Mein Leben in der „Risikogruppe“

Ich zähle mit drei Herzinfarkten zur Spitze der „Risikogruppe“. Das macht das Leben nicht gerade einfacher. Aber Kleinunternehmer, freie Schauspieler oder Sänger sind noch viel schlechter dran

Leben in der „Risikogruppe“ erinnert stark an Klosterleben: Trotz aller Demut kommen Spannungen auf. Unsere Kinder, die zu treffen wir aus Spanien nach Wien zurückgekehrt sind, dürfen wir nicht sehen- schon gar nicht die Enkel. Ich habe das notgedrungen innerlich akzeptiert- achtzig Jahre, drei Herzinfarkte und eine eben überstandene Bypass -Operation machen gefügig. Meine Frau hingegen fühlt sich verkannt: In Ziffern ist sie nur zehn Jahre jünger als ich – physisch mehr als zwanzig: Als sie mit vierzig mit mir ein Casino in Las Vegas betreten wollte, wurde sie angehalten, weil der Zutritt erst ab achtzehn gestattet ist – sie musste den Pass vorweisen.

Jetzt sollte sie nicht einmal das Scala-Theater betreten dürfen, um unserem Sohn bei der Premiere von „Casanova kocht“ zuzusehen. Denn selbst wenn ihre eigene Erkrankung so glimpflich wie bei einer Fünfzigjährigen verliefe, könnte sie das Virus auf mich übertragen.

Ich komme mir erstmals im Leben sehr, sehr alt vor.

Vom Virus jede Kultur zerstören lassen?

Trotz Corona hatten wir ursprünglich nicht gedacht, die Premiere zu versäumen. Man sitzt in diesem Stück an kleinen Tischen und bekommt auch etwas serviert – an unserem Tisch wären wir mit der Freundin unseres Sohnes allein gesessen. Ich habe also beim Leiter des Theaters Bruno Max, den ich ein wenig kenne und extrem schätze, angerufen, um ihn zu fragen, ob er die Tische in Corona-gerechtem Abstand aufgestellt hätte. Dass sei bei 88 Plätzen unmöglich, hat er wie befürchtet geantwortet, und verstanden, dass ich abgesagt habe. „Aber Ihre Frau kommt doch sicher“, war er so überzeugt wie sie. „Ja“, habe auch ich gemurmelt – aber vorsichtig angedeutet, dass viele Leute doch nicht kommen könnten.

Jeder andere Theaterleiter hätte das von vornherein befürchtet. Aber wenn man wie Bruno Max seit Jahrzehnten in Wien eine Bühne und in Mödling das Stadttheater nicht nur dank Subventionen, sondern auch dank Kartenverkaufs erfolgreich führt, ist man gebürtiger Optimist: „Wenn nur ein paar Prozent der Leute, die nicht mehr ins Burgtheater gehen dürfen, zu uns kommen, sind wir voll- wir können uns doch nicht von einem Virus jede Kultur zerstören lassen.“

Wären wir nicht zum Arzt gegangen…

Meine Frau, die neben ihrem Jura- ein Klavierstudium abgeschlossen hat, sah das ähnlich und ich vorerst auch. Ich hegte daher den Plan, zumindest bis vor die Haustür des Scala-Theaters zu gehen und dort zu beobachten, wie viele Besucher tatsächlich kämen. Wären es wie ich vermutete wenig, so könnten wir uns mit genügend Abstand, an unsren Tisch setzten. „Beim Einkaufen im Merkur bin ich in einer Schlange bis ans Ende des Supermarktes gestanden“, bestärkte mich meine Frau. Doch unsere Ärztin, die wir aufsuchten, um uns Grippe impfen zu lassen, war gnadenlos: „Ins Theater? Mit dem Leben spielt man nicht! “

„Wären wir nicht zum Arzt gegangen, wären wir wenigstens im Theater gewesen“, sagte meine Frau.

„Wir haben vor ungefähr dreißig Leuten gespielt“, erzählte unser Sohn, „trotzdem war es das einzig Richtige, dass ihr weggeblieben seid. Alles andere wäre verrückt gewesen.“ „Ja“ murmelte meine Frau, aber es klang nicht restlos überzeugt. Sie fühlt mit Bruno Max als Künstler wie als Unternehmer. Kleine Theater, Galerien, Cafés, Konzertveranstalter, werden wahrscheinlich weit vor Fluglinien Hauptleidtragende der Corona-Krise sein. Es gibt zwar einen Krisenfonds, der auch ihnen bei der Überbrückung von Problemen helfen soll, aber er wird nicht lang reichen halten- „systemrelevant“ war Kultur noch nie.

