Die überflüssige Verspätung

Spät aber doch wurde das Malariamittel Hydroxychloroquine, dessen Einsatz ich hier mehrfach gegen die oft heftigen Einwände der Jünger des Charité-Top-Virologen Christian Drosten verteidigt habe, von Österreichs Gesundheitsbehörden in einem Eilverfahren zur Behandlung von Covid-19 zugelassen.

Der Pharmakonzern Novartis, der, wie die meisten Pharmakonzerne, eine Variante des altbekannten Medikaments herstellt, hat Österreich und allen Mitgliedern der EU ausreichende Mengen davon zur Verfügung gestellt und so wird es hoffentlich auch wie in Südkorea rundum eingesetzt werden.

 Zuviel deutsche Gründlichkeit mitten im „Krieg“

Die Einwände Christian Drostens gegen Studien des französischen Top-Virologen Didier Raoult, der empfahl Hydroxychloroquine unter dem Handelsnamen Plaquenil gemeinsam mit einem Antibiotikum einzusetzen waren zwar, was die Methodik der Studien betraf, durchaus berechtigt, aber nicht zu Ende gedacht. Erstens hatte Raoult seine Studien nur zur Bestätigung einer viel umfangreicheren chinesischen Studie gemacht. Zweitens hatten Südkoreas Virologen das Mittel zum Einsatz empfohlen. Und drittens nutzte der Einsatz des Mittels zwar vielleicht nicht in dem von Raoult behaupteten Ausmaß -schädlich war er außer bei Leber-Nieren-Vorerkrankungen auf keinen Fall. (Gegen Malaria wurde Plaquenil seit 1949 millionenfach selbst Schwangeren verabreicht). Mitten im Krieg gegen ein Virus ist rasches Handeln sinnvoller als normalerweise berechtigte größte Gewissenhaftigkeit – jedenfalls dann, wenn das Medikament spottbillig ist und nicht schadet.

Das Boris-Johnson-Syndrom

Vermutlich (hoffentlich) erfolgt sein Einsatz in Österreich in der von Raoult empfohlenen, etwas niedrigeren Dosierung von 500 mg und wie bei ihm in Kombination mit dem Antibiotikum Azithromycin. Einiges spricht nämlich dafür, dass die immer wieder -etwa auch bei Boris Johnson -beobachtete extreme Verschlechterung im Zustand des Patienten in einer zweiten Phase seiner Erkrankung davon herrührt, dass Bakterien die Viren-geschwächte Lunge stürmen und dort eine lebensbedrohende Lungenentzündung auslösen.

Wieso ist ein für sich eher harmloses Virus so gefährlich?

Es wäre auch sinnvoll, wenn der Bevölkerung klarer wäre, was das „Corona-Virus“ SARS-CoV-2 so gefährlich macht, obwohl die mit ihm verbundene Sterblichkeit primär viel geringer als etwa beim Grippe-Virus ist. Sebastian Kurz hat zwar versucht, das im Gespräch mit Armin Wolf zu erklären, aber ausnahmsweise ist es ihm nicht mit der sonst von ihm gewohnten Präzision gelungen.

  • Es scheint es so zu sein, dass Covid-19, wenn es bei einem älteren Menschen zu einer Vorerkrankung hinzutritt, in einem unerwartet hohen Ausmaß tödlich verläuft.
  • Vor allem aber ist das Virus extrem ansteckend und breitet sich daher extrem schnell aus. Das bedeutet, dass nicht nur die leichten und mittelschweren sondern auch diese lebensgefährlichen Verläufe der Erkrankung in einem besonders kurzen Zeitraum extrem gehäuft auftreten.

Dadurch kann ein Gesundheitssystem, das einer langsameren Verbreitung des Virus durchaus gewachsen wäre, überfordert sein, und im schlimmsten Fall wie in Italien zusammenbrechen und auch die Erkrankungen nicht mehr entfernt beherrschen, die mit dem Virus gar nichts zu tun haben.

 

5 Kommentare

  1. Es ist die Kombination aus Erstens und Zweitens. Wenn ich alles richtig verstehe, sind ja etwa Masern 5x so ansteckend wie Covid-19.
    Bei ersteren haben wir (noch, bis die Impfgegner das System zum Kippen bringen) Herdenimmunität, die durch Impfung und Infektion bei 93% liegt. (tolle Erklärung hier: http://blogs.neuwirth.priv.at/bildungundstatistik/2020/03/25/herdenimmunitaet-was-ist-das-eigentlich/#more-4327).
    Die Misere bei Covid-19 ist ja, dass wir erst bei +/-1% Durchseuchung liegen, aber (wahrscheinlich) 65% brauchen. D.h. bis wir eine Impfung haben, werden wir effiziente Medikament brauchen. Wenn eines davon Plaquenil ist, fein.

