. (Auch früher brauchte es Leute wie Helmut Schmidt oder Helmut Kohl, um sie umzusetzen.) PolitikerInnen handeln heute (wie Manager) oft kurzsichtig, um den nächsten Wahltermin politisch zu überleben, in Deutschland wie in England – und sonstwo.

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