„Bis Sonntag wird Max noch spielen“ prophezeite mein Sohn und irrte. Dass in Restaurants am Abend nicht mehr gegessen werden durfte, ließ auch Max das Handtuch werfen: Freitag sahen die letzten vierzig Zuschauer „Casanova kocht“. „Wie auf der Titanic“ meinte mein Sohn“.

Doch am 18. April soll Casanova schon wieder kochen. Das nächste Stück, Kleists „Zerbrochener Krug“, wurde parallel verschoben. Max ist entschlossen, auch die Corona Infektions-Kurve zu kratzen.

Ich bin weniger optimistisch: Es schiene mir ein gewaltiger Erfolg, wenn mein Sohn im Anfang Herbst Sommer wieder spielen könnte.

Durch das Virus sofort arbeitslos…

Auch er zählt zu einer Corona-Risikogruppe: Zu denen, die durch das Virus wie Sänger oder Fotografen sofort arbeitslos werden. In der Vergangenheit hatte er für solchen Zeiten, die bei freien Schauspielern nicht selten sind, ein Sicherheitsnetz: Eine geerbte 60 m2-Altbauwohnung, die sich via Airbnb passabel vermieten ließ. Zwar verhindert Wien das demnächst, indem es diese Art des Vermietens auf 90 Tage begrenzt, aber bis Juni war die Wohnung gut gebucht.

Bis vor einer Woche: Seither folgt ein Corona-Storno dem nächsten.

Die befristete Vermietung zum „Richtwert“, die die Alternative wäre, bringt, anders als die einer gleichwertigen Neubauwohnung, bei befristeter Vermietung (um das Eigentum nicht ganz zu verlieren) nur 450 € im Monat – also etwa die Hälfte. Als ich diesen Unterschied in einem Falter-Kommentar „ungerecht“ nannte, erntete ich heftigen Widerspruch. „Hausherrn“ sind in jedenfalls „Profiteure“.

PS: In diesem Kommentar habe ich, um auch das Problem der „Eintrittsrechte“ in bestehende Verträge zu illustrieren, zum berechtigten Ärger des Lesers Walter Rosifka fälschlich geschrieben, dass man für eine 200 Quadratmeter große Wohnung am Graben „nur 800 Euro Miete“ zahlen muss, wenn man sie von seiner „Großtante“ übernimmt. Korrekt hätte es heißen müssen, dass „der Mietzins nur 720 Euro“ beträgt, wenn man sie von der „Großmutter“ übernimmt.

4 Kommentare

  1. Lieber P.M.L. um Sie mache ich mir keine Sorgen – abseits der gesundheitlichen Malaise, die ich zum Gutteil mit Ihnen teile.
    Die heute angekündigten Massnahmen unserer Regierung zeigen allerdings, wie dramatisch die Situation für Kunstler und weitere EPUs und KMUs werden wird. Ein Freund im Eventmanagement (3MA) und ein Verwandter (11 MA) im gehobenen Freizeitartikelbereich rechnen nach Stornierungen und Absagen umsatzbringender Messen (Tull, Wohnen&Interieur) mit Umsatzeinbußen von bis zu 90%.
    P.S. Natürlich wird es auch für die großen Top Unternehmen ( voestalpne, KTM, Magna, Andritz, Sappi, Engel, Miba, AMS, Knapp, Raiffeisen, Erste, Uniqua, STRABAG, usw. usf. sehr,sehr bitter – genauso für die mittlere Liga) aber die haben ein längerfristiges finanzielles backing.
    Ich denk, wir haben alle keine Ahnung, wie das ausgehen wird. Das Interview (mit Kaffeesudlesen) mit dem neuen NB Chef von der F war nachgerade erschütterend ahnungslos-optimistisch.
    Also: Bleiben wir gesund, Ihnen Alles Gute.

  2. Interessant; mir ging es mit dem „sich alt Fühlen“ ebenso. Man hört so oft, dass Corona nur „die Alten“ betrifft. Zunächst dachte ich, dass mich das eh nicht betrifft, weil ich nicht zu „den Alten“ gehöre. Und inzwischen ist mir bewußt geworden, dass ich in der Tat zu den Alten gehöre (71). Jetzt fühle ich mich alt. Verfluchte Corona!

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