  2. S.g. Herr Lingens, ich verfolge den NDR Podcast von Herrn Drosten seit ein paar Tagen und bin mittlerweile bei Folge 17 angelangt. Bis dato scheinen mir die Aussagen des deutschen Top-Virologen von hoher Güte und abwägend zu sein. Was bewegt sie dazu, seine „Follower“ als Jünger zu bezeichnen? Habe ich unlautere Aussagen von ihm überhört oder kommen solche noch in den von mir noch nicht gehörten Podcasts? Mit freundlichen Grüßen , Erwin Hemetsberger
    Ps: was macht Drostens französisches „Gegenstück“ zum Top-Virologen und was Drosten zum Sektenführer (einem solchen folgen Jünger ja gemeinhin)?

    1. Ich höre Christian Drosten auch von Beginn an und mit großem Interesse zu – nur höre ich auch auf andere Virologen.
      Und ich bin auch trotz der jetzt zweiten Mahnung durch Alois Seiringer nicht bereit, völlig auf den Gebrauch meines eigenen Verstandes zu verzichten. Man muss kein Virologe sein um folgende Feststellungen zu Plaquenil zu treffen:
      * Es wurde in einer chinesischen Studie, die auf umfangreiches Patientenmaterial zurückgreifen konnte, als wirksam angesehen.
      * Didier Raoult, dem niemand Kenntnis von Medikamenten gegen Coronaviren abspricht („Nature“ zählt ihn unter die Top-Experten) hat diese chinesische Studie geprüft und für valid gefunden.
      * als ihr Ergebnis dennoch von Kollegen heftig angezweifelt wurde, hat er zweimal, zuerst eine Gruppe von 24, dann von 80 Patienten Plaquenil zusammen mit dem Antibiotikum Azithromycin verschrieben und die positiven Ergebnisse publiziert. Das waren die Studien, denen Drosten und andere zu Recht methodische Mängel nachgesagt haben: Das erste Sample war extrem klein, beim zweiten fehlte eine Kontrollgruppe, der ein Placebo verabreicht wurde.
      * Raoult rechtfertigt sich damit, dass er erstens nur die Richtigkeit der chinesischen Studie bestätigen wollte und es zweitens für problematisch hielt, vierzig Schwerkranken keine Plaquenil zu verabreichen, obwohl er überzeugt war, dass es hilft.
      * die chinesischen wie die südkoreanischen Gesundheitsbehörden, die wie Deutschland über Virologen verfügen und große Erfahrung und Erfolge im Umgang mit Covid-19 haben, haben Plaquenil zu Anwendung empfohlen.

      Aber selbst wenn alle hier Angeführten Unrecht haben sollten und das Mittel keinerlei Nutzen bringen sollte, so steht doch fest, dass seine Verabreichung in den von Raoult genutzten Dosen niemandem schadet, weil Plaquenil in einer höheren Dosis millionenfach und selbst Schwangeren als Malaria-Medikament verabreicht wurde und seine Nebenwirkungen ebenso genau bekannt sind, wie der Umstand, dass es bei Leber und Nieren Erkrankungen nicht verschrieben werden soll.
      Wenn ich also selbst, als 80jähriger mit drei Herzinfarkten an Coivd-19 erkrankte, drängte ich darauf, Plaquenil und ein Antibiotikum verschrieben zu bekommen, weil ich den vernünftigen Schluss zöge: Nutzt es nicht, so schadet es jedenfalls nicht. Diesen Schluss so behaupte ich, zöge jeder vernünftige Mensch. Österreich hat das Medikament daher bereits zugelassen und überall sonst wird das auch geschehen.
      Am Rande sagt mir mein journalistisches Bauchgefühl, dass die Einwände gegen das Medikament – nicht bei Christian Drosten, „Seiringer“ oder „Erwin“ aber in Schreiben, die auf Punkt und Beistrich wortgleich im Internet auftauchen – doch damit zu tun haben könnte, dass Plaquenil spottbillig -ungleich billiger als ein künftiges von der Pharmaindustrie entwickeltes Covid-19 Medikament- zu haben ist.

  3. Bei allem Respekt, aber ich denke Sie maßen sich deutlich (sehr deutlich sogar) zu viel an, wenn Sie jetzt noch Expertisen zur Wirksamkeit von Medikamenten abgeben. Bei Drosten irgendetwas von „Jüngern“ zuschreiben ist despektierlich.

    Kluge Vorschläge von Hobby-Virologen (ich bin bei Bedarf übrigens auch ein erstklassiger!) ist so ziemlich das letzte, was die Welt jetzt braucht …

    1. Ich bin froh über Ihre Stimme der Vernunft, Herr Seiringer.
      Ich selbst bin Arzt, aber weder Virologe, Infektiologe oder Epidemiologe. Natürlich habe ich auch Zugang zu den Quellen, die hier immer zitiert werden und informiere mich auch.
      Aber, im Unterschied zu Herrn Lingens bin ich mir voll bewusst, dass ich weder die Kompetenz, noch das Wissen habe einem der genannten Wissenschaftler zu widerspreche. Aber genauso wenig ist es mir möglich die Veröffentlichung eines Topspezialisten als entscheidenden medizinischen Durchbruch zu präsentieren. (Nur in meinem Fachgebiet würde ich mir das vielleicht zutrauen)
      Eine Selbsteinschätzung, die ich allen selbsternannten Experten anraten würde, wenn sie wissenschaftliche Veröffentlichungen, aus einem Ihnen fremden Fachbereich lesen.

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